Leitsatz (amtlich)

Der Fahrer eines führerscheinfreien Fahrrades mit Hilfsmotor (Mofa 25) ist bei einem Blutalkoholgehalt von 1,3 Promille absolut fahruntüchtig (Aufgabe von BSG 1973-05-29 2 RU 17/71 = BSGE 36, 35; Anschluß an BGH 1981-10-29 4 StR 262/81 = BGHSt 30, 251).

 

Normenkette

RVO § 550 Abs 1 Fassung: 1974-04-01

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Entscheidung vom 27.11.1980; Aktenzeichen L 2 U 2/80)

SG Bremen (Entscheidung vom 13.11.1979; Aktenzeichen S 2 U 172/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten     streiten über die Berechtigung der Klägerin, wegen des Todes ihres Ehemannes (M.) am 3. Oktober 1977 Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu beziehen.

M. geriet auf dem Weg von dem Ort seiner Tätigkeit mit seinem Mofa unter die vorderen Zwillingsreifen des Anhängers eines Lastzuges, welcher nach rechts in eine Straße abbog. Die Verkehrsregelung am Unfallort, einer Kreuzung, erfolgte durch einen Verkehrspolizisten. Der Lastzug hatte von ihm freie Fahrt erhalten. Die Bestimmungen der Blutalkoholkonzentration (BAK) bei M. ergab für den Unfallzeitpunkt einen Wert von 2,37 nach Widmark bzw 2,28 nach dem ADH-Verfahren.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung ab, weil andere Ursachen als die Alkoholbeeinflussung des M. für dessen Tod nicht feststellbar seien, so daß die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Tod des M. gewesen sei (Bescheid vom 24. Mai 1978, Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1978).

Das Sozialgericht (SG) Bremen hat die Beklagte zur Zahlung von Witwenrente verurteilt (Urteil vom 13. November 1979). Es habe sich noch kein allgemeiner Grenzwert für das Vorhandensein absoluter Fahruntüchtigkeit bei Mofafahrern bestimmen lassen. Die am Unfallort gegebenen Verhältnisse ließen es nicht zu, absolute Fahruntüchtigkeit des M. anzunehmen. Das Landessozialgericht (LSG) Bremen hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. November 1980). Es ist davon ausgegangen, daß die experimentellen Untersuchungen zur Frage der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit von Fahrrad- und Mofafahrern durch das Institut für Rechtsmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (Schewe, Schuster, Englert, Ludwig, Stertmann, Blutalkohol 1980, 298 ff) angesichts der bei M. ermittelten BAK die Annahme absoluter Fahruntüchtigkeit rechtfertigten. Außerhalb der Person des M. liegende Umstände, die für das Unfallgeschehen wesentlich mitverantwortlich gemacht werden könnten, hätten sich nicht ergeben.

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Nach ihrer Überzeugung sind die vom Gießener Institut gewonnenen Ergebnisse keine ausreichende Grundlage für die Bestimmung eines Grenzwertes der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bei Mofafahrern. Zudem sei M. trinkgewohnt gewesen. Das LSG habe die besonders schwierige Verkehrssituation am Unfallort nicht berücksichtigt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben

und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts

zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie stützt sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision     der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch auf Witwenrente zu Recht verneint.

Nach den vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat mangels vorgebrachter Revisionsgründe gebunden ist (§ 163 SGG), sind außerhalb der Person des M. liegende Umstände, die für das Unfallgeschehen wesentlich mitverantwortlich gemacht werden können, nicht gegeben. Als wesentliche Unfallursache, die in der Person des M. gelegen ist, kommt nur der nicht betriebsbedingte Alkoholgenuß in Frage. Bei dieser Sachlage kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob M. infolge des festgestellten Alkoholgenusses absolut fahruntüchtig war oder nicht. Nach der in der Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung sowie den Regeln der objektiven Beweislast ist nämlich der Versicherungsschutz wegen des fehlenden ursächlichen Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nicht gegeben, wenn alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit vorhanden ist und andere rechtlich wesentliche Ursachen für den Unfall fehlen (BSGE 12, 242; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 487 f mwN und S 487 k f). Absolute alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit bedeutet, daß Fahruntüchtigkeit ohne besondere Beweiszeichen schon auf Grund einer bestimmten BAK angenommen wird (Brackmann aaO S 487 n). Demzufolge hängt die Entscheidung des Rechtsstreites nach den vom LSG getroffenen Feststellungen von der Beantwortung der Frage ab, ob sich für Mofafahrer ein allgemeiner Grenzwert der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit bestimmen läßt. Diese Frage ist mit dem LSG zu bejahen.

Die Festlegung eines allgemeinen Grenzwertes der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bei Mofafahrern ist bisher wegen fehlender medizinisch-wissenschaftlicher Grundlagen auf Schwierigkeiten gestoßen. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm (DAR 1968, 164 und Blutalkohol 1974, 350; anders allerdings NJW 1976, 1161) und das OLG Koblenz (DAR 1972, 50; anders allerdings Blutalkohol 1980, 460) haben absolute Fahruntüchtigkeit des Mofafahrers bei einer BAK von 1,3 Promille angenommen (ebenso Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl, 1981, § 316 StGB Rdz 17). Ihnen sind das LSG in dem hier angefochtenen Urteil sowie das OLG Köln (VersR 1981, 373) im Anschluß an die Gießener wissenschaftlichen Untersuchungen gefolgt. Demgegenüber haben der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 29. Mai 1973 (BSGE 36, 35 = Blutalkohol 1973, 343 mit insoweit zustimmender Anmerkung von Everwyn) und der Bundesgerichtshof -BGH- (BGHSt 25, 360 = NJW 1974, 2056 sowie 2292 mit ablehnender Anmerkung von Händel) keinen medizinisch-wissenschaftlich gesicherten allgemeinen Grenzwert für Mofafahrer als gegeben angesehen. Ihnen haben sich das Bayerische LSG (Urteil vom 12. Juli 1979 - L 8/U 284/78) sowie das OLG Koblenz (Blutalkohol 1980, 460) und das OLG Zweibrücken (Urteil vom 3. Juli 1980 - 1 Ss 157/80) angeschlossen (vgl auch schon OLG Oldenburg NJW 1974, 920).

Der BGH hat in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Beschluß vom 29. Oktober 1981 (- 4 StR 262/81 - = Blutalkohol 1982, 88 mit Anmerkung von Sachs = JZ 1982, 31 = MDR 1982, 159 = NJW 1982, 585) die bisher vertretene Auffassung nicht mehr aufrecht erhalten und als gerechtfertigt erachtet, die absolute Fahruntüchtigkeit für Mofafahrer bei einer BAK von 1,3 Promille als gegeben anzusehen. Dabei hat er sich - ebenso wie das LSG - auf das Ergebnis der im Gießener Institut durchgeführten Untersuchungen gestützt. Auch der erkennende Senat sieht sich angesichts der fundierten medizinisch-wissenschaftlichen Untersuchungen außerstande, seine bisherige Auffassung aufrecht zu erhalten; vielmehr muß er dem LSG und dem BGH darin beipflichten, daß sich nunmehr ein allgemeiner Grenzwert der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bei Mofafahrern von 1,3 Promille bestimmen läßt. Dies ist angesichts der ergänzenden Darlegungen des Leiters des Gießener Instituts (Schewe, Blutalkohol 1981, 46) sowie von Heifer (Blutalkohol 1981, 270; vgl auch Grohmann, Blutalkohol 1981, 39) noch deutlicher geworden. Zusammenfassend ergibt sich danach mit zunehmendem Alkoholeinfluß bei Mofafahrern ein ständig zunehmender Leistungsabfall, welcher bei einer BAK von 1,3 Promille fast 90 Prozent erreicht. Bei dieser BAK zeigen alle Mofafahrer einen deutlichen Leistungsabfall. Ist aber mit einer derartigen Regelmäßigkeit zu erwarten, daß eine erhebliche Beeinträchtigung der Fahrsicherheit vorliegt, so rechtfertigt dies eine entsprechende Festlegung eines allgemeinen Grenzwertes für die absolute Fahruntüchtigkeit.

Das LSG hat also zutreffend angenommen, daß M. im Unfallzeitpunkt absolut fahruntüchtig war. Es hat weiterhin im Gegensatz zum tatsächlichen Vorbringen der Revision keine sonstigen in oder außerhalb der Person des M. liegenden rechtlich wesentlichen Bedingungen (zB besonders schwierige Verkehrsverhältnisse oä) für den todbringenden Unfall festzustellen vermocht. Die Feststellungen sind von der Revision nicht mit begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden. Die Revision kommt lediglich teilweise zu einer anderen Beweiswürdigung als das LSG. Der Tod des M. ist folglich nicht "durch Arbeitsunfall" (§ 589 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung) eingetreten. Die Klage ist zu Recht abgewiesen worden.

Die Revision war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 215

Breith. 1982, 952

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