Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.02.1960) |
SG Düsseldorf (Urteil vom 12.06.1958) |
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Februar 1960 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 1958 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen
Tatbestand
I
Der Kläger wurde am 8. Februar 1956 von einem Unfall betroffen. Er war in der Möbelfabrik der Firma B. (Fa. B.) in E. als Schreiner beschäftigt. Am Unfalltag hatte er seine Arbeitsschicht um 18.45 Uhr beendet, blieb aber mit Erlaubnis seines Arbeitgebers auf der Betriebsstätte, um unter Benutzung einer Fräsmaschine Fensterblenden für das Haus seiner Eltern herzustellen. Sein Vater hatte das Holz dazu zum handelsüblichen Preis von der Fa. B, gekauft. Für die Benutzung der Fräsmaschine wurde eine Vergütung berechnet. Die Arbeit selbst leistete der Kläger unentgeltlich für seine Eltern, in deren Haushalt er lebte. Er erlitt bei dieser Arbeit an der Fräsmaschine eine schwere Quetschung der rechten Hand mit Verlust von Zeige- und Mittelfinger.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 1. August 1956 den Entschädigungsanspruch mit der Begründung ab, der Kläger sei im eigenwirtschaftlichen Interesse tätig gewesen, als er verunglückte.
Mit der Klage hiergegen hat der Kläger geltend gemacht, sein Vater habe die Fa. B, mit der Herstellung und Lieferung der Fensterblenden beauftragt. Die Arbeitsleistung dazu habe daher der Erfüllung eines betrieblichen Auftrages gedient. Das Sozialgericht (SG) hat zur Klärung der Auftragsverhältnisse und der Tätigkeitsweise des Klägers den Geschäftsführer der Fa. B. als Zeugen vernommen. Auf den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Klägers, seinen Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen und „entsprechend zu berenten”, hat das SG am 12. Juni 1958 die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers vom 8. Februar 1956 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Es ist der Ansicht, der Kläger habe die unfallbringende Tätigkeit noch im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses zur F. B. ausgeübt.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Ihr Vorbringen hat das Landessozialgericht (LSG) veranlaßt, den Geschäftsführer der Fa. B. erneut und außerdem den Vater des Klägers als Zeugen zu vernehmen. Durch Urteil vom 16. Februar 1960 hat es die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der innere Zusammenhang zwischen dem Unfall und der versicherten Arbeit des Klägers sei dadurch begründet, daß dieser kurz nach Betriebsschluß in der Werkstatt der Fa. B. beim Bedienen einer Betriebseinrichtung verunglückt sei. Außerdem habe nach dem Beweisergebnis die Herstellung der Fensterblenden sowohl im Interesse der Eltern des Klägers als auch der Fa. B. gelegen. Den Zwecken des Betriebes habe sie aus mehreren Gründen wesentlich gedient, und zwar sei das Unternehmen auch bei privaten Arbeiten seiner Betriebsangehörigen an einer handwerklich sauberen Arbeitsleistung interessiert, ferner diene die Erlaubnis zur Durchführung solcher Arbeiten der Pflege des Betriebsklimas und der Verhinderung heimlicher und daher betriebsstörender privater Arbeiten während der Betriebszeit, schließlich habe der Betrieb einen finanziellen Gewinn durch den Verkauf des nach Feierabend vom Kläger bearbeiteten Holzes erzielt.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 19. April 1960 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3. Mai 1960 Revision eingelegt und sie gleichzeitig sowie mit einem weiteren Schriftsatz vom 10. Juni 1960 wie folgt begründet: Das LSG habe infolge Verletzung des § 79 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eine Sachentscheidung über eine unzulässige Klage getroffen. Außerdem sei das Berufungsgericht zu den seiner Rechtsauffassung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen unter Überschreitung seines Beweiswürdigungsrechts gelangt. In sachlich-rechtlicher Beziehung sei im angefochtenen Urteil verkannt, daß die unfallbringende Arbeit des Klägers mit dem Unternehmen nicht in einem inneren Zusammenhang gestanden habe. Eine für die Annahme des Versicherungsschutzes ausreichende Betriebsbezogenheit der Arbeit des Klägers ergebe sich nicht schon aus den in dem angefochtenen Urteil dargelegten Gründen. Mit der Herstellung der Fensterblenden sei das Unternehmen nicht beauftragt gewesen, so daß es an den Arbeiten hierfür auch nicht interessiert gewesen sei. Diese hätten lediglich den Interessen der Eltern des Klägers gedient. Daran ändere nichts, daß der Kläger für die Fensterblenden Holz verwendet habe, das von der Fa. B. stammte, und daß die Bearbeitung des Holzes an einer Fräsmaschine gegen Benutzungsbezahlung durchgeführt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er trägt dazu vor: Die Verfahrensrügen seien unberechtigt, da die Klage auf Verurteilung zur Entschädigungsleistung gerichtet sei und die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht wirksam angegriffen worden seien. Die Entschädigunspflicht der Beklagten habe das LSG zu Recht bejaht. Da der Unfall schon kurze Zeit nach Betriebsschluß auf der Betriebsstätte eingetreten sei, habe sich der Kläger in diesen Zeitpunkt noch im Gefahrenbereich des Betriebes befunden. Außerdem habe die Herstellung der Fensterblenden den Interessen des Unternehmens aus den in dem angefochtenen Urteil dargelegten Gründen gedient; in Auftrage der Fa. B. habe der Kläger für seinen Vater die Arbeit nach betrieblichen Weisungen ausgeführt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, somit zulässig. Sie hatte auch Erfolg.
Die Rüge der Revision, das LSG habe eine Sachentscheidung über eine unzulässige Klage getroffen, weil es die Beklagte zu einer ihr nicht obliegenden Leistung verurteilt habe, ist nicht berechtigt. Der Kläger hatte nicht nur beantragt, seinen Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen, sondern außerdem ausdrücklich begehrt, den Unfall „entsprechend zu berenten”. Damit hat er nach § 54 Abs. 4 SGG auf Leistung geklagt. Hierüber haben die Vorinstanzen auch entschieden. Wie sich aus der Begründung des vom LSG im vollen Umfang bestätigten erstinstanzlichen Urteils ergibt, ist gegen die Beklagte ein Grundurteil gemäß § 130 Satz 1 SGG ergangen. Demzufolge geht auch der Hinweis der Revision fehl, das Klageverfahren sei nur nach einem Vorverfahren gemäß § 79 Nr. 1 SGG zulässig.
Der erkennende Senat hat im Gegensatz zu den Vorinstanzen verneint, daß der Kläger bei seiner zum Unfall führenden Tätigkeit unter Versicherungsschutz gestanden habe. Die Auffassung des LSG, der Unfall habe mit der versicherten Beschäftigung des Klägers in dem Unternehmen der Fa. B. in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang gestanden und die zu diesem Unfall führende Tätigkeit habe den Interessen dieses Unternehmens wesentlich gedient, ist nicht frei von Rechtsirrtum. Der Unfall hat sich nach den das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils (§ 163 SGG) ereignet, als der Kläger nach Beendigung seiner Arbeitsschicht an diesem Tage als Betriebsangehöriger der Fa. B. in deren Werksräumen Fensterblenden für das Haus seiner Eltern anfertigen wollte; die Arbeit führte er mit besonderer Erlaubnis seines Arbeitgebers aus, der seinem Vater das dazu gehörige Holz verkauft hatte und zu dessen Bearbeitung den Kläger eine Fräsmaschine des Betriebes gegen Vergütung benutzen ließ; hierbei trat der Unfall etwa 30 Min. nach Beendigung der regulären Arbeitszeit ein. Bei diesem Sachverhalt hat das LSG den Unfall zu Unrecht der versicherten Beschäftigung des Klägers in dem Betrieb der Fa. B. zugerechnet. Weder der zeitliche Zusammenhang des kurz nach Betriebsschluß eingetretenen Unfalls mit der vorangegangenen Betriebstätigkeit des Klägers noch der Umstand, daß dieser an einer Betriebseinrichtung der Fa. B. zu Schaden gekommen ist, sind geeignet, den ursächlichen Zusammenhang des Unfalls mit der versicherten Beschäftigung des Klägers zu begründen. Wie die Ausführungen des angefochtenen Urteils erkennen lassen, handelte es sich bei der Anfertigung der Fensterblenden um eine Arbeit, die den eigenen Bedürfnis des Klägers diente; sie war ihm nicht von dem Betrieb zugewiesen, sondern von seinem Vater auf getragen worden. Das Berufungsgericht ist selbst davon ausgegangen, daß die Fensterblenden vom Kläger nicht als Werkstücke der Fa. B. anzufertigen waren und daß sie nicht von ihr dem Vater des Klägers geliefert werden sollten. Danach hatte der Betrieb zwar ein gewisses Interesse an dem Arbeitsablauf bei der Herstellung der Fensterblenden; er hatte jedoch kein eigenes Interesse an ihrer Fertigstellung. Die unfallbringende Tätigkeit war sonach auf die Befolgung privater Zwecke des Klägers gerichtet. Sie ist demzufolge seiner persönlichen und daher unversicherten Lebenssphäre zuzurechnen. Der bei einer solchen sogenannten eigenwirtschaftlichen Handlung eingetretene Unfall erfüllt die Voraussetzungen des für die Annahme eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 542 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erforderlichen inneren Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten nicht dadurch, daß bei dem Unfallgeschehen die Benutzung einer betrieblichen Einrichtung – im vorliegenden Fall der Fräsmaschine – mitgewirkt hat (vgl. BSG 1, 258, 263; RVA in Breith. Ed – 5 S. 241; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, 1961, S. 488 a). Ebensowenig ist für diesen Ursachenzusammenhang die zeitliche Nähe des Unfalls zu der vorangegangenen versicherten Betriebsarbeit des Klägers rechtlich von ausschlaggebender Bedeutung. Bei der nach seiner regulären Arbeitszeit ausgeübten Tätigkeit hätte der Kläger nach L ge des Falles allerdings unter Versicherungsschutz gestanden, wenn die seinem privaten Bereich zugehörige Arbeit wesentlich den Interessen des Betriebes gedient hätte. Dies trifft jedoch nach Ansicht des erkennenden Senats entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht zu.
Es ist zwar nicht zu verkennen, daß zwischen der unfallbringenden Arbeit des Klägers und dem Unternehmen der Fa. B. Beziehungen der Art. bestanden haben, wie sie in dem angefochtenen Urteil näher gekennzeichnet sind. So legte die Fa. B. nach den hierzu auf Grund der Zeugenaussage ihres Geschäftsführers getroffenen Feststellungen des LSG aus Werbungsgründen Wert auf handwerklich saubere Arbeiten auch bei deren Ausführung außerhalb der Betriebszeit, so daß sich der betreffende Arbeitnehmer auch hierbei eine Kontrolle seiner Leistungen gefallen lassen mußte; ferner duldete der Arbeitgeber solche Arbeiten nicht ungern im Interesse einmal der erstrebten Erhaltung und Verbesserung des sogenannten Betriebsklimas, zum anderen der stillschweigenden Anhaltung seiner Arbeitnehmer zur Treuewahrung gegenüber dem Unternehmen und schließlich auch zur Verhinderung betriebsstörender privater Betätigungen der Betriebsangehörigen während der regulären Arbeitszeit. Auf Grund dieser betrieblichen Beziehungen bejaht das LSG das für die Annahme des Versicherungsschutzes erforderliche Interesse des Unternehmens an der unfallbringenden Arbeit des Klägers, weil es ihnen zu Unrecht die Bedeutung rechtserheblicher ursächlicher Verknüpfungen beimißt. In Wirklichkeit handelt es sich hierbei lediglich um mittelbare Rückwirkungen der privaten Tätigkeit des Klägers auf betriebliche Belange des Unternehmens. Auf die Wahrung dieser vorstehend beschriebenen Belange war das Verhalten des Klägers nach Arbeitsschluß nicht gerichtet. Der Arbeitgeber mag private Betätigungen seiner Arbeitnehmer aus den angeführten Gründen begrüßt haben, es ist jedoch nicht ersichtlich, daß er durch besondere Maßnahmen auf ein solches Verhalten seiner Betriebsangehörigen etwa hingewirkt hätte. Das Tätigwerden von Betriebsangehörigen nach Feierabend in ihrem eigenen privaten Interesse diente daher weder der Förderung ihrer Berufsarbeit noch war es auf die Befolgung sonstiger betrieblicher Zwecke gerichtet. Unter diesen Umständen bestand zwischen der umstrittenen Arbeit des Klägers und seinem Beschäftigungsbetrieb nur ein loser Zusammenhang, der bei der Bewertung der Unfallursachen gegenüber dem mit der Herstellung der Fensterblenden verfolgten privaten Zweck nach der Auffassung des erkennenden Senats rechtlich nicht ausschlaggebend ins Gewicht fällt (vgl. RVA in AN 1920, 151, 154; Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl. Stand August 1960, S. 66 b Anm. II g bb). Anders verhält es sich auch nicht mit dem Gewinn der Fa. B. an dem Verkauf des Holzes und ihrem Verdienst an der mietweisen Überlassung der Fräsmaschine für die Herstellung der Fensterblenden Dadurch wurde ebenfalls nur ein rechtlich unerheblicher Zusammenhang der Tätigkeit des Klägers mit dem Unternehmen begründet.
Das Vorbringen des Klägers im Revisionsverfahren ist nicht geeignet, zu einer ihm günstigen Beurteilung der Rechtslage zu führen. Die Tatumstände, auf die er besonders hinweist, rechtfertigen nicht die Annahme, daß seine versicherte Beschäftigung im Unternehmen der Fa. B. auf die Anfertigung der Fensterblenden über die reguläre Arbeitszeit hinaus ausgedehnt worden sei. Der Kläger konnte sich einer Einmischung seiner Arbeitsvorgesetzten bei seiner privaten Betätigung ohne weiteres dadurch entziehen, daß er die Ausführung dieser Arbeit in der Werkstatt der Firma unterließ. Es hieße, sich mit einer lebensnahen Betrachtung des Geschehensablaufs in Widerspruch zu setzen, wenn man in dem Verhalten des Klägers wegen der Duldung von Anweisungen zu seiner Hilfe für eine in seinem privaten Interesse sachgerechte Anfertigung der Fensterblenden eine Eingliederung dieser Arbeit in seinen Beschäftigungsbetrieb sähe. Daran ändert nichts sein Hinweis auf die Betriebsgefahr, der er auch bei seiner Arbeit nach Schichtende ausgesetzt gewesen und erlegen sei. Da er nicht bei einer dem Betrieb wesentlich dienenden Tätigkeit verunglückt ist, scheidet bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung seines Unfalls der Gesichtspunkt der betrieblichen Gefahr bei der Benutzung einer Betriebseinrichtung aus. Ob die Rechtslage anders zu beurteilen wäre, wenn ein Arbeitnehmer mit Erlaubnis seines Arbeitgebers gelegentlich eine Betriebseinrichtung zu einem privaten Zweck während der Betriebszeit benutzt (vgl. RVA in Breith. Bd. 2 S. 88), kann auf sich beruhen, da dem vorliegenden Streitfall schon insofern ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt, als die private Arbeit nach Beendigung der Arbeitszeit geschah.
Der Kläger stand nach alledem im Zeitpunkt seines Unfalls nicht unter Versicherungsschutz. Ein Entschädigungsanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist deshalb unbegründet. Da die Revision der Beklagten somit Erfolg hatte, bedurfte es keiner Entscheidung über die Rügen der Beklagten, mit denen sie die aus den Bekundungen des Geschäftsführers der Fa. B, hergeleiteten Feststellungen des LSG angegriffen hat. Die Urteile der Vorinstanzen waren sonach aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen