Orientierungssatz
Gerichtszuständigkeit nach § 215 Abs 8 SGG - Rechtszugeröffnung:
Ist eine bei einem Oberverwaltungsgericht anhängige Streitsache nach § 215 Abs 8 SGG als Berufung auf das LSG übergegangen, so kommt es nicht darauf an, ob der Rechtszug zum Oberverwaltungsgericht statthaft war (vgl BSG 1955-06-16 3 RJ 83/54 = BSGE 1, 82).
Normenkette
SGG § 215 Abs. 8 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 15.12.1955) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 15. Dezember 1955 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger erlitt am 22. September 1945 einen Arbeitsunfall in einem Unternehmen, das damals Mitglied der Maschinenbau- und Kleineisenindustrie-Berufsgenossenschaft war. Durch Bescheid vom 22. Oktober 1948 hatte diese Berufsgenossenschaft für einen kürzeren Zeitraum die Vollrente gewährt und im übrigen mit Wirkung vom 1. September 1946 eine Dauerrente auf Grund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20. v. H. festgestellt. Nachdem mit Wirkung vom 1. Juni 1950 die Zuständigkeit für die Entschädigung auf die Beklagte übergegangen war, hat diese durch Bescheid vom 16. Oktober 1952 die Rente mit der Begründung entzogen, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit nur noch 10 v. H. betrage. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Berufung beim Oberversicherungsamt Hannover eingelegt. Dieses hat die Berufung durch Urteil vom 12. Februar 1953 zurückgewiesen.
Gegen das Urteil des Oberversicherungsamts hat der Kläger (weitere) Berufung zum Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingelegt. Von dort ist die Sache nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Landessozialgericht Celle übergegangen.
Das Landessozialgericht hat durch Urteil vom 15. Dezember 1955 die Berufung verworfen. Das Landessozialgericht steht auf dem Standpunkt, daß auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes nur solche Rechtsmittel als zulässig übergegangen seien, die nach dem Verfahrensrecht der Reichsversicherungsordnung (RVO) zulässig waren. Es ist der Auffassung, daß im vorliegenden Fall der Rekurs durch § 1700 Nr. 8 RVO ausgeschlossen gewesen sei.
Die Revision hat das Landessozialgericht zugelassen.
Gegen das Urteil des Landessozialgerichts, das am 27. Januar 1956 zugestellt worden ist, hat der Kläger mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 24. Februar 1956 (beim Bundessozialgericht eingegangen am 25. Februar 1956) Revision eingelegt. Mit Schriftsatz vom 21. März 1956 (beim Bundessozialgericht eingegangen am 23. März 1956) ist die Revision begründet worden.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte stellt den gleichen Antrag.
Die Revision ist zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG).
Die Revision ist auch begründet.
Beim Inkrafttreten des SGG war die Sache noch beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg, einem allgemeinen Verwaltungsgericht des zweiten Rechtszuges, rechtshängig; da es sich zweifellos um eine Angelegenheit des § 51 SGG handelt, ist sie infolgedessen nach § 215 Abs. 8 SGG als Berufung auf das Landessozialgericht übergegangen, ohne daß es darauf ankommt, ob der Rechtsweg zum Oberverwaltungsgericht statthaft war (vgl. BSG. 1 S. 82, insbes. S. 88 und BSG. in SozR. SGG § 215 Bl. Da 6 Nr. 23).
Für die Statthaftigkeit der Berufung ist es - entgegen der von der Revision mit Recht gerügten Auffassung des Landessozialgerichts - bedeutungslos, ob nach dem Verfahrensrecht der Reichsversicherungsordnung (§ 1700 Nr. 8 RVO) der Rekurs gegen das Urteil des Oberversicherungsamts Hannover ausgeschlossen war. Die Anfechtung der vor dem Inkrafttreten des SGG ergangenen Urteile der Oberversicherungsämter außerhalb des Landes Bayern und des ehemaligen Landes Württemberg-Baden und die Weiterverfolgung der gegen solche Urteile nach dem Verfahrensrecht der RVO eingelegten Rechtsmittel ist vom Gesetzgeber nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 214 SGG zugelassen worden. Der Gesetzgeber hat jedoch die Überleitung der Fälle, in denen vor dem Inkrafttreten des SGG durch Anrufung der Verwaltungsgerichte ein neuer Rechtszug eröffnet worden war, nicht in gleicher Weise beschränkt, wie aus den zweiten Halbsätzen der Absätze 7 bis 9 des § 215 SGG hervorgeht. Dieser Regelung liegt die Erwägung zu Grunde, daß in diesen Fällen ein gleichwertiger Rechtszug eröffnet und damit eine Verschlechterung gegenüber der bisherigen Rechtslage vermieden werden sollte. Deshalb richtet sich die Zulässigkeit der Berufung im Falle des § 215 Abs. 8 SGG nur nach den Vorschriften der §§ 143 bis 150 SGG (vgl. BSG. Bd. 1 S. 283).
Hiernach ist im vorliegenden Falle die Berufung nicht ausgeschlossen. Es handelt sich zwar um die Neufestsetzung einer Dauerrente wegen Änderung der Verhältnisse, jedoch hängt es von der Entscheidung ab, ob überhaupt eine Rente zu gewähren ist (vgl. § 145 Nr. 4 SGG).
Die Berufung gegen das Urteil des Oberversicherungsamts Hannover ist, wie das Landessozialgericht zutreffend ausgeführt hat, auch form- und fristgerecht eingelegt. Sie war somit zulässig.
Das Landessozialgericht hat sie zu Unrecht als unzulässig verworfen. Es hätte in eine sachliche Prüfung eintreten und eine Sachentscheidung troffen müssen.
Da eine Entscheidung in der Sache selbst durch das Bundessozialgericht nicht möglich ist, mußte das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen