Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Dem Kläger wurde wegen der Folgen seines Arbeitsunfalles am 13. Oktober 1941 das Bein im Bereich des rechten Unterschenkels im untersten Drittel amputiert. Er bezieht aufgrund des Bescheides vom 8. November 1961 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H.. Als Unfallfolgen sind festgestellt: "Verlust des rechten Beines im Unterschenkel, erhebliche Abmage-rung der Oberschenkelmuskulatur, Minderung der Verschieblichkeit der rechten Kniescheibe".
Durch Bescheid vom 23. Mai 1978 lehnte die Beklagte einen Antrag des Klägers vom 7. März 1978 ab, seine Verletztenrente gemäß § 627 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nach einer MdE um 50 v.H. neu festzustellen (Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1979).
Vor dem Sozialgericht (SG) ist der Facharzt für Chirurgie Dr. med. G… am 23. Januar 1979 als Sachverständiger zu dem Ergebnis ge-kommen, die unfallbedingte MdE betrage beim Kläger 50 v.H.. Das SG hat daraufhin die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. ab Antragstellung zu zahlen (Urteil vom 23. Januar 1979).
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat am 13. Juni 1979 Professor Dr. E… als Sachverständigen gehört, der abschließend ausgeführt hat, daß eine Veränderung in den Befunden nicht eingetreten sei, heute würde er den MdE-Grad aufgrund neuer Beurteilungsunterlagen auf 50 v.H. schätzen. Das LSG hat durch Urteil vom 12. Dezember 1979 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen, da die Beklagte aufgrund des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. August 1973 (ZfS 1973, 283) nicht davon überzeugt zu sein brauchte, daß im Rahmen des § 627 RVO die Änderung der Bewertungssätze für die unfallbedingte MdE der Änderung der Rechtspre-chung gleichzusetzen sei und eine Verletzung des Gleichheitssatzes gegenüber neuen Bewertungen vorliege.
Der erkennende Senat hat auf die Revision des Klägers durch Urteil vom 30. September 1980 (2 RU 31/80) die Entscheidung des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er hat u.a. ausgeführt: Zu der Überzeugung, daß eine Leistung zu niedrig festgestellt worden sei, könne der Versicherungsträger auch aufgrund neuer wissen-schaftlicher Erkenntnisse z.B. über die Bewertung der MdE bei bestimmten Unfallfolgen gelangen. § 627 RVO betreffe nicht nur die Fälle, in denen der Versicherungsträger bereits im Zeitpunkt der früheren Feststellung nach den damals vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen von der Unrichtigkeit seiner Entscheidung hätte überzeugt sein müssen. Eine Neufeststellung nach § 627 RVO komme auch dann in Betracht, wenn eine höhere Bewertung der MdE deshalb erfolgen müßte, weil sich die früheren Tatsachenfeststellungen im Hin-blick auf neuere Erkenntnisse der medizinischen Forschung als unhaltbar erwiesen hätten.
Das LSG hat eine Aufstellung der Beklagten über die in ihrem Zuständigkeitsbereich bei unfallbedingtem Unterschenkelverlust festgestell-ten MdE-Sätze angefordert. Auf Anfrage des LSG hat sich der ärztliche Direktor des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Hamburg Dr. Z… unter dem 11. Januar 1982 dahin geäußert, daß in der Bewertung der unfallbedingten MdE in der gesetzlichen Unfallver-sicherung eine Änderung der Beurteilungsgrundlagen in den Jahren 1961 bis 1982 nicht eingetreten sei.
Das LSG hat durch Urteil vom 24. März 1982 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen, da die Beklagte nicht davon überzeugt i.S. des § 627 RVO a.F. zu sein brauchte, daß die Feststellung der unfallbedingten MdE des Klägers unrichtig sei.
Nach Verkündung dieses Urteils hat der Große Senat des BSG entschieden (BSGE 54, 223, 226), daß in den Fällen der vorliegenden Art wegen des noch fortdauernden Verfahrens über den Verwaltungsakt, dessen Aufhebung begehrt wird, nicht mehr § 627 RVO a.F., son-dern § 44 des Sozialgesetzbuches -Verwaltungsverfahren- (SGB X) anzuwenden ist. Da nach § 44 SGB X nicht mehr erforderlich ist, daß der Sozialleistungsträger von der Unrichtigkeit der früher getroffenen Feststellung überzeugt ist oder als überzeugt gelten muß, hat der erkennende Senat unter Berücksichtigung dieser Entscheidung des Großen Senats das Urteil des LSG vom 24. März 1982 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (Urteil vom 31. August 1983 -2 RU 22/83-).
Das LSG hat eine Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) darüber eingeholt, ob die höhere Bewertung der MdE im Versorgungs- und Schwerbehindertenrecht ab 1965 auf allgemeinen, von der Bewertung der MdE speziell im Versorgungswesen unabhängigen neuen Erkenntnissen zur MdE beruhe. In dem Antwortschreiben des BMA vom 23. März 1984 heißt es u.a. unter Bezugnah-me auf ein Rundschreiben vom 1. Juni 1965 (BVBl 1965, 91): Die Heraufsetzung der Mindesthundertsätze beruhe auf neuen wissenschaft-lichen Erkenntnissen und auf den Erfahrungen über die Auswirkungen der Schädigungsfolgen unter den gegenwärtigen Lebensumstän-den, weitergehende Materialien hätten nicht ermittelt werden können. Es könne jedoch als sicher angenommen werden, daß die Erhöhung des Mindesthundertsatzes auf den Aussagen der in der Arbeitsgruppe Chirurgie/Orthopädie zur Überarbeitung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen im Jahre 1964 gehörten Sachverständigen und auf der Beratung der versorgungsmedi-zinischen Sektion des Ärztlichen Sachverständigenbeirates beim BMA basiere.
Durch Urteil vom 8. August 1984 hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. In dem Urteil des LSG ist u.a. ausgeführt: Nach § 44 SGB X seien nur solche Verwaltungsakte zu überprüfen, die bei ihrem Erlaß rechtswidrig seien. Der nachträgliche Eintritt von Faktoren, die einen Nichtübereinstimmung zwischen dem Ausspruch des Verwaltungsaktes und der materiellen Rechtslage bewirkten, könne nicht nach § 44 SGB X berücksichtigt werden. Beim Kläger liege eine unfallbedingte Unterschenkelamputation mit güns-tigen Stumpfverhältnissen und einem 23 cm langen, also auch längenmäßig günstigen Stumpf vor; Neurome oder sonstige negative Besonderheiten und Auswirkungen fehlten. Es lasse sich auch nicht feststellen, daß die Beklagte bei Erlaß des Bescheides vom 8. November 1961 das Recht unrichtig angewandt hätte. Die Bemessung der unfallbedingten MdE des Klägers entspräche den seinerseits maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen und zugleich der damals ständigen Praxis der Unfallversicherungsträger. Es seien auch nicht rückwirkend geltende neue Erkenntnisse und Erfahrungen belegt oder zu ermitteln. Der Kläger berufe sich zu Unrecht auf die im Jahre 1965 vorgenommene Änderung der MdE-Bewertung bei Unterschenkelverlust im Versorgungsrecht. Da es an jeglicher Dokumentation über die Grundlagen und Gründe der zahlreichen Änderungen von Mindestvomhundertsätzen fehle, ließen sich auch hinsichtlich der hier strittigen Frage keine genauen Feststellungen treffen. Die Hervorhebung der Auswirkung von Schädigungsfolgen auf die gegenwärtigen Lebensumstände deute darauf hin, daß eine Änderung der allgemeinen Lebensführung der Bevölkerung das Ministerium bewogen haben könnte, gewisse Mindesthundertsätze heraufzusetzen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und zur Begründung u.a. ausgeführt: Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß nachträglich eingetretene Faktoren nicht im Rahmen des § 44 SGB X berücksichtigt werden könnten. Auch das Urteil des Senats vom 30. September 1980 (2 RU 31/80) stehe dieser Auffassung entgegen. Dies gelte auch für das Urteil vom 18. Dezember 1979 (2 RU 70/79). Es sei auch nicht gemäß § 581 Abs. 2 RVO beachtet worden, daß er - der Kläger - den Arbeitsunfall bei seinem seemännischen Einsatz erlitten habe. Unzutreffend sei die Auffassung des LSG, daß die Bewertung der Unterschenkelamputation mit einer MdE um 50 v.H. im Schrifttum keine Stütze gefunden habe. Der Kläger wiederholt auch sein Revisionsvorbringen in den Verfahren 2 RU 31/80 und 2 RU 22/83. Danach sei es mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar, daß bei Entschädigungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anders als in der gesetzlichen Unfallversicherung der Unterschenkelverlust mit einer MdE um mindestens 50 v.H. bewertet würde. Die gleiche Behandlung sei auch nach § 581 Abs. 3 Satz 3 RVO notwendig. Den Leistungsträgern sei es verwehrt, den Ausfall von Funk-tionen im Rahmen verschiedener Gesetze unterschiedlich zu bewerten.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. August 1984 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 23. Januar 1979 zurückzuweisen, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 123 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausge-gangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzu-nehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Diese Vorschrift ist auch hier wegen des noch andauernden Verwaltungsverfahrens über den ange-fochtenen Verwaltungsakt anwendbar, obgleich dieser Verwaltungsakt am 23. Mai 1978 und somit vor Inkrafttreten des SGB X am 1. Januar 1981 ergangen ist (BSGE 54, 223, 226; BSG Urteil vom 31. August 1983 - 2 RU 22183-). Dabei ist anders als nach § 627 RVO a.F. nicht mehr erforderlich, daß der Sozialleistungsträger von der Unrichtigkeit der Leistungsfeststellung überzeugt ist oder als überzeugt gelten muß (BSG SozR 2200 § 1251 Nr. 102; BSG Urteil vom 31. August 1983 -2 RU 22/83 -).
Eine Leistung kann auch zu Unrecht teilweise nicht erbracht werden, wenn aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die unfallbe-dingte MdE zu niedrig festgestellt ist (BSG Urteile vom18. Dezember 1979 -2 RU 70/79- und 30. September 1980 -2 RU 31/80-; BSG SozR Nr. 4 zu § 627 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-10. Aufl., S. 232d IV).
Die Bemessung der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungs-vermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (s. Brackmann a.a.O. S. 568g ff m.w.N.). Hierbei kommt es immer auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an (s. BSGE 4, 147, 149; 31, 185, 186; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 6; BSG Urteil vom 30. August 1984 -2 RU 65/83-; Brackmann a.a.O. S. 569c m.w.N.). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (s. BSGE 4, 147, 149; 41, 99, 101; BSG Urteil vom 30. August 1984 a.a.O.; Brackmann a.a.O. S. 570a m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchti-gungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung; sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrli-che Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG a.a.O.). Bei der Bewertung der MdE sind auch die von der Rechtsprechung und von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in den zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (s. u.a. BSGE 4, 147; 31, 185, 186; BSG SozR Nr. 9 zu § 581 RVO; BSG Urteile vom 18. Dezember 1979 -2 RU 70/79- und vom 30. August 1984 a.a.O.; Brackmann a.a.O. S. 570b m.w.N.). Das LSG ist aufgrund der getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt, daß beim Kläger eine unfallbedingte Unterschenkelamputation mit günstigen Stumpfverhältnissen und einem 23 cm langen, also auch längenmäßig günstigen Stumpf vorliegt, und Neurome oder sonstige negative Besonderheiten und Auswirkungen fehlen. Aufgrund dieses Befundes ist das LSG gestützt auf die allgemeinen Erfahrungssätze bei der Bewertung der MdE davon ausgegangen, daß die unfallbedingte MdE um 40 v.H. weiterhin zutreffend bewertet ist. Gegen die tatsächlichen Feststellungen und die darauf beruhende Beweiswürdigung des LSG sind Verfahrensrügen nicht vorgebracht.
Auch die allgemeinen Erfahrungssätze über die Bewertung der MdE, die sich zumeist in Jahrzehntelanger Entwicklung gebildet haben, können in regelmäßigen Zeitabständen und müssen gegebenenfalls bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen daraufhin geprüft werden, ob sie den technischen Entwicklungen und den Änderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie gewandelten sozialmedizi-nischen Anschauungen und neuen sozialmedizinischen Erkenntnissen anzupassen sind (BSG Urteil vom 30. August 1984 a.a.O., Brackmann a.a.O. S. 570b m.w.N.; vgl. auch BSG SozR 2200 § 581 Nr. 6). Das Berufungsgericht hat diese Prüfung vorgenommen. Es ist aufgrund der Stellungnahme des ärztlichen Direktors am Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg Dr. Z… vom 11. Januar 1982 zu der Feststellung gelangt, daß in dem hier maßgebenden Bereich, eine Änderung der allgemeinen Erfahrungssätze über die Bewertung der MdE in der Praxis der unfallversicherungsrechtlichen Begutachtung nicht eingetreten ist. Dies gilt auch für die ebenfalls zu beachtende Praxis der Beklagten (s. BSG Urteil vom 18. Dezember 1979 -2 RU 70/69-). Zwar hat die Beklagte die MdE in wesentlich mehr Fällen des unfallbedingten Unterschenkelverlustes mit 50 v.H. und nicht mit 40 v.H. bewertet. Dies beruht aber darauf, daß in den Fällen einer höheren Bewertung die Stumpfverhältnisse nicht günstig oder zusätzliche Unfallfolgen festgestellt sind. Auch im Schrifttum hat sich eine höhere allgemeine Bewertung für die MdE bei Unterschenkelverlust mit günstigen Stumpfverhältnissen bei langem Unterschenkel-stumpf - jedenfalls bisher - nicht durchgesetzt. Zwar sind Liniger/Molineus (Der Unfallmann, 9. Aufl., 1974, S. 237, 250) der Auffassung, daß die MdE nach einer Unterschenkelamputation auch bei voll funktionstüchtigem Stumpf mit 50 v.H. zu bewerten sei. Diese Bewertung teilen aber andere Autoren nicht (vgl. u.a. Günther/Hymmen, Unfallbegutachtung, 7. Aufl., 1980, S. 103; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 3. Aufl., 1984, S. 897; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl., Anhang 12 S. J 017; Arens in Marx, Medizinische Begutachtung, 4. Aufl., 1981, S. 280, 288; Rompe/Fritzch in Rompe/Erlenkämper, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 1978, S. 155). Krösel/Zrubecky (Die Unfallrente, 3. Aufl., 1980, S. 7, 88) gehen sogar aufgrund neuer Bewertungen von einer MdE um nur 30 v.H. aus. Dabei werden neben einer insoweit verbesserten Prothetik (so, - bei weiterhin einer MdE um 40 v.H. - Arens a.a.O.) auch die Veränderungen im Arbeitsleben als Grund für die Beibehaltung der MdE angeführt (s. Arens a.a.O.; Krösel/Zrubecky a.a.O. S. 7 - für eine Herabsetzung -).
Auch aus der nach dem Bescheid der Beklagten vom 8. November 1961 im Geltungsbereich des BVG im Jahr 1965 vollzogenen Bewer-tung der MdE bei Unterschenkelverlust mit mindestens 50 v.H. läßt sich die Rechtswidrigkeit dieses Bescheides nicht begründen. Die Ermittlungen des LSG haben ergeben, daß für die höhere Bewertung keine Unterlagen zur Verfügung stehen und daß vom BMA auf das Rundschreiben vom 1. Juni 1965 (BVB1 1965, 91) verwiesen wird. Nach diesem Rundschreiben beruht die Heraufsetzung der Mindest-hundertsätze auf wissenschaftlichen Kenntnissen und Erfahrungen über die Auswirkung der Schädigungsfolgen unter den gegenwärtigen Lebensumständen. Diese Aussage bezieht sich jedoch auf die Bewertung von Schädigungsfolgen i.S. des BVG, die in diesem Bereich durch vom BMA erlassene bindende Rechtsvorschriften festgelegt ist (s. BSGE 29, 41; BSG SozR 3100 § 30 Nr. 13), die nicht nur für die Bewertung der MdE bei Unterschenkelverlust z.T. höhere Grade als in der gesetzlichen Unfallversicherung zugrunde gelegte Erfahrungs-sätze aufweisen. Deshalb können für die betroffene Verwaltung bindend auch bei der Festlegung von neuen Mindestsätzen die spezifi-schen, das BVG und andere Gesetze (z.B. das Schwerbehindertengesetz) betreffende Erwägungen einfließen. Es ist jedenfalls nicht festzustellen, daß die Erhöhung der Mindestsätze für den Anwendungsbereich des BVG auf Gründen beruht, nach denen auch die Weiter-geltung der Erfahrungssätze in der gesetzlichen Unfallversicherung als nicht mehr gerechtfertigt angesehen und deshalb die Feststellung der unfallbedingten MdE des Klägers mit 40 v.H. als rechtswidrig angesehen werden müßte. Auch der 9b Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 23. Juni 1982 (SozR 2200 § 581 Nr. 15) auch unter Bezugnahme auf die von dem Kläger zitierte Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 27. Januar 1976 (SozR a.a.O. Nr. 6) ausgeführt, "obwohl für die Bemessung der MdE in diesen beiden Rechtsgebieten im allgemeinen gleiche Kriterien gelten und eine medizinische oder rechtliche bindend fundierte Unterscheidung bei der MdE-Bemessung nicht einzusehen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nr. 6), ist dennoch zu beobachten, daß für vergleichbare Funktionsausfälle in den beiden Rechtsgebieten unterschiedliche Bewertungen als rechtens angesehen werden". Ob die hierfür als maßgebend diskutierten Gründe (s. u.a. BSGE 40, 120, 123; BSG SozR a.a.O. Nr. 15; Rauschelbach, Das neurologische Gutachten, 1984, S. 35; Weber in Rompe/Erlenkäm-per a.a.O. S. 43; Erlenkämper/Rompe DMedSachV 1984, 112; Möllhoff, Lebensversicherungsmedizin 1985, 32) die unterschiedlichen Bewertungen rechtfertigen, bedarf hier schon deshalb keiner näheren Erörterung, weil - wie bereits dargelegt - nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht entschieden werden kann, die für die gesetzliche Unfallversicherung für zutreffend erachteten allgemeinen Bewertungsmaßstäbe seien unrichtig, soweit sie niedriger als die für den Bereich des BVG festgestellten Werte sind. Dem Urteil des 8. Senats des BSG vom 27. Januar 1976 (a.a.O.) ist nichts anderes zu entnehmen; denn auch in dieser Entscheidung hat das BSG eine höhere Bewertung der Unfallfolgen nicht allein deshalb für notwendig erachtet, weil sie für den Bereich des BVG gelten, sondern weil das BSG eine höhere Bewertung auch für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung für zutreffend gehalten hat. Vor allem hat auch der 8. Senat des BSG in diesem Urteil die unfallbedingte MdE nicht gleich hoch wie die im Bereich des BVG festgestellt. Der vom 8. Senat des BSG entschiedene Fall war zudem dadurch geprägt, daß bei dem Verlust einer Niere für die Beurteilung der MdE in beiden Rechts-gebieten wesentlich weniger Abweichungen aufweisbar sind als bei der MdE durch Amputationen. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes allein durch unterschiedliche Bewertung von Unfallfolgen in der gesetzlichen Unfallversicherung und von Schädigungsfolgen im Entschädi-gungsrecht ist auch vom BSG in den angeführten Urteilen nicht angenommen worden (s. außerdem u.a. BSG Urteil vom 30. Juli 1964 - 9 RV 1122/60 - = Versorgungsbeamte1964, Rechtsprechungs-Nr. 133; LSG Berlin KOV-Mitteilungen Berlin1979, 6; Hessisches LSG Breithaupt 1980, 842, 844). Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung, weil die Beurteilung einer Verletzung des Gleichheitssatzes insoweit nicht punktuell auf den Grad der MdE abgestellt sein darf, sondern z.B. auch berücksichtigen muß, daß nach den grundsätzlich verschiedenen Systemen der Entschädigung in der gesetzlichen Unfallversicherung und der sozialen Entschädigung u.a. die Grundrente nach dem BVG bei einer MdE um 50 v.H. zur Zeit 286,-- DM beträgt, während der Kläger bei einer unfallbedingten MdE um 40 v.H. eine wesentlich höhere Verletztenrente erhält. Selbst die Grundrente nach einer MdE um 50 v.H. und die volle Ausgleichsrente, die um das anzu-rechnende Einkommen zu mindern ist, würde mit 648,-- DM noch unter der Verletztenrente des Klägers liegen. Entsprechendes gilt für eine unterschiedliche Bewertung der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung und dem Schwerbehindertenrecht. Aus den zum Teil höheren MdE-Graden im Schwerbehindertenrecht für Verletzungsfolgen kann ebenfalls wegen der unterschiedlichen Zielsetzung der ab-strakten Schadensberechnung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung und der Feststellung der MdE-Grade im Schwerbehinder-tenrecht weder geschlossen werden, die allgemeinen Bewertungsmaßstäbe in der gesetzlichen Unfallversicherung seien deshalb unrich-tig, noch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz wegen unterschiedlicher Bewertungen in beiden Rechtsgebieten abgeleitet werden.
Schließlich ist der Bescheid der Beklagten vom 8. November 1961 auch nicht wegen einer unrichtigen Bewertung der MdE unter Berück-sichtigung des § 581 Abs. 2 RVO rechtswidrig. Selbst wenn der Kläger aufgrund seiner Unterschenkelamputation im Alter von 19 Jahren den erlernten Beruf eines Seemannes oder einen anderen Lehrberuf nicht mehr ausüben könnte, ist deshalb die MdE nicht nach dieser Vorschrift höher zu bewerten (vgl. u.a. BSGE 23, 253, 256; 28, 227, 229; 39, 31, 32; BSG Urteil vom 22. August 1974 - 8 RU 66/73 -; Brackmann a.a.O. S. 569 m.w.N.). Die von der Revision angeführten Beschwerden des Kläger bei der Ausübung seines ambulanten Gewer-bes rechtfertigen keine andere Entscheidung, da diese Einschränkungen seiner Erwerbsfähigkeit Umstände bilden, die von der Gewäh-rung der Verletztenrente erfaßt werden.
Da somit nicht festzustellen ist, daß die bei der Bewertung der unfallbedingten MdE des Klägers zugrunde gelegten allgemeinen Erfah-rungssätze aufgrund neuer Erkenntnisse und Erfahrungen sich als unrichtig erwiesen haben, braucht auf die Auffassung des LSG nicht näher eingegangen zu werden, daß eine Änderung der für die allgemeinen Erfahrungssätze maßgebenden allgemeinen Lebensverhältnis-se keine Neufeststellung nach § 44 SGB X rechtfertigen könnten (s. zum Streitstand auch Brackmann a.a.O. S. 582i/583). Es bedarf deshalb auch keiner näheren Erörterung, daß unter Zugrundelegung dieser Auffassung des LSG zu § 44 SGB X eine neue Feststellung der unfallbedingten MdE wegen Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 SGB X zu prüfen wäre; denn der Kläger begehrt eine Neufeststel-lung seiner Verletztenrente und es ist Aufgabe des Gerichts, alle hierfür in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen. Beson-dere prozessuale Voraussetzungen sind für eine auf § 48 SGB X gestützte Klage gegenüber einer auf § 44 SGB X gestützten Klage nicht gegeben. Nach den Feststellungen des LSG sind aber auch die Voraussetzungen des § 48 SGB X nicht erfüllt, wie den vorstehenden Ausführungen des Senats zu entnehmen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.2 RU 60/84
Bundessozialgericht
Fundstellen