Leitsatz (amtlich)

Das Recht, nach SGG § 109 die Anhörung eines bestimmten Arztes zu verlangen, ist bei der gerichtlichen Nachprüfung eines die Neufeststellung einer Leistung nach RVO § 627 ablehnenden Bescheides nicht schlechthin ausgeschlossen.

 

Normenkette

SGG § 109 Fassung: 1953-09-03; RVO § 627 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 16. Juli 1970 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der Ehemann der Klägerin, O L (L.), starb am 30. November 1959 im Alter von 48 Jahren. Er war als Laborhelfer und Laborant am B-Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten in H tätig gewesen. Dort war er in der Zeit von 1947 bis 1954 nacheinander an Fleckfieber, Balkangrippe (Q-Fieber) und Kenia-Fieber erkrankt. Der beklagte Versicherungsträger hatte diese Krankheiten als Berufskrankheiten anerkannt, jedoch keine Verletztenrente gewährt. Die Klägerin sieht in den Auswirkungen dieser Erkrankungen die Ursache für den Tod ihres Ehemannes. Die Beklagte lehnte jedoch durch Bescheid vom 26. Juli 1960 eine Entschädigung der Hinterbliebenen mit der Begründung am, L. sei an einer Herzlähmung bei frischer Coronarthrombose gestorben; es bestehe auf Grund der Sektion kein Anlaß zu der Annahme, daß der Tod Folge einer Berufserkrankung sei. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen war erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) Hamburg vom 21. Februar 1963 durch Urteil vom 12. November 1965 mit der Begründung zurückgewiesen, nach den Darlegungen der Gutachter sei bei Berücksichtigung aller medizinisch-wissenschaftlichen Forschungsergebnisse der Herzinfarkt, den L. erlitten habe, allein die Folge einer Coronarsklerose, auf deren Entstehung und Fortentwicklung die früheren Berufskrankheiten wahrscheinlich keinen Einfluß gehabt hätten. Das Urteil ist durch Rücknahme der Revision rechtskräftig geworden.

Am 29. Juli 1968 überreichte die Klägerin der Beklagten ein Gutachten von Prof. Dr. K (Pathologisches Institut der Universität H) und beantragt erneut Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV). Der Gutachter, der die nach der Sektion archivierten Präparate nochmals untersucht hatte, führte aus: Eine frische Coronarthrombose sei nicht nachzuweisen; die bisherigen Gutachten und Urteile seien daher von falschen Voraussetzungen ausgegangen. L. sei an einem akuten Herzversagen bei vorbestehendem infektiös bedingten Herzmuskelschaden gestorben. Der ursächliche Zusammenhang zwischen anerkannten Berufskrankheiten und Tod sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bejahen. Prof. Dr. F der das Sektionsprotokoll unterzeichnet hatte, erklärte auf Befragen der Beklagten, sich der Beurteilung von Prof. Dr. K nicht anschließen zu können. Auch der von der Beklagten noch gutachtlich gehörte Facharzt für innere Krankheiten Dr. Sch kam zu dem Ergebnis, der Auffassung von Prof. Dr. K könne nicht gefolgt werden.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 1968 lehnte die Beklagte eine Neufeststellung nach § 627 RVO ab. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit der Begründung zurückgewiesen, auf Grund der Stellungsnahmen der gehörten Ärzte sei die gesetzlich erforderte Überzeugung von der Unrechtmäßigkeit der früheren Leistungsversagung nicht zu erlangen.

Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin Aufhebung der Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Hinterbliebenenleistungen beantragt. Das SG hat den Leitenden Medizinaldirektor Dr. H als Sachverständigen darüber gehört, ob Prof. Dr. K bei Erstellung seines Gutachtens neue Befunde erhoben habe und ob das Verbleiben der Beklagten bei ihrem medizinischen Standpunkt angesichts dieses Gutachtens ärztlicherseits offensichtlich unbegründet sei. Das SG hat die Klage als unbegründet abgewiesen, weil die Beklagte nach der Stellungnahme ihrer Gutachter nicht von der Unrichtigkeit ihres früheren Bescheides überzeugt zu sein brauche. Auch Dr. H habe bestätigt, daß die Beurteilung von Prof. Dr. K zwar in sich logisch sei, aber nur eine andere wissenschaftliche Deutung eines seiner Natur nach mehrdeutigen Befundes darstelle. Der von der Klägerin vorgeschlagenen Einholung eines weiteren fachpathologischen Gutachtens von Prof. Dr. H habe es daher nicht mehr bedurft.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin zusätzlich hilfsweise beantragt, die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheides zu verurteilen, Sie hat auch den Antrag, ein Gutachten von Prof. Dr. H beim Pathologischen Institut der Universität M einzuholen, wiederholt. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Es hält die auf Gewährung der Hinterbliebenenleistungen gerichtete Klage nach § 141 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für unzulässig, weil sie einen Streitgegenstand betreffe, über den bereits rechtskräftig entschieden sei; Wiederaufnahmegründe seien nicht geltend gemacht worden. Durch einen späteren - mit dem Urteil in Tatbestand und Rechtsfolgen übereinstimmenden - Bescheid des Versicherungsträgers werde die Rechtskraft des Urteils auch dann nicht beseitigt, wenn die Verwaltung darin erneut sachlich zu dem Anspruch Stellung nehme.

Die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage hält das LSG für zulässig, weil sie einen anderen Streitgegenstand betreffe als das frühere Urteil, jedoch für unbegründet. Das Gericht habe nur zu prüfen, ob die Beklagte mit ihrer Weigerung die gesetzlichen Grundlagen ihres Ermessens überschreite oder den Zweck ihrer Ermessensfreiheit verfehle, indem sie die Neufeststellung nach § 627 RVO ablehne, obgleich sie sich über die Berechtigung des Anspruchs im klaren sei. Es komme nicht darauf an, ob die Beklagte zu der Frage, ob L. an den Folgen seiner Berufskrankheiten verstorben sei, eine falsche Auffassung vertrete; diese Frage sei nur für den Leistungsanspruch von Bedeutung, über den bereits rechtskräftig entschieden sei. Für die Widerrufsklage nach § 627 der Reichsversicherungsordnung (RVO) komme es nur auf das Verhalten der Beklagten vor und bei Erlaß ihres Bescheides, nicht auf das Ergebnis ihrer Entscheidung an. Die Klägerin trage keine Gründe vor, die die Annahme nahelegten, die Beklagte halte ihre Ansprüche im Grunde für berechtigt. Es lägen auch keine Gründe vor, die Redlichkeit der Beklagten in Zweifel zu ziehen, Im übrigen decke das überreichte Gutachten auch keine grundsätzlich neuen Tatsachen auf, die allen früheren Gutachten den Boden entzögen; es bereichere die medizinische Diskussion lediglich um einige bisher noch nicht erörterte Möglichkeiten. Einen eindeutigen Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs habe Prof. Dr. K nicht führen können. Das LSG hat die Revision zugelassen, weil es der nicht einheitlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht in allen Punkten gefolgt sei.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 627 RVO sowie der §§ 54 Abs. 1, 109, 112 Abs. 2 SGG. Aus dem Berufungsantrag ergebe sich bei richtiger Auslegung, daß schon mit dem Hauptantrag nur die Verurteilung zum Erlaß eines Neufeststellungsbescheides erstrebt worden sei; zumindest hätte das LSG einen solchen sachdienlichen Antrag veranlassen müssen. Bei der Entscheidung über den Hilfsantrag habe das LSG seine ihm im Rahmen des § 627 RVO obliegende Pflicht verletzt, den Sachverhalt an Hand des neuen Materials vollständig aufzuklären, um die Rechtsanwendung der Verwaltung zu kontrollieren.

Es sei nicht auszuschließen, daß das LSG dem Antrag, ein fachpathologisches Obergutachten einzuholen - wie es auch Dr. H dem Gericht anheimgestellt habe -, deshalb nicht entsprochen habe, weil es auf Grund seines Rechtsirrtums angenommen habe, zur weiteren Sachaufklärung nicht verpflichtet zu sein. Hierin liege auch eine Verletzung des § 109 SGG, da der zu hörende Arzt namentlich und mit Anschrift bezeichnet worden sei.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 16.7.1970 aufzuheben.

2.

a) unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 19.1.1970 den Bescheid der Beklagten vom 1. 10. 1968 und ihren Widerspruchsbescheid vom 29. 10. 1968 aufzuheben

und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin einen Bescheid über die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach ihrem am 30. 11. 1959 verstorbenen Ehemann zu erteilen,

hilfsweise:

die Beklagte für verpflichtet zu erklären, der Klägerin einen neuen Bescheid zu erteilen;

b) die Sache zur erneuten mündlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und die vorgebrachten Revisionsgründe für nicht stichhaltig. Es sei zu berücksichtigen, daß bereits in dem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren zwei Gutachten nach § 109 SGG eingeholt worden seien. Daß sie - Beklagte - sich nicht von der Unrichtigkeit ihrer früheren Entscheidung habe überzeugen können, ergebe sich aus der Stellungnahme des vom SG gehörten Sachverständigen Dr. H.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündlich Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden.

II

Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Nachdem die Klägerin durch ihr Vorbringen in der Revisionsbegründung und die entsprechende Neuformulierung des Revisionsantrags klargestellt hat, daß sie im vorliegenden Verfahren nicht die Verurteilung zur Leistung, sondern nur die Verpflichtung zur Erteilung eines neuen Bescheides begehrt, kommt es auf die Ausführungen des LSG zur Unzulässigkeit der Leistungsklage nicht mehr an. Die Klägerin ist insoweit nicht beschwert, weil das LSG auch über die hilfsweise geltend gemachte Verpflichtungsklage sachlich entschieden hat und die Zurückweisung der Berufung sich auch aus dieser Entscheidung ergibt. Im übrigen hatte das Gericht auch keinen Anlaß zu der Annahme, mit dem weitergehenden Hauptantrag solle nur das gleiche erstrebt werden wie mit dem noch besonders gestellten Hilfsantrag, der sich dann ja erübrigt hätte. Einer Prüfung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Erteilung sogenannter Zweitbescheide den Rechtsweg neu eröffnet, bedurfte es im vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil die Beklagte keinen den Leistungsanspruch erneut verneinenden Zweitbescheid erlassen, sondern es abgelehnt hat, die Leistung nach § 627 RVO neu festzustellen.

Bei der Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag auf Erteilung eines neuen Bescheides nach § 627 RVO ist das LSG von einer zu engen Auslegung dieser Vorschrift ausgegangen; es will die Verpflichtung des Versicherungsträgers zur Neufeststellung einer bindend abgelehnten Leistung davon abhängig machen, daß er tatsächlich von der Unrechtmäßigkeit seiner früheren Entscheidung überzeugt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist der tatsächlichen Überzeugung der Fall gleichzustellen, in dem die Unrechtmäßigkeit so offensichtlich ist, daß der Versicherungsträger sie bei erneuter Prüfung hätte erkennen müssen (BSG 19,38; 19, 164, 168; SozR Nr. 1 zu § 93 RKG; SozR Nr. 12 zu § 133 RVO). Bei diesem "Erkennenmüssen" handelt es sich nicht etwa, wie das LSG meint, um die Vermutung, die Ablehnungsgründe des Versicherungsträgers seien nur vorgeschützt, er sei in Wirklichkeit von der Unrechtmäßigkeit des früheren Bescheides überzeugt, vielmehr hat der Versicherungsträger als "überzeugt" zu gelten, wenn sich aus objektiven Merkmalen eine "gewisse Evidenz der Unrichtigkeit" seiner früheren Entscheidung ergibt (BSG 19, 43). Im Gegensatz zur Auffassung des LSG ist also nicht nur das Verhalten des Versicherungsträgers vor und bei Erlaß des Überprüfungsbescheides, sondern auch das inhaltliche Ergebnis dieser Entscheidung gerichtlich nachprüfbar. Demgemäß ist die gegen einen solchen Bescheid gerichtete Aufhebungs- und Verpflichtungsklage nicht - wie das LSG meint - darauf beschränkt, die Unredlichkeit des Versicherungsträgers darzulegen; es genügt vielmehr ein Vorbringen, das geeignet ist, die frühere Entscheidung als so offensichtlich unrichtig auszuweisen, daß ein Festhalten daran keinesfalls mehr vertretbar erscheint. In diesem Umfang - allerdings auch nur in diesem Umfang - unterliegt die Überprüfungsentscheidung des Versicherungsträgers inhaltlich der gerichtlichen Nachprüfung. Im Rahmen dieser Nachprüfung bedarf es dann aber auch einer vollständigen Sachaufklärung durch das Gericht (BSG 19, 164, 168; SozR Nr. 1 zu § 93 RKG; Urteil des erkennenden Senats vom 30. Juni 1970 - 7/2 RU 195/68 -).

Im vorliegenden Fall hat das LSG - seiner Rechtsauffassung entsprechend - seine Entscheidung im wesentlichen darauf gestützt, daß die Beklagte das Vorbringen der Klägerin pflichtgemäß geprüft habe und daß keine Gründe vorlägen, ihre Redlichkeit in Zweifel zu ziehen. Diese rein auf das subjektive Moment abstellende Begründung des LSG reicht, wie vorstehend dargelegt, bei richtiger Auslegung des § 627 RVO nicht aus. Es ist nicht klar erkennbar, ob seine anschließenden Ausführungen, die mit den Worten "Das Gutachten deckt im übrigen ..." beginnen, als tragende Entscheidungsgründe im Sinne einer auf tatsächlichen Feststellungen beruhenden Hilfsbegründung oder nur als zusätzliche Bemerkungen (obiter dicta) anzusehen sind. Für seine dort geäußerte Ansicht, daß nämlich das von der Klägerin vorgelegte Gutachten keine grundsätzlich neuen Tatsachen aufdecke, sondern lediglich die medizinische Diskussion um einige bisher noch nicht erörterte Möglichkeiten bereichere, und daß der Gutachter auch keinen eindeutigen Nachweis dafür habe führen können, daß L. an einer berufskrankheitsbedingten Herzmuskel- und Gefäßerkrankung verstorben sei, gibt das LSG nämlich keine weitere Begründung und geht insbesondere nicht auf die von der Beklagten und vom SG hierzu erhobenen Beweise ein. Schließt man hieraus, daß es sich nur um zusätzliche Bemerkungen handelt, so fehlt es an tatsächlichen Feststellungen dafür, daß die Beklagte nicht etwa auf Grund des vorliegenden Sachverhalts als "überzeugt" zu gelten habe. Da dem Revisionsgericht selbst die Würdigung der genannten Beweise verwehrt ist, müßte daher der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden. Zum gleichen Ergebnis kommt man aber auch dann, wenn man davon ausgeht, das LSG habe mit diesen Ausführungen eine zusätzliche, der Rechtsprechung des BSG entsprechende Hilfsbegründung gegeben, weil die Entscheidung dann auf einem mit der Revision gerügten Verfahrensmangel, nämlich einer Verletzung des § 109 SGG, beruht.

Der in der Berufungsbegründung der Klägerin vom 30. April 1970 gestellte Antrag, ein weiteres fachpathologisches Gutachten von Prof. Dr. W. H, 355 M, Pathologisches Institut der Universität, einzuholen, um die offensichtliche Unbegründetheit der Ablehnung durch die Beklagte zu bestätigen, erfüllt die Voraussetzungen eines Antrages nach § 109 SGG, ohne daß es der besonderen Anführung dieser Vorschrift oder der Erklärung bedurfte, zu einem Kostenvorschuß bereit zu sein (BSG SozR Nr. 26 zu § 109 SGG). Es handelt sich bei § 109 SGG um eine zwingende Verfahrensvorschrift, die aus rechtsstaatlichen Gründen erlassen ist und der Gleichbehandlung der Beteiligten vor Gericht bei der Beschaffung von Beweismitteln dient (BSG 2, 255). Das Recht des Versicherten oder Hinterbliebenen, die Anhörung eines bestimmten Arztes, dem er Vertrauen schenkt, zu verlangen, muß daher grundsätzlich auch für die gerichtliche Nachprüfung eines nach § 627 RVO ergangenen Überprüfungsbescheides gelten, allerdings nur insoweit, als es dabei auf eine medizinische Beurteilung überhaupt ankommt (vgl. BSG 29, 278, 281 ff zu § 40 Abs. 1 VerwVG). Einem Antrag nach § 109 SGG braucht daher nicht entsprochen zu werden, wenn nach der Überzeugung des Gerichts schon der Versicherungsträger den Überprüfungsantrag ohne neue medizinische Aufklärung ablehnen durfte, weil etwa das Vorbringen des Antragstellers im Sinne des § 627 RVO nicht schlüssig oder völlig unsubstantiiert war. Bedurfte aber der Versicherungsträger zur pflichtgemäßen Überprüfung seines früheren Bescheides einer ärztlichen Beurteilung oder bedarf ihrer das Gericht, um die neue Entscheidung des Versicherungsträgers zu überprüfen, so kann dem Kläger sein in § 109 SGG verbrieftes Recht, daß auch der Arzt seines Vertrauens hierzu gehört wird, nicht verweigert werden. Ziel des Beweisantrags kann dabei allerdings nur sein, das Gericht davon zu überzeugen, daß die zur Ablehnung des Anspruchs führenden früheren medizinischen Beurteilungen im Ergebnis unhaltbar sind und demgemäß das Festhalten der Beklagten an ihrer früheren Entscheidung nicht mehr vertretbar ist. Es ist Sache des Antragstellers, die Erfolgsaussichten eines derart beschränkten Antrags und das damit verbundene Kostenrisiko abzuwägen; das Gericht darf insoweit eine Würdigung des Ergebnisses nicht vorwegnehmen. Der Umstand, daß bereits im ursprünglichen Verfahren ein Gutachten nach § 109 SGG eingeholt worden ist, steht der Anwendung der Vorschrift im Überprüfungsverfahren nicht entgegen, weil es sich hier um ein auf ein anderes Ziel gerichtetes Verfahren und um ein anderes Beweisthema handelt.

Bei der Prüfung der Frage, ob hiernach im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für einen Antrag nach § 109 SGG gegeben sind, ist von der Auslegung des § 627 RVO auszugehen, die der - möglicherweise als solche aufzufassenden - Hilfsbegründung des LSG zu Grunde liegt. Diese Begründung kann aber, wenn das LSG das auch nicht besonders ausgesprochen hat, nur das Ergebnis einer medizinischen Beweiswürdigung sein. Das folgt schon daraus, daß im Überprüfungsverfahren auch die von Prof. Dr. K vorgenommenen neuen Schnitte durch die archivierten Präparate zu beurteilen waren. Selbst wenn man der Begründung entnehmen wollte, das von der Klägerin vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. K sei im Sinne des § 627 RVO nicht schlüssig, so wäre auch diese Erkenntnis nur auf Grund ärztlicher Beurteilung möglich. Kam es hiernach also für die Entscheidung doch auf eine ärztliche Beurteilung an, so war auch im Rahmen des § 627 RVO die besondere Beweisvorschrift des § 109 SGG anzuwenden; die Klägerin kann verlangen, daß zu dem - allerdings eingeschränkten - medizinischen Beweisthema auch der von ihr benannte Arzt gehört wird. Da das LSG sich erkennbar mit diesem Antrag überhaupt nicht befaßt hat, ist § 109 SGG verletzt. Auch unter Berücksichtigung der vom LSG - möglicherweise - hilfsweise gegebenen Begründung seines Urteils ist daher das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Verwendung des Ausdrucks "eindeutiger Nachweis" in der Hilfsbegründung des LSG könnte noch Anlaß zu folgender Bemerkung bieten: Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung wird für den Zusammenhang zwischen Unfall und Tod eine absolute Sicherheit nicht verlangt; es ist vielmehr als genügend anzusehen, daß bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen die dagegen sprechenden so stark überwiegen, daß eine richterliche Überzeugung darauf gegründet werden kann (BSG, SozR Nr. 15 zu § 128 SGG und Nr. 20 zu § 542 aF RVO). Ein den Zusammenhang verneinender ablehnender Bescheid ist also schon dann objektiv unrichtig, wenn eine in diesem Sinne überwiegende Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs vorliegt. Das gilt auch im Rahmen der Überprüfung nach § 627 RVO. Würde sich also im vorliegenden Falle das Gutachten von Prof. Dr. K als "zur Überzeugung zwingend" erweisen, so wäre es im Sinne der Klage unschädlich, daß es den Zusammenhang nicht mit absoluter Sicherheit, sondern nur mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" bejaht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669060

NJW 1972, 360

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