Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Dezember 1959 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Urteilsausspruch wie folgt neu gefaßt wird:
„Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. Mai 1959 wird zurückgewiesen. Soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 10. Juli 1959 begehrt, wird die Klage abgewiesen.”
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger betreibt seit 1950 ein Laboratorium für Harn-, Blut- und Sputumuntezsuchungen. Im Juli 1952 nahm ihn die beklagte Berufsgenossenschaft mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 als Mitglied auf; den Mitgliedschein übersandte sie ihm mit einem formlosen Schreiben. Einen Rechtsbehelf legte der Kläger hiergegen nicht ein. Durch Heberollenauszug vom Jahre 1956 – das Datum des Auszuges und der Zustellung an den Kläger steht nicht fest – forderte die Beklagte für 1955 einen Beitrag und für 1956 einen Vorschuß von je 66,– DM für „zwei Vollbeschäftigte bezw. Versicherte” mit einem Kopfbeitrag von je 33,– DM. Der Kläger leistete der Zahlungsaufforderung keine Folge. Die am 4. September 1956 gegen ihn eingeleitete Zwangsvollstreckung blieb ohne Erfolg.
Mit Schreiben vom 15. Oktober 1956 legte der Kläger Widerspruch gegen die Beitrags- und Vorschußanforderung ein. Er führte aus, er sei als freiberuflich tätiger Chemiker versicherungsfrei und habe im Jahre 1955 keine weiteren Personen, im Jahre 1956 nur seine Ehefrau in seinem Laboratorium beschäftigt. Durch Bescheid vom 29. Juni 1957 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der hiergegen am 29. Juli 1957 erhobenen Klage hat der Kläger vorgebracht, § 541 Nr. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) – nach dieser Vorschrift sind Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Zahnärzte, Dentisten, Apotheker und Heilpraktiker bei ihrer freiberuflichen Tätigkeit versicherungsfrei – gelte für alle freiberuflich tätigen Personen, die eine gleiche Tätigkeit ausübten wie die beispielsweise aufgeführten Berufsgruppen. Entscheidend sei also die Art der Tätigkeit. Laboratorien in der Art seines Unternehmens würden in der Regel von Ärzten geleitet. Deshalb sei auch er, obwohl er kein Arzt sei, versicherungsfrei.
Durch Urteil vom 6. Mai 1959 hat das Sozialgericht (SG) Hannover die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen eingelegt. Im Verlaufe dieses Rechtszuges hat die Beklagte durch Bescheid vom 10. Juli 1959 an Stelle der früheren Vorschußanforderung auf die für 1956 zu erwartenden Beiträge die Beitragsforderung für 1956 auf je 33,– DM für den Kläger und seine Ehefrau festgesetzt. In der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 1959 haben die Beteiligten über einen Teil des Streitgegenstandes folgenden Vergleich geschlossen:
- „Die Beklagte fordert in Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1957 vom Kläger an Beiträgen für die Jahre 1955 und 1956 je 33,– DM = 66,– DM für die Person des Klägers.
- Der Kläger ist hiermit einverstanden und verpflichtet sich, den Beitrag für seine Ehefrau aus dem Jahre 1956 in Höhe von 33,– DM zu zahlen.
- Beide Beteiligten sehen den Rechtsstreit insoweit als erledigt an.”
Hinsichtlich des Streitgegenstandes im übrigen hat das LSG durch Urteil vom 17. Dezember 1959 die Berufung des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Gegenstand des Verfahrens sei gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) – in Form der Klage – auch der Bescheid vom 10. Juli 1959; er ersetze den Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 1957 insoweit, als die Beklagte an Stelle der Vorschußleistung für die auf die Person des Klägers für 1956 zu erwartenden Beiträge nunmehr den Beitrag selbst fordere.– Der Kläger gehöre zu dem nach § 537 Nr. 2 RVO versicherten Personenkreis; denn die Tätigkeit, die er in seinem Betriebe verrichte, diene der medizinischen Diagnostik und sei mithin Teil des Gesundheitswesens. Der Kläger als Chemiker sei nicht durch die Ausnahmevorschrift des § 541 Nr. 5 RVO von der gesetzlichen Unfallversicherung ausgenommen. Die Aufzählung der Berufsgruppen in Nr. 5 sei erschöpfend. Unerheblich sei, daß freiberuflich tätige Chemiker sich möglicherweise ebenso wie die in § 541 Nr. 5 RVO aufgeführten Berufe aus eigener Kraft gegen die wirtschaftlichen Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sichern könnten, also des Versicherungsschutzes nicht bedürften. Der Kläger könne auch nicht deshalb wie ein Arzt behandelt werden, weil die von ihm verrichtete Tätigkeit sonst regelmäßig von Ärzten freiberuflich ausgeübt werde. Wenn die gegenteilige Auffassung des Klägers zuträfe, wäre es nicht erforderlich gewesen, in § 541 Nr. 5 RVO neben den Ärzten die Heilpraktiker und neben den Zahnärzten die Dentisten gesondert aufzuführen. § 541 Nr. 5 RVO verstoße auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG).
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist dem Kläger am 18. Januar 1960 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 15. Februar 1960 Revision eingelegt und diese am 15. März 1960 begründet.
Die Revision rügt Verletzung des § 541 Nr. 5 RVO durch Nichtanwendung dieser Vorschrift. Sie führt aus: Der Gesetzgeber habe alle echten freien Berufe im Gesundheitswesen aus der Versicherungspflicht herausnehmen wollen; eine Ausnahme gelte nur für Tierärzte, die wegen der erhöhten Unfallgefahr in diesem Beruf an dem Versicherungsschutz interessiert gewesen seien. Die amtliche Begründung zum Sechsten Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung (6. ÄndG) vom 9. März 1942 lasse erkennen, daß – abgesehen von den Tierärzten – nur solche Personen versicherungspflichtig seien, die eine unterstützende oder beigeordnete Tätigkeit im Gesundheitswesen ausüben und insbesondere einer akademischen Vorbildung nicht bedürfen, wie zB Hebammen, Wochenbettpflegerinnen, Krankenpfleger, Heilgymnastinnen, Masseure, Fußpfleger, Desinfektoren usw. Chemiker seien offensichtlich nur deshalb nicht ausdrücklich in den Kreis der versicherungsfreien Personen aufgenommen worden, weil es nur sehr wenige Chemiker als Unternehmer eines medizinisch diagnostischen Laboratoriums gebe. Freiberuflich tätige Chemiker hätten auch, weil sie berufsständisch nicht organisiert seien, keine Möglichkeit gehabt, die Fassung des Gesetzes zu beeinflussen. An den Fall des Klägers sei also gar nicht gedacht worden. Die somit bestehende Gesetzeslücke müsse die Rechtsprechung unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Art. 3 GG in dem Sinne schließen, daß die von dem Kläger ausgeübte Tätigkeit seine Versicherungsfreiheit begründe. Ferner weist die Revision darauf hin, daß nach § 12 Abs. 1 des Gesetzes über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin vom 21. Dezember 1958 (BGBl I, 981) medizinisch diagnostische Laboruntersuchungen von Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten sowie von Apothekern und Personen mit abgeschlossener naturwissenschaftlicher Hochschulausbildung, die über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen, durchgeführt werden könnten. Die Revision meint, damit sei die zuletzt aufgeführte Personengruppe vom Gesetzgeber als gleichberechtigt bei der Durchführung von medizinisch-diagnostischen Laboruntersuchungen anerkannt worden und der Kläger dürfe versicherungsrechtlich nicht anders behandelt werden als ein Arzt, der eine entsprechende Labortätigkeit ausübe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 17. Dezember 1959, das Urteil des SG Hannover vom 6. Mai 1959 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 29. Juni 1957 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 1959 insoweit aufzuheben, als er die Beitragsforderung der Beklagten für das Jahr 1956 in bezug auf den Kläger betrifft.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie pflichtet der Begründung des angefochtenen Urteils bei.
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, also zulässig; sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Gegenstand des Rechtsstreits in der Revisionsinstanz sind die nicht datierte Beitrags- und Vorschußanforderung der Beklagten aus dem Jahre 1956 in der Passung des durch den Teilvergleich vom 17. Dezember 1959 geänderten Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1957 sowie – auf Grund der §§ 96, 153 SGG – der ersetzende Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 1959. Diese Verwaltungsakten betreffen den – unter den Beteiligten allein noch streitigen – Unternehmerbeitrag des Klägers für die Jahre 1955 und 1956 in Höhe von je 33,– DM.
Wie das LSG zutreffend angenommen hat und auch der Kläger selbst nicht in Zweifel zieht, übt dieser mit dem Betrieb seines Laboratoriums eine Tätigkeit im Gesundheitsdienst im Sinne des § 537 Nr. 2 RVO aus; denn die Ergebnisse der Harn-, Blut- und Sputumuntersuchungen dienen diagnostischen Zwecken der Humanmedizin. Daß auch die freiberuflich im Gesundheitswesen. Tätigen grundsätzlich von der Versicherungspflicht erfaßt werden, ergibt sich aus einem Vergleich mit § 537 Nr. 1 RVO; denn die auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten sind schon auf Grund dieser Vorschrift versichert. Laboratorien der von dem Kläger betriebenen Art, die bereits nach § 537 Nr. 4 c RVO idF des 3. ÄndG vom 20. Dezember 1928 (RGBl I, 405) der Unfallversicherung unterlagen, sind durch die Verordnung über Träger der Unfallversicherung vom 17. Mai 1929 (RGBl I, 104) – Abschn. A Ziff. I – der beklagten Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zugewiesen worden. Die Beklagte ist daher, sofern der Kläger nicht – wie er meint – nach § 541 Nr. 5 RVO versicherungsfrei ist, berechtigt, von ihm als ihrem Mitglied Beiträge nach Maßgabe ihrer Satzung zu erheben (§§ 649, 731 RVO).
Das LSG hat den Kläger zu Recht nicht als versicherungsfrei angesehen. In § 541 Nr. 5 RVO sind Chemiker nicht als versicherungsfrei aufgeführt. Diese Vorschrift läßt sich auch nicht, wie der Kläger meint, sinngemäß auf solche Chemiker anwenden, die eine ähnliche Tätigkeit ausüben wie freiberuflich tätige und insoweit versicherungsfreie Ärzte. Dem steht entgegen, daß, worauf das LSG mit Recht hingewiesen hat, neben den Ärzten zB die Heilpraktiker und neben den Zahnärzten die Dentisten als versicherungsfrei aufgeführt sind. Träfe die Auffassung des Klägers zu, daß die Anwendbarkeit des § 541 Nr. 5 RVO nicht entscheidend von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, sondern von der ausgeübten Tätigkeit abhänge, so wäre es nicht erforderlich gewesen, die Heilpraktiker im Gesetz besonders aufzuführen; denn dann wären sie schon deswegen versicherungsfrei, weil sie in ähnlicher Weise wie freiberufliche Ärzte im Gesundheitswesen tätig sind. Man muß daher annehmen, daß in § 541 Nr. 5 RVO die versicherungsfreien Berufsgruppen erschöpfend aufgezählt sind. Von dieser Annahme ist der erkennende Senat auch in BSG 9, 261, 263 ausgegangen. Dementsprechend ist auch in der amtlichen Begründung zum 6. ÄndG ausgeführt, daß von den in der Wohlfahrtspflege und im Gesundheitswesen Tätigen nur die Ärzte, Zahnärzte, Dentisten, Apotheker und Heilpraktiker unfallversicherungsfrei seien (AN 1942 II, 199; so auch Jantz, AN 1942 II 209, 210). Aus dem Gesetz läßt sich auch nicht die – vom Kläger offenbar vertretene – Auffassung herleiten, daß wenigstens die akademisch vorgebildeten Berufstätigen, die wie Ärzte tätig sind, diesen in der Versicherungsfreiheit gleichzustellen seien. Hiergegen spricht, daß in § 541 Nr. 5 RVO nicht nur akademische Berufsgruppen, sondern auch Heilpraktiker und Dentisten aufgeführt sind.
Ebensowenig läßt sich aus dem Zweck, welcher der Regelung des § 541 Nr. 5 RVO zugrunde liegt, etwas für die Auffassung des Klägers herleiten. Wie Jantz (aaO S. 209) ausführt, sind die Berufsgruppen der Ärzte, Zahnärzte usw. für versicherungsfrei erklärt worden, „weil ihnen im allgemeinen andere Schutz- und Sicherungsmöglichkeiten in angemessenem Umfange zur Verfügung stehen”. Vom Fehlen einer solchen sozialen Schutzbedürftigkeit geht offenbar auch § 541 Nr. 4 des Entwurfs eines Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (BT-Drucks. IV/120) aus; denn er sieht nach wie vor für Ärzte, Heilpraktiker, Zahnärzte, Dentisten und Apotheker, soweit sie eine selbständige berufliche Tätigkeit ausüben, Versicherungsfreiheit vor und dehnt diese auch auf Tierärzte und Tierheilkundige aus (vgl. hierzu indessen Linthe, BGl 1956, 542, 343 re.Sp.). Daraus muß jedoch nicht geschlossen werden, daß auch ein Chemiker, der ein Laboratorium der oben angeführten Art betreibt, eines besonderen Unfallversicherungsschutzes nicht bedürfe. Ein Arzt, der ein Laboratorium betreibt, hat weitergehende Erwerbsmöglichkeiten, weil er nicht nur auf die Einkünfte aus dem Laboratorium angewiesen, sondern nebenbei zur Ausübung einer ärztlichen Praxis berechtigt ist. Daß speziell der Kläger gegenwärtig wirtschaftlich gut gestellt sein mag – er will im Jahre 1957 Einkünfte von 48.000,– DM gehabt haben –, rechtfertigt keine versicherungsrechtliche Sonderbehandlung.
Schließlich ist für die vom Kläger erstrebte ausdehnende Anwendung des § 541 Nr. 5 RVO auf gewisse freiberuflich tätige Chemiker auch nichts aus dem Gesetz über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin vom 21. Dezember 1958 (BGBl I 981) herzuleiten. In §§ 11, 12 dieses Gesetzes ist lediglich bestimmt, daß Personen mit abgeschlossener naturwissenschaftlicher Hochschulbildung, die über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen – darunter fallen auch Chemiker –, ebensowenig wie Ärzte und Zahnärzte einer besonderen Erlaubnis nach dem angeführten Gesetz bedürfen, wenn sie Tätigkeiten auszuüben beabsichtigen, die zu dem Aufgabenbereich einer medizinisch-technischen Assistentin gehören. Dies bedeutet nicht, daß Chemiker auch in anderer Hinsicht, so zB hinsichtlich der Versicherungsfreiheit, einem Arzt gleichzustellen wären.
Es verstößt auch nicht, wie das LSG zutreffend ausgeführt und der Kläger in der Revisionsinstanz nicht mehr ausdrücklich in Zweifel gezogen hat, gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, daß der Kläger als Unternehmer eines medizinischen Laboratoriums versicherungspflichtig ist, während dies für einen Arzt in gleicher Tätigkeit nicht gilt. Der Gesetzgeber hält sich mit dieser unterschiedlichen Regelung im Rahmen des ihm vom Grundgesetz eingeräumten Ermessensspielraums (vgl. hierzu BSG 9, 263).
Die Revision des Klägers ist somit begründet und mußte zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG). Dabei sah sich der Senat veranlaßt, durch eine Änderung des zweitinstanzlichen Urteilsausspruchs klarzustellen, daß das LSG über den während des Berufungsverfahrens erlassenen Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 1959 nicht als Berufungsgericht, sondern als erste Instanz entschieden hat. Dies hat das LSG offenbar auch nicht verkannt, denn es hat ausgeführt, der neue Verwaltungsakt sei „in Form der Klage” Gegenstand des Verfahrens geworden; das LSG hätte aber dementsprechend insoweit nicht die Berufung zurückweisen, sondern die Klage abweisen müssen. Der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat allerdings im Beschluß vom 14. Dezember 1959 – BSG 11, 146 – ausgeführt, ein während des Berufungsverfahrens erlassener neuer Verwaltungsakt im Sinne des § 96 SGG werde nicht kraft Klage, sondern kraft Berufung Gegenstand des Verfahrens. Diese Auffassung hat der 10. Senat jedoch auf Anfrage des erkennenden Senats ausdrücklich aufgegeben; sie trifft auch nicht zu. Richtig ist zwar, daß die Landessozialgerichte im zweiten Rechtszug über Berufungen gegen Urteile der Sozialgerichte entscheiden (§ 29 SGG) und daß ein neuer Verwaltungsakt im Sinne des § 96 SGG, der während eines Berufungsverfahrens ergeht, Gegenstand dieses Verfahrens, also des Verfahrens vor dem LSG, wird (§§ 96, 153 SGG). Dies rechtfertigt jedoch nicht den Schluß, daß die Landessozialgerichte nur über Berufungen entscheiden, daß insbesondere auch insoweit eine Berufung vorliege, als der Streitgegenstand in der Berufungsinstanz durch eine – gewillkürte oder, wie im Falle des § 96 SGG, auf Gesetz beruhende – Klagänderung eine Erweiterung erfährt. Jede Berufung setzt nach dem System des SGG begrifflich eine erstinstanzliche Entscheidung voraus; es gibt keine Berufung unmittelbar gegen Verwaltungsakte, sie findet nur gegen Urteile der Sozialgerichte statt (§ 143 SGG). Deshalb entscheidet das LSG über einen erst während des Berufungsverfahrens ergangenen neuen Verwaltungsakt im Sinne des § 96 SGG ebensowohl als erste Instanz wie es dies beispielsweise bei einer erst im Laufe des Berufungsverfahrens erhobenen Widerklage (vgl. BSG 3, 135, 140; 17, 139, 142) tut; im letzteren Falle wird, wenn der in erster Instanz unterlegene Beklagte auch mit der in der zweiten Instanz erhobenen Widerklage erfolglos bleibt, nicht nur die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, sondern darüber hinaus die Widerklage abgewiesen (vgl. BSG 3, 135, 141; 6, 97). Gegen die Auffassung, das LSG entscheide über einen Zweitbescheid der hier vorliegenden Art als erste Instanz, lassen sich keine Bedenken daraus herleiten, daß diese Auffassung zur unmittelbaren Revisibilitat einer erstinstanzlichen Entscheidung führt (vgl. hierzu Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 96 Anm. 2 c). Der Wortlaut des § 160 SGG läßt dies zu, und das Rechtsinstitut der Sprungrevision (§ 161 SGG) zeigt, daß das Fehlen einer zweiten Tatsacheninstanz dem SGG nicht wesensfremd ist (BSG 6, 20). Hiernach bedarf es nicht mehr des Hinweises, daß die Landessozialgerichte zuweilen auch in Übergangsfällen des § 215 Abs. 3 SGG, zB wenn ein erstinstanzliches Verfahren nach §§ 1756, 1740 RVO von einem Landesversicherungsamt auf das LSG übergegangen ist (BSG 3, 182), als erste Instanz zu entscheiden haben. Folgt man der von dem erkennenden Senat vertretenen Auffassung, die der fast einhelligen Meinung des Schrifttums entspricht (Peters/Sautter/Wolff aaO; Rohwer-Kahlmann, § 96 Erl. 5; Neugebauer, KOV 1955, 131, 133; Kirsch, KOV 1957, 147, 148; Miesbach, Die Abänderung oder Ersetzung des angefochtenen Verwaltungsaktes während des sozialgerichtlichen Verfahrens, Verlag Chmielorz 1959, S. 90 = SGB 1958, Beilage zu Heft 12 S. 20; aA offenbar Mellwitz, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, § 96 Anm. 5), so ist auch die Frage nach der Anwendbarkeit der Vorschriften über den Ausschluß der Berufung (§§ 144 ff SGG) in Fällen des Zweitbescheides nach §§ 96, 153 SGG zwangsläufig verneinend zu beantworten; für einen Ausschluß der Berufung ist kein Raum, weil es sich bei dem Streit um den Zweitbescheid in solchen Fällen nicht um eine. Berufung handelt.
Aus den angeführten Gründen hat der Senat es für geboten gehalten, den Entscheidungssatz des angefochtenen Urteils wie folgt neu zu fassen:
„Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 6. Mai 1959 wird zurückgewiesen. Soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 10. Juli 1959 begehrt, wird die Klage abgewiesen”.
Mit dieser Maßgabe wurde die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht in Anwendung des § 193 SGG.
Unterschriften
Brackmann, Hunger, Schmitt
Fundstellen