Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 21.02.1990) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. Februar 1990 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger am 1. März 1985 einen Arbeitsunfall erlitten hat und wegen dessen Folgen von der Beklagten zu entschädigen ist.
Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt als selbständiger Kantinenbetreiber bei der Beklagten versichert. Am Abend des 1. März 1985 befuhr er mit seinem Pkw die Bundesstraße 5 von G. … kommend in Richtung H. … -B. …. Bei E. … kollidierte er mit einem anderen Pkw und zog sich dabei schwere Verletzungen zu. Er gab an, er habe zu Hause in G. … von seiner Kantine kommend Leergut abgeladen und sei dann weitergefahren, um bestellte Fleisch- und Wurstwaren in A- … (H. …) abzuholen. Zunächst habe er versucht, das bestellte Fleisch in G. … bei der Firma H. P. S. … abzuholen. Der Geselle B. …, der manchmal die Schlüssel zum Betrieb gehabt habe, sei aber nicht erreichbar gewesen. Er habe deshalb angenommen, daß die Ware – wohl von H. … S. …, dem Vater des H. P. S. … – nach A. … mitgenommen worden sei. Von dort habe er auch vor dem Unfall schon des öfteren abends bestellte Waren abgeholt. Auf diesem Weg sei er verunglückt.
Mit Bescheid vom 9. Oktober 1985 lehnte die Beklagte es ab, dem Kläger Leistungen zu gewähren, weil kein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. April 1986). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. März 1988).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit Urteil vom 21. Februar 1990 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, der Kläger habe am 1. März 1985 keinen Arbeitsunfall iS von § 548 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erlitten, weil die unfallbringende Fahrt von G. … nach A. … nicht betrieblichen Zwecken gedient habe. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere im Hinblick auf die Aussagen der im Verwaltungs-, SG- und Berufungsverfahren gehörten Zeugen sei vielmehr festzustellen, daß der Kläger die Fleisch- und Wurstwaren am 1. März 1985 bei der Landschlachterei des H. P. S. … in G. … bestellt habe und diese Waren nicht nach A. … transportiert worden seien. Auch sei nicht verabredet gewesen, der Kläger könne die Waren ggf in A. … abholen. Diese Behauptung des Klägers sei durch die Zeugenaussagen ebenso widerlegt wie seine Behauptung, er habe auch früher schon einmal Waren in A. … ausgehändigt erhalten. Bei dieser Sachlage seien auch keine objektiven Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der Kläger subjektiv habe annehmen dürfen, die in G. … bestellte Ware in A. … zu erhalten.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 580, 581 RVO. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hätte das LSG das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bejahen müssen; denn danach – vgl BSGE 30, 282 ff – reichten subjektive Vorstellungen sehr wohl für das Bestehen des Versicherungsschutzes aus, soweit sie nicht offensichtlich den Rahmen vernünftigen Verhaltens überschreiten würden. Diese Rechtsprechung habe das LSG abweichend eingeschränkt, indem es zumindest ausreichende objektive Anhaltspunkte für die subjektiven Vorstellungen fordere. Unabhängig hiervon hätten aber auch ausreichende objektive Umstände für die Vorstellung des Klägers vorgelegen, die bestellten Waren ggf auch in Altengamme zu erhalten. Diese Abholungsmodalität habe der Zeuge B. … in seiner ersten Aussage vor dem SG zweifelsfrei bestätigt. Auch wenn dieser Zeuge bei seiner Einvernahme im zweiten Rechtszuge an dieser Aussage nicht mehr festgehalten habe, hätte das LSG dem Rechnung tragen müssen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 1. März 1985 Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 1. bis 3. stellen keine Anträge.
Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu, weil er keinen Arbeitsunfall erlitten hat.
Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Zutreffend ist das LSG unter Anwendung dieser Normen davon ausgegangen, daß der Kläger zum Unfallzeitpunkt unter Unfallversicherungsschutz gestanden hätte, wenn die Fahrt von G. … nach A. … betrieblichen Zwecken gedient hätte oder der Kläger der begründeten Überzeugung hätte sein dürfen, die Fahrt aus geschäftlichen Gründen zu unternehmen. Diese Voraussetzungen waren am Abend des 1. März 1985 nicht gegeben.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG sind die bestellten Fleisch- und Wurstwaren nicht nach A. … gelangt. Sie standen dort nicht zur Abholung bereit, und es war auch nicht verabredet, der Kläger könne die bestellten Waren in A. … abholen, falls er sie am Abend des 1. März 1985 nicht mehr in G. … erhalten würde. Der Kläger hat auch in der Vergangenheit niemals Waren in A. … ausgehändigt erhalten. Diese Feststellungen des LSG hat die Revision nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angegriffen. Der Kläger ist lediglich der Meinung, das LSG hätte der ersten Aussage des Zeugen B. … zur verabredeten Abholungsmodalität, an die sich der Zeuge bei seiner späteren Einvernahme nicht mehr zu erinnern vermochte, stärkere Bedeutung beimessen müssen. Eine verfahrensfehlerhafte Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 SGG) durch das Berufungsgericht hat er damit nicht gerügt. Die Feststellungen des LSG sind daher für den Senat bindend (§ 163 SGG).
Liegen aber keine Umstände vor, die auf einen wesentlichen inneren Zusammenhang der unfallbringenden Fahrt mit der versicherten Tätigkeit des Klägers schließen lassen, so fehlt es an den Voraussetzungen für die Annahme eines Arbeitsunfalls. Andere Umstände, aus denen der Kläger die Annahme einer Betriebsbezogenheit seiner Fahrt nach A. … herleiten könnte, sind weder vorgetragen noch festgestellt. Solche wären selbst dann erforderlich, wenn man – wie der Kläger meint – allein auf die Formulierung des zitierten BSG-Urteils vom 30. Januar 1970 (BSGE 30, 282, 283) abhebt, wonach „die subjektiven Vorstellungen und Erwartungen des Tätigwerdenden sehr wohl zu berücksichtigen sind, sofern sie nicht offensichtlich den Rahmen vernünftigen Verhaltens überschreiten”. Dieser Satz besagt zum einen keineswegs, daß die behaupteten subjektiven Vorstellungen über die Betriebsbezogenheit des Handelns ausreichen, um den Versicherungsschutz zu bejahen. Denn ob sich ein Versicherter noch im Rahmen vernünftigen Handelns bewegt hat, beantwortet sich – wie den übrigen Ausführungen des zitierten BSG-Urteils zu entnehmen ist – nach objektiven Gesichtspunkten. Im entschiedenen Fall hat das BSG die Frage bejaht, weil der Versicherte aufgrund seiner Erfahrungen von früheren Mitgliederversammlungen davon ausgehen durfte, auch durch die Teilnahme an der in Rede stehenden Mitgliederversammlung seine beruflichen Kenntnisse erweitern zu können (BSG aaO S 284). Daß dies objektiv nicht der Fall gewesen ist, hat das BSG für unschädlich angesehen. Zum anderen hat das BSG in seiner Entscheidung vom 31. Mai 1988 (BSG SozR 2200 § 548 Nr 90) ausgeführt, daß die subjektive Meinung, betriebsdienlich tätig zu werden, unfallversicherungsrechtlich nur dann relevant ist, wenn diese Meinung in den objektiv gegebenen Verhältnissen eine ausreichende Stütze findet, und durch die Bezugnahme auf das Urteil vom 30. Januar 1970 verdeutlicht, daß diese Auffassung auch seiner früheren Rechtsprechung zugrunde gelegen hat.
Hier haben neben den behaupteten, aber nicht erwiesenen Umständen keine sonstigen Verhältnisse vorgelegen, aus denen der Kläger hätte ableiten können, sich auf einer Betriebsfahrt zu befinden. Auf die vom LSG aufgeworfene Frage, welcher Art und welchen Inhalts die objektiven Umstände sein müssen, um als geeignet erscheinen zu können, die subjektive Annahme des Versicherten, eine betriebsbedingte Fahrt zu unternehmen, kam es deshalb nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen