Leitsatz (amtlich)

Ist im sozialgerichtlichen Verfahren der Klageantrag ersichtlich auf Verurteilung zur Leistung gerichtet, kann - vorbehaltlich einer Änderung der Klage nach SGG § 99 - nicht auf Feststellung erkannt werden.

 

Normenkette

SGG § 54 Abs. 4 Fassung: 1953-09-03, § 55 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03, § 99 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Februar 1955 aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. Juni 1954 insoweit aufgehoben, als es festgestellt hat, daß bei dem Kläger Schädigungsfolgen im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes vorhanden sind.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger arbeitete während des zweiten Weltkrieges als Werkmeister bei einem Frontreparaturbetrieb der Firma B in Griechenland. Das Versorgungsamt (VersorgA.) S erkannte mit Bescheid vom 29. März 1946 "Zustand nach Leberabszeß" als Wehrdienstbeschädigung nach dem Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz (WFVG) an. Mit Bescheid vom 3. Dezember 1951 lehnte das VersorgA. I S die Bewilligung von Versorgung nach dem Württemberg-Badischen Gesetz Nr. 74 über Leistungen an Körperbeschädigte vom 21. Januar 1947 (RegBl. der Regierung Württemberg-Baden 1947 S. 7) - KBLG - und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 20. Dezember 1950 (BGBl. I S. 791) ab, weil der Kläger nicht zu dem nach diesen Gesetzen anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre.

Die vom Kläger gegen diesen Bescheid eingelegte Berufung ging am 1. Januar 1954 auf das Sozialgericht (SG.) Stuttgart über. Er beantragte in der mündlichen Verhandlung vor diesem Gericht, "Zustand nach Leberabszeß als Folge von Amöbenruhr als Leistungsgrund anzuerkennen und ab 1. Januar 1948 eine Rente von 30 % zu gewähren". Das SG. hat mit Urteil vom 30. Juni 1954 festgestellt, daß bei dem Kläger "Rippenresektionsnarben mit geringer Atembehinderung rechts hinten nach Entfernung eines Amöbenruhrabszesses der Leber" als Schädigungsfolgen nach dem BVG vorhanden sind. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Der Beklagte sei an sein im Bescheid vom 29. März 1946 ausgesprochenes Anerkenntnis nach §§ 1 Abs. 4 KBLG und 85 BVG gebunden. Im übrigen sei der Anspruch nach § 3 Abs. 2 BVG begründet, weil der Dienst des Klägers in Griechenland mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für seine Gesundheit verbunden gewesen sei. Da eine MdE. in rentenberechtigendem Grad (mindestens 25 v. H.) nicht vorliege, sei mangels einer Leistungspflicht des Beklagten nur festzustellen, daß bei dem Kläger Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 BVG zurückgeblieben seien. Der Kläger hat dieses Urteil nicht angefochten.

Das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg hat das Urteil des SG. auf die Berufung des Beklagten am 9. Februar 1955 aufgehoben, die Klage als unbegründet abgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat die Auffassung vertreten, daß der vom Kläger in Griechenland geleistete Dienst einen Versorgungsanspruch nach dem KBLG und dem BVG nicht begründet habe. In der Rechtsmittelbelehrung wird u. a. ausgeführt, daß die Revision nur zulässig sei, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt werde oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs eine Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt sei. Ein Hinweis darauf, daß die Revisionsschrift einen bestimmten Antrag enthalten muß, fehlt.

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 21. Mai 1955 zugestellte Urteil mit einem beim Bundessozialgericht (BSG.) am 18. Juni 1955 eingegangenen Telegramm Revision eingelegt und Zurückverweisung beantragt. Er hat mit einem weiteren am 4. Juli 1955 eingegangenen Schriftsatz beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG. Baden-Württemberg vom 9. Februar 1955 und in Abänderung des Urteils des SG. Stuttgart vom 30. Juni 1954 den Revisionsbeklagten zu verurteilen, beim Revisionskläger ab 1. Januar 1948 "Zustand nach Leberabszeß als Folge von Amöbenruhr" anzuerkennen und Rente nach einer MdE. um 30 v. H. zu gewähren;

hilfsweise: die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

Er hat die Revision gleichzeitig begründet und ausgeführt: Die Revision sei rechtzeitig eingelegt. Die Revisionsfrist betrage ein Jahr, weil die Rechtsmittelbelehrung des LSG. unrichtig sei. Der Kläger rügt die Verletzung des § 1 KBLG und der §§ 1, 3, 85 BVG. Sein Dienst in Griechenland sei als militärähnlich anzusehen. Unabhängig davon sei der Beklagte an das im Bescheid vom 29. März 1946 ausgesprochene Anerkenntnis gebunden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG. Baden-Württemberg vom 9. Februar 1955 und in Abänderung des Urteils des SG. Stuttgart vom 30. Juni 1954 den Beklagten zu verurteilen, beim Kläger ab 1. Januar 1948 als Schädigungsfolge Zustand nach Leberabszeß als Folge von Amöbenruhr anzuerkennen; hilfsweise: die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Baden-Württemberg in Stuttgart zurückzuverweisen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er beruft sich zur Begründung seines Antrages im wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Das Berufungsgericht hat sie im Tenor seines Urteils ausdrücklich zugelassen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß in der Rechtsmittelbelehrung ausgeführt wird, die Revision sei nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGG vorlägen. Hierbei handelt es sich offenbar um ein Versehen des Berufungsgerichts. Die Revision ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§ 164 SGG). Es kann dahingestellt bleiben, ob die am 18. Juni 1955 telegrafisch beim BSG. eingegangene Revision einen bestimmten Antrag im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG enthält. Jedenfalls entspricht der am 4. Juli 1955 beim BSG. eingegangene Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten des Klägers den Erfordernissen des § 164 SGG. Dieser ist rechtzeitig beim BSG. eingegangen. In der Rechtsmittelbelehrung des LSG. fehlt ein Hinweis darauf, daß die Revisionsschrift einen bestimmten Antrag enthalten muß. Die Belehrung ist damit unvollständig und unrichtig. Die Revision konnte deshalb innerhalb eines Jahres seit der Zustellung des Urteils des LSG. (21.5.1955) eingelegt werden (§ 66 SGG, BSG. 1 S. 227 (230)). Sie ist somit fristgerecht eingelegt und begründet. Die Revision ist daher zulässig.

Die Revision führt zur Aufhebung des Urteils des LSG. und des Urteils des SG., soweit dieses Schädigungsfolgen nach dem BVG festgestellt hat. Unabhängig von der Rüge der Beteiligten ist es Aufgabe des Revisionsgerichts, von Amts wegen zu prüfen, ob diejenigen Voraussetzungen erfüllt sind, von denen das Verfahren als Ganzes in seiner Rechtswirksamkeit abhängt. Dabei hat es auch Mängel zu berücksichtigen, die das Klage- und Berufungsverfahren betreffen (BSG. 2 S. 225 (226, 227) mit weiteren Hinweisen). Sowohl das Urteil des SG. als auch das des LSG. leidet an einem solchen Mangel. Der Mangel im Verfahren des SG. ist darin zu erblicken, daß es ein Feststellungsurteil erlassen hat, ohne daß der Kläger einen Feststellungsanspruch geltend gemacht hatte. Der von ihm gestellte Antrag war in die Form gekleidet, die üblich ist, wenn es einem Beschädigten nur auf die Verurteilung des Versorgungsträgers zu einer Leistung ankommt. Die Ausführungen im Antrag, "einen Zustand nach Leberabszeß ..." als Leistungsgrund (Schädigungsfolge) anzuerkennen, dienten lediglich zur Begründung des Rentenanspruches, weil dieser neben anderen Voraussetzungen davon abhängt, daß ein Leistungsgrund (Schädigungsfolge) vorhanden ist. Eine selbständige Bedeutung kommt einer solchen Formulierung im Leistungsantrag umso weniger zu, als der Kläger nicht erwähnt hat, daß er eine Feststellung begehre und worin ein berechtigtes Interesse an einer baldigen Feststellung (§ 55 SGG) zu erblicken sei. Vielmehr bestand der vom Kläger geltend gemachte prozessuale Anspruch lediglich in dem Begehren, auf Grund des vorgetragenen Sachverhalts durch Urteil die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung einer Rente nach einer MdE. um 30 v. H. auszusprechen. Ein selbständiges Feststellungsbegehren könnte nur dann angenommen werden, wenn der Kläger hilfsweise für den Fall, daß seinem Klagebegehren auf Verurteilung des Beklagten zur Leistung nicht entsprochen würde, die Feststellung beantragt hätte, daß gewisse genau bezeichnete Gesundheitsstörungen Schädigungsfolgen seien. Das SG. war auch nicht befugt, das Feststellungsurteil ohne Antrag zu erlassen. Bereits das Reichsversorgungsgericht hat die Auffassung vertreten, daß nicht in jedem Rentenantrag ohne weiteres ein Antrag auf Feststellung der Dienstbeschädigung enthalten sei. Es bedürfe vielmehr eines besonderen Antrags, wenn dem Kläger für den Fall, daß er keine oder keine höhere Rente erhalte, an der Feststellung einer Dienstbeschädigung gelegen sei. Im Spruchverfahren könne er gegebenenfalls seinen Klagantrag erweitern (vgl. RVGer. 8 S. 150 (152); 9 S. 10). Für das Verfahren nach dem SGG muß dasselbe gelten, zumal in § 55 dieses Gesetzes die Feststellungsklage als eine Klage eigener Art geregelt ist und derartige Klagen nach dieser Vorschrift auf bestimmte Fälle beschränkt werden. Wenn im sozialgerichtlichen Verfahren der Klagantrag ersichtlich auf Verurteilung zur Leistung gerichtet ist, kann daher - vorbehaltlich einer Änderung der Klage nach § 99 SGG oder der Stellung eines Hilfsantrages - nicht auf Feststellung erkannt werden; denn die Feststellung ist etwas von der Verurteilung zur Leistung innerlich Verschiedenes (vgl. im Ergebnis ebenso Buresch, KOV. 1955 S. 65 (66); Binter, KOV. 1955 S. 187 (188); für die Feststellungklage im Zivilprozeß: Stein-Jonas-Schönke-Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl. § 256 Anm. IV 2 b).

Hiernach durfte das SG. kein Feststellungsurteil erlassen. Das LSG. hätte dieses auf einem wesentlichen Verfahrensverstoß beruhende Feststellungsurteil von Amts wegen aufheben müssen. Stattdessen ist es zur Aufhebung erst nach einer sachlichen Prüfung der Frage gelangt, ob der Kläger einen Rentenanspruch nach dem KBLG und dem BVG hat. Hierzu war es aber nicht befugt; denn der Streit über die Rente ist nicht in die Berufungsinstanz gelangt. Er ist vielmehr durch das SG. rechtskräftig erledigt, weil der Kläger das Urteil des SG., soweit es seine auf Verurteilung des Beklagten zur Rentenzahlung gerichtete Klage abgewiesen hat, nicht angefochten hat. Ebensowenig konnte das LSG. die Klage abweisen, weil der Kläger - wie ausgeführt - keine Feststellungsklage erhoben hatte und das Feststellungsurteil unzulässigerweise erlassen war. Das Urteil des Berufungsgerichts leidet somit ebenfalls an einem wesentlichen Mangel, der in der Revisionsinstanz fortwirkt und daher vom Senat von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Das angefochtene Urteil beruht auch auf diesem Mangel (§ 162 Abs. 2 SGG). Es ist daher aufzuheben. Dadurch wird das Verfahren in den Stand versetzt, in dem es sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG. befunden hat. Der Senat kann über die Berufung des Beklagten selbst entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Auf dieses Rechtsmittel ist das Urteil des SG. aufzuheben, soweit es festgestellt hat, daß "Rippenresektionsnarben mit geringer Atembehinderung rechts hinten nach Entfernung eines Amöbenruhrabszesses der Leber" als Schädigungsfolgen im Sinne des BVG vorhanden seien. Eine Klageabweisung kann nicht erfolgen, weil der Kläger im Verfahren vor dem SG. keine Feststellungklage erhoben hatte.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten, weil dieser durch sein Rechtsmittel die Aufhebung des Urteils des LSG., das einen Anspruch auf Versorgung überhaupt verneint, erreicht hat. Dadurch ist der Kläger insofern besser gestellt, als das SG. seine Leistungsklage nur deshalb abgewiesen hat, weil eine MdE. in rentenberechtigendem Grade nicht bestand.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290920

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