Entscheidungsstichwort (Thema)
Angehörige einer Erbengemeinschaft als Unternehmer
Leitsatz (redaktionell)
Ebenso wie bei einer Einzelperson muß sich auch bei einer Personengemeinschaft (Erbengemeinschaft) die Rechtsposition des Eigentümers nicht mit der des Unternehmers decken. Entscheidend ist immer nur, wer in der Zeit bis zur Auseinandersetzung das Risiko des Unternehmers trägt.
Normenkette
GAL § 1 Abs. 2 Fassung: 1965-09-14, § 14 Abs. 1 Fassung: 1965-09-14; BGB § 2032 Fassung: 1896-08-18
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. Januar 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin war bis zur Erbauseinandersetzung durch Vertrag vom 23. März 1965 in Erbengemeinschaft mit ihrer Mutter und zwei Brüdern Miteigentümerin des landwirtschaftlichen Unternehmens ihres im August 1960 verstorbenen Vaters in L. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) arbeitete und wohnte sie bis zu ihrer Heirat im November 1963 teils bei verschiedenen Landwirten, teils lebte sie in dem elterlichen Anwesen, half dort zeitweilig im Rahmen der Familiengemeinschaft mit und arbeitete vorübergehend auch noch außerhalb des elterlichen Betriebes; seit ihrer Heirat lebte sie mit ihrem Ehemann außerhalb von Lettenmühle. In der Zeit zwischen dem Tod ihres Vaters und der Erbauseinandersetzung war die Klägerin an dem Gewinn und Verlust des Unternehmens nicht beteiligt, der Hof wurde in dieser Zeit von der Mutter geleitet. Hofinhaber ist seit der Erbauseinandersetzung ein Bruder der Klägerin.
Mit Bescheid vom 31. Mai 1965 wurde die Klägerin von der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 1962 bis zum 31. März 1965 (dem Monat der Erbauseinandersetzung) als Mitunternehmerin in das Mitgliederverzeichnis der Beklagten aufgenommen, veranlagt und zur Nachzahlung von Beiträgen in Höhe von 468,- DM aufgefordert. Auf ihren Widerspruch befreite sie die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 19. April 1966 für die Zeit vom 1. Januar 1962 bis zum 31. Juli 1962 (Ablauf von zwei Jahren nach dem Eintritt des Erbfalles) nach § 14 Abs. 4 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte idF der Bekanntmachung vom 14. September 1965 (GAL 1965) von der Beitragspflicht; im übrigen wurde der Widerspruch abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) Regensburg hob den Bescheid vom 31. Mai 1965 idF des Widerspruchsbescheids auf (Urteil vom 20. September 1967). Die Berufung der Beklagten wies das LSG zurück (Urteil vom 30. Januar 1968). Es führte aus: Landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne der §§ 1 Abs. 2, 14 Abs. 1 GAL 1965 sei derjenige, für den das Unternehmen betrieben werde, der also das Risiko des Unternehmens trage. Dies werde durch § 14 Abs. 4 GAL 1965 bestätigt, weil auch nach dieser Vorschrift nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Erbfall Beitragspflicht für Mitglieder einer Erbengemeinschaft, die nicht überwiegend in dem Unternehmen tätig seien, nur bestehe, wenn sie "landwirtschaftliche (Mit-) Unternehmer" seien. Dies sei nicht der Fall, wenn ein Miterbe nach seinen Lebensverhältnissen nicht in einer solchen Verbindung mit dem Unternehmen stehe, wie das GAL sie für die Unternehmereigenschaft fordere. Die Verwaltung des Nachlasses bis zur Auseinandersetzung stehe zwar den Miterben gemeinschaftlich zu, sie könne aber durch Vereinbarung geregelt und einem Miterben übertragen werden. Dies sei hier durch die von der Mutter der Klägerin im Einverständnis mit allen Miterben übernommene zeitweilige Leitung (d. h. bis zur Erbauseinandersetzung und Übernahme des Hofs durch einen Bruder der Klägerin) geschehen; nach dem Auseinandersetzungsvertrag habe bei der Erbauseinandersetzung eine Endabrechnung aus dem Verlust und Gewinn des Unternehmens nicht stattgefunden.
Die Beklagte legte die vom LSG zugelassene Revision ein; die beantragte,
das Urteil vom 30. Januar 1968 aufzuheben und die Klage gegen den Beitragsbescheid der Landwirtschaftlichen Alterskasse vom 31. Mai 1965 idF des Widerspruchsbescheides vom 19. April 1966 abzuweisen.
Zur Begründung trug sie im wesentlichen vor, das LSG habe die §§ 1 und 14 GAL 1965 unrichtig angewandt. Nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) seien die Miterben am Gewinn und Verlust des zur Erbmasse gehörenden landwirtschaftlichen Unternehmens beteiligt, diese Vorschriften seien zwingend und könnten "weder durch schriftliche Vereinbarung noch durch stillschweigendes Gewährenlassen" von den Miterben "aufgehoben" werden; deshalb könne auch ein Miterbe, der aufgrund seiner Lebensverhältnisse keine unmittelbare Bindung an ein zur Erbmasse gehörendes landwirtschaftliches Anwesen habe, Unternehmer sein. Die Befreiungsvorschrift des § 14 Abs. 4 GAL 1965 wäre unverständlich, falls durch das GAL nur für unmittelbar in der Landwirtschaft tätige Personen ein Versicherungsverhältnis begründet werden sollte.
Die Klägerin beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.
Streitig ist nur die Beitragspflicht der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1962 (in den Urteilsgründen heißt es offenbar versehentlich: 1. August 1963) bis zum 31. März 1965; für die Zeit vom 1. Januar 1962 bis zum 31. Juli 1962 (Ende der Zweijahresfrist nach dem Erbfall) hat die Beklagte die Klägerin mit dem Widerspruchsbescheid vom 19. April 1966 nach § 14 Abs. 4 GAL 1965 von der Beitragspflicht befreit. Der Senat hat nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Befreiung der Klägerin nach § 14 Abs. 4 GAL 1965 für diese Zeit vorgelegen haben. Die Beitragspflicht der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1962 bis zum 31. März 1965 ist nach den §§ 1 Abs. 2, 9 Abs. 1 des GAL in den Fassungen vom 3. Juli 1961 und 23. Mai 1963 (GAL 1961/63) zu beurteilen; diese Vorschriften entsprechen den §§ 1 Abs. 2, 14 Abs. 1 des GAL idF vom 14. September 1965 (GAL 1965).
Wie das LSG zutreffend ausgeführt und später auch das Bundessozialgericht (BSG) in dem Urteil vom 26. Februar 1969 - 7 RLw 26/66 - dargelegt hat, sind auch Angehörige einer Erbengemeinschaft nur dann "Unternehmer" im Sinne dieser Vorschriften und damit "an sich" beitragspflichtig, wenn das Unternehmen für Rechnung der Erbengemeinschaft geht. Die Möglichkeit der Befreiung nach § 9 Abs. 4 GAL 1961/63 (§ 14 Abs. 4 GAL 1965) steht dieser Auffassung nicht, wie die Beklagte meint, entgegen, sie bestätigt vielmehr deren Richtigkeit. Von der Beitragspflicht befreit werden kann nämlich nur, wer als Unternehmer an sich beitragspflichtig wäre. Ein Mitglied einer Erbengemeinschaft ist aber nicht, wie die Beklagte offenbar meint, schon deshalb Unternehmer, weil zum Nachlaß ein landwirtschaftliches Unternehmen im Sinne von § 1 Abs. 3 und 4 gehört und weil bis zur Nachlaßauseinandersetzung auch dieses Unternehmen gemeinschaftliches Vermögen der Erben ist (§ 2032 Abs. 1 BGB). Ebenso wie bei einer Einzelperson muß sich auch bei einer Personengemeinschaft (Erbengemeinschaft) die Rechtsposition des Eigentümers nicht mit der Rechtsposition des "Unternehmers" decken. Ebenso wie ein anderer Eigentümer kann auch eine Erbengemeinschaft in Ausübung der gemeinschaftlichen Verwaltung des Nachlasses (§ 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB) mit einem Dritten, aber auch mit einem Miterben eine vertragliche Regelung dahin treffen, daß das Unternehmen bis zur Auseinandersetzung auf dessen Rechnung gehen soll, daß also ihm und nicht der Erbengemeinschaft in dieser Zeit die Erträgnisse zufließen und die Aufwendungen zur Last fallen sollen. Eine solche Vereinbarung kann - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - auch stillschweigend getroffen werden. Für eine solche Vereinbarung kann es z. B. sprechen, daß ein Miterbe nach dem Tode des Erblassers das landwirtschaftliche Unternehmen weitergeführt hat und ihm bei der späteren Erbauseinandersetzung dann das Alleineigentum übertragen worden ist (vgl. Urteil des BSG vom 26. Februar 1969). Eine solche Vereinbarung ist aber auch dann nicht auszuschließen, wenn mit Billigung der anderen Miterben bis zur Auseinandersetzung z. B. die Witwe des verstorbenen Unternehmers "wie bisher" das Unternehmen weiter "betreibt", bei der späteren Erbauseinandersetzung jedoch ein anderer Miterbe, z. B. ein Sohn oder eine Tochter, das landwirtschaftliche Unternehmen übernimmt. Entscheidend ist immer nur, wer in der Zeit bis zur Auseinandersetzung das Risiko des Unternehmers trägt, ob also Gewinn und Verlust aus dem Unternehmen nach dem Willen der Miterben in dieser Zeit die Erbengemeinschaft oder einen den Betrieb fortführenden Miterben treffen.
Im vorliegenden Fall hat das LSG festgestellt, es könne "nicht die Rede (davon) sein", daß die Klägerin in der streitigen Zeit an den Erträgnissen des landwirtschaftlichen Unternehmens beteiligt und zu den Lasten herangezogen worden sei; die Beklagte hat diese Feststellung mit der Revision nicht angegriffen, sie ist deshalb für das BSG bindend (§ 163 SGG). Das LSG hat weiter festgestellt, die Miterben hätten eine Vereinbarung dahin getroffen, daß die "Verwaltung" des Unternehmens für die Zeit bis zur Erbauseinandersetzung der Mutter der Klägerin übertragen werde; auch diese Feststellung hat die Beklagte nicht angegriffen, sie hat nur - zu Unrecht - die Auffassung vertreten, eine Vereinbarung der Miterben dahin, daß ein landwirtschaftliches Unternehmen bis zur Auseinandersetzung nur zu Gunsten und zu Lasten eines der Miterben gehen solle, sei rechtlich nicht möglich und damit für die "Unternehmereigenschaft" im Sinne von § 1 GAL 1961/63/65 nicht erheblich. Zwar besagt die "Verwaltung" des Nachlasses und damit auch eines zum Nachlaß gehörenden landwirtschaftlichen Unternehmens durch einen Miterben aufgrund einer Vereinbarung aller Miterben nicht notwendig, daß damit auch Gewinn und Verlust aus dem Unternehmen den "Verwalter" und nicht die Erbengemeinschaft treffen sollen. In Verbindung mit der Feststellung, daß die Klägerin als Miterbin in der streitigen Zeit am Gewinn und Verlust des Unternehmens nicht beteiligt gewesen sei, lassen die Ausführungen des LSG aber erkennen, daß auch nach seiner Überzeugung hier die Mutter der Klägerin den Betrieb nicht nur "verwaltet" hat, die Miterben ihr vielmehr in dieser Zeit wirtschaftlich und tatsächlich das Unternehmen mit der Maßgabe überlassen haben, daß sie solange das Unternehmen betreiben und das Unternehmerrisiko tragen solle. Damit entfällt aber, wie das LSG zu Recht entschieden hat, die Unternehmereigenschaft der Klägerin für die streitige Zeit im Sinne von § 1 GAL 1961/63 und deshalb auch ihre Beitragspflicht nach § 9 Abs. 1 dieses Gesetzes.
Die Revision der Beklagten ist sonach unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen