Leitsatz (amtlich)

Hat die Versorgungsverwaltung die Ausgleichsrente zum Teil gewährt, weil sie den Lebensunterhalt im Sinne des BVG § 32 teilweise als nicht gesichert angesehen hat, so betrifft die Klage auf höhere Ausgleichsrente einen Streit über ihre Höhe mit der Folge, daß die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts nach SGG § 148 Nr 4 ausgeschlossen ist (Anschluß BSG 1956-06-07 8 RV 411/54 = BSGE 3, 124; Anschluß BSG 1956-10-26 8 RV 17/55 = BSGE 4, 71).

 

Normenkette

SGG § 148 Nr. 4 Fassung: 1953-09-03; BVG § 32 Fassung: 1956-06-06, § 33 Fassung: 1956-06-06

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Mai 1954 wird verworfen. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der Kläger bezog auf Grund des Körperbeschädigten-Leistungsgesetzes (KBLG) eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H. Durch Umanerkennungsbescheid vom 1. September 1951 bewilligte ihm das Versorgungsamt (VersorgA.) die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und die halbe Ausgleichsrente ab 1. Oktober 1950 mit 25,-- DM monatlich, ab 1. März 1951 (nach Geburt eines Kindes) mit 30,-- DM monatlich. Das VersorgA. hat in dem Bescheid ausgeführt, der Kläger könne nur die halbe Ausgleichsrente erhalten, weil er in dem landwirtschaftlichen Betrieb seiner Schwiegereltern tätig sei und für sich und seine Familie freien Unterhalt beziehe. Auf die Berufung des Klägers, mit der er die Zuerkennung einer höheren Ausgleichsrente begehrte, hat das Württembergische Oberversicherungsamt (OVA.) durch Urteil vom 4. Dezember 1952 den Beklagten verurteilt, dem Kläger vom 1. Oktober 1950 an eine monatliche Ausgleichsrente von 50,-- DM und vom 1. März 1951 an von 60,-- DM zu gewähren.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte beim Landesversicherungsamt Württemberg-Baden Rekurs eingelegt, der nach § 215 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 1. Januar 1954 auf das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG.) übergegangen ist. Er hat beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteiles den Bescheid des VersorgA. vom 1. September 1951 wiederherzustellen. Das LSG. hat angenommen, daß der zulässig eingelegte Rekurs als Berufung nach § 148 Nr. 4 SGG unzulässig geworden sei, und danach durch Urteil vom 19. Mai 1954 die Berufung als unzulässig verworfen. Das LSG. folgert aus dem aus § 214 SGG ersichtlichen Zweck des SGG, die Rechtsmittel in Altfällen zu beschränken, daß auch die nach § 215 Abs. 3 SGG vom Landesversicherungsamt Württemberg-Baden auf das LSG. übergegangenen Streitsachen den Beschränkungen unterworfen sind, die das SGG allgemein für Berufungen vorschreibt. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Gegen das Urteil des LSG. hat der Beklagte Revision eingelegt mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Beklagte rügt als wesentlichen Mangel des Verfahrens, daß die Berufung nach § 148 Nr. 4 SGG als unzulässig verworfen wurde. Diese Vorschrift sei auf übergegangene Berufungen überhaupt nicht anwendbar. Außerdem betreffe der Streit nicht die Höhe der Ausgleichsrente, sondern die Frage, ob der Lebensunterhalt des Klägers durch seine Tätigkeit in der Landwirtschaft seiner Schwiegereltern gesichert sei (§ 32 Abs. 1 BVG). Der Kläger hat Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Da das LSG. sie nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und eine Entscheidung nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 a.a.O. nicht getroffen wurde, ist die Revision gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 a.a.O. nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und vorliegt (BSG. 1 S. 150).

Der vom Beklagten geltend gemachte Verfahrensmangel, das LSG. habe zu Unrecht die Berufung verworfen, anstatt sachlich zu entscheiden, da nicht die Berechnung der Ausgleichsrente, sondern die Sicherstellung des Lebensunterhalts des Klägers streitig sei (Verletzung des § 148 Nr. 4, § 215 Abs. 3 SGG), trifft nicht zu.

Wie das Bundessozialgericht bereits entschieden hat, ist nach Übergang der in Bayern und Baden-Württemberg zulässig eingelegten Rekurse auf das LSG. deren Statthaftigkeit als Berufungen neuen Rechts nach §§ 144 bis 150 SGG zu beurteilen (BSG. 1 S. 62 und 264; Beschluß vom 29.11.1955 - 9 RV 408/54). Das LSG. hat daher mit Recht zunächst die Zulässigkeit des Rekurses nach § 33 KBLG, §§ 1699, 1700 Reichsversicherungsordnung (RVO) geprüft und bejaht, und hierauf die Statthaftigkeit des Rekurses als Berufung nach den Vorschriften des SGG untersucht.

Dabei hat es ebenso mit Recht die Berufung nicht gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen (vgl. BSG. 1 S. 62), weil es sich nicht um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handelte. Es hat vielmehr zutreffend die Berufung gemäß § 148 Nr. 4 SGG verworfen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Berufung gemäß § 148 Nr. 4 SGG ausgeschlossen, wenn das angefochtene Urteil lediglich die Berechnung der Ausgleichsrente (§ 33 BVG) und nicht den Grund der Ausgleichsrente, insbesondere die Frage der Sicherstellung des Lebensunterhalts betrifft (Urteile des 8. Senats vom 7.6.56 - 8 RV 411/54 und vom 26.10.56 - 8 RV 17/55). In den diesen beiden Urteilen zu Grunde liegenden Tatbeständen war die Frage, ob der Lebensunterhalt auf andere Weise gesichert ist, voll bejaht, und die Ausgleichsrente von der Versorgungsverwaltung daher ganz abgelehnt worden.

In dem hier zu entscheidenden Falle hat das VersorgA. dagegen anerkannt, daß der Lebensunterhalt auf andere Weise nicht, mindestens nicht völlig sichergestellt ist, und demzufolge die halbe Ausgleichsrente gewährt. Nur wenn der Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sichergestellt ist, kann überhaupt gemäß § 32 Abs. 1 BVG eine Ausgleichsrente gewährt werden.

Der erkennende Senat hat sich den in den erwähnten Urteilen entwickelten Rechtssätzen auch hier angeschlossen. Denn die Frage, ob dann, wenn der Lebensunterhalt nicht sichergestellt ist und infolgedessen dem Versorgungsberechtigten Ausgleichsrente jedenfalls zusteht, die volle Ausgleichsrente oder nur ein Teilbetrag der Rente zu gewähren ist, betrifft nicht mehr die Voraussetzung für die Ausgleichsrente überhaupt, sondern nur noch ihre Höhe. Der Unterschied der beiden Tatbestände besteht nur darin, daß hier das VersorgA. bei der Berechnung der Ausgleichsrente gemäß § 33 BVG das sonstige Einkommen des Klägers berücksichtigt hat. Beide Tatbestände liegen jedoch insofern gleich, als die Grundvoraussetzung der Ausgleichsrente, die Sicherstellung des Lebensunterhalts, nicht mehr streitig ist. Nur dann, wenn diese Voraussetzung in vollem Umfang streitig ist, rechtfertigt sich nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes die Eröffnung einer weiteren Instanz.

Das OVA. konnte nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften den BVG-Bescheid vom 1. September 1951 nicht zu Ungunsten des Klägers abändern (§ 33 KBLG, § 84 Abs. 3 BVG, Mitgliederkommentar zur RVO, Anm. 5 g und h zu § 1583). Es hatte sonach nur darüber zu entscheiden, ob dem Kläger auf Grund der feststehenden Voraussetzung für die Zubilligung der Ausgleichsrente, nämlich der fehlenden Sicherstellung des Lebensunterhalts, eine höhere Ausgleichsrente zu gewähren sei. Das Urteil betraf lediglich noch die Berechnung und damit die Höhe der Ausgleichsrente im Sinne des § 33 BVG.

Das LSG. hat deshalb zu Recht die Berufung nach § 148 Nr. 4 SGG für ausgeschlossen erachtet.

Da der gerügte Verfahrensmangel nicht vorliegt, ist die Revision nicht statthaft, sie war daher als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2336634

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