Leitsatz (amtlich)
Wird einem in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtigen Rentenbewerber, bei dem vor der Entscheidung über den Rentenantrag Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durchgeführt wurden, Übergangsgeld für die Zeit von der Stellung des Rentenantrags an bis zur Beendigung der Maßnahmen und daran anschließend Rente wegen Berufsunfähigkeit (oder Erwerbsunfähigkeit) bewilligt, so ist die Krankenkasse zur Rückzahlung der vom Rentenbewerber geleisteten Beiträge erst vom Beginn der Rente an (RVO § 381 Abs 3 S 3) - nicht schon des Übergangsgeldes - verpflichtet.
Normenkette
RVO § 381 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1956-06-12, S. 3 Fassung: 1956-06-12
Tenor
Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Am 24. März 1958 beantragte der Ehemann der Klägerin zu 1) und der Vater der Klägerin zu 2), der Dreher Anton M, bei der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) die Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Gleichzeitig meldete er sich zur Krankenversicherung (KrV) der Rentner nach § 317 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) an. Er bezog damals von der beklagten Betriebskrankenkasse (BKK) bis zu seiner Aussteuerung am 5. April 1958 Krankengeld. Für die Zeit vom 6. April 1958 an erhielt er wegen ihm gewährter Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, die jedoch nicht zu dem erstrebten Erfolg führten, Übergangsgeld nach § 1241 Abs. 1 Satz 1 und 2 RVO. Durch Bescheid vom 25. Mai 1959 bewilligte ihm schließlich die beigeladene LVA nach Beendigung der Zahlung von Übergangsgeld am 10. April 1959 vom 11. April 1959 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Auf Grund seines Rentenantrages war der Versicherte bei der beklagten BKK Pflichtmitglied in der gesetzlichen KrV geworden (§ 315 a Abs. 1 Nr. 1 RVO bzw. § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Die Beiträge hierfür hatte er nach § 381 Abs. 3 Satz 2 RVO zunächst selbst getragen (§ 183 Abs. 6 RVO idF des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 12. Juli 1961 - BGBl I 1913 - galt damals noch nicht). Nach Bewilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Mai 1959 erstattete die beklagte BKK dem Versicherten die Beiträge für seine KrV vom 11. April 1959 an. Für die Zeit vom 6. April 1958 bis 10. April 1959 lehnte sie dies jedoch durch Bescheid vom 11. August 1959 ab, da die gesetzlichen Bestimmungen eindeutig ergäben, daß die Beiträge zwischen Rentenantragstellung und Beginn der Rente zu Lasten des Rentenberechtigten gingen. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde durch Bescheid vom 29. September 1959 zurückgewiesen.
Daraufhin hat der Versicherte Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben mit dem Antrage,
die beklagte BKK zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 11. August 1959 und des Widerspruchsbescheides vom 29. September 1959 die entrichteten Beiträge zur KrV für die Zeit vom 6. April 1958 bis 10. April 1959 zu erstatten.
Diese Klage blieb ebenso erfolglos wie das nach dem Tode des Versicherten von den Klägerinnen fortgeführte Berufungsverfahren. Die Vorinstanzen waren im wesentlichen übereinstimmend der Auffassung, für das Begehren auf Beitragserstattung komme allein § 381 Abs. 3 Satz 3 RVO in Betracht. Hiernach werden Beiträge, die Rentenantragsteller vom Beginn der Rente bis zur Zustellung des die Rente gewährenden Bescheides entrichtet haben, zurückgezahlt. Aus der Formulierung "zurückgezahlt", so führen die Vorinstanzen aus, ergebe sich, daß sich der Erstattungsanspruch gegen diejenige Stelle richte, die die Beiträge in Empfang genommen habe, also gegen die Krankenkasse (KK). Gegeben sein könne, der Anspruch jedoch nur dann, wenn die KK ihrerseits einen Anspruch gegen den Träger der Rentenversicherung (RentV) nach § 381 Abs. 2 RVO habe. Hieran fehle es.
Nach § 381 Abs. 3 Satz 2 RVO hätten die Personen, die einen Rentenantrag gestellt haben, die Beiträge bis zum Beginn der Rente selbst zu tragen. Folgerichtig bestimme § 381 Abs. 3 Satz 3 RVO, daß diesen Personen die Beiträge, die sie vom Beginn der Rente bis zur Zustellung des die Rente gewährenden Bescheides entrichtet hätten, zurückgezahlt erhielten. Hierbei könne der Rentenbeginn und der Beginn der Zahlung von Übergangsgeld nicht gleichgestellt werden. Dieses sei eine Leistung eigener Art und sei weder eine Rente noch ein Vorschuß auf die Rente. Es werde nach § 1241 RVO unabhängig von der Stellung eines Rentenantrages nur für die Zeit gewährt, in der der Träger der RentV Maßnahmen zur Förderung der Erwerbsfähigkeit nach den §§ 1236 ff RVO durchführe. Das Übergangsgeld sei somit sowohl nach seinen Voraussetzungen als auch nach seiner Berechnung und nach seinem Sinn und Zweck eine völlig andere Leistung als die Rente. Damit verbiete sich eine Auslegung des § 381 Abs. 3 RVO dahingehend, daß unter Rente auch Übergangsgeld zu verstehen sei. Insbesondere sei es nicht berechtigt, die Notwendigkeit einer etwaigen ergänzenden Gesetzesauslegung aus dem Umstand zu folgern, daß beim Erlaß des Gesetzes über Krankenversicherung der Rentner (KVdR) vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500) die Vorschriften der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze vom 23. Februar 1957 noch nicht berücksichtigt werden konnten, und daß nach ihrem Erlaß eine Ergänzung der gesetzlichen Regelung der Rentnerkrankenversicherung nicht vorgenommen worden sei. Die derzeitige Regelung erscheine durchaus sinnvoll, möge es auch andere und vielleicht bessere Möglichkeiten geben. Einer Beitragspflicht des Betreuten stehe schließlich auch der Leitgedanke der Rentnerkrankenversicherung nicht entgegen. Abgesehen davon, daß es sich bei dem Betreuten eben noch nicht um einen Rentner handele, sei das Übergangsgeld in der Regel höher als die Rente, weil es sich nach dem durchschnittlichen Arbeitseinkommen der letzten 12 oder 36 Monate und der Zahl der vom Betreuten unterhaltenen Familienangehörigen richte. Auch beim Versicherten sei das Übergangsgeld mit monatlich rund 430,- DM erheblich höher als die spätere Rente mit monatlich 334,- DM gewesen. Die Beitragspflicht des Versicherten könne somit nicht als unzumutbare Belastung angesehen werden.
In seinem Urteil vom 4. Juli 1961 hat das LSG die Revision zugelassen. Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, des Urteils des SG Dortmund vom 26. April 1960 sowie des Bescheides der Beklagten vom 11. August 1959 idF des Widerspruchsbescheides vom 29. September 1959 die Beklagte zu verurteilen, den Klägerinnen die von ihrem Rechtsvorgänger für die Zeit vom 6. April 1958 bis 10. April 1959 gezahlten Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 172,82 DM, hilfsweise die Beiträge für die Zeit vom 6. März bis 10. April 1959 zu erstatten.
Die Klägerinnen geben zu, daß das angefochtene Urteil sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung der herrschenden Ansicht entspreche. Mit Recht sei aber bereits darauf hingewiesen worden, daß die Vorschriften des KVdR vom 12. Juni 1956 nicht an die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze angepaßt worden seien, obwohl hierfür ein Bedürfnis bestehe. Es sei nämlich keineswegs die Regel, daß das Übergangsgeld die Rente übersteige, so daß dem Bezieher von Übergangsgeld nicht zugemutet werden könne, die Beiträge zu seiner KrV selbst zu tragen. Dieses unbillige Ergebnis könne und müsse auch ohne Zutun des Gesetzgebers allein durch Auslegung des geltenden Rechts einer gerechten Lösung zugeführt werden. Übergangsgeld und Rente schlössen sich nicht immer gegenseitig aus. Wenn der Betreute bereits Rentenbezieher sei, bestehe Gesetzeskonkurrenz zwischen Übergangsgeld und Rente. Für diesen Fall bestimme das Gesetz, daß der Betreute stets Zuwendungen in Höhe des Übergangsgeldes erhalten solle. Damit bleibe der Rentenanspruch und damit die Beitragspflicht des Trägers der RentV gegenüber der KK unberührt, während das Übergangsgeld nur in Höhe des übersteigenden Teils zur Entstehung und zur Auszahlung gelange (§ 1241 Abs. 3 RVO). Nichts anderes könne dann gelten, wenn der Betreute vor Beginn der Maßnahmen Rente beantragt hätte und das Übergangsgeld von dem Zeitpunkt an zu gewähren sei, von dem eine Rente hätte gezahlt werden müssen. In diesem Falle bestehe zwar kein Anspruch auf Rente. Damit sei aber nicht gesagt, daß auch hier in dem Übergangsgeld kein Rentenbestandteil enthalten sei. In Wahrheit handele es sich auch hier nur um eine bis zur Höhe des Übergangsgeldes aufgestockte Rente, deren Wesenskern den Träger der RentV zur Beitragsleistung gegenüber der KK verpflichte.
Die beklagte BKK und die beigeladene LVA beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für richtig. Die beigeladene LVA führt dazu insbesondere noch aus, die Auffassung des LSG führe keineswegs zu unbilligen Ergebnissen. Das Übergangsgeld in der Arbeiterrentenversicherung sei für Pflichtversicherte bis auf wenige Ausnahmefälle höher als die Rente, so daß der Versicherte seinen Krankenversicherungsbeitrag selbst bestreiten könne. Wenn in einigen Fällen ausnahmsweise das Übergangsgeld niedriger als die Rente sei, so handele es sich dabei meist um Versicherte, die oft jahrzehntelang keine oder nur ganz geringe Beiträge entrichtet hätten. Von solchen regelwidrigen Fällen dürfe bei der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen nicht ausgegangen werden.
II.
Die Revision der Klägerinnen ist nicht begründet. Den Ausführungen im angefochtenen Urteil ist in vollem Umfang beizupflichten.
Nach dem mit dem Grundgesetz im Einklang stehenden § 381 Abs. 3 RVO (BVerfGE 13, 21) haben in der KrV der Rentner Personen, die unter § 165 Abs. 1 Nr. 3 und 4 RVO fallen und die einen Rentenantrag gestellt haben, die Beiträge bis zum Beginn der Rente selbst zu tragen; es sind ihnen lediglich die Beiträge von der KK zurückzuzahlen, die sie vom Beginn der Rente bis zur Zustellung des die Rente gewährenden Bescheides entrichtet haben. In § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO sind die in Betracht kommenden Rentenarten im einzelnen aufgeführt. Allerdings sind an ihre Stelle nach der Rentenreform die entsprechenden Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sowie die verschiedenen Arten des Altersruhegeldes getreten (Art. 3 § 1 ArVNG und AnVNG). Jedenfalls fällt nach dem Wortlaut des Gesetzes das Übergangsgeld nicht darunter.
Dieses ist zudem eine völlig andere Leistung als die Rente, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat. Nach der derzeitigen Regelung geht die Gewährung von Heilverfahren und Berufsförderungsmaßnahmen der Rentengewährung vor. Kein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit durch die genannten Maßnahmen wiederhergestellt werden kann, soll Rentner werden, ehe nicht diese Maßnahmen ausgeschöpft sind. Wenn der Versicherungsträger anläßlich eines Rentenverfahrens feststellt, daß zwar die Erwerbsfähigkeit des Versicherten in rentenbegründendem Ausmaß gemindert ist, daß sie aber voraussichtlich durch Heilverfahren oder Berufsförderungsmaßnahmen wiederherzustellen oder wesentlich zu bessern ist, dann muß er vor der Rentengewährung diese Maßnahmen durchführen. Da jedoch der Versicherte während dieser Zeit nicht ohne Geldmittel gelassen werden kann, hat der Gesetzgeber das Übergangsgeld geschaffen. Dabei hat er durch § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO dafür gesorgt, daß durch die Gewährung dieser Maßnahmen der Versicherte hinsichtlich des Beginns der Barleistungen nicht gegenüber der Rentengewährung benachteiligt wird. Als Ausgleich dafür ist in § 1242 RVO bestimmt, daß grundsätzlich für die Dauer der Durchführung von Maßnahmen kein Rentenanspruch besteht und daß insbesondere für den Zeitraum, für den vorgezogenes Übergangsgeld zu zahlen ist, der Rentenanspruch entfällt (BSG 17, 238). Eine Ausnahme besteht lediglich dann, wenn die Rente bereits vor Beginn der Maßnahmen bewilligt war.
Der Rentenversicherungsträger darf danach überhaupt keine Rente bewilligen, wenn er ein Heilverfahren oder Berufsförderungsmaßnahmen durchführen will. Somit ist in diesen Fällen der Versicherte auch nicht rentenberechtigt. Wenn der Versicherungsträger daher über den Rentenanspruch vorher entscheiden wollte, dann müßte er ihn jedenfalls zumindest als zur Zeit unbegründet ablehnen. Sind durch die durchgeführten Maßnahmen die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit endgültig beseitigt, wird der Versicherungsträger den Rentenantrag endgültig ablehnen. Sind sie zwar beseitigt, aber haben sie noch über die Schonfrist hinaus gedauert, wird er einen entsprechenden Bescheid über eine befristete Rentengewährung erteilen. War die Maßnahme dagegen erfolglos, wird er nunmehr eine Dauerrente festsetzen. Dann aber beginnt jetzt erst die Rente mit den sich daraus ergebenden Folgen der Beitragszahlung für den Rentenversicherungsträger (§ 381 Abs. 2 RVO) und der Beitragsrückzahlung an den Versicherten (§ 381 Abs. 3 Satz 3 RVO).
Dieser Auffassung steht nicht entgegen, daß ein Rentner, dem erst nach Rentenbewilligung ein Übergangsgeld gewährt wird, den Schutz der KrV auch während dieser Zeit auf Kosten des Rentenversicherungsträgers erhält; denn beim Rentner steht - im Gegensatz zum Rentenbewerber - bereits fest, daß der Träger der RentV für die KrV des Rentners aufzukommen hat. Ebensowenig können sich die Klägerinnen darauf berufen, die Vorschriften des KVdR vom 12. Juni 1956, welche die hier maßgebende Fassung des § 381 RVO gebracht haben, seien nicht an die später ergangenen Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze angepaßt worden und deshalb müßte § 381 Abs. 3 Satz 3 RVO im Wege der erweiternden Auslegung auch im Falle der Gewährung von Übergangsgeld angewandt werden. Ein solcher Analogieschluß wäre jedoch nur zulässig, wenn die genannte Vorschrift nach ihrem tragenden Grundgedanken eine Gleichstellung des Übergangsgeldes mit der Rente zuließe. Das ist aber, wie bereits dargelegt, sowohl nach der Zwecksetzung als auch nach der Berechnungsweise des Übergangsgeldes ausgeschlossen.
Somit ist der Träger der Rentenversicherung nach § 381 Abs. 2 RVO nur in Verbindung mit einer Rentengewährung zur Beitragsleistung verpflichtet, und zwar grundsätzlich nur für die Dauer des Rentenbezugs; lediglich § 312 Abs. 2 RVO macht hiervon eine Ausnahme. Dem entspricht, daß die Krankenkassen zur Rückzahlung der vom Rentenbewerber geleisteten Beiträge nur "vom Beginn der Rente bis zur Zustellung des die Rente gewährenden Bescheides" verpflichtet sind (BSG 19, 295, 297).
Demzufolge kann der Rentenbewerber während des Bezuges von Übergangsgeld dem Rentenempfänger nicht gleichgestellt werden (ebenso wie das Rundschreiben des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger vom 13. Juni 1958, Beitragsrecht 1958, 253 sowie Eugen Jorks, Die KrV der Rentner während des Bezuges von Übergangsgeld, SozVers 1960, 343).
Nach alledem mußte der Versicherte die Beiträge für seine KrV selbst tragen. Wie die Rechtslage gewesen wäre, wenn schon § 183 Abs. 6 RVO idF des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) zur Anwendung hätte kommen müssen, braucht hier nicht entschieden zu werden.
Jedenfalls war danach die Revision der jetzigen Klägerinnen als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen