Orientierungssatz
1. Zusammenkünfte, welche der Pflege der Verbundenheit nur der Arbeitnehmer eines Unternehmens untereinander dienen, reichen nicht aus, um die Teilnahme an ihnen einer betrieblichen Tätigkeit gleichzustellen. Eine der Pflege der Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Belegschaft dienende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung muß daher vom Unternehmer als solche gewollt sein (vergleiche BSG 1960-04-27 2 RU 146/57 = SozR Nr 25 zu § 542 RVO aF, BSG 1963-08-22 5 RKn 40/60 = SozR Nr 66 zu RVO § 542 aF und BSG 1975-12-10 8 RU 202/74 = SozR 2200 § 548 Nr 11).
2. Organisation und Aufgaben des Bundesbahnsozialwerks (vergleiche BSG 1967-08-22 2 RU 236/66 = SozR Nr 62 zu § 543 RVO aF) geben seinen Ortsstellen nicht die Befugnis, anstelle des Unternehmens Deutsche Bundesbahn für die Bediensteten eine Gemeinschaftsveranstaltung durchzuführen.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Mai 1976 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt aus Anlaß des tödlichen Unfalls ihres 34 Jahre alten Sohnes Wilfried H (H.) am 19. Mai 1973 Elternrente. H. war bei der Signalmeisterei B der Deutschen Bundesbahn als Weichenreiniger beschäftigt. Am 19. Mai 1973 (Sonnabend) hatte er dienstfrei. Er nahm an diesem Tag als einziger Angehöriger der Signalmeisterei B (137 Bedienstete) an einer vom Bundesbahnsozialwerk (BSW), Ortsstelle Ausbesserungswerk B, veranstalteten Sonderzugfahrt nach M teil. Insgesamt beteiligten sich an dieser Fahrt 458 Personen, von denen etwa je ein Drittel aktive Bedienstete der Deutschen Bundesbahn, Angehörige dieser Bediensteten und Pensionäre (Rentner) waren. Auf der Rückfahrt verließ H. den Zug um 22.34 Uhr auf dem Bahnhof B. Gegen 23.10 Uhr wurde H. im Bereich des Bahnhofs von einem anderen Zug überfahren. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 11. Oktober 1974 die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zwar werde angenommen, daß H. sich auf dem Bahnhof aufgehalten habe, um einen um 23.55 Uhr abfahrenden Zug für den Heimweg zu benutzen. Jedoch sei die Sonderzugfahrt keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gewesen. H. habe daher zur Zeit des Unfalls nicht unter Versicherungsschutz gestanden. Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts - SG - Stade vom 26. September 1975 und des Landessozialgerichts - LSG - Niedersachsen vom 18. Mai 1976). Das LSG hat ua ausgeführt: Eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung liege nur vor, wenn an der Veranstaltung alle Betriebsangehörigen oder größere Gruppen von ihnen teilnehmen sollten, wenn sie von der Autorität des Unternehmers oder seines Stellvertreters getragen werde und sich in einer Weise vollziehe, welche die betriebliche Gemeinschaft fördere. Im vorliegenden Fall habe es vor allem an einer von der Autorität des Unternehmers oder seines Stellvertreters getragenen Veranstaltung gefehlt. Die Sonderzugfahrt sei nicht von der Signalmeisterei B, der H. als Weichenreiniger angehört habe, sondern vom BSW, Ortsstelle Ausbesserungswerk B, veranstaltet worden. Das BSW sei aber kein Unternehmer, der als Veranstalter einer gemeinsamen Fahrt von Angehörigen eines Betriebes oder Betriebsteils angesehen werden könne. Obwohl das BSW ein Teil der Deutschen Bundesbahn sei, reiche dies nicht aus, um alle vom BSW veranstalteten Tagesausflugsfahrten als von der Autorität des Unternehmens Deutsche Bundesbahn getragen und damit als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung anzusehen. Mit Rücksicht auf die Größe des Unternehmens Deutsche Bundesbahn und die Zahl der beschäftigten Personen liege eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung im versicherungsrechtlichen Sinne nur vor, wenn sie im Zusammenhang mit der Personalvertretung von dem Leiter einer Beschäftigungsdienststelle veranstaltet werde, also von der Autorität des Vertreters des Unternehmers getragen werde. Daran habe es hier gefehlt. Leiter von Dienststellen der Deutschen Bundesbahn in Bremen oder deren Stellvertreter haben an dem Zustandekommen der Sonderzugfahrt des BSW nicht mitgewirkt. H. habe daher auf dem Weg nach Beendigung der Fahrt nicht unter Versicherungsschutz gestanden. Unter diesen Umständen bedürfe es keiner Prüfung und Entscheidung, ob auch die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung einer Elternrente gegeben seien.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Bei der Deutschen Bundesbahn, die etwa 400000 Bedienstete habe, seien Gemeinschaftsveranstaltungen mit Rücksicht auf den Dienstbetrieb rund um die Uhr nicht einmal für einzelne Betriebsteile möglich. Es könnten jeweils nur diejenigen an einer Gemeinschaftsveranstaltung teilnehmen, die an dem betreffenden Tag dienstfrei seien. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten seien auch Fahrten des BSW als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung anzusehen, sofern dadurch bewirkt werde, die Verbundenheit der Bediensteten untereinander zu fördern. Daher sei nicht zu fordern, daß ein Vertreter der Geschäftsführung der Deutschen Bundesbahn daran teilnehme. Die Deutsche Bundesbahn werde auf solchen Fahrten als Arbeitgeber mit genügender Deutlichkeit durch das BSW und die Bereitstellung von Mitteln zur Durchführung der Fahrt repräsentiert. Das LSG habe - von seinem Rechtsstandpunkt zu Recht - nicht festgestellt, welchem Zweck die Sonderzugfahrt nach Mölln gedient habe.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Mai 1976 und des Sozialgerichts Stade vom 26. September 1975 sowie den Bescheid vom 11. Oktober 1974 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Elternrente zu leisten,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Eine nach § 596 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu gewährende Elternrente setzt ua voraus, daß der Versicherte durch einen Arbeitsunfall gestorben ist (§ 589 Abs 1 Nr 3 RVO). Nach § 548 Abs 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO bezeichneten Tätigkeiten erleidet. Ein Unfall auf einem mit diesen Tätigkeiten zusammenhängenden Weg von und nach dem Ort der Tätigkeit gilt gemäß § 550 Abs 1 RVO ebenfalls als Arbeitsunfall.
Der Klägerin steht aus Anlaß des Todes ihres Sohnes keine Elternrente zu, weil dieser nicht auf einem mit seiner versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg verunglückt ist; die Teilnahme an der Sonderzugfahrt nach M stand in keinem inneren ursächlichen Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Weichenreiniger bei der Signalmeisterei B der Deutschen Bundesbahn. Zwar sind auch betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen der versicherten Tätigkeit zuzurechnen, jedoch fehlte es der Sonderzugfahrt an den Voraussetzungen für eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung ua nur dann der versicherten Betriebstätigkeit gleichzusetzen, wenn die Veranstaltung dazu bestimmt ist, die Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Belegschaft zu pflegen (BSGE 1, 179, 182; 17, 280, 281; SozR Nr 18 zu § 548 RVO). Zusammenkünfte, welche der Pflege der Verbundenheit nur der Arbeitnehmer eines Unternehmens untereinander dienen, reichen nicht aus, um die Teilnahme an ihnen einer betrieblichen Tätigkeit gleichzustellen (SozR Nrn 25 und 66 zu § 542 RVO aF; SozR 2200 § 548 Nr 11). Eine der Pflege der Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Belegschaft dienende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung muß daher vom Unternehmer als solche gewollt sein (SozR Nr 66 zu § 542 RVO aF; SozR 2200 § 548 Nr 11).
Aus dem Vorbringen der Revision und den Ausführungen des angefochtenen Urteils ergibt sich nicht, daß es sich bei der Sonderzugfahrt um eine derartige Veranstaltung gehandelt hat. Selbst wenn sie bezweckt haben sollte, wie die Revision meint, die Verbundenheit der Teilnehmer der Fahrt untereinander zu fördern, ist die Fahrt entsprechend der dargelegten Rechtsprechung nicht als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung anzusehen. Organisation und Aufgaben des BSW (vgl BSG SozR Nr 62 zu § 543 RVO aF) geben zudem der Ortsstelle Ausbesserungswerk Bremen des BSW nicht die Befugnis, anstelle des Unternehmens Deutsche Bundesbahn für die Bediensteten der Signalmeisterei Bremen, zu denen der Sohn der Klägerin gehörte, eine Gemeinschaftsveranstaltung durchzuführen.
Der erkennende Senat teilt nicht die Meinung der Revision, daß sich bei der Deutschen Bundesbahn betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen unter den von der Rechtsprechung dargelegten Voraussetzungen überhaupt nicht durchführen ließen. Was die Revision dazu vorträgt, betrifft nicht den Zweck einer Veranstaltung, der sie zur betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung macht, sondern die weiteren Voraussetzungen, daß nämlich die Veranstaltung für den ganzen Betrieb vorgesehen und von der Betriebsleitung zumindest gebilligt und gefördert sein muß. Die Rechtsprechung hat jedoch bereits berücksichtigt, daß die Größe oder die Erfordernisse eines Betriebes eine Veranstaltung für den ganzen Betrieb möglicherweise nicht zulassen, insbesondere wenn es sich um ein Versorgungsunternehmen handelt (BSGE 1, 179). In solchen Fällen genießen Unfallversicherungsschutz auch Veranstaltungen von Abteilungen und Gruppen des Gesamtbetriebes, sofern nur diese Veranstaltungen die Pflege der Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Belegschaft bezwecken (BSGE 1, 179, 183; 17, 280, 281). Eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung kleinerer Abteilungen oder Gruppen eines Betriebes kann zudem auch im Rahmen einer größeren Veranstaltung stattfinden (BSGE 8, 170). So hätte beispielsweise eine von der Signalmeisterei B geplante Teilnahme der dienstfreien Beschäftigten dieser Dienststelle an der Sonderzugfahrt nach M eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung sein können, sofern sie etwa von der Autorität des Leiters dieser Dienststelle getragen worden wäre. Die Revision hat nicht vorgetragen und es ist aus den beigezogenen sozialgerichtlichen Akten auch nicht ersichtlich, daß die Beschäftigungsdienststelle des Verstorbenen eine gemeinsame Teilnahme zumindest der an diesem Tag dienstfreien Bediensteten geplant hatte. Der Sohn der Klägerin war - soweit bekannt - der einzige der Signalmeisterei B, der an der Sonderzugfahrt teilgenommen hat.
Die Revision der Klägerin mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen