Leitsatz (amtlich)
1. Über die Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme ist in Fortsetzung des Rechtsstreits zu entscheiden, in dem sie erklärt wurde.
2. Legt ein Prozeßbevollmächtigter Berufung ein und bezeichnet er im Rubrum als Prozeßbevollmächtigten ausschließlich sich selbst, so liegt darin die Anzeige, daß die Prozeßvollmacht eines früher tätig gewordenen Prozeßbevollmächtigten, der seinerseits bereits Berufung eingelegt hatte, erloschen ist.
Normenkette
SGG §§ 73, 156
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 12.02.1987; Aktenzeichen L 4 Ar 105/85) |
SG Berlin (Entscheidung vom 20.06.1985; Aktenzeichen S 66 Ar 2353/82) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) Arbeitslosengeld (Alg).
Der Kläger war vom 1. Dezember 1978 bis zum 31. März 1982 als kaufmännischer Angestellter im Sportartikelgeschäft seiner Ehefrau tätig, zuletzt mit einem Arbeitsentgelt von 4.000,-- DM brutto monatlich. Die beklagte BA bewilligte ihm für die Zeit ab 27. Mai 1982 Alg für 312 Tage unter Zugrundelegung eines Entgelts in Höhe von 2.308,-- DM und lehnte eine Berechnung auf der Grundlage des zuletzt bezogenen Entgelts ab (Bescheid vom 11. Mai 1982; Widerspruchsbescheid vom 12. November 1982).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 20. Juni 1985). Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, zunächst mit einem Schriftsatz seines bisherigen Prozeßbevollmächtigten (RA. R.) vom 16. September 1985, eingegangen am 17. September 1985, und sodann mit einem Schriftsatz des nunmehrigen Prozeßbevollmächtigten (RA. K.) vom 19. September 1985, eingegangen am gleichen Tage, der im Rubrum als Prozeßbevollmächtigten des Klägers lediglich RA. K. nennt. RA. K. hat die auf den 16. September 1985 datierte Vollmacht des Klägers am 31. Oktober 1985 nachgereicht. Zuvor war am 21. September 1985 beim Landessozialgericht (LSG) ein Schriftsatz des RA. R. vom 20. September 1985 eingegangen mit der Erklärung: "In Sachen ... nehme ich die Berufung zurück".
Das LSG hat "die am 19. September 1985 beim LSG Berlin eingegangene Berufung des Klägers" als unzulässig verworfen (Urteil des LSG vom 13. Februar 1987).
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe ohne weitere Aufklärung die von seinem ersten Prozeßbevollmächtigten erklärte Rücknahme nicht dahin verstehen dürfen, daß er das Berufungsverfahren nicht habe durchführen wollen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat von einer Antragstellung und von Ausführungen abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hatte im Sinne der Zurückverweisung Erfolg.
Das LSG hat den Streit über die Rücknahme der Berufung in Fortsetzung des Berufungsverfahrens durch Urteil entschieden. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), nach der über die Wirksamkeit einer Klagerücknahme in Fortsetzung des Rechtsstreits zu entscheiden ist, in dem diese erklärt wurde (SozR 1500 § 102 Nr 2 S 4 unter Hinweis auf BVerwG MDR 1965, 1014 und BFHE 105, 246), gilt für den Streit über die Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme entsprechend (Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, § 156 RdNr 6; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 156 Anm 3, c, cc; zum Verwaltungsprozeß: Redeker/von Oertzen, VwGO, 9. Aufl, § 126 RdNr 6; Eyermann/Fröhler, VwGO, 9. Aufl, § 126 RdNr 9 iVm § 92 RdNrn 23, 24). Dem steht (entgegen Peters/Sautter/Wolff, aaO) die dort angeführte Entscheidung des BSG (BSG SozR Nr 7 zu § 156 SGG) nicht entgegen. In dieser Entscheidung heißt es vielmehr, die Rücknahme durch einen prozeßunfähigen Beteiligten lasse das angefochtene Urteil in der gleichen Weise rechtskräftig werden, wie wenn sie von einem prozeßfähigen Beteiligten vorgenommen worden wäre, so daß das LSG (in Fortsetzung des Rechtsstreits durch Urteil) zu Recht zu dem Ergebnis gelangt sei, der Rechtsstreit sei durch die vom Kläger erklärte Zurücknahme der Berufung erledigt; das (mit der zurückgenommenen Berufung angefochtene) rechtskräftige Urteil könne nur mit der Nichtigkeitsklage beseitigt werden. Die zum Zivilprozeß vertretene Auffassung, über die Rücknahme sei durch Beschluß zu entscheiden und eine Entscheidung durch Urteil eröffne nicht die Revisionsinstanz (BGHZ 46, 112; BGH NJW 1978, 1585; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 47. Aufl, § 515 Anm 5; aA - durch Urteil -: Gaul, ZZP 1981, 273), kann auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden.
Das LSG hat im Ergebnis ohne nähere Begründung angenommen, die Prozeßvollmacht des RA. R. habe bei der Berufungsrücknahme noch bestanden, sei also nicht zuvor mit der Einlegung der zweiten Berufung durch RA. K. erloschen. Eine Prozeßvollmacht endet zwar nicht ohne weiteres von selbst durch die Bestellung eines Vertreters für die höhere Instanz (Meyer-Ladewig aaO § 73 RdNr 17). Der Vollmachtgeber muß vielmehr dem Prozeßbevollmächtigten das Mandat entziehen und dem Gericht, bei dem die Sache anhängig ist, vom Erlöschen der Vollmacht Kenntnis geben. Bei der Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten in der Rechtsmittelinstanz muß die Bestellung des neuen Prozeßbevollmächtigten anstelle des bisherigen ausgedrückt werden (Hennig/Danckwerts/König, Sozialgerichtsgesetz, § 73 SGG Anm 5.1; Redeker/von Oertzen, aaO § 67 RdNr 5). Einen ausreichenden Hinweis hat das BSG darin gesehen, wenn der Prozeßbevollmächtigte zweiter Instanz die bisherigen Prozeßbevollmächtigten, die bereits Berufung eingelegt hatten, in der zweiten Berufungsschrift ausdrücklich als "Prozeßbevollmächtigte erster Instanz" bezeichnet (BSG Urteil vom 27. August 1969 - 2 RU 251/68 - in SozR Nr 16 zu § 73 SGG ohne Sachverhalt = Breithaupt 1970, 168). Im vorliegenden Fall hat sich der zweite Prozeßbevollmächtigte nicht damit begnügt, für den Kläger Berufung einzulegen, sondern er hat im Rubrum als Prozeßbevollmächtigten des Klägers ausschließlich sich selbst bezeichnet. Das schließt eine Auslegungsmöglichkeit, daß der zweite Prozeßbevollmächtigte neben dem ersten und nicht an dessen Stelle tätig werden sollte, aus. Das steht nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH), daß der Antrag des zweiten Prozeßbevollmächtigten, ihn für die Rechtsmittelinstanz im Armenrecht als Prozeßbevollmächtigten und den Prozeßbevollmächtigten erster Instanz, der zunächst selbst ein Rechtsmittel eingelegt hatte, als Korrespondenzanwalt beizuordnen, nur die Beiordnung und Vergütung im Armenrecht betreffe und damit die Möglichkeit offen lasse, daß für das Berufungsverfahren beide Prozeßbevollmächtigte nebeneinander tätig werden sollten (BGH NJW 1980, 2309, 2310).
Der Anzeige der neuen Vertretungsverhältnisse lag zwar keine Prozeßvollmacht bei. Diese wurde jedoch nachgereicht. Damit ist die Anzeige vom Erlöschen der Prozeßvollmacht für RA. R. rückwirkend wirksam geworden. Die von RA. R. erklärte Berufungsrücknahme war daher mangels Prozeßvollmacht wirkungslos, so daß es auf das Revisionsvorbringen, die Rücknahmeerklärung sei unter den besonderen Umständen auslegungsfähig und eine Auslegung ergebe, daß der Kläger von der Durchführung des Berufungsverfahrens nicht habe absehen wollen, nicht mehr ankommt.
Die Berufung ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Die Berufung ist zwar an sich nach § 147 SGG unzulässig, da sie die Höhe des Alg betrifft. Nach § 150 Nr 2 SGG ist die Berufung jedoch ungeachtet der §§ 144 bis 149 zulässig, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und vorliegt. Der Kläger hat nach den Feststellungen des LSG gerügt, das SG sei bei der Beurteilung, ob das zuletzt bezogene Gehalt von 4.000,-- DM sachlich berechtigt gewesen sei, von einer Tätigkeit als Leiter des Einkaufs ausgegangen. Es sei damit seiner Darstellung, er sei als Geschäftsführer mit Aufgaben über den Einkaufsbereich hinaus tätig gewesen, unter Verletzung der Aufklärungspflicht nicht gefolgt. Das SG habe sich nicht mit einer schriftlichen Äußerung seiner Ehefrau begnügen dürfen, sondern hätte diese zu der behaupteten Geschäftsführertätigkeit vernehmen müssen. Diese Rüge ist begründet.
Es kommt allerdings in Betracht, das Urteil des SG dahin auszulegen, daß das Gehalt des Klägers von 4.000,-- DM auch bei Zugrundelegung einer Geschäftsführertätigkeit nach der Bedeutung des Sportgeschäfts offensichtlich überhöht gewesen sei. Letztlich können die Ausführungen des SG aber nur dahin verstanden werden, daß nicht die behauptete Tätigkeit als Geschäftsführer, sondern eine Tätigkeit als Leiter im Einkauf bewertet wurde. Das SG meint, bereits die Mitarbeitersituation - die Ehefrau arbeitete und arbeitet auch jetzt noch mit - lasse die vom Kläger reklamierte herausragende Bedeutung seiner Tätigkeit nicht erkennen; aber auch das ihm übertragene Aufgabengebiet im Rahmen eines Einzelhandelsgeschäfts - der Kläger war im wesentlichen für den Einkauf und die Ehefrau für den Verkauf zuständig - lasse die klägerische Wertung nicht zu. Hierzu hätte es der Vernehmung der Ehefrau des Klägers bedurft.
Daher war auf die Revision des Klägers der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Fundstellen