Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung für Kinderwunschbehandlung. Anspruch der Versicherten auf 50 % der Kosten auch bei hälftiger Kostenerstattung durch private Krankenversicherung des Ehemanns
Leitsatz (amtlich)
Eine Versicherte hat auch dann Anspruch auf Erstattung von 50 vH der Kosten einer Kinderwunschbehandlung, wenn bereits eine hälftige Kostenübernahme durch die private Krankenversicherung des Ehemanns erfolgt ist.
Normenkette
SGB V § 13 Abs. 3, § 27a
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Mai 2022 und des Sozialgerichts Speyer vom 25. Oktober 2021 sowie der Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2019 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2518,72 Euro zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die anteilige Erstattung der Kosten einer Kinderwunschbehandlung.
Die 1983 geborene Klägerin ist seit Mai 2019 bei der beklagten Krankenkasse (KK) krankenversichert. Ihr 1982 geborener Ehemann ist zu 50 vH beihilfeberechtigt und im Übrigen privat krankenversichert.
Die Klägerin beantragte am 3.6.2019 unter Vorlage eines Behandlungsplans und eines Kostenvoranschlags die Kostenübernahme für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung mittels Intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) wegen der Fertilitätsstörung ihres Ehemanns. Beide hatten bereits im März 2019 einen erfolglosen Versuch einer künstlichen Befruchtung unternommen.
Die damalige KK der Klägerin hatte am 4.2.2019 eine Kostenbeteiligung von 50 vH der der Klägerin zuzuordnenden Behandlungskosten im Rahmen der Kinderwunschbehandlung einschließlich Medikamentenkosten für drei Versuche bewilligt. Die private Krankenversicherung des Ehemannes der Klägerin hatte am 15.2.2019 die Kostenübernahme für drei Versuche zugesagt; die Beihilfestelle hatte eine Kostenübernahme abgelehnt, weil die Aufwendungen allein der Klägerin und nicht ihrem Ehemann zuzuordnen seien. Für den ersten Versuch erstattete die private Krankenversicherung des Ehemannes der Klägerin, abgesehen von der Beanstandung zweier Rechnungspositionen, die Hälfte der angefallenen Kosten.
Am 27.6.2019 ging ein korrigierter Behandlungsplan bei der beklagten KK ein, auf dem nunmehr die Anzahl der erfolgten Behandlungen mit "1" angegeben war. Diese lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 1.7.2019, Widerspruchsbescheid vom 21.8.2019). Die private Krankenversicherung des Ehepartners der Klägerin übernehme bereits 50 vH ihrer Behandlungskosten. Der Klägerin verbleibe der grundsätzliche hälftige Eigenanteil. Die Klägerin ließ die zweite Kinderwunschbehandlung in der Zeit von Juli bis September 2019 durchführen. Hierfür sind ihr und ihrem Ehemann Kosten in Höhe von insgesamt 5037,44 Euro in Rechnung gestellt worden. Die private Krankenversicherung des Ehemannes der Klägerin erstattete davon unter Kürzung eines tariflich vereinbarten Eigenanteils für Arzneimittel 2441,45 Euro.
Das SG hat die Klage auf Kostenerstattung für die zweite Kinderwunschbehandlung in Höhe von 2518,72 Euro abgewiesen (Urteil vom 25.10.2021). Über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach § 27a SGB V bestehe zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit. Indem die private Krankenversicherung des Ehemannes der Klägerin jedoch die Hälfte der Gesamtkosten dem Grunde nach erstattet habe, habe sie Kosten in der Höhe des Freistellungsanspruchs der Klägerin gegenüber der beklagten KK übernommen. Dadurch sei deren Schuld erloschen bzw erstattungsfähige Aufwendungen lägen nicht mehr vor. Der gesetzlich vorgesehene verbleibende Eigenanteil der Klägerin an den Kosten für eine künstliche Befruchtung verletze sie auch nicht in ihren Grundrechten. Die Ehegatten stünden im Ergebnis nicht anders, als wären beide gesetzlich krankenversichert. Das LSG hat die Berufung unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des SG gemäß § 153 Abs 2 SGG zurückgewiesen (Urteil vom 24.5.2022).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 13 Abs 3 und 27a SGB V. Aus § 27a SGB V ergebe sich nicht, dass der Patient in jedem Falle 50 vH der Kosten selbst tragen müsse, vielmehr werde der Leistungsumfang der gesetzlichen KK unabhängig vom zusätzlichen Eintreten einer privaten Krankenversicherung auf 50 vH beziffert. Eine andere Beurteilung führte dazu, dass die Leistungen der privaten Krankenversicherung wirtschaftlich nicht den Ehegatten, sondern der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen KKn dienten. Für eine derartige Auslegung finde sich weder im Wortlaut der Norm eine Stütze, noch sei ersichtlich, dass der Gesetzgeber bezweckt habe, dass eine private Krankenversicherung für die Schuld einer gesetzlichen KK einstehen solle. Die Entscheidung des BSG vom 17.6.2008 (B 1 KR 24/07 R) stütze dies nicht. Denn es sei nicht von zwei sich überschneidenden, sondern von sich ergänzenden Ansprüchen auszugehen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Mai 2022 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 25. Oktober 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2019 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 2518,72 Euro zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Unrecht zurückgewiesen.
Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) ist begründet. Der Bescheid vom 1.7.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.8.2019, mit dem die Beklagte die unter Vorlage eines Behandlungsplans beantragte Kostenübernahme abgelehnt hat, ist rechtswidrig. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung von 50 vH der geltend gemachten Kosten der Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft aus § 27a SGB V beim zweiten Befruchtungsversuch. Ihr Anspruch ist nicht durch die Übernahme von dem Grunde nach 50 vH ihrer Behandlungskosten durch die private Krankenversicherung ihres Ehemannes erloschen.
Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V. Hat die KK danach eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr; vgl aus jüngerer Zeit etwa BSG vom 10.3.2022 - B 1 KR 2/21 R - juris RdNr 8; zu den Besonderheiten eines Sachleistungsanspruchs mit vorgelagertem Genehmigungserfordernis BSG vom 10.11.2022 - B 1 KR 9/22 R - juris RdNr 12). Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a SGB V in der am 1.1.2004 in Kraft getretenen Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190; dazu 1.) und der Anspruch besteht auch im geltend gemachten Umfang (dazu 2.).
1. Die Klägerin hat Anspruch auf Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. § 27a SGB V setzt als Grund für einen Anspruch auf Leistungen der künstlichen Befruchtung nur die Unfruchtbarkeit des Ehepaares voraus. Welche Umstände die Infertilität verursachen und ob ihr eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne zugrunde liegt, ist unerheblich. Nicht die Krankheit, sondern die Unfähigkeit des Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung bilden den Versicherungsfall (stRspr; vgl BSG vom 12.9.2015 - B 1 KR 15/14 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 27 RdNr 13). Nach § 27a Abs 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn diese Maßnahmen 1. nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind, 2. eine hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird, 3. die Personen, die die Maßnahmen beanspruchen wollen, miteinander verheiratet sind, 4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und 5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a SGB V erteilt worden ist. Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin und ihrem Ehegatten nach den Feststellungen des LSG erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten. Aufgrund der Fertilitätsstörung des Ehemannes der Klägerin war die ICSI-Behandlung indiziert und zur Erfüllung des Kinderwunsches notwendig.
2. Die Beklagte muss der Klägerin die Kosten der ICSI-Behandlung auch in Höhe von 2518,72 Euro erstatten. Die Klägerin hat Anspruch auf 50 vH der Kosten der Maßnahmen, die bei ihr durchgeführt wurden, sowie der extrakorporalen Maßnahmen (dazu a). Die Beklagte war nicht berechtigt, die Leistung mit dem Hinweis auf einen Anspruch des Ehepartners der Klägerin gegen dessen private Krankenversicherung zu verweigern (dazu b). Ihre Leistungsverpflichtung ist auch nicht durch die Leistung der privaten Krankenversicherung des Ehemannes der Klägerin erloschen (dazu c).
a) Nach § 27a Abs 3 Satz 3 SGB V übernimmt die KK 50 vH der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden (dazu aa). Erzwingt die rechtswidrige Leistungsablehnung der KK eine privatärztliche Selbstverschaffung des Versicherten, ziehen die Bestimmungen für privatärztliche Leistungen und nicht diejenigen für das Naturalleistungssystem die Grenzen für die Verschaffung einer entsprechenden Leistung (vgl BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R - BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 33; dazu bb).
aa) Die Beschränkung der Erstattungsfähigkeit der Kosten von Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a Abs 3 Satz 3 SGB V auf einen Zuschuss von 50 vH ist verfassungsgemäß (vgl BVerfG vom 27.2.2009 - 1 BvR 2982/07 - BVerfGK 15, 152 = juris RdNr 13; BSG vom 19.9.2007 - B 1 KR 6/07 R - SozR 4-2500 § 27a Nr 5). Der Anspruch eines Versicherten gegen seine KK gemäß § 27a SGB V umfasst dabei zunächst alle Maßnahmen, die "bei ihm", dh unmittelbar an oder in seinem Körper erforderlich sind. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber eine Klarstellung für den Fall treffen, dass die Ehegatten nicht in derselben KK versichert sind oder dass - wie vorliegend - nur einer der Ehegatten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert ist. In diesen Fällen hat die KK nur die Kosten der Maßnahmen zu übernehmen, die bei dem Ehegatten durchgeführt werden, der bei ihr versichert ist. Die Leistungen für den anderen Ehegatten sind damit keine "Nebenleistungen" der Leistungen an den versicherten Ehegatten (BT-Drucks 11/6760 S 15; BSG vom 3.4.2001 - B 1 KR 22/00 R - BSGE 88, 51, 54 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 13 = juris RdNr 15). Zu den bei der Klägerin durchgeführten Maßnahmen gehören die Hormonbehandlung, die Entnahme von Eizellen (Follikelpunktion) und das Verbringen der befruchteten Eizellen in ihren Körper (Embryotransfer).
Ein Versicherter hat darüber hinaus unabhängig davon, bei welchem Ehegatten die Unfruchtbarkeit vorliegt, gegen seine KK einen Anspruch auf extrakorporale Behandlungsmaßnahmen. Das sind Maßnahmen, die nicht unmittelbar bei dem Versicherten selbst oder bei seinem Ehegatten, dh unmittelbar an bzw in ihren Körpern durchzuführen sind. Die KK darf ihrem Versicherten nicht entgegenhalten, die Kosten dieser extrakorporalen Maßnahmen seien von der Versicherung des anderen Ehegatten zu tragen. In diesen "Zwischenbereich" fallen insbesondere die In-Vitro-Fertilisation (die in einem Reagenzglas durchgeführte Befruchtung) sowie die ICSI. Eine KK ist gegenüber ihrem Versicherten hingegen nicht leistungspflichtig für Maßnahmen, die unmittelbar und ausschließlich am Körper des (nicht bei ihr versicherten) Ehegatten ihres Versicherten ausgeführt werden. Es ist dann ggf Sache des Ehegatten, bei seiner eigenen KK, privaten Versicherung oder Beihilfestelle die unmittelbar und ausschließlich seinen Körper betreffende Behandlung zur künstlichen Befruchtung geltend zu machen (zum Ganzen vgl BSG vom 22.3.2005 - B 1 KR 11/03 R - SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 10 = juris RdNr 17).
bb) Vorliegend kann die Klägerin einen hälftigen Zuschuss zu den entstandenen, nach dem vorgenannten Maßstab ihr zuzuordnenden Kosten beanspruchen. Durch die Verweigerung der Sachleistung (§ 27a Abs 1, Abs 3 Satz 1 SGB V) konnte sie sich nach der Leistungsablehnung die ICSI-Behandlung nur privatärztlich verschaffen. Sie war dadurch einer fälligen, GOÄ-konformen Forderung in Höhe von insgesamt 5037,44 Euro ausgesetzt, die sich nach den Feststellungen des LSG und den von diesem in Bezug genommenen Rechnungen aus den Kosten der der Klägerin verordneten Arzneimittel für die Hormonbehandlung (1232,49 Euro), den Behandlungskosten am Körper der Klägerin und den extrakorporalen Kosten der ICSI (3652,19 Euro), den Kosten der Anästhesie zur Follikelpunktion (116,63 Euro) sowie Laborkosten (36,13 Euro) zusammensetzt (die Rechnung muss nicht mit materiellem Gebührenrecht übereinstimmen, vgl BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 11/13 R - BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 27). Hiervon kann die Klägerin die Hälfte - also 2518,72 Euro - erstattet verlangen.
b) Die beklagte KK hat die Genehmigung des Behandlungsplans mit dem angefochtenen Bescheid vom 1.7.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.8.2019 nach § 27a Abs 3 Satz 2 und 3 SGB V mit dem Verweis auf die Übernahme von 50 vH der Behandlungskosten der Klägerin durch die private Krankenversicherung ihres Ehemanns zu Unrecht abgelehnt. Für die Entstehung des Anspruchs der Klägerin ist es unerheblich, dass nicht nur sie Anspruch auf Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a SGB V hatte, sondern auch ihr Ehemann Anspruch auf Erstattung von Kosten für diese Maßnahmen aufgrund seiner privaten Krankenversicherung hatte.
Eine Leistungspflicht der privaten Krankenversicherung folgt aus § 1 der Musterbedingungen 2009 für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (MB/KK) nur bei Krankheit des Versicherten, wozu auch organisch oder genetisch bedingte Unfruchtbarkeit zählt (vgl BGH vom 3.3.2004 - IV ZR 25/03 - BGHZ 158, 166 = juris RdNr 13). Der Anspruch auf Heilbehandlung bei Unfruchtbarkeit umfasst Maßnahmen der künstlichen Befruchtung, wobei die Leistungspflicht sich dabei auf die Maßnahmen am bzw im Körper des privat Versicherten, die extrakorporalen Maßnahmen und die Maßnahmen am bzw im Körper des nicht privat versicherten Partners erstreckt, da dessen Mitbehandlung notwendiger Bestandteil der gesamten Behandlung ist (vgl BGH vom 3.3.2004 - IV ZR 25/03 - BGHZ 158, 166 = juris RdNr 19).
Das SGB V sieht es jedoch nicht als Ausschlussgrund an, dass Versicherte oder ihre Ehegatten zusätzlich zum Anspruch nach dem SGB V einen entsprechenden weiteren Anspruch gegen einen privaten Krankenversicherer auf Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft haben. Deshalb kann eine KK dem bei ihr Versicherten nicht entgegenhalten, die Leistung könne von der privaten Versicherung des Ehegatten beschafft werden (so im Ergebnis bereits BSG vom 3.4.2001 - B 1 KR 22/00 R - BSGE 88, 51, 57 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 16 = juris RdNr 19; BSG vom 17.6.2008 - B 1 KR 24/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 17 RdNr 25). Umgekehrt kann eine private Krankenversicherung dem Anspruch ihres Versicherungsnehmers nicht entgegenhalten, dass seine Ehefrau einen entsprechenden Anspruch gegen ihre KK aus § 27a SGB V habe (vgl BGH vom 3.3.2004 - IV ZR 25/03 - BGHZ 158, 166 = juris RdNr 23). Haben in einer solchen Situation die gesetzlich versicherte Ehefrau und der privat versicherte Ehemann sich überschneidende Leistungsansprüche gegen ihre KK einerseits und ihre private Krankenversicherung andererseits, steht den Eheleuten die Wahl offen, auf welchem Wege sie die Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft in Anspruch nehmen wollen (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 1 KR 24/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 17 RdNr 26).
Für die Frage, ob eine Überschneidung vorliegt, kommt es bei Leistungen, die - wie hier - ihrer Art nach sowohl von der gesetzlichen als auch von der privaten Krankenversicherung übernommen werden, allein auf einen quantitativen Vergleich der Ansprüche an. Eine Überschneidung liegt erst dann vor, wenn die addierten Ansprüche mehr als 100 vH ergeben, und nur hinsichtlich des Anteils, der 100 vH übersteigt. Die Klägerin und ihrem Ehegatten stand es auch bei fehlender Überschneidung nach Erhalt der Rechnungen für die nunmehr durchgeführten Maßnahmen der künstlichen Befruchtung einschließlich der ICSI demnach frei, hierfür entweder zunächst die private Krankenversicherung des Ehemannes oder die beklagte KK in Anspruch zu nehmen.
c) Die Verpflichtung der beklagten KK auf Erstattung von 50 vH der Kosten ist im vorliegenden Fall nicht durch die gewählte Inanspruchnahme der Leistungen der privaten Krankenversicherung des Ehemannes der Klägerin erloschen. Eine Versicherte hat auch dann Anspruch auf Erstattung von 50 vH der Kosten einer Kinderwunschbehandlung, wenn bereits eine hälftige Kostenübernahme durch die private Krankenversicherung des Ehemannes erfolgt ist. Die (teilweise) Erfüllung einer Forderung steht der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 SGB V nur dann und soweit entgegen, wie der tatsächliche Bedarf nicht mehr besteht (dazu aa). Etwas anderes ergibt sich auch nicht anhand der Auslegung von § 27a SGB V (dazu bb).
aa) Der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 SGB V gegenüber der KK steht es grundsätzlich nicht entgegen, wenn eine Versicherung, eine Beihilfestelle oder ein anderer Sozialleistungsträger die Kosten übernommen hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Dritte die Kosten vollständig und vorbehaltlos übernimmt. Dagegen verbleibt beim Versicherten etwa dann eine Kostenlast, wenn er aus der Zahlung selbst einer Forderung des Dritten ausgesetzt ist (vgl Schifferdecker in BeckOGK SGB V, Stand 15.5.2023, § 13 RdNr 125 mwN). Hat ein Versicherter aus einem eigenen Versicherungsverhältnis hinsichtlich derselben Aufwendungen einen Anspruch gegen seine gesetzliche KK und daneben gegen eine private Krankenversicherung, schließt es die bewusst abschließende Regelung der GKV im SGB V auch aus, aus dem Rechtsgedanken des § 421 BGB ein Gesamtschuldverhältnis zwischen KK und privatem Versicherer abzuleiten, soweit vergleichbare Leistungsbereiche betroffen sind. Denn der private Versicherer erfüllt mit seiner Leistung nicht die Schuld der KK und umgekehrt. Bestehen sich quantitativ überschneidende Leistungsansprüche eines Versicherten gegen seine KK einerseits und seinen (eigenen) privaten Krankenversicherer andererseits, steht dem Versicherten die Wahl offen, auf welchem Wege er Krankenbehandlung in Anspruch nehmen will. Hat einer der Schuldner den Leistungsanspruch erfüllt, erlischt, soweit sich die Ansprüche gegen beide Schuldner quantitativ überschnitten haben, die Schuld des anderen Schuldners, weil der tatsächliche Bedarf nicht mehr besteht (zu überschneidenden Leistungsansprüchen bei Mehrfachversicherung eines Versicherten bei Krankenbehandlung im Ausland BSG vom 11.9.2018 - B 1 KR 7/18 R - BSGE 126, 277 = SozR 4-7610 § 812 Nr 8, RdNr 31 ff).
bb) Aus § 27a Abs 3 Satz 3 SGB V lässt sich nicht ableiten, dass der Anspruch der Klägerin auf hälftige Erstattung der Kosten der bei ihr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlichen Maßnahmen durch die Leistung der privaten Krankenversicherung ihres Ehemannes erloschen wäre, denn ihr Bedarf besteht nach wie vor in Höhe von 50 vH.
Bei § 27a SGB V besteht die Besonderheit, dass Ansprüche im System der GKV aufgrund der Unfruchtbarkeit des Ehepaares als eigenständigem Versicherungsfall (unabhängig von der Ursache der ungewollten Kinderlosigkeit) begründet werden. Da Leistungsansprüche gegen eine private Krankenversicherung hingegen nur bei Krankheit des Versicherten bestehen, kann es insbesondere bei Ehegatten, die unterschiedlichen Krankenversicherungssystemen angehören, zu Lücken oder Überschneidungen des Versicherungsschutzes kommen. Ob und in welchem Umfang dies der Fall ist, hängt davon ab, ob bei einem oder beiden Ehegatten das Vorliegen von Sterilität festgestellt werden kann und wie die Ehegatten jeweils versichert sind (vgl zu den denkbaren Fallgruppen Hauck, SGb 2009, 321, 329; Beckhove, NJOZ 2009, 1465; Bonvie/Naujoks, MedR 2006, 267; Schmeilzl/Krüger, NZS 2006, 630).
Ist - wie vorliegend - der sterile Ehegatte beihilfeberechtigt und im Übrigen privat versichert, hat er gegen seine private Krankenversicherung grundsätzlich Anspruch auf Übernahme der Kosten aller im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung notwendigen Maßnahmen (vgl BGH vom 3.3.2004 - IV ZR 25/03 - BGHZ 158, 166 = juris RdNr 19), also auch der Behandlungskosten seiner Ehefrau, wobei die Kostenerstattung auf den zur Beihilfe komplementären Prozentsatz beschränkt ist. § 27a SGB V trifft indessen keine Regelung zum Ausgleich von Ansprüchen der Ehegatten gegen ihre jeweilige KK oder private Krankenversicherung. § 27a Abs 3 Satz 3 SGB V sieht lediglich vor, dass die KK 50 vH der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen übernimmt, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden. Ob und nach welchen Gesichtspunkten bei "gemischt versicherten" Paaren ggf ein Ausschluss, ein Ausgleich oder eine Kostenteilung der jeweiligen Ansprüche zwischen privater Krankenversicherung und gesetzlicher KK stattfindet, ist im Gesetz nicht geregelt.
Der Senat hat - noch zur Rechtslage vor der Einführung des Eigenanteils in § 27a Abs 3 Satz 3 SGB V und in der Konstellationen eines vollständig und nicht nur ergänzend privat versicherten sterilen Ehemannes - bereits entschieden, dass Ehegatten, die unterschiedlichen Krankenversicherungssystemen angehören, ein Wahlrecht zwischen den Ansprüchen zusteht, wenn sie sich überschneidende Ansprüche auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft gegen ihre gesetzliche und private Krankenversicherung haben. Im Falle eines solchen Wahlrechts lässt die vollständige Erfüllung des Anspruchs gegen die private Krankenversicherung auch den gleichgerichteten, sich inhaltlich überschneidenden Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung erlöschen (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 1 KR 24/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 17 RdNr 24 ff).
Von einer inhaltlichen Überschneidung der Ansprüche ist jedoch nur insoweit auszugehen, als anderenfalls eine Überkompensation einträte, weil Leistungen unterschiedlicher Krankenversicherungsträger hinsichtlich deckungsgleicher Ansprüche kumulieren. Denn Grund für das Untergehen des Anspruchs gegen die GKV ist - wie auch sonst im Rahmen von § 13 Abs 3 SGB V - das Entfallen des tatsächlichen Bedarfs. Haben die Eheleute jedoch nur eine Kostenerstattung für die bei der gesetzlich versicherten Ehefrau bzw extrakorporal vorgenommenen Maßnahmen in Höhe von 50 vH der Behandlungskosten beansprucht und erhalten, erlischt der Anspruch auf Erstattung der übrigen 50 vH gegen die gesetzliche KK nicht. Die Ansprüche gegen private Krankenversicherung und gesetzliche KK sind dann nicht deckungsgleich, sondern ergänzen einander (vgl zutreffend SG Nürnberg vom 28.1.2022 - S 11 KR 767/19 - juris RdNr 49).
Ein anderes Verständnis wäre rein vom Gedanken der Kostenersparnis zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherung getrieben. Zwar trifft es zu, dass Ziel der Einführung des Eigenanteils in Höhe von 50 vH bei Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft in § 27a Abs 3 Satz 3 SGB V die Begrenzung der GKV-Ausgaben war (vgl BT-Drucks 15/1525 S 83). Dies erfolgt jedoch nach der gesetzlichen Konzeption einheitlich durch eine Beschränkung des Anspruchs der gesetzlich versicherten Ehegatten gegen ihre KK(n) auf 50 vH der übernahmefähigen Kosten. Dass dieser Anspruch obendrein subsidiär gegenüber Ansprüchen des anderen Ehegatten in einem anderen Krankenversicherungssystem wäre, sieht das Gesetz dagegen nicht vor.
Für eine solche einseitige Begünstigung der GKV zu Lasten der Eheleute ist auch kein sachlicher Grund erkennbar. Solange der Gesetzgeber an unterschiedlichen Sicherungssystemen zur Absicherung von Krankheit und ihr zugeordneten sonstigen Risiken festhält, ist für den Umfang der Ansprüche allein das jeweilige Sicherungssystem maßgeblich (vgl BSG vom 3.3.2009 - B 1 KR 12/08 R - SozR 4-2500 § 27a Nr 7 RdNr 19). Die Ansprüche des anderen Ehegatten gegen seinen privaten Versicherer sowie ggf auf Beihilfe nach beamtenrechtlichen Vorschriften liegen außerhalb des Regelungsbereichs des SGB V. Müsste ein gesetzlich Versicherter sich die Absicherung des anderen Ehegatten außerhalb der GKV entgegenhalten lassen, würden beide Ehegatten so behandelt, als seien sie beide in der GKV versichert. Dies wäre eine willkürliche Gleichbehandlung "gemischt" versicherter Eheleute.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. |
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Schlegel |
Estelmann |
Geiger |
Fundstellen
KrV 2024, 19 |
MedR 2024, 539 |
SGb 2023, 684 |