Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) über den 31. Dezember 1973 hinaus zusteht.
Der Kläger, der das Tischlerhandwerk erlernt hat, war seit 1960 im Bergbau tätig, zuletzt bis zum 15. Februar 1972 längere Zeit als Hauer. Seit dem 6. Oktober 1973 ist er Taxifahrer. Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 9. Januar 1975 die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit für die Zeit vom 1. November 1973 bis zum 31. Dezember 1973. Für die Zeit danach lehnte sie den Rentenanspruch ab, weil der Kläger aufgrund neuer Kenntnisse und Fertigkeiten ein Entgelt erwerbe, das die persönliche Rentenbemessungsgrundlage übersteige. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte am 28. August 1975 verurteilt , dem Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit über den 31. Dezember 1973 hinaus zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 21. April 1977 das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger gelte nach § 86 Abs. 2 Satz 1 RKG als nicht vermindert bergmännisch berufsfähig, denn er verrichte aufgrund neuer Kenntnisse und Fertigkeiten als Taxifahrer eine Tätigkeit, mit der er mehr als die persönliche Rentenbemessungsgrundlage erwerbe. Es komme nicht darauf an, ob es sich um eine Tätigkeit von "Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" i.S.d. § 45 Abs. 2 RKG handele. Auch sei nicht von Bedeutung, wann der Kläger die für einen Taxifahrer erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten erworben habe, weil es nach der Rechtsprechung nur darauf ankomme, ob es andere Kenntnisse und Fertigkeiten seien als sie für die Tätigkeit eines Hauers gefordert würden. Die Kenntnisse und Fertigkeiten für den Beruf eines Taxifahrers würden zwar nicht im Rahmen eines Lehr- oder Anlernverhältnisses, einer Umschulung oder einer längeren betrieblichen Einweisung und Einarbeitung erworben. Der Führerschein zur Fahrgastbeförderung mit einer Kraftdroschke sei dem Kläger erteilt worden, weil er die Voraussetzungen des § 15e Abs. 1 Nrn. 1 bis 4a und 7 der Straßenverkehrszulassungsordnung -StVZO- erfüllt habe, insbesondere weil er den Führerschein der Klasse III besessen, die persönlichen Voraussetzungen (Zuverlässigkeit, Mindestalter, geistige und körperliche Eignung) erfüllt und nachgewiesen habe, daß er innerhalb der letzten fünf Jahre zwei Jahre lang ein Fahrzeug der Klasse 3 geführt habe und über die erforderlichen Ortskenntnisse verfüge. In ihrer Gesamtheit repräsentierten die Fahrerlaubnis der Klasse 3, die Fahrpraxis und die Ortskenntnisse ein Wissen und Können, das besonders erworben werden müsse. Es handele sich nicht um Kenntnisse und Fertigkeiten, die jeder Versicherte oder Hauer im Normalfall ohnehin besitze oder sich in kurzer Zeit aneignen könne. Das gehe insbesondere aus § 15e Abs. 1 Nr. 4c StZVO hervor, wonach der nach Nr. 4a a.a.O. geforderten zweijährigen Fahrpraxis eine gezielte Ausbildung in der Fahrgastbeförderung bei der Deutschen Bundesbahn oder der Deutschen Bundespost von mindesten drei Monaten gleichgestellt werde. Das effektive Entgelt des Klägers habe seit 1974 über der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage gelegen. Daß der Kläger den Besonderheiten des Berufes eines Taxifahrers entsprechend, eine tägliche Arbeitszeit von 12 Stunden an je sechs Tagen der Woche abzuleisten habe, sei nicht rechtserheblich, denn unter Entgelt i.S. des § 86 Abs. 2 Satz 1 RKG sei der gesamte rentenversicherungspflichtige Effektivlohn einschließlich etwaiger Zulagen für Wechselschichten, Nachtarbeit oder Überstunden zu verstehen. Zwar sei nach § 86 Abs. 2 Satz 1 RKG neben dem Erreichen der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage auch erforderlich, daß das erzielte Entgelt der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig i.S. des § 45 Abs. 2 RKG sei. Das Entgelt des Klägers aus seiner Tätigkeit als Taxifahrer habe aber in der streitigen Zeit stets über dem Tariflohn eines Hauers gelegen.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, die Voraussetzungen des § 86 Abs. 2 Satz 1 RKG lägen nicht vor, insbesondere besitze er keine neuen Kenntnisse und Fertigkeiten im Sinne dieser Vorschrift. Jeder berufsfremde Versicherte könne die Tätigkeit eines Taxifahrers nach kurzer Einweisung und Einarbeitung verrichten. Die zweijährige Fahrpraxis umschreibe keine Kenntnisse und Fertigkeiten. Eine Fahrerlaubnis besitze nahezu jeder Versicherte im Alter des Klägers. Ortskenntnisse seien für die jeweilige Region ebenfalls jedem Versicherten zu unterstellen. Die Gleichstellung der dreimonatigen Ausbildung in § 15e Abs. 1 Nr. 4e StVZO mit der zweijährigen Fahrpraxis im Sinne der Nr. 4a a.a.O. könne nicht auf das RKG übertragen werden. Im übrigen erreiche das Entgelt aus der Tätigkeit als Taxifahrer nicht die persönliche Rentenbemessungsgrundlage. Es komme nicht auf den Jahresverdienst an, sondern - da nur Vergleichbares verglichen werden könne - auf den Lohn, der auf die Arbeitsstunde entfalle.
Der Kläger beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.
Der erkennende Senat hat die Revision des Klägers mit Beschluß vom 12. September 1977 wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Mit Beschluß vom 8. November 1977 hat er den Verwerfungsbeschluß vom 12. September 1977 aufgehoben und dem Kläger wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Entscheidungsgründe
II.
Nachdem der Verwerfungsbeschluß vom 12. September 1977 durch Beschluß vom 8. November 1977 aufgehoben und dem Kläger wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden ist, gilt die Revisionsbegründung als rechtzeitig eingelegt, so daß die statthafte Revision des Klägers zulässig ist. Sie hat jedoch keinen Erfolg. Das LSG hat mit Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat über den 31. Dezember 1973 hinaus keinen Anspruch auf die begehrte Bergmannsrente.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger vermindert bergmännisch berufsfähig i.S. des § 45 Abs. 2 RKG ist, denn selbst wenn das der Fall sein sollte, steht ihm die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG nicht zu. Nach § 86 Abs. 2 Satz 1 RKG gilt ein Versicherter als nicht vermindert bergmännisch berufsfähig, wenn er aufgrund neuer Kenntnisse und Fertigkeiten aus versicherungspflichtiger Beschäftigung mindestens ein Entgelt erwirbt, das der für ihn maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage entspricht. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß diese in einer die Rentenentziehung betreffenden Vorschrift enthaltene negative Fiktion auf die Frage der Rentengewährung entsprechend anzuwenden ist (vgl. SozR 2600 § 45 Nr. 20 und SozR Nr. 3 und 4 zu § 86 RKG). Dabei sind als "neue" Kenntnisse und Fertigkeiten solche anzusehen, die für die "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" nicht erforderlich und also anders sind. Das trifft nach den Feststellungen des LSG im vorliegenden Fall zu.
Die für die Tätigkeit eines Taxifahrers erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten unterscheiden sich wesentlich von denen eines Hauers und können von einem Hauer im allgemeinen auch nicht nach kurzer Einweisung und Einarbeitung erworben werden. Nach § 15d Abs. 1 Nr. 2 StVZO kann als Taxifahrer nur derjenige tätig werden, der die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung nach § 15e Abs. 1 StVZO besitzt. Die Erteilung der Fahrerlaubnis setzt nach § 15e Abs. 1 Nr. 5 StVZO voraus, daß die in a) bis d) a.a.O. genannten Kenntnisse und Fertigkeiten in einer Prüfung nachgewiesen werden. Solange ein Versicherter diese Kenntnisse und Fertigkeiten nicht hat und insbesondere auch die Prüfung nicht bestanden hat, kann nicht davon ausgegangen werden, daß er die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten für die Tätigkeit eines Taxifahrers besitzt. Darüber hinaus sind nach § 15e Abs. 1 StVZO und insbesondere nach Nr. 4 a.a.O. weitere Voraussetzungen für den Erwerb der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erforderlich, die ein Hauer normalerweise nicht schon nach kurzer Einarbeitung und Einweisung am Arbeitsplatz erfüllen kann. Der erkennende Senat hat zwar mehrfach entschieden, daß in der Regel bei einer mindestens dreimonatigen Einarbeitung und Einweisung von neuen Kenntnissen und Fertigkeiten auszugehen ist (vgl. SozR Nr. 40 zu § 45 RKG und SozR 2600 § Nrn. 1 und 3). Die für die Tätigkeit eines Taxifahrers erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten werden jedoch nicht - soweit sie in § 15e Abs. 1 Nr. 4 a und 5 StVZO aufgeführt sind - in einer bestimmten Ausbildung und auch nicht in einer zeitlich begrenzten Einarbeitung und Einweisung am Arbeitsplatz erworben. Gleichwohl handelt es sich in ihrer Gesamtheit um Kenntnisse und Fertigkeiten, die im Verhältnis zu den für die Hauertätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten anders und neu i.S. des § 81 Abs. 2 Satz 1 RKG sind. Das geht - wie das LSG richtig erkannt hat - insbesondere daraus hervor, daß die in § 15e Abs. 1 Nr. 4a StVZO genannten Kenntnisse und Fertigkeiten der in Nr. 4c a.a.O. genannten Ausbildung von mindestens drei Monaten in der Fahrgastbeförderung bei der Deutschen Bundesbahn oder der Deutschen Bundespost gleichgestellt sind.
Im übrigen ist die für den Erwerb der Kenntnisse und Fertigkeiten erforderliche Zeitdauer nicht in jedem Fall und allein maßgebend. Steht nicht fest, in welchem Zeitraum die für eine Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten erworben werden, so kann als Kriterium nur die Frage in Betracht kommen, ob ein Versicherter auf die Tätigkeit auch dann verwiesen werden könnte, wenn er die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten noch nicht hat (vgl. BSG SozR Nr. 40 zu § 45 RKG). Einen Hauer, der die Voraussetzungen des § 15e Abs. 1 StVZO nicht erfüllt, wird man weder im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG noch im Rahmen des § 46 Abs. 2 RKG auf die Tätigkeit eines Taxifahrers verweisen können, weil er die erforderliche Fahrerlaubnis nicht besitzt und auch nicht in einer zumutbaren kurzen Zeit erwerben könnte. Hat er aber die Fahrerlaubnis erworben und ist er in der Lage, die Tätigkeit eines Taxifahrers auszuüben, so ist in seinen Verhältnissen i.S. des § 86 Abs. 1 RKG eine Änderung eingetreten, die bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen die Entziehung der Rente rechtfertigen würde. Dann muß es sich aber auch um neue Kenntnisse und Fertigkeiten i.S. des § 86 Abs. 2 RKG handeln. Für die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf den Fall der Rentengewährung kommt es nicht darauf an, wann der Versicherte die Kenntnisse und Fertigkeiten erworben hat, insbesondere ob er sie schon vor Verrichtung seiner knappschaftlichen Tätigkeit hatte. Es ist rechtlich auch nicht von Bedeutung, ob es sich bei der neuen Tätigkeit um eine solche handelt, die i.S. des § 45 Abs. 2 RKG von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten verrichtet wird (vgl. BSG SozR 2600 § 86 Nr. 3).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die der Kläger nicht mit einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge angegriffen hat, ist auch davon auszugehen, daß der Kläger mit der Tätigkeit eines Taxifahrers ein Entgelt erwirbt, das seiner persönlichen Rentenbemessungsgrundlage entspricht. Dabei ist ohne rechtliche Bedeutung, ob der Kläger - wie er behauptet - einschließlich der Bereitschaft an 6 Tagen der Woche eine Arbeitszeit von je 12 Stunden hat. Nach § 86 Abs. 2 Satz 1 RKG kommt es - anders als in § 45 Abs. 1 Nr. 2 und § 45 Abs. 2 RKG - nicht auf den wirtschaftlichen Wert der Tätigkeit, d.h. auf die Entlohnung bei normaler Arbeitszeit an, wie er in den Tariflöhnen seinen Ausdruck findet; maßgebend ist vielmehr der tatsächlich erzielte Lohn einschließlich aller Zulagen für Wechselschichten, Nachtarbeit oder Überstunden. Zuschläge und Zuschüsse bleiben nur insoweit unberücksichtigt, als sich das aus § 86 Abs. 2 Satz 3 RKG ergibt (vgl. hierzu BSG SozR 2600 § 86 Nr. 3).
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist neben dem Erreichen der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage auch zu fordern, daß der aufgrund neuer Kenntnisse und Fertigkeiten erzielte Lohn der früheren knappschaftlichen Tätigkeit i.S. des § 45 Abs. 2 RKG im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig ist (vgl. SozR 2600 § 45 Nr. 20). Das ist aber auch der Fall, denn nach den nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts lag der Effektivlohn des Klägers stets über dem Tariflohn eines Hauers in der Gewinnung.
Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen