Leitsatz (amtlich)
Ein gemütliches Zusammensein von Abteilungsleitern und Substituten auf Einladung der Geschäftsführung ist keine der versicherten Tätigkeit zuzurechnende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung.
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger ist Abteilungsleiter in der Filiale eines Kaufhauses mit etwa 200 Mitarbeitern. Am 20. November 1980 nahmen die Abteilungsleiter, zwei Substitute und eine Sekretärin der Filiale - insgesamt 25 Personen - auf Einladung und auf Kosten der Geschäftsführung in einem auswärtigen Gasthof an einem Abendessen teil, an das sich ein Luftgewehr-Preisschießen anschloß. Bei dem Versuch, unbemerkt den Schützen zu fotografieren, wurde der Kläger durch einen unbeabsichtigten Schuß in Herznähe verletzt. Das Geschoß wurde nach Öffnen des Herzbeutels entfernt. Nach komplikationslosem Heilverlauf wurde der Kläger am 16. Dezember 1980 aus der stationären Behandlung entlassen und war vom 1. Januar 1981 an wieder arbeitsfähig.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 8. April 1981 eine Entschädigung ab: Der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Die Zusammenkunft der Abteilungsleiter sei der betrieblichen Tätigkeit nicht als Gemeinschaftsveranstaltung gleichzusetzen, da der übrigen Belegschaft die Teilnahme verwehrt gewesen und zudem der Ablauf des Zusammentreffens nicht durch die Geschäftsführung, sondern durch einen Arbeitskreis der Abteilungsleiter gestaltet worden sei. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 2. Juni 1981).
Das Sozialgericht (SG) Mainz hat die Beklagte dem Antrag des Klägers entsprechend verurteilt, die gesetzlichen Entschädigungsleistungen für die Folgen des Arbeitsunfalles am 20. November 1980 zu gewähren (Urteil vom 29. Januar 1982). Es hat zwar ebenfalls die Voraussetzungen einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung nicht als gegeben angesehen, einen Versicherungsschutz aber mit der Begründung angenommen, das betriebliche Interesse an der Veranstaltung habe im Vordergrund gestanden, da offensichtlich bezweckt gewesen sei, die Abteilungsleiter zu verstärkten Anstrengungen im bevorstehenden Weihnachtsgeschäft anzuspornen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 16. Februar 1983 zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt: Die Berufung sei zulässig, da der Kläger wiederkehrende Leistungen über einen Zeitraum von mehr als dreizehn Wochen geltend mache (§ 144 Abs 1 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Begründet sei das Rechtsmittel jedoch nicht, da das SG im Ergebnis zutreffend die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls bejaht habe. Zwar sei entgegen der Auffassung des SG in der Teilnahme an dem geselligen Zusammentreffen eine betriebliche Tätigkeit nicht schon deshalb zu sehen, weil die Abteilungsleiter für das Weihnachtsgeschäft hätten motiviert werden sollen. Das gesellige Beisammensein sei jedoch als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung anzusehen und daher einer Betriebstätigkeit gleichzusetzen. Die Veranstaltung sei darauf ausgerichtet gewesen, die betriebliche Zusammenarbeit zu fördern und von der Person des Geschäftsführers als Repräsentanten des Unternehmens getragen worden, das nicht nur die Kosten übernommen habe, sondern - durch die Person des Geschäftsführers - auch über den geplanten Ablauf des Abends in großen Zügen unterrichtet gewesen sei. Es bestehe kein Anlaß, die Abteilungsleiter und Substituten nicht als eine Abteilung oder Gruppe anzusehen, deren Zusammenkunft nach der Rechtsprechung als Gemeinschaftsveranstaltung gewertet werden könne. Als Abteilung oder Gruppe seien auch Betriebsangehörige mit - wie hier - gleichartigen Funktionen aufzufassen, es brauche keine vertikale Gliederung zu bestehen. Bei einer Gesamtzahl von etwa 200 Mitarbeitern sei der Teilnehmerkreis von 25 Personen auch ausreichend groß gewesen. Der ganze Betrieb sei repräsentiert gewesen. Hier hätten betriebliche Interessen im Vordergrund gestanden, wie sich gerade aus der Auswahl der Teilnehmer und dem Zeitpunkt der Veranstaltung - vor dem Weihnachtsfest - ergebe.
Die Beklagte hat Revision eingelegt. Nach ihrer Auffassung hat das LSG zu Unrecht die Voraussetzungen einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung als gegeben angesehen, obwohl nicht die gesamte Belegschaft, sondern aus jeder Abteilung jeweils nur der Abteilungsleiter eingeladen worden sei und außerdem die Teilnehmerzahl nur 12,5 % der Gesamtbelegschaft betragen habe.
Sie beantragt, die Urteile des LSG vom 16. Februar 1983 und des SG vom 29. Januar 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er äußert Zweifel an der Zulässigkeit der Revision, da die Beklagte nicht ausdrücklich eine Gesetzesverletzung rüge, sondern nur ihre Auffassung zum Ausdruck bringe, das LSG sei von Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen und die Sache sei von grundsätzlicher Bedeutung. Jedenfalls aber stehe die Auslegung des § 548 der Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das LSG mit dem Sinn und Zweck der Norm in Einklang und halte sich in den von der Rechtsprechung des BSG vorgegebenen Grenzen. Sie bedeute allenfalls eine zutreffende Weiterentwicklung in diesem Rahmen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist entgegen der Auffassung des Klägers zulässig. Die verletzte Rechtsnorm ist dadurch ausreichend bezeichnet worden (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG), daß nach der näher dargelegten Ansicht der Beklagten die Teilnahme des Klägers an dem Zusammentreffen der Abteilungsleiter nicht seiner versicherten Tätigkeit zuzurechnen und sein Unfall deshalb kein Arbeitsunfall (§§ 539 Abs 1 Nr 1, 548 RVO) war.
Die Revision ist auch begründet.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG sind bei der abendlichen Zusammenkunft der Abteilungsleiter und der Substituten jedenfalls wesentlich keine betrieblichen Themen behandelt worden, so daß eine unmittelbare dienstliche Tätigkeit, bei der Versicherungsschutz nach § 548 RVO bestehen würde, nicht vorlag.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann jedoch auch die Teilnahme von Beschäftigten zB an Betriebsfesten, Betriebsausflügen und ähnlichen Gemeinschaftsveranstaltungen dem Unternehmen zugerechnet und der versicherten Tätigkeit gleichgesetzt werden. Voraussetzung hierfür ist außer dem Erfordernis, daß die Zusammenkunft der Pflege der Verbundenheit zwischen der Unternehmensleitung und der Belegschaft dient und deshalb grundsätzlich allen Betriebsangehörigen offenstehen soll, daß sie von der Unternehmensleitung selbst veranstaltet oder zumindest gebilligt oder gefördert und von ihrer Autorität als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung getragen wird (siehe ua BSGE 1, 179, 182; 7, 249, 251; 17, 280, 281; BSG SozR Nr 66 zu § 542 RVO aF, SozR Nrn 18, 24, 35 zu § 548 RVO, SozR 2200 § 548 Nrn 21 und 30, § 550 Nr 19; BSG USK 80303; BSG Urteil vom 16. Mai 1984 - 9b RU 6/83 -; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S 482k ff mwN). Zwischen dem Erfordernis, daß die Teilnahme an der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung - grundsätzlich - allen Betriebsangehörigen offensteht, und dem Zweck, die Verbundenheit zwischen der Betriebsleitung und den Betriebsangehörigen zu fördern, besteht ein enger Zusammenhang. Das LSG geht zwar zutreffend davon aus, daß nach den in der Rechtsprechung des BSG (aaO) aufgestellten Grundsätzen - je nach den maßgebenden Verhältnissen des Einzelfalles - eine dem Unfallversicherungsschutz unterliegende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung unter Umständen auch in der Veranstaltung einzelner Abteilungen oder Gruppen eines Unternehmens gesehen werden kann, wenn beispielsweise die Größe des Unternehmens oder dessen besondere Gegebenheiten es verlangen oder jedenfalls für zweckmäßig erscheinen lassen, nicht für die gesamte Belegschaft eine einzige betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung vorzusehen (siehe ua BSGE 1, 179, 183; 7, 249, 252; 17, 280, 282; Brackmann aaO S 482m, n; Gitter, SGB-Sozialversicherung-Gesamtkommentar, Anm 26 zu § 548, Stichwort: "Betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung"; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 39). Aber auch in diesen Fällen muß die Veranstaltung der Pflege der Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Belegschaft dienen (BSG Urteil vom 28. Juli 1977 - 2 RU 49/76 -, hier S 6). Unter diesen Kriterien sind auch die vom Senat in seinem Urteil vom 30. August 1962 (BSGE 17, 280, 282) als Beispiele angeführten Veranstaltungen für alle Schwerbehinderten oder alle Lehrlinge eines Betriebes und das von dem Kläger in der Revisionserwiderung gebrachte Beispiel der Zusammenkunft von Arbeitsjubilaren zu würdigen. Inwieweit damit entgegen der Auffassung des LSG nicht doch eine "soziale Komponente" eine maßgebende Rolle für den Versicherungsschutz bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen bildet (siehe auch BSGE 17, 280, 281), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Eine vom LSG für ausreichend erachtete "betriebliche Zielsetzung" allein rechtfertigt es auch bei einem vom Betrieb finanziell getragenen gemütlichen Beisammensein nur verhältnismäßig weniger ausgesuchter leitender Angestellter nicht, Versicherungsschutz anzunehmen. Vielmehr muß die "betriebliche Zielsetzung" wesentlich auf die für den Versicherungsschutz bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen maßgebende Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Betriebsangehörigen gerichtet sein (BSG Urteil vom 28. Juli 1977 aaO).
Unabhängig von dem Mißverhältnis zwischen der geringen Zahl der zum gemütlichen Beisammensein Eingeladenen zur Zahl der Gesamtbelegschaft bieten hier die Umstände des Falles schon keinen Anhalt dafür, daß die Größe oder die Art des Betriebes oder dessen sonstige besonderen Gegebenheiten es für notwendig oder wenigstens für zweckmäßig erscheinen ließen, eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung im wesentlichen auf die Abteilungsleiter und zwei Substitute zu beschränken. Durch ihre Beschränkung auf im wesentlichen bestimmte Führungskräfte diente das gemütliche Beisammensein auch nicht dem für eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung vorauszusetzenden Zweck, die Verbundenheit der - möglichst - gesamten Belegschaft mit der Unternehmensleitung zu fördern (s Brackmann aaO S 482 n mwN). Das nur für die Führungskräfte des Unternehmens vorgesehene gemeinsame Abendessen mit anschließendem gemütlichen Beisammensein ist daher entgegen der Auffassung des LSG nicht als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung zu werten, die der versicherten Tätigkeit gleichzusetzen ist. Der Kläger hat folglich bei seiner Teilnahme an der Veranstaltung nicht einen Arbeitsunfall (§ 548 Abs 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO) erlitten. Auf die Revision der Beklagten sind deshalb die angefochtenen Urteile des SG und des LSG aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen