Leitsatz (amtlich)

Leistungen der Mutterschaftshilfe setzen voraus, daß die Empfängerin zum Zeitpunkt der Leistung Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung oder daß sie als Familienangehörige eines Versicherten nach RVO § 205a berechtigt ist.

 

Orientierungssatz

Die Leistungen der Mutterschaftshilfe gehen nicht auf einen einheitlichen Versicherungsfall der Schwangerschaft zurück.

 

Normenkette

RVO § 196 Abs 1 S 1 Fassung: 1967-12-21, § 198 S 1 Fassung: 1967-12-21, § 199 Abs 1 S 1 Fassung: 1967-12-21, § 200 Abs 1 S 1 Fassung: 1976-12-28, § 200b Abs 1 S 1 Fassung: 1967-12-21, § 205a Fassung: 1967-12-21, § 200a Abs 1 S 1 Fassung: 1967-12-21, § 195 Fassung: 1967-12-21

 

Verfahrensgang

SG Koblenz (Entscheidung vom 19.04.1978; Aktenzeichen S 2 K 73/77)

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Mutterschaftsleistungen.

Die Klägerin erbrachte Mutterschaftsleistungen für H (H.) im Zusammenhang mit einer Entbindung am 3. April 1977. Frau H. war nach den Feststellungen des Sozialgerichts (SG) zumindest bis zum 30. November 1976 bei der Beklagten zu 1) pflichtversichert; ob nach diesem Zeitpunkt ein Versicherungsverhältnis bestanden hat, hat das SG nicht festgestellt. Die Klägerin war als Trägerin der Sozialhilfe mit den Leistungen eingetreten, weil sowohl die Beklagte zu 1) als auch die Beklagte zu 2) sich für nicht leistungspflichtig gehalten hatten. Die Beklagte zu 1) vertrat die Auffassung, daß die Mitgliedschaft der Frau H. bei ihr am 30. November 1976 geendet habe; da die Leistungen der Mutterschaftshilfe nur an Versicherte zu gewähren seien, sei sie nicht zuständig. Die Beklagte zu 2) war der Ansicht, daß die Beklagte zu 1) leisten müsse, weil die Schwangerschaft der Frau H. zur Zeit ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten zu 1) eingetreten sei. Im Wege der Familienhilfe aus dem Versicherungsverhältnis des Vaters der Frau H. müsse sie keine Leistungen erbringen, weil diese ihrem Vater gegenüber nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei. Nachdem die Klägerin Mutterschaftsleistungen für Frau H. erbracht hatte, fordert sie von den beiden beklagten Krankenkassen Ersatz. Diese lehnten den Anspruch ab.

Mit den Klagen vor dem SG hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das SG Koblenz hat die Beklagte zu 1) verurteilt, "die an Frau H. gezahlten Leistungen anläßlich der Entbindung vom 3. April 1977 der Klägerin im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erstatten". Es hat weiterhin die Klage gegen die Beklagte zu 2) abgewiesen und die Sprungrevision gegen das Urteil zugelassen. Das SG hat die Auffassung vertreten, es gäbe einen Versicherungsfall der Schwangerschaft, und dieser Versicherungsfall sei während der Zeit der Mitgliedschaft der Frau H. bei der Beklagten zu 1) eingetreten. Alle Leistungen aufgrund der Schwangerschaft gingen auf einen einheitlichen Leistungsfall zurück, für den die Beklagte zu 1) aufgrund der früheren Mitgliedschaft der Frau H. aufkommen müsse.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten zu 1), der die Klägerin zugestimmt hat. Sie hält die §§ 196, 197 und 199 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für verletzt. Die Beklagte zu 1) weist darauf hin, daß nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. April 1971 - 3 RK 3/71 - (BSGE 32, 270) davon auszugehen sei, daß für die Leistung "Mutterschaftsgeld" der Versicherungsfall das Einsetzen der Phase der besonderen Schutzbedürftigkeit der werdenden Mutter sei. Schon daraus folge die Unrichtigkeit der Auffassung des SG, das für sämtliche Leistungen der Mutterschaftshilfe nur einen einheitlichen Versicherungsfall annehme. Im Falle der Schwangerschaft könne es zu unterschiedlichen Leistungen der Krankenkasse kommen, für die jeweils ein besonderer Versicherungsfall anzunehmen sei. Die Leistungsberechtigung der Schwangeren hänge in jedem dieser Fälle davon ab, daß ihre Mitgliedschaft bestehe. Bei Frau H. fehle es daran, und deshalb stehe der Klägerin kein Ersatzanspruch zu.

Die Beklagte zu 1) beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 19. April 1978 - Az.: S 2 Kr 73/77 - aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 19. April 1978 aufzuheben und die Klage gegen die Beklagte zu 1) abzuweisen,

im übrigen den Rechtsstreit an das Sozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beklagte zu 2) stellt keinen Antrag. Sie vertritt die Auffassung, daß alle Leistungen während der Schwangerschaft auf einen einheitlichen Versicherungsfall zurückgingen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten zu 1) ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG.

Das angefochtene Urteil geht von der Feststellung aus, die Klägerin habe für Frau H. für Mutterschaftshilfe 3.130,07 DM ausgelegt. Diese Feststellung wird von der Beklagten zu 1) in der Revisionsschrift insofern angefochten, als sie den Betrag der Aufwendungen auf 3.086,48 DM beziffert. Weder das angefochtene Urteil noch die Revisionsschrift enthalten jedoch Angaben darüber, wie dieser Betrag ermittelt ist. Es ist für den erkennenden Senat nicht ersichtlich, welche einzelnen Zahlungen von der Klägerin getätigt worden sind, insbesondere ob es sich dabei um Ausgaben für Sachleistungen oder Dienstleistungen oder ob es sich um Barleistungen handelt, sowie aus welchem Anlaß und zu welchem Zeitpunkt die einzelnen Leistungen erbracht worden sind. Ohne Kenntnis dieser Tatsachen ist aber weder eine Prüfung der Rüge der Beklagten zu 1) möglich noch kann die rechtliche Nachprüfung des sozialgerichtlichen Urteils ohne Feststellung dieser Tatsachen erfolgen. Erst wenn diese Tatsachen ermittelt sind, läßt sich im einzelnen erkennen, ob die Beklagte zu 1) zur Leistung verpflichtet gewesen wäre und daher der Ersatzanspruch der Klägerin begründet ist. Hinzu kommt, daß das Urteil auch Widersprüche zwischen dem Entscheidungstenor und dem Urteilsinhalt aufweist. Nach dem Wortlaut des Urteilstenors wird die Beklagte zu 1) der Klägerin gegenüber zur Erstattung verurteilt für "die an Frau H. ... anläßlich der Entbindung vom 3.4.1977 gezahlten Leistungen". Aus dieser Urteilsformel müßte entnommen werden, daß die Klägerin an Frau H. Zahlungen geleistet hat und daß die Beklagte zu 1) diese Zahlungen nunmehr ihrerseits ausgleichen soll. Die Verpflichtung der Beklagten zu 1) müßte sich also auf Barleistungen beziehen, die der klagende Sozialhilfeträger erbracht hat. Um Sachleistungen könnte es sich nicht handeln, weil sowohl die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl § 182 Abs 1 Nr 1 RVO) als auch die Sozialhilfeträger (vgl § 37 Abs 2, § 38 Abs 2 BSHG) derartige Leistungen nicht im Wege der Kostenerstattung, dh durch Zahlungen entsprechender Geldbeträge an den Empfänger, erbringen. Andererseits leitet aber das Urteil die Leistungspflicht der Beklagten zu 1) nicht zuletzt aus einem von ihr "im September 1977" ausgestellten Mutterschaftsvorsorgeschein ab. Abgesehen davon, daß sich kein rechtlicher Zusammenhang zwischen einem im September 1977 ausgestellten Mutterschaftsvorsorgeschein und Vorsorgeleistungen für eine bereits im April 1977 stattgefundene Geburt ersehen läßt, bliebe das Urteil selbst dann widersprüchlich, wenn man annähme, daß der Mutterschaftsvorsorgeschein bereits im September 1976 ausgestellt worden sei, denn der Mutterschaftsvorsorgeschein berechtigt lediglich zur Empfangnahme ärztlicher Vorsorgemaßnahmen und dient deren Abrechnung. Er kann sich mithin also nur auf die Gewährung von Sachleistungen und Dienstleistungen beziehen.

Das SG wird zunächst einmal festzustellen haben, welche Leistungen im einzelnen für Frau H. erbracht worden sind und zu welchem Zeitpunkt das geschehen ist. Sollte es sich dabei um Leistungen gehandelt haben, die anläßlich der Entbindung erbracht worden sind, wie zB die Zahlung eines Pauschbetrages nach § 198 RVO, so könnte als maßgebender Zeitpunkt des Leistungsfalles lediglich der Termin der Entbindung angenommen werden; die Auffassung des Sozialgerichts, daß Leistungen, die durch eine einmal eingetretene Schwangerschaft erforderlich werden, auf einen einheitlichen Leistungsfall zurückzuführen seien, - den Beginn der Schwangerschaft -, findet im Gesetz keine Stütze. Soweit es sich um den Anspruch auf Mutterschaftsgeld handelt, hat der Senat bereits in dem Urteil vom 29. April 1971 (aaO) dargelegt, daß das Einsetzen der Phase der besonderen Schutzbedürftigkeit der werdenden Mutter, das mit dem Beginn des Mutterschaftsgeldes zusammenfällt, den maßgebenden Zeitpunkt darstellt. Der Senat sieht keine Veranlassung, von den Grundsätzen dieser Entscheidung abzuweichen.

Aber selbst wenn der streitige Ersatzanspruch darauf zurückginge, daß die Klägerin für Frau H. Sachleistungen erbracht hätte, vermag die Rechtsauffassung des SG nicht zu tragen. Die Leistungen der Mutterschaftshilfe setzen voraus, daß der Berechtigte "Versicherter" ist; das folgt bereits aus dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschriften (§ 196 Abs 1 Satz 1, § 198 Satz 1, § 199 Abs 1 Satz 1, § 200 Abs 1 Satz 1, § 200a Abs 1 Satz 1, § 200b Abs 1 Satz 1 RVO). Demzufolge konnte der Frau H. ein Anspruch auf Mutterschaftsleistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung nur zustehen, solange sie selbst Mitglied der Versicherung war oder als Familienangehörige eines Versicherten nach § 205a RVO berechtigt war. Da die Mutterschaftshilfe eine ganze Anzahl verschiedenartiger Leistungen umfaßt, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten erbracht werden können, muß zum Zeitpunkt des jeweiligen Leistungsfalles die vom Gesetz geforderte Versicherteneigenschaft erfüllt sein. Es widerspräche der normativen Voraussetzung, wenn die Tatsache, lediglich zu Beginn der Schwangerschaft versichert zu sein, bereits genügte, um alle späteren Mutterschaftsleistungen zu begründen. Auch aus der Regelung des § 183 Abs 1 Satz 2 RVO läßt sich die Entscheidung des Sozialgerichts nicht begründen, denn der durch diese Vorschrift gegebene nachgehende Anspruch beschränkt sich auf Leistungen der Krankenpflege (vgl § 182 Abs 1 Nr 1 RVO) und gilt nicht für Leistungen der Mutterschaftshilfe.

Nachdem das SG die Einzelheiten der erbrachten Leistungen ermittelt hat, wird es weiter festzustellen haben, ob Frau H. im Zeitpunkt der jeweiligen Leistung entweder selbst Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung war oder ob ihr möglicherweise nachgehende Ansprüche nach § 214 Abs 1 RVO zugestanden haben könnten oder ob schließlich für sie im Wege der Familienhilfe Mutterschaftsleistungen zu gewähren gewesen wären. Nur wenn derartige Voraussetzungen erfüllt sind, kann der Klägerin ein Ersatzanspruch für die von ihr erbrachten Leistungen zustehen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1657111

BSGE, 240

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