Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 1965 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger – Facharzt für Chirurgie – beantragte im Mai 1960 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Er ist – als Assistenzarzt – erstmals im Oktober 1954 versicherungspflichtig beschäftigt worden und nach den Feststellungen des Landessozialgerichts –LSG– (unstreitig) seit Januar 1958 erwerbsunfähig, seit Dezember 1963 noch berufsunfähig. Mit den von Oktober 1954 bis zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit geleisteten Beiträgen ist die Wartezeit von 60 Monaten nicht erfüllt. Sie ist dagegen erfüllt, wenn der Wehrdienst und die Kriegsgefangenschaft des Klägers (Januar bis Dezember 1940, Mai 1941 bis März 1948) als Ersatzzeit im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) angerechnet werden können. Nach Abs. 2 Satz 2 Buchst. a dieser Vorschrift (in der bei Eintritt des Versicherungsfalles geltenden Fassung) werden Ersatzzeiten, wenn ihnen (wie hier) keine Versicherung vorausgeht, angerechtnet, wenn „innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit” (i. Alternative) oder „einer durch sie aufgeschobenen oder unterbrochenen Ausbildung” (2. Alternative) eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist. (Das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 –RVÄndG– hat die Frist auf drei Jahre verlängert, vgl. Art. 1 § 2 Nr. 12 Buchst. d i.V.m. Art. 5 § 4 Abs. 2 Buchst. a, § 6, §10 Abs. 1 Buchst. e.) Der Kläger ist am 18. März 1948 aus der Gefangenschaft entlassen worden, so daß bis zur ersten versicherungspflichtigen Beschäftigung im Oktober 1954 über sechs Jahre verstrichen sind. Es kommt daher darauf an, ob die 2. Alternative des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG erfüllt ist. Darum geht hier der Streit. Streitig ist insbesondere, ob die Zeiten ärztlicher Tätigkeit, die der Kläger für seine Anerkennung als Facharzt für Chirurgie nachweisen mußte, Zeiten einer Ausbildung im Sinne der genannten Bestimmung sind.

Der Kläger erhielt im April 1944 (während seines Wehrdienstes) die ärztliche Bestallung, durfte eigene Praxis aber erst nach einjähriger Pflichtassistentenzeit und einem sog. Landvierteljahr ausüben. Im gleichen Jahr erhielt er noch eine dreimonatige chirurgische Ausbildung, außerdem war er bis zur Gefangennahme 2 1/2 Monate als Truppenarzt tätig. Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft war er von Juli 1948 bis zum 15. April 1949 Pflichtassistent (seit Januar gegen Vergütung) beim Herz-Jesu-Krankenhaus in Neuß und laut einer Bescheinigung des Innenministers von Nordrhein-Westfalen danach zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufs befugt.

Nach der in Nordrhein-Westfalen damals noch geltenden Berufsordnung für die deutschen Ärzte vom 5. November 1937 (Deutsches Ärzteblatt S. 1031) benötigte der Kläger für die Anerkennung als Facharzt für Chirurgie eine „Ausbildung von vier Jahren”, außerdem hatte er eine „einjährige allgemeinärztliche oder internistische Tätigkeit” nachzuweisen (§ 30 Abs. 1). Der Kläger will sich in der Zeit von Januar 1949 bis September 1954 auf „den Beruf als Facharzt vorbereitet” haben. In dieser Zeit war der Kläger nach den Feststellungen des LSG:

  1. vom 16. April 1949 bis 30. September 1951 Assistenzarzt mit Vergütung auf der Chirurgischen Abteilung des Herz-Jesu-Krankenhauses Neuß,
  2. vom 1. Oktober 1951 bis 1. April 1952 Volontärassistenzarzt ohne Vergütung in der geburtshilflichen Abteilung des Städt. Krankenhauses Neuß,
  3. vom 1. Oktober 1952 bis 1. Oktober 1953 Volontärassistent ohne Vergütung in der Inneren Abteilung des Herz-Jesu-Krankenhauses Neuß,
  4. vom 1. Oktober 1953 an wieder Assistenzarzt mit Vergütung auf der Chirurgischen Abteilung des gleichen Krankenhauses.

Am 19. April 1956 erkannte die Ärztekammer Nordrhein den Kläger als Facharzt für Chirurgie an.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mangels Erfüllung der Wartezeit ab (Bescheid vom 10. Mai 1961). Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hob den Bescheid auf und verurteilte die Beklagte, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Mai 1960 zu gewähren (Urteil vom 14. Mai 1963). Die Berufung der Beklagten wies das LSG Nordrhein-Westfalen mit der Maßgabe zurück, daß die Beklagte ab 1. Dezember 1963 nur noch Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen habe. Das LSG hielt die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG – idF vor dem RVÄndG – für gegeben und demnach die Wartezeit für erfüllt. An der für die Anerkennung als Facharzt notwendigen Mindestausbildungszeit hätten dem Kläger bei seiner Heimkehr aus der Gefangenschaft noch 3 Jahre 9 Monate chirurgische Ausbildungszeit und 9 1/2 Monate allgemeinärztliche oder internistische Tätigkeit gefehlt, er hätte die Facharztausbildung daher frühestens am 2. Oktober 1952 abschließen können. Damit sei schon bei alleiniger Berücksichtigung der Mindestausbildungszeit die Zwei Jahresfrist eingehalten, so daß es keiner Entscheidung bedürfe, ob die nicht zur Mindestausbildung gehörenden oben unter Nr. 2 und 3 erwähnten Tätigkeiten ebenfalls Ausbildungszeiten gewesen seien. Die für die Anerkennung als Facharzt für Chirurgie erforderliche Mindestausbildungszeit stelle eine Ausbildung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG dar. Der Ausbildungsbegriff dieser Vorschrift sei weit auszulegen, er umfasse jede für die Ausübung eines bestimmten Berufs erforderliche Schulung. Die Facharztausbildung sei keine bloße ärztliche Fortbildung, sondern eine Sonderausbildung in einem Spezialfach, ihr Ausbildungscharakter ergebe sich aus den Bestimmungen der Berufsordnung von 1937. Die Wertung als Ausbildung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG rechtfertige sich hier im übrigen deshalb, weil der Kläger während der entgeltlichen Beschäftigung als Assistenzarzt (das LSG fügt hinzu: „von Januar 1949 bis September 1951”) nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) – also wegen wissenschaftlicher Ausbildung – versicherungsfrei gewesen sei.

Mit der zugelassenen Revision beantragte die Beklagte,

  • die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und
  • die Klage abzuweisen.

Sie rügte eine Verletzung des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG.

Nach ihrer Ansicht endet die ärztliche Ausbildung mit der Bestallung zum Arzt und stellt die Facharztausbildung nur eine Weiterbildung im ärztlichen Beruf dar.

Der Kläger ließ sich im Revisionsverfahren nicht vertreten.

II

Die Revision ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, § 164 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–), im Ergebnis jedoch unbegründet. Die Beklagte ist zu Recht zur Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente von Mai 1960 bis November 1963 und zur Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente ab Dezember 1963 verurteilt worden.

Von den Anspruchsvoraussetzungen beider Renten (§§ 23, 24 AVG) bedarf nur die Erfüllung der Wartezeit einer näheren Prüfung. Die Wartezeit von 60 Monaten ist erfüllt, wenn neben den bis zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit zurückgelegten Beitragszeiten (von über 30 Monaten) der Wehrdienst und die Kriegsgefangenschaft des Klägers (mit weit über 30 Monaten) als Ersatzzeit angerechnet werden können. Das hängt davon ab, ob der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG verwirklicht ist. Insoweit ist von der Gesetzesfassung vor dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 auszugehen und nach der Sachlage allein die 2. Alternative fraglich. Es kommt also darauf an, ob der Kläger innerhalb von zwei Jahren nach der Beendigung einer durch den Wehrdienst und die Kriegsgefangenschaft aufgeschobenen oder unterbrochenen Ausbildung eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen hat. Das ist entgegen der Ansicht der Beklagten zu bejahen.

Mit Recht hat das LSG die „chirurgische Facharztausbildung” des Klägers als Ausbildung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG gewertet. Sie beruhte noch auf der Berufsordnung für die deutschen Ärzte vom 5. November 1937, die inzwischen durch neue Berufs- und Facharztordnungen der einzelnen Ärztekammern entsprechend einem von der Bundesärztekammer empfohlenen Muster (ÄM 1956, 943; 1962, 2322) ersetzt worden ist. Nach den maßgebenden Bestimmungen beider Ordnungen (§§ 29 ff der alten, §§ 24 ff der heutigen) darf sich kein Arzt ohne Facharztanerkennung als Facharzt bezeichnen, über die Anerkennung entscheidet die Ärztekammer nach Anhörung von Ausschüssen auf Grund der eingereichten unterlagen (Zeugnisse, vgl. insbesondere die §§ 27 und 28 der heutigen Ordnungen). Die Anerkennung wird erteilt, wenn ihre Voraussetzungen (Vorbereitungszeit) erfüllt sind und der Bewerber die Eignung zum Facharzt besitzt. Beide Ordnungen unterscheiden sich dadurch, daß die Berufsordnung von 1937 die ärztliche Vorbereitungszeit durchweg als Ausbildung bezeichnet, während die heute geltenden Ordnungen dieses Wort bewußt vermeiden. Sie kennzeichnen die Vorbereitungszeit als eine „vor Erteilung der Facharztanerkennung abzuleistende ärztliche Tätigkeit” und bestimmen in einer eigens eingefügten Vorschrift (§ 25 Abs. 1), daß die ärztliche Ausbildung mit der Bestallung endet und daß die Tätigkeit eines Arztes bis zur Facharztanerkennung „ärztliche Arbeit” ist. Die Bundesärztekammer ist nach der Stellungnahme vom 29. September 1965 der Meinung, die unterschiedliche Fassung der beiden Ordnungen beruhe nicht auf einem Wechsel der Anschauungen, vielmehr entspreche die heutige Fassung einer unveränderten ärztlichen Standesauffassung, welche die Weiterbildung zum Facharzt nicht als Ausbildung für einen anderen, höher qualifizierten Beruf wertet und in der Facharztanerkennung lediglich die Grundlage für die Ankündigung einer spezialärztlichen Tätigkeit erblickt. Von diesem Unterschied abgesehen gleichen sich beide Ordnungen in allen wesentlichen Punkten. Die Berufsordnung von 1937 bestimmte (§ 31), daß die „Ausbildung” von Fachärzten geleitet werden, sich auf alle Gebiete des Fachs erstrecken und unter Bedingungen stattfinden muß, die „eine gründliche und umfassende Ausbildung” in dem Jeweiligen Fach gewährleisten. Sie sah ferner vor, daß die „Ausbildung” regelmäßig in Assistentenstellen, gegebenenfalls auch in Volontär- oder Hilfsarztstellen mit entsprechender Verantwortung erfolgen soll. Ähnliche Vorschriften finden sich in den heutigen Ordnungen (§ 26). Auch sie schreiben die Leitung der ärztlichen Tätigkeit durch Fachärzte der jeweiligen Fachrichtung vor und verlangen gleichfalls Bedingungen, die „eine gründliche und umfassende Vermittlung wissenschaftlicher und praktischer Kenntnisse in der erstrebten Fachrichtung” sicherstellen.

Aus dieser Gestaltung der ärztlichen Vorbereitungszeit auf die Facharztanerkennung ergibt sich, daß die Bewerber nicht bloß bestimmte Zeiten ärztlicher Tätigkeit zurückzulegen haben und daß es nicht allein ihnen obliegt, sich auf die Facharzttätigkeit vorzubereiten, d. h. weiterzubilden. Die Bewerber sollen vielmehr in der Vorbereitungszelt durch Fachärzte angeleitet (belehrt, unterwiesen) werden und auf diese Weise Kenntnisse und Fertigkeiten für die spätere Ausübung der Facharzttätigkeit vermittelt bekommen. Dieser Zweck steht erkennbar im Vordergrund, auch wenn die Facharztbewerber in der Zeit ihrer Vorbereitung den ärztlichen Beruf ausüben, praktische Arbeit leisten und in nicht unerheblichem Umfang eigene Verantwortung tragen. Damit steht aber fest, daß die Facharztbewerber in der Vorbereitungszeit für die spätere Facharzttätigkeitausgebildet werden. Der Begriff der Ausbildung ist erfüllt, wenn sachkundige Personen anderen Personen Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, um deren Wissen und Können allgemein zu vervollkommnen (z. B. bei der Schulausbildung) oder um sie (wie hier) zur sachgemäßen Wahrnehmung bestimmter Aufgaben zu befähigen. Dabei kann es sich gleichzeitig um eine Weiterbildung handeln, falls vorher eine andere Ausbildung schon beendet gewesen ist. Beide Begriffe schließen sich nicht unbedingt aus (vgl. BSG 14, 5, 8 Mitte). Der Annahme einer Ausbildung steht auch nicht entgegen, daß die Berufs- und Facharztordnungen heute die Vorbereitungszeit als „abzuleistende ärztliche Tätigkeit” kennzeichnen; das hat seinen Grund im ärztlichen Standesrecht und soll lediglich klarstellen, daß die Facharzttätigkeit keine höher qualifizierte, sondern nur eine besondere Art ärztlicher Tätigkeit darstellt. Die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten für die Ausübung dieser besonderen Tätigkeit, d. h. die Ausbildung für sie, wird damit nicht ausgeschlossen.

Entgegen der Annahme der Beklagten erfaßt der Ausbildungsbegriff des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG nicht nur Ausbildungen bis zur Berechtigung zur Berufsausübung. Ob etwa der an anderen Stellen des AVG (§§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 Nr. 3 und 7, 6 Abs. 1 Nr. 2, 14 Abs. 3 Buchst. b, 39 Abs. 3, 44) gebrauchte Begriff der Berufsausbildung (bzw. Ausbildung für einen Beruf) in diesem Sinne einzuschränken ist (vgl. dazu das Urteil des BSG vom 29. Oktober 1964, SozR Nr. 14 zu § 1267 RVO, das gewisse Zweifel äußert), kann dahingestellt bleiben. Zu einer Einschränkung des Ausbildungsbegriffs in § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG zwingen jedenfalls weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte (im Reg.Entw. hieß es noch: „Schul- oder Berufsausbildung”) noch der Sinn der Vorschrift; Sinn und Zweck der 2. Alternative des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG gehen vielmehr allgemein dahin, die Frist für die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nach dem Ende der Ersatzzeiten zu verlängern, wenn die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit innerhalb von zwei (nach dem RVÄndG nunmehr drei) Jahren infolge einer durch die Ersatzzeit aufgeschobenen oder unterbrochenen Ausbildung nicht möglich gewesen ist. Dabei kommen praktisch nur solche Ausbildungszeiten in Betracht, in denen keine Versicherungspflicht bestanden hat (vgl. hierzu § 2 Abs. 2 Nr. 1 AVG; danach ist heute versicherungspflichtig, wer zu seiner Ausbildung für den Beruf eines Angestellten beschäftigt wird). Trifft das aber zu, dann ist nicht einzusehen, weshalb bei diesen versicherungsfreien Ausbildungen zwischen Ausbildungszeiten vor und nach der Berechtigung zur Berufsausübung unterschieden werden soll. Jede Ausbildung, die wegen einer mit ihr verbundenen Versicherungsfreiheit den früheren Eintritt in die Pflichtversicherung verhindert hat – das sind vornehmlich Ausbildungen in der Zeit vor der Rentenreform –, muß vielmehr nach dem Sinn und Zweck der 2. Alternative des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG als Ausbildung im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden. Deshalb ist gerade hier von besonderer Bedeutung, daß die ärztliche Vorbereitungszeit für die Facharztanerkennung bis zum Jahre 1956 wegen ihres (wissenschaftlichen) Ausbildungscharakters trotz entgeltlicher Beschäftigung Versicherungsfreiheit in der Angestelltenversicherung nach den §§ 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO, 1 und 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG bewirkt hat (RVA AN 1925, 203; 1930, 212, 215; BSG SozR Nr. 1 zu § 12 AVG aF); das ist mit ein Grund, jedenfalls eine „Facharztausbildung” in der Zeit vor 1957 als Ausbildung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG zu behandeln (Koch/Hartmann, AVG, 2. Aufl., Anm. C II 2 c zu § 28 AVG). Dem steht auch nicht entgegen, daß die Rechtsprechung die „Facharztausbildung” nicht mehr zur „Berufsausbildung” im Sinne des § 565 RVO aF rechnet, weil sich diese Auslegung durch den andersartigen Sinn und Zweck der Vorschrift erklärt (BSG 12, 109, 115 f; 14, 5, 8; 18, 136, 140 f).

Das LSG hat allerdings § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG insofern verletzt, als es bei der Berechnung der Zweijahresfrist von dem Ende einer angenommenen „Mindestausbildungszeit” und damit von fiktiven Verhältnissen ausgegangen ist. Nach dem Tatbestand der Vorschrift kann nur eine wirklich durchgeführte Ausbildung für die Zweijahresfrist von Bedeutung sein. Dennoch stellt sich die Entscheidung des LSG im Ergebnis als richtig dar.

Der Kläger hat nach den unangefochtenen Feststellungen des LSG in den maßgebenden zwei Jahren vor dem 1. Oktober 1954 noch in Ausbildung gestanden. In der ersten Hälfte dieses Zeitraumes (1. Oktober 1952 bis 1. Oktober 1953) war er Volontärassistent in der Inneren Abteilung des Herz-Jesu-Krankenhauses Neuß, in der zweiten Hälfte (ab 1. Oktober 1953) Assistenzarzt auf der Chirurgischen Abteilung des gleichen Krankenhauses. Mindestens die letzte Tätigkeit hat ohne Zweifel zur Vorbereitungszeit für die chirurgische Facharztanerkennung gehört und ist daher eine Ausbildung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG gewesen. Unerheblich ist dabei, ob mit ihr die Facharztausbildung abgeschlossen gewesen ist. Auch wenn sie nach September 1954 noch fortgedauert hat, würde das die Anwendung der 2. Alternative des § 28 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AVG nicht ausschließen; denn der Tatbestand dieser Alternative ist sinngemäß erst recht erfüllt, wenn die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nochvor dem Ende der Ausbildung aufgenommen worden ist. Es bleibt daher nur zu prüfen, ob die fragliche Ausbildung in dem vor dem 1. Oktober 1954 erreichten Standdurch den Wehrdienst und die Kriegsgefangenschaft aufgeschoben gewesen ist (eine Unterbrechung scheidet hier aus). Das ist zu bejahen.

Mit dem Wort „durch” wird ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Ersatzzeit und Ausbildungsverzögerung gefordert, d. h. die Ersatzzeit muß eine wesentliche Bedingung für die Verzögerung der Ausbildung gewesen sein. Im vorliegenden Fall haben der Wehrdienst und vor allem die Kriegsgefangenschaft ohne Zweifel zu der Ausbildungsverzögerung beigetragen, mitgewirkt haben allerdings noch andere Umstände. Dazu gehören – wenigstens muß das der Senat mangels anderer Feststellung im Berufungsurteil unterstellen – der Umstand, daß der Kläger nach der Entlassung aus der Gefangenschaft (18. März 1948) bis Juni 1948 untätig geblieben ist und ferner, daß er offenbar von April bis September 1952 die zu dieser Zeit schon begonnene Facharztausbildung nicht fortgesetzt hat. Ferner ist in Betracht zu ziehen, daß die ärztlichen Tätigkeiten von Oktober 1951 bis 1. April 1952 als Volontärassistentenarzt in einer geburtshilflichen Abteilung und von Oktober 1952 bis 1. Oktober 1953 als Volontärassistent in einer Inneren Abteilung nach den Ausführungen des LSG sich nicht ohne weiteres als Teilabschnitte der chirurgischen Facharztausbildung verstehen lassen. Demgegenüber ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Vorschriften über die fachärztliche Vorbereitungszeit persönliche Ergänzungen der vorgeschriebenen Mindestzeit nicht ausschließen, daß sie die Anrechnung von Ausbildungen in verwandten Fachgebieten zulassen – das könnte etwa für die Tätigkeit in der geburtshilflichen Abteilung gelten –, und daß die Berufsordnung von 1937 für die Anerkennung als Facharzt für Chirurgie u. a. den Nachweis einer einjährigen allgemeinärztlichen oder internistischen Tätigkeit verlangt. Ferner darf nicht übersehen werden, daß die Tätigkeiten in der geburtshilflichen und der Inneren Abteilung in Volontärstellen ohne Vergütung geleistet worden sind, was in starkem Maße für ihren Ausbildungscharakter spricht, und daß der Kläger sie zu seiner Vorbereitungszeit für die Anerkennung als Facharzt für Chirurgie rechnet, was die Fortsetzung der ärztlichen Tätigkeit nach der Entlassung aus der Gefangenschaft betrifft, so muß dem Kläger zudem eine Übergangszeit zugestanden werden. Bei Würdigung aller dieser Gesichtspunkte überwiegen Jedenfalls der Wehrdienst und die Gefangenschaft in ihrer Bedeutung und Tragweite für die Ausbildungsverzögerung (vor Oktober 1954) die dabei (tatsächlich oder möglicherweise) sonst noch mitwirkenden Bedingungen. Der Wehrdienst und vor allem die Kriegsgefangenschaft sind daher eine wesentliche Bedingung für die Verzögerung und damit deren Ursache im Rechtssinne.

Die Revision der Beklagten ist hiernach als unbegründet zurückzuweisen.

Da der Kläger im Revisionsverfahren nicht vertreten ist, hat der Senat davon abgesehen, der Beklagten außergerichtliche Kosten des Klägers im Revisionsverfahren aufzuerlegen.

 

Unterschriften

Dr. Haueisen, Sonnenberg, Dr. Buss

 

Fundstellen

Haufe-Index 674102

BSGE, 49

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