Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt Arbeitsunfallentschädigung wegen ihres Unfalls während eines Kuraufenthalts.
Zu Beginn des Jahres 1987 unterzog sie sich einer stationären Behandlung in der Kurklinik Osterberg in Bad Wimpfen, die ihr die landwirtschaftliche Alterskasse wegen Lendenwirbelsäulenbeschwerden, Kniegelenksarthrose und Übergewicht gewährt hatte.
Bei einem Spaziergang am Sonntag, 1. Februar 1987, auf der Hauptstraße, die durch den mittelalterlichen Stadtkern des Kurortes führte, traf die Klägerin andere Kurgäste, mit denen sie ins Gespräch kam. Während der Unterhaltung stürzte sie über die Bordsteinkante und zog sich dadurch Wirbelprellungen im oberen Lendenwirbelsäulenbereich und einen Stauchungsbruch des ersten Lendenwirbelkörpers zu. Der leitende Arzt des Kurklinischen Zentrums teilte der Beklagten mit, die Klägerin sei weder auf ärztliche Anordnung noch auf ärztliche Empfehlung hin spazieren gegangen. Sie habe damit aber auch nicht gegen eine ärztliche Anordnung verstoßen. Ihre unfallbringende Tätigkeit sei der persönlichen Freizeitgestaltung zuzuordnen.
Daraufhin lehnte die Beklagte eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil die Klägerin auch im Hinblick auf den Versicherungsschutz des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a Reichsversicherungsordnung (RVO) keinen Arbeitsunfall erlitten habe (Bescheid vom 25. September 1987, Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1987).
Vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen und dem Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen ist die Klägerin ohne Erfolg geblieben (Urteile vom 19. September 1988 und 29. Juni 1989). Das LSG hat ausgeführt, die Klägerin sei nicht bei einer nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO versicherten Tätigkeit verunglückt. Vom Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift seien jedenfalls normale, bei Gesunden wie bei Rehabilitanden übliche Verrichtungen des Alltags ausgeschlossen, die zumindest überwiegend der Freizeitgestaltung und Unterhaltung des Kurgastes dienten. Dazu zähle der vom Streit betroffene Spaziergang. Wenn auch dieser Spaziergang nach der im Gerichtsverfahren eingeholten Auskunft des Kurarztes in dem Sinne objektiv kurgerecht gewesen sein möge, daß er die medizinischen Maßnahmen sinnvoll ergänzt habe, hätte allein diese subjektive Vorstellung der Klägerin von einem inneren Zusammenhang ihres Spaziergangs mit der stationären Behandlung den Versicherungsschutz nicht zu begründen vermocht. Denn eine Tätigkeit außerhalb des ärztlich angeordneten oder empfohlenen Behandlungsplanes könne nur dann dem von § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO geschützten Gefahrenbereich zugerechnet werden, wenn die Betätigung des Patienten - unabhängig von seinem subjektiven Vorstellungsbild - nach objektiven Anhaltspunkten mehr auf den Rehabilitationszweck als auf die außerdem bestehenden privaten Interessen des Patienten ausgerichtet sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts.
Spaziergänge eines Kurteilnehmers im Bereich einer Einkaufsstraße in einer mittelalterlichen Stadt dienten nicht überwiegend der Freizeitgestaltung, sondern seien im Hinblick auf die vorangegangene Erschöpfung durch Kurmaßnahmen wesentlich von dem Wunsch nach dem Kurerfolg geprägt. Wenn man berücksichtige, daß gerade auch bei einer Kur die seelische Entspannung eine große Rolle spiele, müsse Versicherungsschutz sogar dann noch angenommen werden, wenn ein Kurpatient zwar überwiegend aus kurunabhängigen Motiven tätig werde, der Bezug seiner Tätigkeit zur Kurbehandlung aber nicht ganz unwesentlich sei. Zumindest sei eine versicherte Gefahr aber dann anzunehmen, wenn sich aus objektiver Sicht der Rehabilitationszweck mit dem privaten Interesse wenigstens - wie in ihrem Falle - die Waage hielten.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die angefochtenen Urteile und Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Unfall vom 1. Februar 1987 als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Der Unfall der Klägerin vom 1. Februar 1987 ist kein Arbeitsunfall gewesen, weil die Klägerin ihn nicht bei einer versicherten Tätigkeit erlitt. Das haben das SG und das LSG zutreffend erkannt.
Nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Dazu ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist (Wertung), und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (haftungsbegründende Kausalität). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit dem Gegenstand der Versicherung bestehen, der sog innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Daran fehlt es hier.
Nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO war die Klägerin durch die Teilnahme an der von der Alterskasse gewährten stationären Behandlung in der Kurklinik (§ 559 RVO) als Gegenstand der Versicherung gegen Arbeitsunfälle versichert. Zu den "Tätigkeiten" der Teilnehmerin an einer solchen medizinischen Rehabilitation gehört alles, was sie im inneren Zusammenhang mit der stationären Heilbehandlung verrichtet (s § 559 i.V.m. § 556 Abs. 1 Nr. 1 und § 557 Abs. 1 RVO, § 10 Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG -). Für den erforderlichen inneren Zusammenhang mit der stationären Behandlung reicht ein nur zeitlicher und örtlicher nicht aus (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 48). Die Versicherte muß vielmehr als Kurteilnehmerin in der Weise tätig geworden sein, daß sie an der ihr gewährten stationären Heilbehandlung mitgewirkt hat; dazu ist sie gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 RehaAnglG "nach Kräften" verpflichtet (BSGE 59, 291, 292 m.w.N.).
Der 9b Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat darauf hingewiesen, daß eine solche Mitwirkungsverpflichtung auch während einer ambulanten, von Hause aus unternommenen medizinischen Leistung der Rehabilitation besteht. Indessen gründet der Unfallversicherungsschutz des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO in der Erkenntnis, daß im Unterschied zur ambulanten die stationäre Behandlung vor allem durch die dauernde Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer Kur- oder Spezialeinrichtung und somit in fremder Umgebung gekennzeichnet ist, und damit sind besondere Risiken verbunden (BSGE a.a.O.). Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO besteht demnach nicht nur bei Verrichtungen zur Durchführung von "medizinischen Maßnahmen" (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 48; BSG, Urteil vom 31. Oktober 1978 - 2 RU 50/78 - in USK 78131), zumal nach der Rechtsprechung des Senats das Risiko der ärztlichen Behandlung selbst nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes ist (BSGE 46, 283, 284f.).
Die im inneren Zusammenhang mit einem Beschäftigungsverhältnis (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) stehende Tätigkeit ist dadurch gekennzeichnet, daß sie dem Unternehmen zu dienen bestimmt ist (s BSG SozR 2200 § 539 Nr. 48 m.w.N.). In gleicher Weise steht auch eine Mitwirkung der Kurteilnehmerin i.S. des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchstabe a RVO im inneren Zusammenhang mit ihrer stationären Behandlung, wenn die Mitwirkung dieser Behandlung dienlich ist. Der Schutzbereich des Gesetzes erfaßt die ärztlich geleitete und damit im wesentlichen fremdbestimmte Kurorganisation, in welche die Versicherte als Teilnehmerin der Rehabilitationsmaßnahme eingegliedert ist, auch insoweit, als sie funktionell über die Räumlichkeiten der Kurklinik hinausreicht (BSGE 59, 291, 292). Das gilt für ärztlich angeordnete oder wenigstens überwachte Veranstaltungen, die die Heilbehandlung ergänzen (s z.B. § 569a Nr. 3 RVO). Der gleiche Unfallversicherungsschutz besteht aber auch nach der Rechtsprechung des Senats für andere, nicht ärztlich verordnete Betätigungen einer Kurteilnehmerin, die speziell der stationären Behandlung dienlich sind (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 48 und BSG USK 78131 a.a.O.). Voraussetzung dazu ist, daß die unfallbringende Tätigkeit funktional wesentlich auf die stationäre Behandlung bezogen ist. Sie muß in den vom Kurarzt festgelegten Organisationsplan passen, außerdem die vom Arzt oder einer dritten für die Kur verantwortlichen Person angeordneten Maßnahmen ergänzen und ebenso wie diese auf den Rehabilitationszweck ausgerichtet sein. Dieser Zusammenhang folgt entweder aus einer entsprechenden therapeutischen Empfehlung oder aus objektiven tatsächlichen Umständen, denen nach einer nachträglichen ärztlichen Beurteilung das Verhalten der Versicherten entspricht (BSGE 59, 291, 293).
Der innere Zusammenhang aller dieser genannten Tätigkeitsgruppen mit der stationären Behandlung liegt indessen nur dann vor, wenn die einzelne zum Unfall führende Verrichtung wesentlich auf den Zweck der stationären Behandlung ausgerichtet ist. Nach den die gesetzliche Unfallversicherung beherrschenden allgemeinen Grundsätzen darf das nicht mehr angenommen werden, wenn der Rehabilitationszweck gegenüber dem Zweck der privaten Interessen dienenden Freizeitgestaltung deutlich in den Hintergrund tritt und nicht mehr wesentlich für die zum Unfall führende Verrichtung ist. Das trifft hier zu.
Nach den Feststellungen des LSG, die gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für den Senat bindend sind, diente der Spaziergang der Klägerin auf der Hauptstraße des Kurortes und ihre Unterhaltung mit anderen Kurgästen, bei der sie verunglückte, überwiegend und vorrangig privaten, von der stationären Behandlung unabhängigen Interessen. Schon das reicht aus, um mangels wesentlicher Ausrichtung auf den Rehabilitationszweck einen inneren Zusammenhang zwischen dem Spaziergang und der stationären Behandlung auszuschließen.
Zwar hat der Senat entschieden, daß es nicht ausschlaggebend sein kann, ob die unfallbringende Tätigkeit der stationären Behandlung objektiv dient. Vielmehr reicht es auch, daß die Kurteilnehmerin von ihrem Standpunkt aus subjektiv der Auffassung sein konnte, die Tätigkeit sei geeignet, ihrer stationären Behandlung zu dienen (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 48). Aber diese subjektive Vorstellung muß dann auch den objektiven Gegebenheiten entsprechen (BSGE 59, 291, 294). Daran fehlt es im vorliegenden Falle.
Das LSG hat dazu ebenfalls bindend festgestellt (§ 163 SGG), auch wenn die mit dem Spaziergang einhergehende Bewegung und Entspannung den Kurerfolg gefördert haben möge, habe der Spaziergang offenkundig vorrangig dem privaten Interesse der Klägerin gedient, sich durch die Betrachtung der Geschäftsauslagen und des mittelalterlichen Stadtbildes zu zerstreuen, Anregungen zu gewinnen und sich mit anderen Kurpatienten zu unterhalten. Zutreffend hat das LSG erkannt, daß unter solchen Umständen ein wesentlicher innerer Zusammenhang zwischen der zum Unfall führenden Tätigkeit und der stationären Behandlung fehlt. Der Spaziergang am Sonntag in den Stadtkern war nach seinen objektiven Gegebenheiten ebenfalls wie jeder andere sonntägliche Gang zu Hause in den Stadtkern dazu bestimmt, privaten Interessen zu dienen. Daß gelegentlich des später zum Unfall führenden Spazierganges der Klägerin auch der Kurerfolg gefördert werden sollte, war - wiederum wie zu Hause bei sonntäglichen Spaziergängen die Erholung nach und vor einer arbeitsreichen Woche - eine sicherlich nicht unerwünschte Folge des Spazierganges, der jedoch nicht darauf ausgerichtet und damit nicht dazu bestimmt war, dem Kurerfolg zu dienen.
Die Entscheidung über die Kosten erfolgt aus § 193 SGG.
Fundstellen