Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer Virushepatitis bei einem Flugpiloten als Berufskrankheit nach Nr 37 der Anl 1 zur BKVO 7
Orientierungssatz
1. Maßgebend für die Anerkennung einer Infektionskrankheit als Berufskrankheit nach Nr 37 der Anl 1 zur BKVO 7 ist, daß der Versicherte im Einzelfall durch seine gleichwie geartete versicherte Tätigkeit, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten, bekanntermaßen mit Infektionsgefahren verbundenen Unternehmen, der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße ausgesetzt war wie die im Gesundheitsdienst usw Tätigen, die bei ihrer Arbeit erfahrungsgemäß in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung gefährdet sind (vgl BSG 1978-02-02 8 RU 68/77 = USK 7808).
2. Ein Flugpilot ist während seines betriebsbedingten Aufenthaltes in Indien der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße ausgesetzt wie im Gesundheitsdienst tätige Versicherte und gehört deshalb zu den nach Nr 37 der Anl 1 zur BKVO 7 gegen Infektionskrankheiten geschützten Versicherten.
Normenkette
BKVO 7 Anl 1 Nr 37 Fassung: 1968-06-20
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 10.09.1980; Aktenzeichen L 3 U 1008/78) |
SG Darmstadt (Entscheidung vom 03.08.1978; Aktenzeichen S 1 U 201/74) |
Tatbestand
Der Kläger war in den Monaten Mai und Juni 1973 als Pilot der Lufthansa ua auf Flügen nach Indien - mit Zwischenaufenthalten - eingesetzt. Er erkrankte an einer Virushepatitis -A-, die am 26. Juni 1973 manifest wurde und mit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 15. Januar 1975 ausgeheilt war. Der Landesgewerbearzt äußerte die Auffassung, es handele sich um eine Infektionskrankheit im Sinne der Nr 37 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) in der Fassung der 7. BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721), falls der Kläger sich beruflich in asiatischen Staaten aufgehalten habe. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 26. November 1974 eine Entschädigung ab, da die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen einer Berufskrankheit (BK) oder eines Arbeitsunfalles nicht vorlägen.
Das Sozialgericht Darmstadt hat nach Beweiserhebung die Beklagte verurteilt, die im Juni 1973 aufgetretene Hepatitiserkrankung als BK zu entschädigen (Urteil vom 3. August 1978). Es hat angenommen, es handele sich um eine Tropenkrankheit im Sinne der Nr 44 der Anlage zur 7. BKVO; im übrigen seien auch die Voraussetzungen nach Nr 37 (Infektionskrankheit) erfüllt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 10. September 1980). Der Kläger sei innerhalb der Inkubationszeit vom 14. Mai bis 18. Juni 1973, insbesondere bei seinen betriebsbedingten Aufenthalten in Bombay vom 25. bis 28. und 30. bis 31. Mai 1973 sowie in Neu-Dehli vom 6. bis 7. Juni 1973, einem gleich hohen Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen wie die im Gesundheitsdienst Tätigen. Er habe deshalb zu den nach Nr 37 der Anlage 1 zur BKVO in der Fassung der 7. BKVO gegen Infektionskrankheiten geschützten Personen gehört. Es sei auch wahrscheinlich, daß er sich die Infektion bei seiner versicherten Tätigkeit zugezogen habe. Darüber hinaus lägen auch die Voraussetzungen einer BK nach Nr 44 (Tropenkrankheit) vor.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und trägt vor. Die Erkrankung des Klägers sei weder eine Infektions- noch eine Tropenkrankheit im Sinne der BKVO. Das LSG habe zu Unrecht eine besondere Infektionsgefährdung bejaht, obwohl der Kläger während seiner Aufenthalte in Fernost in Luxushotels europäischen Standards untergebracht gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die
Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Frage, ob die am 26. Juni 1973 manifest gewordene und am 15. Januar 1975 folgenlos abgeheilte Virushepatitis -A- des Klägers eine BK war, nach § 551 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm der BKVO in der Fassung vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) - 7. BKVO - zu beurteilen ist, weil die Infektion in den zeitlichen Geltungsbereich dieser Fassung der BKVO fällt. Das LSG hat aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen auch zu Recht entschieden, daß die Erkrankung des Klägers eine BK im Sinne der Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKV war (Infektionskrankheit). Zu den in der Anlage 1 zur 7. BKVO bezeichneten Krankheiten, die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO angeführten Tätigkeiten erleidet und daher Berufskrankheiten sind (s § 1 BKVO), gehören nach Nr 37 Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Während nach Nr 37 in der Fassung der Anlage zur 6. BKVO vom 28. April 1961 (BGBl I 505), mit dem früheren Recht übereinstimmend, Infektionskrankheiten nur dann Berufskrankheiten waren, wenn sie durch berufliche Beschäftigung in den in Spalte III der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht waren, so daß ua Infektionskrankheiten der in der Luftfahrt beruflich Tätigen nicht zu den Berufskrankheiten gezählt werden konnten (vgl BSG Sozr 5676 Anl Nr 44 Nr 2; Urteil vom 28. Juli 1977 - 2 RU 55/75 - USK 77210), ist der Kreis der gegen diese Krankheiten Versicherten durch Nr 37 der anlage zur 7. BKVO um diejenigen erweitert worden, die "durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt" waren. Mit dem Wegfall der Beschränkung auf Beschäftigte in bestimmten Unternehmen hat der Verordnungsgeber wegen der Ermächtigungsgrenzen in § 551 Abs 1 Satz 3 RVO allerdings nicht jede bei der versicherten Tätigkeit erlittene Infektion - zB eine zufällige Ansteckung durch einen erkrankten Mitarbeiter (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl S 492e) - als Berufskrankheit bezeichnet, vielmehr vorausgesetzt, daß der Versicherte durch eine "andere" (als der im Gesundheitsdienst usw verrichteten) Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Das trägt dem Umstand Rechnung, daß viele Infektionskrankheiten die gesamte Bevölkerung in fast gleichem Maße bedrohen, so daß eine durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung gefährdete Personengruppe (s § 551 Abs 1 Satz 3 RVO) schwerlich mit Gewißheit festzustellen wäre (s Brackmann aaO S 492 mwN). Maßgebend für die Anerkennung einer Infektionskrankheit als BK ist nunmehr, daß der Versicherte im Einzelfall durch seine gleichwie geartete versicherte Tätigkeit, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten, bekanntermaßen mit Infektionsgefahren verbundenen Unternehmen, der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße ausgesetzt war wie die im Gesundheitsdienst usw Tätigen, die bei ihrer Arbeit erfahrungsgemäß in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung gefährdet sind (s ua Brackmann aaO S 492, 492e; BSG Urteil vom 2. Februar 1978 - 8 RU 68/77 - USK 7808).
Das LSG hat insoweit - bei zutreffender Beurteilung der Rechtslage - in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß sich der Kläger während der Inkubationszeit vom 14. Mai bis zum 18. Juni 1973 im Einsatz auf Fernost-Flügen betriebsbedingt ua in Indien aufhielt, wo das Risiko, sich mit einer Virushepatitis zu infizieren, nach dem Ergebnis der vom LSG verwerteten Sachverständigengutachten 14 mal so groß war wie dasjenige der Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. Demgegenüber war das Ärzte- und Pflegepersonal in deutschen Krankenhäusern nach den Feststellungen des LSG gegenüber der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nur einem zehnfach höheren Virushepatitis-Infektionsrisiko ausgesetzt. Der Entscheidung des LSG, der Kläger sei unter diesen Umständen der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße ausgesetzt gewesen wie im Gesundheitsdienst tätige Versicherte und habe deshalb zu den nach Nr 37 der Anlage zur 7. BKVO gegen Infektionskrankheiten geschützten Versicherten gehört, muß aufgrund der tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil beigepflichtet werden.
Die Revision räumt zwar ein, daß das Erkrankungsrisiko für den Kläger größer war als dasjenige der Bevölkerung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, meint aber, das Risiko habe insbesondere wegen der Unterbringung des Klägers in Luxushotels mit europäischem Standard nicht das nach der BKVO geforderte besondere Maß erreicht. Das LSG hat hierzu jedoch festgestellt, daß der Kläger auch während seines betriebsbedingten Aufenthalts in den Hotels in Bombay vom 25. bis 28. und 30. bis 31. Mai 1973 und in Neu-Dehli vom 6. bis 7. Juni 1973 einem mindestens ebenso hohen Infektionsrisiko unterlag wie das Pflegepersonal in deutschen Krankenhäusern, das eine erkrankte Krankheit an Hepatitis -A- behandelt. Es hat dabei zutreffend auf das hohe Ausmaß der Durchseuchung im Aufenthaltsgebiet des Klägers und die damit gerade für einen Ausländer verbundene Gefahr (s auch BSG Urteil vom 2. Februar 1978 aaO) sowie ferner darauf hingewiesen, daß in den Hotels auch Einheimische beschäftigt wurden, einheimische Gäste Zugang zu den Hotels hatten und die Gemeinschaftseinrichtungen benutzten, daß das Trinkwasser und mindestens ein Teil der Nahrungsmittel aus einheimischen Quellen stammten und daß Fliegen auch nicht völlig ferngehalten werden konnten. Schließlich hat das LSG mit Recht auch berücksichtigt, daß der Kläger außerhalb der Hotels - bei Fahrten im Taxi oder Bus von und zum Flughafen sowie auf den Wegen zur Nahrungsaufnahme in Restaurants - dem für Indien nachgewiesenen vollen Infektionsrisiko ausgesetzt war. Die Auffassung des LSG, daß der Kläger hiernach zu den gegen Infektionskrankheiten geschützten Personen gehörte, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts des vom LSG festgestellten hohen Grades der Infektionsgefahr durfte das LSG ohne Verfahrens- und Rechtsfehler auch zu dem Ergebnis kommen, daß sich der Kläger die Infektion infolge seiner versicherten Tätigkeit wahrscheinlich zwischen dem 25. Mai und dem 7. Juni 1973 in Bombay oder Neu-Dehli zugezogen hat.
Der Senat kann somit - wie schon in seinem Urteil vom 28. Juli 1977 (aaO) - offenlassen, ob eine Virushepatitis als Tropenkrankheit im Sinne der Nr 44 der Anlage 1 zur 7. BKVO gewertet werden kann (so BSG SozR 5676 Anlage Nr 44 Nr 2).
Die Revision ist danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen