Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Kassenmitglied, das Übergangsgeld aus der Rentenversicherung bezieht, bleibt solange beitragsfrei, als ein "an sich" bestehender Krankengeldanspruch wegen des Bezugs von Übergangsgeld entfällt. Dieser Anspruch richtet sich nicht nach der Tätigkeit des Versicherten als Umschüler, sondern nach der bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit verrichteten Tätigkeit.

2. Zeiten der Gewährung von Übergangsgeld sind auf die Höchstbezugsdauer von Krankengeld (RVO § 183 Abs 2) nicht anzurechnen.

 

Orientierungssatz

Die Frage der Arbeitsfähigkeit beurteilt sich grundsätzlich nach der zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübten Tätigkeit des Versicherten (hier: Umschüler).

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1961-07-12, § 183 Abs. 2

 

Tenor

Die Revision der beklagten Krankenkasse gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1967 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten; im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger, der seit 1962 auf Grund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Elektriker Mitglied der beklagten Krankenkasse war, auch für die Zeit eines Bezuges von Übergangsgeld Krankenversicherungsbeiträge an die Beklagte zu entrichten hatte.

Der Kläger bezog von der Beklagten wegen einer Erkrankung an Epilepsie vom 20. August 1963 bis zum 31. August 1964 (mit Ausnahme von vier Wochen, in denen er aus anderem Anlaß zur Kur war) Kranken- bzw. Hausgeld. Vom 1. September 1964 bis zum 14. Juli 1966 nahm er auf Kosten der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) an einem Umschulungslehrgang teil, dessen Ziel (Gehilfenprüfung als technischer Zeichner) er nicht erreichte. Bei einer vertrauensärztlichen Nachuntersuchung im Januar 1965 wurde er als Elektriker weiterhin für arbeitsunfähig, zum Besuch des Umschulungslehrganges dagegen für fähig gehalten. Darauf lehnte die Beklagte das Verlangen des Klägers, ihm für die Dauer des Lehrgangs Beitragsfreiheit zu gewähren, ab, weil er für seine derzeitige Tätigkeit "arbeitsfähig" sei (Bescheid vom 21. April 1965 und Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 1965).

Das Sozialgericht (SG) gab der rechtzeitig erhobenen Klage statt und stellte unter Aufhebung der Bescheide der Beklagten fest, daß der Kläger für die Zeit der Durchführung der Umschulungsmaßnahmen und des Bezuges von Übergangsgeld beitragsfreies Mitglied der Beklagten sei (Urteil vom 6. April 1966). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Zwar führe nicht schon der Empfang von Übergangsgeld zu einer beitragsfreien Mitgliedschaft nach § 183 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO); Beitragsfreiheit trete hiernach vielmehr nur ein, wenn infolge der Gewährung von Übergangsgeld ein an sich bestehender Krankengeldanspruch entfalle. Diese Voraussetzung habe jedoch beim Kläger vorgelegen. Sein Anspruch auf Gewährung von Krankengeld für 78 Wochen sei bei Beginn der Übergangszahlung noch nicht erschöpft gewesen. Der Kläger sei auch, bezogen auf seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Elektriker, für diesen Beruf arbeitsunfähig geblieben; während der Umschulungszeit seien sieben epileptische Anfälle aufgetreten (Urteil vom 15. Juni 1967).

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die zugelassene Revision eingelegt und eine unrichtige Anwendung des § 183 Abs. 6 RVO durch das LSG gerügt. Nach der genannten Vorschrift bestehe eine beitragsfreie Mitgliedschaft nur bis zur Beendigung des Krankengeldanspruchs und nicht, wie das LSG angenommen habe, für die ganze Dauer der Übergangsgeldzahlung. Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die beigeladene LVA beantragt unter Hinweis auf das angefochtene Urteil,

die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten gewesen.

Alle Beteiligte haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat den Kläger während der streitigen Zeit des Übergangsgeldbezuges mit Recht als beitragsfrei angesehen.

Die Beklagte geht allerdings zutreffend davon aus, daß ein Kassenmitglied, das Übergangsgeld aus der Rentenversicherung erhält, nach § 183 Abs. 6 Satz 2 RVO nur solange beitragsfrei bleibt, als ein "an sich" bestehender Krankengeldanspruch wegen Bezugs von Übergangsgeld entfällt (vgl. Urteil des Senats vom 28. August 1968, SozR Nr. 33 zu § 183 RVO). Entgegen der Ansicht der Beklagten war dieses Erfordernis indessen während der ganzen Zeit, in der der Kläger Übergangsgeld von der beigeladenen LVA bezogen hat (1. September 1964 bis 14. Juli 1966), erfüllt. Wie das LSG richtig ausgeführt hat, war der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Krankengeld, den § 183 Abs. 2 RVO für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit (hier: Epilepsie) auf 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren begrenzt, bei Beginn des Umschulungslehrgangs und der Übergangsgeldzahlung (1. September 1964) noch nicht erschöpft. Er endete auch nicht durch Wegfall der Arbeitsunfähigkeit während der Dauer des Übergangsgeldbezugs, wie das LSG weiter dargelegt hat. Daß sich die Frage der Arbeitsfähigkeit grundsätzlich nach der zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübten Tätigkeit des Versicherten beurteilt, hat der Senat mehrfach entschieden (vgl. insbesondere BSG 26, 288 für den Fall einer nicht mehr besserungsfähigen Krankheit und dazu Töns, DOK 1968, 347). Ob der Kläger während der streitigen Zeit arbeitsunfähig war, richtete sich deshalb nicht, wie die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden gemeint hat, nach seiner Tätigkeit als Umschüler, sondern nach der bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit verrichteten Tätigkeit als Elektriker, an deren Fortsetzung ihn seine epileptischen Anfälle hinderten. Ob für die Zeit nach einer erfolgreichen Umschulung etwas anderes anzunehmen gewesen wäre, kann dahinstehen (vgl. für die Rentenversicherung § 1246 Abs. 2 letzter Satz RVO). Der vorliegende Rechtsstreit betrifft nicht eine solche Zeit; außerdem ist der Kläger nicht mit Erfolg umgeschult worden.

Bestand sein Krankengeldanspruch somit "an sich" während der ganzen Zeit des Übergangsgeldbezugs fort - daß ein solcher Bezug nicht auf die Leistungsdauer des Krankengeldes anzurechnen ist, hat der Senat in dem Urteil vom 15. Oktober 1968 ausgeführt (SozR Nr. 35 zu § 183 RVO; vgl. auch Nr. 34 aaO) -, so blieb der Kläger bis zum Ende der Übergangsgeldzahlung gemäß § 183 Abs. 6 Satz 2 RVO beitragsfrei. In diesem Sinne haben die Vorinstanzen entschieden, die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284922

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