Entscheidungsstichwort (Thema)

Absolute Fahruntüchtigkeit. Mopedfahrer

 

Orientierungssatz

Für Mopedfahrer gilt derselbe Grenzwert für absolute Fahruntüchtigkeit wie für die anderen Kraftradfahrer. Insoweit bisher etwa bestehende Zweifel sind jedenfalls durch die Entscheidung des BGH vom 1981-10-29 4 StR 262/81 = Blutalkohol 1982, 88 ausgeräumt, nach der aufgrund fundierter medizinisch-wissenschaftlicher Untersuchungen auch die Fahrer von Mofas ("Mofa 25") bereits mit einer BAK von 1,3 Promille absolut fahruntüchtig sind (siehe BSG 1982-03-30 2 RU 90/80).

 

Normenkette

RVO § 550 Abs 1 Fassung: 1974-04-01

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 24.06.1981; Aktenzeichen L 3 U 153/80)

SG Koblenz (Entscheidung vom 21.08.1980; Aktenzeichen S 10 U 303/79)

 

Tatbestand

Der Kläger     nahm am 15. Dezember 1978 an einer Jahresabschlußfeier teil, die er gegen 23.00 oder 23.10 Uhr verließ, um mit seinem Moped zu seiner Wohnung zu fahren. Nach 4,6 km Fahrstrecke stürzte er auf den in seiner Fahrtrichtung gelegenen rechten Bürgersteig und stieß gegen den Pfosten eines Verkehrszeichens. Nach seiner Einlieferung in das Krankenhaus wurde ihm um 0.15 Uhr (am 16. Dezember 1978) eine Blutprobe entnommen, die im Mittelwert der Analysen eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,34 Promille ergab. Wegen einer Gehirnerschütterung mit Kopfplatzwunden und offener Unterschenkelfraktur rechts wurde er bis zum 19. Januar 1979 stationär behandelt.

Die Beklagte lehnte durch Schreiben vom 3. August 1979 eine Entschädigung ab, da im Unfallzeitpunkt eine BAK von 1,34 Promille vorgelegen habe, der Unfall folglich auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführen sei und andere Unfallursachen nicht hätten ermittelt werden können.

Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1979, Urteile des Sozialgerichts vom 21. August 1980 und des Landessozialgerichts -LSG - vom 24. Juni 1981). Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt: Der Kläger sei zwar auf einem mit seiner versicherten Tätigkeit - der Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung - zusammenhängenden Weg von seiner Arbeitsstätte verunglückt (§ 550 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Wegen alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit als allein wesentliche Unfallursache habe für ihn jedoch zur Unfallzeit kein Versicherungsschutz bestanden. Für Fahrer eines Mopeds sei zwar in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch kein Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit festgelegt worden. Nach neueren Erkenntnissen sei jedoch für Fahrer von Mopeds (Kleinkrafträdern, die die Klasse des Fahrrades mit Hilfsmotor - "Mofa 25" - übersteigen) bei einer BAK von 1,3 Promille absolute Fahruntüchtigkeit anzunehmen. Das Moped bleibe mit seiner durch die Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h nur wenig hinter der in geschlossenen Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zurück; es sei auch in der Beschleunigung, beim Anfahren und im Leistungsgewicht den Kleinwagen nicht mehr stark unterlegen; auch sei nunmehr für die Erteilung der Fahrerlaubnis der Nachweis praktischer Kenntnisse erforderlich. Schließlich müsse besonders berücksichtigt werden, daß seit dem vom Bundesgesundheitsamt im Jahre 1966 erstatteten Gutachten ("Alkohol bei Verkehrsstraftaten", Kirschbaum-Verlag 1966, bearbeitet von Lundt und Jahn) der Straßenverkehr nach der Anzahl und der Geschwindigkeit der Fahrzeuge sowie nach deren Beschleunigungsvermögen erheblich zugenommen habe und die überproportionale Zunahme der motorisierten Zweiradfahrer an den Verkehrsunfällen eine beträchtliche Zunahme der Gefährlichkeit dieser Fahrzeuge beweise. Allein dies verlange die Festlegung des Grenzwerts für Mopedfahrer auf 1,3 Promille. Im vorliegenden Fall habe sich der Unfall unter Berücksichtigung der Abfahrtszeit (gegen 23.00 Uhr oder 23.10 Uhr) und der zurückgelegten Wegstrecke gegen 23.30 Uhr ("kaum vor 23.15 Uhr") ereignet. Zwar könne die BAK im Unfallzeitpunkt sogar niedriger als im Blutentnahmezeitpunkt (0.15 Uhr am folgenden Tag) gewesen sein, wenn der Unfall im Verhältnis zur jeweiligen Resorptionsdauer nur relativ kurze Zeit nach dem Trinkende liege. Die Resorptionsphase sei, um mit Sicherheit jede Benachteiligung eines Kraftfahrers auszuschließen, mit 120 Minuten nach Trinkende anzunehmen (s BGHSt 25, 246; s auch BSG Urteil vom 31. März 1981 - 2 RU 13/79 -). Es bestehe aber kein Anhalt dafür, daß der Kläger kurz vor Antritt seiner Heimfahrt noch eine größere Menge Alkohol zu sich genommen habe. Da der Kläger absolut fahruntüchtig gewesen sei und es deshalb hier keiner sonstigen Beweisanzeichen bedürfe, sei die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Unfallursache.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend: Bei der um 0.15 Uhr am 16. Dezember 1978 ermittelten BAK könne ohne weiteres auf eine BAK von nur 1,2 Promille bei Antritt der Fahrt ausgegangen werden. Aber auch bei einer von den Instanzgerichten zugrundegelegten BAK von 1,34 Promille zur Unfallzeit sei der Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen. Es sei davon auszugehen, daß im Hinblick auf die vom Kläger zuletzt noch im Rückspiegel bemerkten Scheinwerferlichter und auf den anonymen Anruf ein Fremdverschulden nicht ausgeschlossen werden könne.

Der Kläger beantragt,

die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Beklagte

zu verurteilen, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen

und die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision     des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung verneint.

Es fehlt zwar an tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 163 SGG), die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob der Kläger bei Antritt der Fahrt von der Jahresabschlußfeier zu seiner Wohnung gemäß § 550 Abs 1 RVO unter Versicherungsschutz stand. Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils, zwischen den Beteiligten bestehe kein Streit darüber, daß die Feier eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gewesen sei, ersetzen nicht die notwendigen Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob die Teilnahme des Klägers an der Veranstaltung seiner versicherten Tätigkeit gleichzusetzen und die Heimfahrt mit der versicherten Tätigkeit in einem ursächlichen Zusammenhang gestanden hat. Ob diese Voraussetzungen vorgelegen haben (s hierzu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S 482h ff mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Schrifttum), kann jedoch dahingestellt bleiben. Selbst wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, daß er sich zur Unfallzeit auf einem mit seiner versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg befand (§ 550 Abs 1 RVO), steht ihm der erhobene Entschädigungsanspruch nicht zu. Der Unfall des Klägers ist kein Arbeitsunfall (§§ 548, 550 Abs 1 RVO), weil er rechtlich wesentlich allein durch eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers verursacht worden ist (s BSGE 12, 242; Brackmann aaO § 487f ff mwN zur Rechtsprechung und zum Schrifttum).

Aufgrund seiner näher dargelegten Auffassung, daß Mopedfahrer schon mit einer BAK von 1,3 Promille absolut - unabhängig von sonstigen Beweisanzeichen - fahruntüchtig sind, hat das LSG geprüft, ob der Kläger diesen Grenzwert im Unfallzeitpunkt erreicht hatte. Es hat diese Frage bejaht. Bei der Beurteilung ist es davon ausgegangen, daß im Zeitpunkt der Blutentnahme um 0.15 Uhr eine BAK von 1,34 Promille bestand, der Kläger die Veranstaltung gegen 23.00 oder 23.10 Uhr verlassen hatte und der Unfall sich gegen 23.30 Uhr - "kaum vor 23.15 Uhr" - ereignete. Nur wenn der Kläger auch in der letzten Stunde seiner Anwesenheit bei der Veranstaltung noch Alkohol zu sich genommen hätte, lägen Blutentnahme- und Unfallzeitpunkt innerhalb der Resorptionsphase von 120 Minuten nach Trinkende; in diesem Fall könnte die BAK im Unfallzeitpunkt sogar geringer als im Blutentnahmezeitpunkt gewesen sein. Der Kläger habe jedoch nicht behauptet, kurz vor der Abfahrt noch eine größere Menge Alkohol getrunken zu haben. Es ergebe sich daher kein Hinweis auf eine unter 1,3 Promille liegende BAK für den Unfallzeitpunkt.

Mangels tatsächlicher Feststellungen über den Zeitpunkt, in dem der Kläger zuletzt vor dem Unfall Alkohol zu sich genommen hat, kann zwar nicht davon ausgegangen werden, daß der grundsätzlich auf 120 Minuten zu bemessende Resorptionszeitraum (die Anflutungsphase) im Unfallzeitpunkt bereits abgeschlossen war (s BGHSt 25, 246; BSG Urteil vom 31. März 1981 - 2 RU 13/79 -). Die BAK des Klägers kann daher, wie auch das LSG insoweit zutreffend angenommen hat, im Unfallzeitpunkt sogar unterhalb derjenigen gelegen haben, die aus dem Blut ermittelt wurde, das am 16. Dezember 1978 um 0.15 Uhr (ca 45 bis 60 Minuten nach dem Unfall) entnommen worden ist. Entgegen der Annahme des LSG läßt sich auch daraus, daß der Kläger nicht behauptet hat, kurz vor der Abfahrt noch eine größere Menge Alkohol zu sich genommen zu haben, nicht auf den Abschluß der Resorptionsphase im Unfallzeitpunkt und deshalb auf eine BAK von mindestens 1,3 Promille schließen.

Wie jedoch der 8. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (BSGE 48, 228, 231) im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes -BGH- (BGHSt 25, 246) ausgeführt hat, ist es jetzt wissenschaftlich unbestritten, daß die Alkoholanflutungswirkung auf den Grenzwert oder auf einen höheren Wert hin nach Trinkende den Konzentrationsfehlbetrag bis zum Grenzwert zumindest ausgleicht (s auch Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl, 1981, Rz 12 zu § 316 StGB mwN). Es macht folglich keinen Unterschied, ob der Alkohol in der für die Frage der Fahruntüchtigkeit entscheidenden Menge vor der Fahrt, während der Fahrt oder erst nach Beendigung der Fahrt in das Blut übergegangen ist. Es erübrigt sich danach eine Rückrechnung, wenn - wie hier - der Kraftfahrer im Zeitpunkt des Unfalls eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer BAK von 1,3 Promille oder darüber führt.

Der Kläger hatte im Unfallzeitpunkt eine Alkoholmenge im Körper, die zu einer BAK von 1,34 Promille führte. Damit war er als Fahrer eines Mopeds - eines Kleinkraftrades mit einer durch die Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 40 km/h (s § 29e Abs 1 Nr 1 StVZO) - absolut fahruntüchtig. Für Kraftradfahrer beträgt der Grenzwert für absolute Fahruntüchtigkeit 1,3 Promille (s BSGE 12, 242; Jagusch aaO Rz 17 zu § 316 StGB mwN). Für Mopedfahrer gilt derselbe Grenzwert wie für die anderen Kraftradfahrer (s Jagusch aaO mwN). Insoweit bisher etwa bestehende Zweifel (s zB OLG Celle, NJW 1967, 2323) sind jedenfalls durch die Entscheidung des BGH vom 29. Oktober 1981 (- 4 StR 262/81 = Blutalkohol 1982, 88 mit Anm von Sachs = JZ 1982, 31 = MdR 1982, 159 = NJW 1982, 585) ausgeräumt, nach der aufgrund fundierter medizinisch-wissenschaftlicher Untersuchungen auch die Fahrer von Mofas ("Mofa 25") bereits mit einer BAK von 1,3 Promille absolut fahruntüchtig sind (s Urteil des erkennenden Senats vom 30. März 1982 - 2 RU 90/80 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Ist aber der Fahrer eines Fahrrades mit Hilfsmotor mit einer durch die Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h (Mofa 25, s §§ 4, 4a StVZO, BR-Drucks 275/79 zu § 4a) mit einer BAK von 1,3 Promille absolut fahruntüchtig, kann für den Mopedfahrer nicht ein geringerer Grenzwert angenommen werden.

Die tatsächlichen Feststellungen des LSG sind mit Revisionsrügen nicht wirksam angefochten und deshalb für das BSG bindend (§ 163 SGG). Sind danach sonstige Unfallursachen nicht erwiesen, ist der Entscheidung des LSG beizupflichten, daß nach Lage des Falles die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls war (s BSGE 12, 242, 246) und ein Entschädigungsanspruch deshalb nicht gegeben ist.

Die Revision ist danach mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657064

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