Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz auf Umwegen
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Frage des zuständigen Versicherungsträgers für den Unfall eines Zimmermanns auf dem Weg von der Arbeitsstätte zu seinem auf dem Felde arbeitenden Sohn.
(Zuständigkeit der Bau-BG gegenüber der landwirtschaftlichen BG).
2. Wird der Umweg eingeschlagen, um eine bessere Wegstrecke oder eine schneller befahrbare oder weniger verkehrsreiche Straße zu benutzen, so ist der Unfallversicherungsschutz nach RVO § 550 auf dem Umweg im allgemeinen nicht ausgeschlossen.
Normenkette
RVO § 550 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Juni 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger war als Zimmermann in B beschäftigt. In seinem Wohnort D betrieb er eine Landwirtschaft.
Am 16. September 1965 war er um 11.00 Uhr mit dem Moped von seiner Arbeitsstelle nach Hause gefahren und hatte in der Mittagszeit mit seinem Sohn Futter geholt. Um 15.00 Uhr war er wieder zur Arbeit nach B gefahren, die er gegen 17.30 Uhr beendete. Er fuhr mit seinem Moped nach D über V zurück, weil auf der Straße über L starker Verkehr mit US-Fahrzeugen herrschte. Hinter V wollte er in einen nach links abzweigenden Feldweg einbiegen, um zu seinem Feld zu fahren, auf dem sein Sohn arbeitete. Beim Versuch, in den Feldweg einzubiegen, wurde er von einem Kraftwagen erfaßt. Er erlitt einen Ober- und Unterschenkelbruch links.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 31. Juli 1967 Entschädigungsansprüche aus Anlaß dieses Unfalles ab, da der Kläger sich nicht auf dem Heimweg, sondern auf dem Weg zur Arbeit in seinem landwirtschaftlichen Betrieb befunden habe.
Der Kläger hat Klage erhoben.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 14. Mai 1968 die Beklagte verurteilt, den Kläger aus Anlaß des Unfalles vom 16. September 1965 zu entschädigen. Es hat u. a. ausgeführt, der Unfall habe auf der Straße stattgefunden, die von dem Arbeitsplatz des Klägers zu seiner Wohnung führe; der Kläger habe diese Strecke befahren, weil auf der anderen Strecke wegen der Nähe der amerikanischen Kasernen ein starker Autoverkehr geherrscht habe.
Die Berufung der Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 11. Juni 1969 zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen u. a. ausgeführt: Um von B nach D zu kommen, sei nach den Angaben des Zeugen W, der in V eine Tankstelle betreibe, der Weg über L etwas kürzer, dafür weise die Straße mehrere S-Kurven und Steigungen auf. Außerdem sei an der Ausfahrt von B wegen der in der Nähe befindlichen amerikanischen Kasernen stärkerer Kraftfahrzeugverkehr. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, sei er wechselweise die Straße über V oder die über L gefahren. Dies sei von dem Zeugen W bestätigt worden, bei dem er öfter bei der Durchfahrt durch V. getankt habe. Da beide Wege nur einen geringfügigen Entfernungsunterschied aufwiesen und außerdem der Weg über V leichter zu befahren sei, müsse auch die Fahrt über V als Weg von der Arbeitsstelle angesehen werden. Der Kläger habe auch nicht auf dem Felde selbst landwirtschaftliche Arbeiten ausführen wollen. Zudem sei der Weg auf das Feld noch gar nicht begonnen gewesen, weil der Kläger bereits beim Versuch, in den Feldweg einzubiegen, von dem überholenden Kraftfahrzeug angefahren worden sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt.
Sie trägt vor: Schon der Ausgangspunkt des angefochtenen Urteils sei unzutreffend, da der Kläger mit einer bewirtschafteten Fläche von 5,62 ha keine "kleinere" Landwirtschaft "nebenbei" betrieben habe. Der Kläger sei nicht auf dem Heimweg von der verrichteten Tätigkeit, sondern auf dem Weg zu seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit verunglückt.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung bzw. entsprechender Abänderung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen der Vollmachtgeberschaft in der Vorinstanz, insbesondere im Ergebnis auf Klageabweisung,
hilfsweise
auf Zurückverweisung an die Vorinstanz zu erkennen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Fahrt über V sei für ihn verkehrstechnisch aus vielen Gesichtspunkten wesentlich günstiger gewesen.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält gleichfalls das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Der Unfall des Klägers am 16. September 1965 ist, wie das LSG zutreffend entschieden hat, ein Arbeitsunfall auf dem mit seiner versicherten Tätigkeit als Zimmermann zusammenhängenden Weg von dem Ort seiner Tätigkeit in B (§ 550 S. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Ziel seiner Fahrt war der häusliche Bereich. In seinen Weg von dem Ort seiner Tätigkeit als Zimmermann wollte er die Fahrt zum Feld nur einschieben.
Die Revision meint zu Unrecht, der Kläger habe sich auf dem Weg nach dem Ort seiner Tätigkeit als - bei der Beigeladenen versicherter - Landwirt und deshalb nicht auf einem Weg von dem Ort seiner Tätigkeit als Zimmermann befunden (vgl. BSG 17, 217, 219; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-7. Aufl., S. 486 c). Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger selbst auf dem Feld keine Arbeiten verrichten wollte. Er wollte im Zuge seiner Heimfahrt von seiner Arbeitsstätte in B auf ein Feld fahren, um nachzusehen, was sein Sohn dort in der Zwischenzeit gemacht hatte. Das Ziel seiner Fahrt ist dennoch rein häuslicher Bereich geblieben. Die Revision meint zwar, es sei nach § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu prüfen, ob das LSG wirklich davon hätte ausgehen dürfen, daß der Kläger, als er zu seinem Sohn fuhr, nicht mehr die Absicht gehabt habe, auf seinem Feld und der Wiese zu arbeiten. Selbst wenn man in diesen Ausführungen noch eine substantiierte Rüge mangelhafter Sachaufklärung sehen könnte, wäre sie unbegründet. Das LSG hat sich seine Überzeugung unter Abwägung der wesentlichen Umstände gebildet. Es hat insbesondere die Angaben des Klägers und die Aussage seines Sohnes gewürdigt. Welche weiteren Ermittlungen das LSG hätte noch durchführen sollen, hat die Revision nicht dargetan. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG war demnach die Fahrt des Klägers am Unfalltag von B nach D als Weg von dem Ort der versicherten Tätigkeit in B und nicht durch das beabsichtigte, mit dem Weg von dem Ort der Tätigkeit nur verbundene Aufsuchen des Sohnes auf dem Feld geprägt. Der beabsichtigten Fahrt auf das Feld kommt versicherungsrechtlich nicht ein solches Gewicht zu, daß der Weg von B als ein Weg von einer Arbeitsstätte zur anderen anzusehen ist (vgl. RVA, EuM 30).
Der Kläger hat den Versicherungsschutz auf diesem Weg, wie das SG und das LSG weiter zutreffend entschieden haben, nicht deshalb verloren, weil er nicht den kürzesten Weg nach D gewählt hat. Der Versicherungsschutz ist im allgemeinen auf einem Umweg nicht ausgeschlossen, der eingeschlagen wird, um eine bessere Wegstrecke oder eine schneller befahrbare oder weniger verkehrsreiche Straße zu benutzen (vgl. BSG 4, 219, 222; BSG, SozR Nr. 21 und 33 zu § 543 RVO aF; BSG, Urteil vom 22.9.1966 - 2 RU 202/63 -; Brackmann, aaO, S. 486 q II; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 550 Anm. 15). Nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG befanden sich auf der Straße über L mehrere S-Kurven und Steigungen, außerdem herrschte wegen der amerikanischen Kasernen stellenweise ein stärkerer Straßenverkehr. Die Strecke über V war, wie das LSG weiter festgestellt hat, hingegen weniger verkehrsreich und hat auch keine so starken Steigungen und nicht so zahlreiche Kurven.
Der Kläger wollte zwar von der Straße über L nach D in einen Feldweg einbiegen. Das LSG hat aber festgestellt, daß er schon beim Versuch, in den Feldweg einzubiegen, verunglückt ist. Im Zeitpunkt des Unfalls hatte der Kläger erst Anstalten unternommen, um von der nach Hause führenden Straße abzuweichen. Der Unfall ereignete sich somit noch vor dem Verlassen der Straße nach D (vgl. u. a. BSG Urteil vom 26.5.1966 - Az.: 2 RU 245/63). In Übereinstimmung mit dem SG und dem LSG ist der erkennende Senat der Auffassung, daß der Kläger auf dem Heimweg von seiner Tätigkeit als Zimmermann verunglückt ist, so daß die Beklagte die Folgen dieses Unfalls zu entschädigen hat.
Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen