Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Ausgleichsanspruches
Leitsatz (redaktionell)
Der Regelfall des BVG § 81b ist, einen nachträglichen Leistungsausgleich zu ermöglichen, wenn die Zuständigkeit des Leistungsträgers zunächst unklar war.
Ist dagegen die Rechtslage klar und werden erst nach etwa 14 Jahren für einen länger zurückliegenden Zeitraum Ersatzleistungen gefordert, die auf einem von Anfang an eindeutig gesetzwidrigen Verwaltungshandeln beruhen (das Versorgungsamt, dem hier die Unfallakten vorlagen, hat trotz der Leistungspflicht der BG Versorgung in voller Höhe gewährt), so ist ein Ausgleichsanspruch nicht gerechtfertigt.
Normenkette
BVG § 81b
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. Januar 1970 wird zurückgewiesen.
Gründe
I
Der bei dem Hanseatischen Bewachungsinstitut in H als Wachmann beschäftigte B G (G.) hatte am 11. Mai 1941 den Seefliegerhorst T zu bewachen. An diesem Tag wurden die Flugzeughallen durch Brandbomben getroffen. Das gesamte zur Verfügung stehende Personal wurde zum Löschen des Brandes eingesetzt. Während der Löscharbeiten wurde G. durch Sprengbomben am rechten Unterschenkel verletzt.
Die Genossenschaft für reichsgesetzliche Unfallversicherung (nunmehr Verwaltungs-Berufsgenossenschaft - BG -) bewilligte G. wegen dieser Verletzungsfolgen durch Bescheid vom 23. Januar 1942 zunächst die Vollrente und vom 16. Dezember 1941 an Verletztenrente von 30 v.H. der Vollrente. Aus demselben Grund gewährte ihm das Versorgungsamt Flensburg durch Bescheid vom 21. März 1942 Leistungen aufgrund der Personenschadenverordnung vom 10. November 1940. Diese Leistungen stellte es mit Ablauf des Monats November 1943 ein, weil G. sich wiederholt geweigert hatte, zur angeordneten ärztlichen Untersuchung zu erscheinen, und auf weitere Geldleistungen verzichtet hatte.
Im Jahre 1949 beantragte G. Kriegsbeschädigtenrente nach der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27. Die - damals zuständige - Landesversicherungsanstalt (LVA) Schleswig-Holstein, Außenstelle Flensburg, sah im Bescheid vom 24. Februar 1950 die bei G. vorhandene Verkürzung des rechten Unterschenkels mit Narbengeschwür als Folge einer unmittelbaren Kriegseinwirkung an, lehnte jedoch die begehrte Rente mit der Begründung ab, daß G. in der Erwerbsfähigkeit um weniger als 30 v.H. gemindert sei. Daraufhin stellte die BG im Hinblick auf § 20 c der Sozialversicherungsordnung Nr. 11 die Zahlung ihrer Rente mit Ablauf des Monats April 1950 ein und übersandte ihre Akten der LVA. Das - inzwischen zuständig gewordene - Versorgungsamt bewilligte G. durch Bescheid vom 8. März 1952 vom 1. April 1951 an Versorgungsrente unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v.H., weil die Schädigungsfolgen sich verschlimmert hätten. Durch Bescheid vom 25. Januar 1962 erhöhte es diese Rente auf 50 v.H., weil der rechte Unterschenkel hatte amputiert werden müssen.
Die Vorprüfungsstelle des Landesversorgungsamts Schleswig-Holstein gelangte im Jahre 1965 zu dem Ergebnis, daß die BG aufgrund des § 54 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wieder hätte leisten müssen. Aus diesem Grunde nahm die Verwaltungs-BG durch Bescheid vom 27. November 1967 vom 1. Oktober 1961 an die Zahlung an G., abzüglich etwaiger Ersatzansprüche, durch Gewährung einer Dauerrente von 50 v.H. der Vollrente wieder auf. Gs. Ansprüche seien zwar bereits seit dem Inkrafttreten des BVG (1. Oktober 1950) gegeben. Für die Zeit vor dem 16. September 1961 seien sie jedoch im Hinblick auf die vierjährige Verjährungsfrist des § 29 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verjährt; das einen entsprechenden Antrag enthaltende Schreiben des Versorgungsamts vom 10. September 1965 sei bei ihr sechs Tage später eingegangen.
Das Versorgungsamt stellte durch Bescheid vom 10. April 1968 fest, das Gs. Versorgungsbezüge nach § 65 BVG vom 1. Oktober 1961 an in Höhe der rückwirkend von diesem Tage an gewährten Leistungen des Unfallversicherungsträgers ruhten und eine Überzahlung an Versorgungsbezügen in Höhe von insgesamt 14.907,- DM vorliege.
Die Bescheide vom 27. November 1967 und 10. April 1968 hat G. nicht angefochten.
Die Verwaltungs-BG befriedigte den Anspruch des Versorgungsamts auf Ersatz seiner Aufwendungen in Höhe von 14.907,- DM. Dagegen lehnte sie es ab, für die Zeit vorher Ersatz zu leisten, weil insoweit nach § 29 Abs. 3 RVO Verjährung eingetreten sei.
Klage und Berufung, welche auf einen Teilbetrag von 5.000,- DM beschränkt worden sind, sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 19. Februar 1969, Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts - LSG - vom 8. Januar 1970).
Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt: Zutreffend habe das Erstgericht in Übereinstimmung mit den Prozeßbeteiligten angenommen, daß die Versorgungsansprüche Gs. nach § 65 BVG von Anfang an in Höhe der von der Beklagten gewährten Leistungen ruhten. Der Kläger habe deshalb einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, welcher vom 1. Juni 1960 an durch § 81 b BVG Gesetz geworden sei, gegen die Beklagte in dem Umfang, in dem diese bei rechtzeitiger Anwendung jener Ruhensvorschriften Leistungen an G. hätte erbringen müssen. Die Beklagte habe jedoch zu Recht den Einwand der Verjährung nach § 29 Abs. 3 RVO erhoben. Der Erstattungsanspruch teile das Schicksal des Leistungsanspruchs des Verletzten, er könne nicht umfassender sein als dieser. § 29 Abs. 3 RVO sei auf ihn somit, obwohl § 81 b BVG keine Verjährungsvorschriften enthalte, entsprechend anzuwenden. Es bedürfe daher keiner Entscheidung, ob der Erstattungsanspruch verwirkt sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Erstattungsanspruch des § 81 b BVG verjähre in Analogie zu § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) grundsätzlich in 30 Jahren. Eine entsprechende Anwendung des § 197 BGB wäre nur zulässig, wenn diesem Anspruch eine ähnliche Interessenlage zugrunde liege wie dem Anspruch auf wiederkehrende Rentenleistungen. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der Anspruch auf wiederkehrende Rentenleistungen nach dem BVG diene dem Unterhalt des Anspruchsberechtigten. Dieser sei im allgemeinen in der Lage, seine Vermögensverhältnisse zu übersehen und entsprechende Schritte zur Wahrung seiner Rechte zu unternehmen. Die kurze Verjährungsfrist, welche § 197 BGB für Ansprüche dieser Art vorsehe, sei daher im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit angemessen. Der Ersatzanspruch des § 81 b BVG ermögliche es dagegen, daß Leistungen eines öffentlich-rechtlichen Leistungsträgers letzten Endes dem zur Last fielen, der sie an sich hätte erbringen müssen. Es stelle sich vielfach erst nach Jahren heraus, wer der eigentlich verpflichtete Leistungsträger sei. Eine kurze Verjährungsfrist würde den Anspruch nach § 81 b BVG in vielen Fällen gegenstandslos machen. Dies habe den Gesetzgeber, anders als in § 21 Abs. 2 BVG, bewogen, in den § 81 b BVG keine Verjährungsvorschrift aufzunehmen. Somit sei in der vorliegenden Sache die allgemeine Verjährungsfrist von 30 Jahren maßgebend.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil zumindest im Ergebnis für zutreffend. Ihre Leistungspflicht gegenüber dem Verletzten habe sich mit Rücksicht auf den von ihr erhobenen Verjährungseinwand wohl erst vom 16. September 1961 an als bestehend herausgestellt, so daß erst von diesem Tage an eine Ausgleichspflicht gegenüber dem Kläger bestehe.
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, einen Teilbetrag von 5.000,- DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Bei dem erhobenen Anspruch handelt es sich, entgegen dem vom Berufungsgericht verwendeten Rechtsbegriff, um einen zwischen Trägern des öffentlichen Rechts strittigen Ausgleichsanspruch (BSG 16, 151, 156). Er ist zwar erst für die Zeit vom 1. Juni 1960 an in § 81 b BVG (idF des 1. Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960) positiv geregelt. Indessen hat der Gesetzgeber durch diese Vorschrift lediglich klargestellt, daß in Fällen, in denen die Versorgungsverwaltung zu Unrecht Leistungen gewährt hat, die ein anderer öffentlich-rechtlicher Leistungsträger hätte gewähren müssen, im allgemeinen ein Ausgleich vorzunehmen ist; er hat somit etwas geregelt, was als Rechtsinstitut der "Abwälzung" bereits bestand (BSG 16, 151, 153, 157).
Die Vorinstanzen sind der Auffassung, daß der vom Kläger erhobene Ausgleichsanspruch verjährt sei. Einer Entscheidung dieser Frage bedarf es indessen nach Lage des vorliegenden Falles nicht. § 81 b BVG stellt u.a. darauf ab, daß sich die Unzuständigkeit der Versorgungsbehörde nachträglich herausstellt. Unbeschadet der Grenzziehung dieses Rechtsbegriffs hat der erkennende Senat bei der rechtlichen Würdigung der Umstände der vorliegenden Sache berücksichtigt, daß die Unfallakten sich bereits seit April 1950 beim Versorgungsamt befunden haben und dieses durch Bescheid vom 8. März 1952 - also geraume Zeit nach dem Inkrafttreten des BVG (1. Oktober 1950) - G. rückwirkend vom 1. April 1951 trotz § 54 BVG Versorgungsleistungen in voller Höhe bewilligt hat. Wenn auch die Überlastung der Versorgungsämter nach dem Inkrafttreten des BVG nicht zu verkennen ist, so war doch in der vorliegenden Sache, in welcher der Tag des Unfalls ohne weiteres aus den Unfallakten ersichtlich ist, nach § 54 BVG die Rechtslage eindeutig. Damit war für das Versorgungsamt, bei dem die Kenntnis des § 54 BVG vorausgesetzt werden muß, erkennbar, daß vom Inkrafttreten des BVG an die Beklagte wieder leistungspflichtig war und die vom 1. April 1951 bewilligten Versorgungsleistungen nach § 65 BVG in Höhe der Unfalleistungen zu ruhen hatten. Unter diesen Umständen ist es nicht mehr mit dem Sinn des § 81 b BVG vereinbar, daß der Kläger den Ersatz von Leistungen fordert, welche in einer nicht unerheblich zurückliegenden Zeit von ihm erbracht worden sind. Der dieser Vorschrift innewohnende Rechtsgedanke des internen Leistungsausgleichs zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern, welcher auch schon vor ihrem Inkrafttreten die Rechtslage bestimmt hat, kann nicht, wie dies seitens des Klägers geschieht, dazu herangezogen werden, um die Abwälzung von Leistungen zu fordern, die angesichts der klaren Rechtslage auf einem von Anfang an eindeutig gesetzwidrigen Verwaltungshandeln beruhen. Der Regelfall des § 81 b BVG ist, einen nachträglichen Leistungsausgleich zu ermöglichen, wenn die Zuständigkeit des Leistungsträgers zunächst unklar gewesen ist (s. auch BSG 16, 222, 226). Der vorliegende Sachverhalt, welcher davon erheblich abweicht, rechtfertigt daher den erst nach etwa 14 Jahren für einen länger zurückliegenden Zeitraum erhobenen Ausgleichsanspruch nicht.
Deshalb war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen (§ 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes).
Fundstellen