Leitsatz (redaktionell)
Begriff der Familienwohnung iS des RVO § 550:
1. Familienwohnung iS des RVO § 550 ist eine Wohnung, die für nicht unerhebliche Zeit den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten bildet. Wesentlich ist die tatsächliche Gestaltung der Lebensverhältnisse; keine Bedeutung für die Frage nach der Familienwohnung hat die polizeiliche Anmeldung.
2. Indizien dafür, daß ein bestimmter Ort den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse darstellt, sind regelmäßige Fahrten zwischen Ort der Tätigkeit und dem Ort, an dem die Familie wohnt, sowie der Umstand, daß dort die für die Familie wesentlichen persönlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen getroffen werden.
Normenkette
RVO § 550 S. 3 Fassung: 1971-03-18
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Dezember 1971 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Kläger begehren Sterbegeld, Überbrückungshilfe und Hinterbliebenenrente nach ihrer am 19. März 1967 tödlich verunglückten Ehefrau bzw. Mutter, der Oberärztin Privatdozentin Dr. Renate Sch.
Das Landessozialgericht (LSG) hat u. a. folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
Die am 8. Dezember 1923 in H (H.) bei M (M.) geborene Ehefrau des Klägers zu 1) studierte in M. Medizin und begann dort an der Universitäts-Hautklinik ihre Facharztausbildung für Dermatologie. An dieser Klinik war sie zuletzt als Oberärztin tätig.
Das Anwesen in H., in dem die Ehefrau des Klägers zu 1) von Geburt an gelebt hatte, gehörte ihren Eltern. Im Oktober 1966 übertrugen diese ihr dieses Anwesen (zwei Wohnhäuser, Schmiedewerkstätte und Hofraum sowie Schuppen und Garten). Die Wohnungen im Rückgebäude des Anwesens waren bis zum Jahre 1966 vermietet. In diesem Jahr erfolgte der Umbau des Gebäudes, der zur Zeit des tödlichen Unfalls der Ehefrau des Klägers zu 1) noch nicht abgeschlossen war. Für die Durchführung der Um- und Neubauten hatte die Ehefrau des Klägers zu 1) im August 1966 Darlehen von 40.000,- DM und von 30.000,- DM erhalten. Nach den Angaben des Klägers zu 1) hatten er und seine Ehefrau im Jahre 1957 mit eigenen Mitteln (insgesamt 230.000,- DM) das Vorder- und das Rückgebäude umbauen und ein Gartenhaus errichten lassen.
Seit dem 1. Juli 1958 besaßen der Kläger zu 1) und seine Ehefrau in M. eine Wohnung. Die Wohnung umfaßte etwa 110 qm. Zum Unfallzeitpunkt betrug der Mietzins 110,- DM. Im I. Stockwerk des Hauses hatte der Kläger zu 1) gleichgroße Praxisräume zu einem Mietpreis von 200,- DM gemietet.
Die Wohnung war damals mit zahlreichen wertvollen Möbeln und Gegenständen ausgestattet, besaß aber keine Badeeinrichtung. Der Kläger zu 1) und seine Ehefrau waren Sammler antiker Gegenstände und Möbel, die vorwiegend in dieser Wohnung verwahrt wurden. Der Kläger zu 1) war zum Unfallzeitpunkt ganztägig als Werkarzt bei der Firma B tätig. Ohne zu den gesetzlichen Krankenkassen zugelassen zu sein, war er berechtigt, eine Privatpraxis auszuüben. Er war auch Belegarzt der Klinik W in Garmisch, wo er am Samstagvormittag unter Assistenz seiner Ehefrau gelegentlich zu operieren pflegte.
Die Kläger zu 2) und 3) wohnten seit ihrer Geburt in H.
Der Kläger zu 1) und seine Ehefrau fuhren an den Wochenenden regelmäßig nach H.. Teils kamen sie bereits am Freitagabend zwischen 18 und 20 Uhr, teils erst am Samstagnachmittag gegen 14 oder 15 Uhr in H. an, je nachdem ob der Kläger zu 1) in G zu operieren hatte oder nicht. Auch kam es vor, daß der Kläger zu 1) und seine Ehefrau zwar am Freitag nach H. fuhren, sich aber am Samstag früh nach G begaben, um dort am Vormittag beruflich tätig zu sein. Sie besuchten auch an den Mittwochabenden das Anwesen und ihre Kinder in H.; sie pflegten sich dort stets einige Stunden aufzuhalten. Im Sommer fuhren sie fast jeden Tag für einige Stunden nach H., während im Winter die Besuche während der Woche seltener waren. Während der Umbauzeiten dienten die Besuche auch der Beaufsichtigung der Bauarbeiten.
Am 19. März 1967 verunglückten der Kläger zu 1) und seine Ehefrau gegen 21 Uhr auf der Fahrt von H. nach M.. Der vom Kläger zu 1) gesteuerte Kraftwagen geriet auf gerader Strecke bei Neuschnee und Schneematsch ins Schleudern und rutschte mit der rechten Seite gegen einen Alleebaum. Die Ehefrau, die auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, verstarb auf dem Transport in das Krankenhaus. Eine Blutalkoholkonzentration konnte bei dem Kläger zu 1) nicht festgestellt werden.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 25. Oktober 1967 Ansprüche auf Sterbegeld, Überbrückungshilfe sowie Waisen- und Witwerrente ab. In der Begründung des Bescheides ist ausgeführt: Die beruflichen und persönlichen Verhältnisse ließen erkennen, daß sich die Verstorbene schon seit Jahren vom elterlichen Haushalt gelöst und den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in der von ihr mitbegründeten Familie mit ständiger Wohnung in München gefunden hätte.
Die Kläger haben Klage erhoben.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 13. April 1970 die Beklagte verurteilt, "den Klägern aus Anlaß des Todes der Dr. Renate Sch am 19. März 1967 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren". Zur Begründung hat das SG u. a. ausgeführt, daß angesichts der engen persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Kläger zu 1) und seiner Ehefrau zu deren Eltern angenommen werden müsse, daß sie den ständigen Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse und damit ihre Familienwohnung in der Wohnung der Schwiegereltern des Klägers zu 1) gehabt hätten. Sie hätten sich im Durchschnitt 27 1/2 Std. in der Woche dort aufgehalten. Demgegenüber sei die Wohnung in M. lediglich eine Unterkunft im Sinne des § 550 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) gewesen.
Die Berufung der Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 16. Dezember 1971 als unzulässig verworfen, soweit sie das Sterbegeld und die Überbrückungshilfe betraf. Es hat das Urteil des SG aufgehoben, soweit es die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger zu 1) Witwerrente zu gewähren; insoweit hat das LSG den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückverwiesen. Im übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das LSG hat u. a. ausgeführt: Die Ehefrau des Klägers zu 1) sei auf der Fahrt von ihrer ständigen Familienwohnung zu ihrer Unterkunft in M. tödlich verunglückt und habe deshalb gemäß § 550 Satz 3 RVO unter Versicherungsschutz gestanden. Der Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse habe sich weiterhin in H. befunden. Die Wohnung sei zwar - abgesehen von dem fehlenden Bad - einigen Ansprüchen an die Wohnkultur gerecht geworden, sie sei gut möbliert gewesen und insbesondere hätten sich in ihr wertvolle Möbelstücke befunden. Diese Tatsache allein zwinge aber keinesfalls zu dem Schluß, daß die Wohnung in München mehr als nur eine Unterkunft gewesen sei. Wesentlich sei vor allem, daß die Verstorbene ihre karg bemessene Freizeit weit überwiegend in H. zugebracht habe, überdies auch dort meist zusammen mit ihrem Ehemann. Sie sei regelmäßig die Wochenendtage und auch - je nach Jahreszeit - einen oder mehrere Abende an den Werktagen in H. gewesen. Ein weiterer bedeutsamer Faktor sei die Tatsache, daß die Mutter der Ehefrau des Klägers zu 1) das Eigentum an diesem Anwesen rechtswirksam auf ihre Tochter übertragen und sich selbst nur in einem genau bezeichneten Teil des Anwesens ein Wohnrecht einräumen lassen habe. Die umfangreichen und kostspieligen Um- und Ausbauten die der Kläger zu 1) und seine Ehefrau teils schon vor der Übereignung und dann in der Folgezeit durchführen ließen, könnten vernünftigerweise nur dem Zweck dienen, den ohnehin bereits vorhandenen Wohnsitz in H. so auszugestalten, daß auch in Zukunft dieses Anwesen das eigentliche Zuhause für die ganze Familie werden sollte. Der ganz im Vordergrund stehende und bedeutsamste Faktor sei jedoch die Tatsache, daß die Kinder der Verstorbenen seit ihrer Geburt im Hause ihrer Großeltern gelebt hätten und dort aufgewachsen seien. Damit sei das SG im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen der von den Klägern zu 2) und 3) geltend gemachten Waisenrente gegeben seien. Dagegen habe die Entscheidung des Sozialgerichts hinsichtlich der vom Kläger zu 1) geltend gemachten Witwerrente nicht aufrechterhalten werden können. Das SG habe nicht geprüft, ob die besonderen Voraussetzungen für eine Witwerrente erfüllt seien, insbesondere ob die Ehefrau des Klägers zu 1) den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten habe und wie lange sie ihn bestritten haben würde.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt.
Sie trägt vor: Das LSG habe die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen, soweit sie die Überbrückungshilfe betreffe. Diese Leistung beruhe auf den gleichen Voraussetzungen wie die Witwerrente. Auch insoweit habe das SG jedoch jegliche Prüfung der besonderen Anspruchsvoraussetzungen bei einem Witwer unterlassen. Die Berufung sei deshalb, soweit sie die Überbrückungshilfe betreffe, wegen eines Verfahrensfehlers zulässig. Das LSG selbst habe hervorgehoben, daß das Urteil des SG hinsichtlich der Witwerrente an einem wesentlichen Verfahrensmangel leide, weil das SG die für die Witwerrente bestehenden besonderen Anspruchsvoraussetzungen nicht geprüft habe. Ein weiterer Verfahrensfehler des LSG liege darin, daß das Berufungsgericht es unterlassen habe, weitere Ermittlungen darüber anzustellen, ob die Ehefrau des Klägers zu 1) am 20. März 1967 eine private Tätigkeit für Prof. Dr. Sch ausüben oder die ihr als Oberärztin gegenüber der Stadt M. obliegende Arbeitsverpflichtung erfüllen wollte. Das LSG sei durch die in einem wesentlichen Punkt unvollständige Wiedergabe des Textes des Arbeitsvertrages unzutreffend davon ausgegangen, daß die Ehefrau des Klägers zu 1) für Prof. Dr. Sch eine von ihrem Dienstverhältnis als Oberärztin mit umfaßte Tätigkeit ausgeübt habe. Das LSG habe aber vor allem zu Unrecht den Versicherungsschutz bejaht. Der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Ehefrau des Klägers zu 1) sei M. gewesen. Hier sei es ihr möglich gewesen, sich zu erholen und ihren persönlichen Neigungen, z. B. dem Sammeln von Kunstgegenständen, nachzugehen. Der Hinweis des LSG auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) in Band 17, 270 und 25,93,96 sei unwesentlich, da es sich dort um unverheiratete Versicherte gehandelt habe. Die Tatsache des Aufenthaltes beider Kinder der Ehefrau des Klägers zu 1) in H. bis Ende des Jahres 1966 und des ständigen Aufenthaltes des Sohnes und des zeitweiligen der Tochter in H. vom Beginn des Jahres 1967 an könne den Versicherungsschutz auf dem unfallbringenden Weg ebenfalls nicht begründen. Glaube man, die Familienwohnung erst anhand der Lebensgewohnheiten der Eheleute bestimmen zu müssen, könne allein der Aufenthalt der Kinder H. nicht zum Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Eltern machen, weil die Unterbringung von Kindern in Internaten usw. ebenfalls eine zeitweilige Trennung von den Eltern und deren Besuch am Ort der Unterbringung der Kinder keine versicherungsrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und sind der Auffassung, ein Verfahrensfehler des SG liege auch hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Überbrückungshilfe nicht vor. Das LSG habe auch zutreffend die Beklagte als den zuständigen Versicherungsträger angesehen, da die Tätigkeit der Ehefrau des Klägers zu 1) für Prof. Dr. Sch ebenfalls innerhalb ihrer dienstlichen Tätigkeit gelegen habe. Das Vorbringen der Beklagten gegen die Ausführungen des LSG im Tatbestand des angefochtenen Urteils sei unbegründet. Schließlich gehe die Beklagte weiterhin unzutreffend davon aus, daß der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Ehefrau des Klägers zu 1) sich in M. befunden habe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind erfüllt.
Die Revision ist nicht begründet.
Die Revision rügt zu Unrecht, das LSG hätte die Berufung der Beklagten hinsichtlich der Überbrückungshilfe nicht als unzulässig verwerfen dürfen, da sie wegen eines wesentlichen Verfahrensfehler statthaft gewesen sei. Das LSG ist mit Recht davon ausgegangen, daß die Berufung insoweit nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht statthaft ist. Die Berufung ist auch nicht nach § 150 Abs. 1 Nr. 2 SGG zulässig. Es kann dahinstehen, ob ein wesentlicher Mangel des Verfahrens des SG, wie das LSG hinsichtlich der Zurückverweisung ausgeführt hat, vorgelegen hat, weil das SG keine tatsächlichen Feststellungen darüber getroffen hat, ob die besonderen Voraussetzungen der Überbrückungshilfe an den Kläger zu 1) vorliegen. Die Beklagte hat im Verfahren vor dem LSG einen Verfahrensmangel insoweit jedenfalls nicht gerügt. Anders als bei der Annahme eines Verfahrensmangels als Voraussetzung für eine Zurückverweisung (s. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG) setzt jedoch § 150 Abs. 1 Nr. 2 RVO eine Rüge voraus, sofern es sich nicht um einen von Amts wegen zu beachtenden wesentlichen Verfahrensmangel handelt. Dies ist jedoch hier nicht der Fall.
Das LSG hat aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen entschieden, daß die Ehefrau des Klägers zu 1) im Zeitpunkt des tödlichen Unfalls gemäß § 550 Satz 2 RVO idF bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (BGBl I 237 - RVO aF = § 550 Satz 3 RVO idF dieses Gesetzes) unter Versicherungsschutz gestanden hat.
Der Senat ist an die tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden, da die Revision keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat (§ 163 SGG). Ihre Ausführungen unter III der Revisionsbegründung laufen, soweit sie sich überhaupt auf die tatsächlichen Feststellungen des LSG beziehen, darauf hinaus, das vom LSG gewonnene Ergebnis freier richterlicher Überzeugungsbildung anzugreifen. Selbst in einem - nach Auffassung der Revision - unrichtigen Beweisergebnis des Berufungsgerichts liegt aber noch kein Verfahrensmangel i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG (s. BSG 1, 150, 153; 2, 236, 237; BSG SozR Nr. 34 und 56 zu § 128 SGG). Eine Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung hat die Revision nicht dargelegt.
Nach § 550 Satz 2 RVO aF schließt der Umstand, daß der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, die Versicherung auf dem Weg von und nach der Familienwohnung nicht aus.
Nach der auch vom Schrifttum geteilten Rechtsprechung des erkennenden Senat ist ständige Familienwohnung i. S. des § 550 Satz 2 RVO aF eine Wohnung, die für nicht unerhebliche Zeit den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten bildet (vgl. u. a. BSG 1, 171; 173; 20, 110, 111; 25, 93, 95; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl., S. 486 h II; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl. § 550 Anm. 20). Wesentlich ist die tatsächliche Gestaltung der Lebensverhältnisse des Versicherten im Einzelfall (BSG 25, 93, 95). Keine Bedeutung für die Frage nach der Familienwohnung hat die polizeiliche Anmeldung (vgl. BSG 2,78, 80; LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1963, 311; Brackmann aaO; Lauterbach aaO § 550 Anm. 23 Buchst. a).
Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des LSG an, daß sich der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Ehefrau des Klägers zu 1) im Jahre 1967 in H. befunden hat.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 31. Oktober 1972 (SozR Nr. 21 zu § 550 RVO) entschieden, daß der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse eines verheirateten Versicherten sich regelmäßig an dem Ort der gemeinsamen Wohnung der Eheleute befindet. Die Eheleute Dres. Sch hatten in H. eine Wohnung. Es kann dahinstehen, ob es sich nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hierbei um eine selbständige Wohnung gehandelt hat; denn dies setzt der Begriff der Familienwohnung i. S. des § 550 Satz 2 RVO aF nicht voraus (vgl. BSG Bd. 2 aaO; BSG 17, 270, 272; BSG Breithaupt 1968, 739, 740; Bayer. LSG BG 1955, 174; Brackmann aaO S. 486 i). Entscheidend ist, daß diese Wohnung für beide Ehegatten der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse war. Die Eheleute Dres. Sch fuhren nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht nur an jedem Wochenende, sondern regelmäßig auch am Mittwoch Nachmittag und im Sommer sogar fast jeden Tag einige Stunden nach H.. Zwar kann daraus, daß der Versicherte nicht regelmäßig wöchentlich oder auch nur monatlich von dem Ort seiner Tätigkeit z. B. zu dem Ort fährt, in dem seine Familie wohnt, allein nicht geschlossen werden, der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse habe sich an den Ort seiner Tätigkeit verlagert. Dies gilt besonders dann, wenn schon die Entfernung zwischen den beiden Orten eine häufigere Heimfahrt verhindert oder sie auch bei mittleren Entfernungen zusammen mit anderen Gründen, z. B. der finanziellen Lage des Versicherten, nicht durchgeführt wird. Andererseits läßt aber vor allem bei - wie im vorliegenden Fall - kürzeren Entfernungen der Umstand, daß der Versicherte an jedem Wochenende und regelmäßig auch noch einmal während der Woche zu seiner Wohnung in einer anderen Stadt fährt, erkennen, daß sich dort sein Mittelpunkt der Lebensverhältnisse befindet. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, daß in H. auch die Kinder der Eheleute Dres. Sch wohnten. Allerdings genügt, worauf die Revision hinweist, die Wohnung der Kinder nicht, allein deshalb hier den Mittelpunkt der an einem anderen Ort wohnenden Eltern zu bejahen (s. auch Urt. des erkennenden Senats vom 31.10.1972 aaO). Wesentlich ist jedoch, daß die Eheleute Dres. Sch trotz ihrer Arbeitsstätten in München jede Gelegenheit wahrnahmen, um in die gemeinsame Wohnung der gesamten Familie zu fahren, und hier auch alle die Familie betreffenden persönlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen treffen konnten. Vor allem insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem, der dem Urteil des Senats vom 31. Oktober 1972 (aaO) zugrunde lag. Dort vollzog sich nicht nur das Eheleben beider Ehegatten, sondern auch der den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse mitbestimmende soziale Kontakt der Eheleute an dem Ort der gemeinsamen Tätigkeit beider Eheleute, an dem sie ebenfalls die persönlichen Entscheidungen hinsichtlich der am früheren Wohnort verbliebenen Kinder zu treffen hatten, soweit sie über die tägliche Betreuung durch Dritte - dort die Großmutter - hinausgingen und durch die längere Abwesenheit der Eltern nicht weiter aufgeschoben werden konnten. Da sich der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse nach der tatsächlichen Gestaltung richtet, steht - wie bereits aufgezeigt - einer abweichenden rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts nicht entgegen, daß in dem der Entscheidung vom 31. Oktober 1972 zugrunde liegenden Sachverhalt die Eheleute hierzu wegen der weiten Entfernung zum Wohnort der Kinder gezwungen waren. Der erkennende Senat schließt sich deshalb aufgrund der tatsächlichen Gestaltung der gesamten Lebensverhältnisse der Auffassung des LSG an, daß sich die Familienwohnung der Eheleute Dres. Sch in H. befand.
Die Revision hebt hervor, daß § 550 Satz 2 RVO aF außerdem voraussetzt, daß der Versicherte an dem Ort der Tätigkeit lediglich eine Unterkunft hatte (s. BSG Breithaupt 1971, 905, 906; BSG Urt. vom 2.3.1971 - 2 RU 108/68). Auch diese Voraussetzung ist jedoch erfüllt. Dabei hat das Berufungsgericht zutreffend nicht als maßgebend angesehen, daß die Eheleute Dres. Sch in München nicht nur ein oder zwei möblierte Zimmer, sondern - in Verbindung mit der Praxis des Klägers zu 1) und zu einem sehr günstigen Mietpreis - eine eigene Wohnung gemietet hatten. Der Zweck des Gesetzes gebietet nicht, den Begriff der Unterkunft i. S. des § 550 Satz 2 RVO aF mit der Vorstellung eines behelfsmäßigen Unterkommens zu verbinden (BSG 20, 110, 113). Entscheidend ist, daß aus der Art der Wohnverhältnisse in München zusammen mit anderen Umständen nicht geschlossen werden kann, sie sollten mit dazu dienen, hier den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zu verwirklichen. Insbesondere die häufigen Fahrten nach H und auch die z. T. beendeten und z. T. noch laufenden Bauvorhaben und Baupläne bezüglich des der Ehefrau des Klägers zu 1) übertragenen Anwesens in H rechtfertigen hier vielmehr neben der auch sonstigen tatsächlichen Gestaltung der Lebensverhältnisse die Ansicht des LSG, der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Ehefrau des Klägers zu 1) habe sich in H. befunden.
Die Beklagte ist auch der zur Entschädigung zuständige Versicherungsträger. Entgegen der Auffassung der Revision kann es dabei dahinstehen, ob die Ehefrau des Klägers zu 1) am 20. März 1967 morgens in der Klinik als erstes eine private Tätigkeit für Prof. Dr. Sch verrichten wollte und ob diese Tätigkeit noch in den Rahmen ihres Dienstverhältnisses zur Stadt M fiel. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit der Ehefrau des Klägers zu 1) als Oberärztin und dem Weg zu ihrer Unterkunft ist jedenfalls schon deshalb gegeben, weil die Ehefrau des Klägers zu 1) am Montagmorgen ihre Arbeit als Oberärztin aufnehmen wollte. Unabhängig von ihren geplanten ersten Untersuchungen oder Operationen wollte sie in der Klinik ihren Dienst beginnen und für ihre Aufgaben als Oberärztin zur Verfügung stehen. Sie hätte in dringenden Fällen ihre ggf. für Prof. S vorgesehene Untersuchungen und Operationen jederzeit verlegen oder einstweilige Anordnungen treffen können. Ihre Fahrt nach M hat jedenfalls wesentlich mit der versicherten Tätigkeit gedient.
Die Revision der Beklagten war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat der Beklagten die gesamten Kosten des Revisionsverfahrens auferlegt, obgleich ein Teil des Anspruchs des Klägers zu 1) noch im Streit steht. Dieser Teil hat jedoch nicht wesentlich den Gegenstand der Revision gebildet.
Fundstellen