Leitsatz (amtlich)
1. Die Berufung war nach SGG § 145 Nr 1 aF nicht ausgeschlossen, wenn einer der Ausnahmefälle des RVO § 1547 zwar nicht schon mit der Klage, jedoch mit der Berufung geltend gemacht wurde.
2. Die nach SGG § 145 Nr 1 zur Zulässigkeit der Berufung führende Geltendmachung von Ausnahmefällen des RVO § 1547 erfordert eine schlüssige Behauptung.
zur Frage, inwieweit Unkenntnis der deutschen Rechtsvorschriften einem Hinderungsgrund iS des RVO § 1547 Abs 1 Nr 2 gleichzuerachten ist.
Normenkette
SGG § 145 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1547 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1924-12-15
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 28. Juni 1956 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der in Jugoslawien geborene Kläger kam im Jahre 1941 auf Veranlassung der deutschen Besatzungsmacht nach Deutschland. Nach Kriegsende leistete er als displaced person (D.P.) für die UNRRA Kurierdienste. Bei einer Kurierfahrt vom UNRRA-Lager Schleswig nach Flensburg erlitt er am 27. September 1945 einen Motorradunfall. Wegen der dabei eingetretenen Verletzungen beantragte er in März 1953 bei der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung die Gewährung einer Unfallrente. Er machte u.a. geltend, er befinde sich wegen der Unfallfolgen laufend in ärztlicher Behandlung; in einem Zivilrechtsstreit gegen den Halter des am Unfall beteiligten Kraftfahrzeugs habe das Oberlandesgericht Kiel im Juli 1950 auf Grund eines Gutachtens der Universitätsklinik in Kiel bei ihm eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H festgestellt; dieser Zustand bestehe unverändert fort. Die Beklagte, an die der Antrag im April 1953 zuständigkeitshalber abgegeben worden war, lehnte den Entschädigungsanspruch mit Bescheid vom 28. Dezember 1954 wegen verspäteter Geltendmachung (§§ 1546, 1547 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) ab.
Unter Bezugnahme auf die in seinem Entschädigungsantrag gegebene Begründung hat der Kläger bei dem Sozialgericht (SG.) rechtzeitig Klage erhoben. Sie ist ohne Erfolg geblieben. Die Abweisung der Klage hat das SG. in seinen Urteil vom 2. Dezember 1955 damit begründet, daß der Kläger seinen Anspruch nicht innerhalb der 2-Jahresfrist des § 1546 Abs. 1 RVO geltend gemacht habe. Die Voraussetzungen des § 1547 Abs. 1 Nr. 1 RVO für die nachträgliche Geltendmachung des Anspruchs wegen des Eintritts einer neuen Folge oder einer erheblichen Verschlimmerung hat das SG. nicht für gegeben erachtet, da der Kläger selbst vorgetragen habe, sein krankhafter Körperzustand sei unverändert geblieben.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig Berufung eingelegt. Nach seiner Behauptung ist er erst im Jahre 1953 durch einen Arbeitsamtsarzt auf die Möglichkeit Unfallrente zu erhalten, hingewiesen worden, Er hat weiter geltend gemacht, die Beklagte habe bis zur Ablehnung seines Antrages 1 3/4 Jahre gebraucht; wenn ein deutscher Landesminister eine derartig lange Zeit für eine Entscheidung benötige, könne von ihm als verschlepptem heimatlosen Ausländer nicht verlangt werden, daß er in fast der gleichen Zeitspanne in der Lage sei, sich die Kenntnisse der in deutschen Gesetzen geltenden Fristen anzueignen und seine Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen.
Das Landessozialgericht (LSG.) hat durch Urteil vom 28. Juni 1956 die Berufung als unzulässig verworfen und zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Da das angefochtene Urteil einen wegen Versäumnis der Ausschlußfrist (§ 1546 RVO) abgelehnten Antrag betreffe, sei die Berufung nach § 145 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen; der Kläger habe auch weder im ersten noch im zweiten Rechtszug substantiierte Tatsachen vorgetragen, nach denen die Berufung unter den Voraussetzungen der §§ 145 Nr. 1, 2. Halbsatz SGG, 1547 RVO ausnahmsweise zulässig sein könnte; die Behauptung, als Ausländer die deutschen Gesetze nicht gekannt zu haben, könne nach der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts (RVA.) eine Verhinderung an der Geltendmachung der Entschädigungsansprüche durch außerhalb seines Willens liegende Verhältnisse (§ 1547 Nr. 2 RVO) nicht begründen, zumal da er in der Lage gewesen sei, seinen zivilrechtlichen Anspruch bis zum letzten Rechtszug zu verfolgen; schließlich könne die Zulässigkeit der Berufung auch nicht auf § 150 Nr. 1 SGG gestützt werden, da die vom SG. erteilte unrichtige Rechtsmittelbelehrung, die Berufung sei statthaft, nicht den Erfordernissen einer ausdrücklichen Zulassung im Sinne dieser Vorschrift entspreche. Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen.
Dieses Urteil ist dem Kläger am 25. August 1956 zugestellt worden. Am 24. September 1956 hat er um Bewilligung des Armenrechts nachgesucht. Diesem Gesuch hat das Bundessozialgericht (BSG.) durch Beschluß vom 25. September 1957 entsprochen. Durch den als Prozeßbevollmächtigten beigeordneten Rechtsanwalt B... hat der Kläger sodann am 16. Oktober 1957 Revision eingelegt und diese zugleich begründet. Mit den Hinweis darauf, daß er infolge seiner Armut nicht in der Lage gewesen sei, rechtzeitig einen beim BSG. zugelassenen Prozeßbevollmächtigten zu beauftragen, hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisions- und Revisionsbegründungsfrist beantragt. Die Revision rügt als wesentlichen Verfahrensmangel, daß das LSG. zur mündlichen Verhandlung einen Dolmetscher nicht hinzugezogen habe, obwohl der Kläger nur über sehr geringe deutsche Sprachkenntnisse verfüge und daher nicht in der Lage gewesen sei, seine Belange in ausreichend klarer Weise vorzutragen oder vortragen zu lassen. Zu Unrecht hat das LSG. nach Ansicht der Revision die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger macht insoweit geltend: Das LSG. habe eine Sachentscheidung treffen müssen, da das SG. die Berufung in der Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich zugelassen habe; unabhängig davon sei die Berufung auch deshalb statthaft gewesen, weil sich der Gesundheitszustand des Klägers dauernd verschlechtert habe und daher der Ausnahmefall des § 1547 Nr. 1 RVO in Verbindung mit § 145 Nr. 1 SGG gegeben sei.
Der Kläger beantragt dementsprechend,
das Urteil des LSG. Schleswig vom 28. Juni 1956 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
In einer dienstlichen Äußerung vom 13. September 1957, die in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG. im Wortlaut verlesen worden ist, hat der damalige Vorsitzende des 2. Senats des LSG. Schleswig auf Anfrage des BSG erklärt, in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 1956 sei - soweit erinnerlich - die Frage der deutschen Sprachkenntnisse des Klägers nicht erörtert worden; dazu habe auch nach seiner Überzeugung kein Anlaß bestanden, da er bereits während seiner Tätigkeit als Vorsitzender der 4. Kammer des SG. Schleswig eine Verhandlung in einer Streitsache des Klägers gegen das Arbeitsamt Flensburg geleitet und dabei den Eindruck gewonnen habe, daß der Kläger sich ausreichend habe verständlich machen und der Vorhandlung folgen können; dieser Eindruck habe sich in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 1956 bestätigt.
In einem in der mündlichen Verhandlung gleichfalls verlesenen Schreiben vom 25. Februar 1956, das sich in den Akten 4 RJ 210/55 des BSG. befindet, hat das Versicherungsamt der Stadt Flensburg zu der Frage, wie weit die deutschen Sprachkenntnisse des Klägers reichen, u.a. mitgeteilt: Eine einigermaßen fließende Unterhaltung mit dem Kläger müsse sich auf einfachste Dinge beschränken; bei schwierigem Unterhaltungsstoff werde er in seiner Ausdrucksweise unverständlich; er könne der Unterhaltung nur folgen, wenn alles in umständlicher Weise erklärt und erläutert werde; manchmal glaube der Kläger den Inhalt eines Gesprächs oder eines Schriftstückes verstanden zu haben, während bei näherem Nachfragen festgestellt werden müsse, daß seine Auffassung falsch sei.
II
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist zwar nicht innerhalb der Monatsfrist des § 164 Abs. 1 SGG eingebracht und innerhalb eines weiteren Monats begründet worden. Die Versäumung dieser Frist hat aber für den Kläger keinen Rechtsnachteil zur Folge, weil er Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat (§ 67 Abs. 1 und 2 SGG). Er war infolge seiner durch behördliches Zeugnis innerhalb der Revisionsfrist nachgewiesenen Armut ohne Verschulden gehindert, die Revisions- und Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Der Hinderungsgrund bestand bis zu dem Zeitpunkt, in dem Rechtsanwalt B... als Prozeßbevollmächtigter in Armenrecht beigeordnet wurde. Binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses hat der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten die Gewährung der Wiedereinsetzung beantragt und zugleich die vorsäumte Rechtshandlung nachgeholt. Dem Kläger war daher die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft und damit zulässig, weil der Kläger mit Recht einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt hat. Nach § 61 SGG in Verbindung mit § 185 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob die tatrichterliche Beurteilung der Frage der mangelnden Sprachkundigkeit eines ausländischen Prozeßbeteiligten vom Revisionsgericht nachgeprüft werden kann. Denn jedenfalls ist, wie der 4. Senat des BSG. bereits in seinem Urteil vom 7. März 1957 (SozR. GVG § 185 Da 1 Nr. 1 = NJW. 1957 S. 1087 Nr. 30) ausgeführt hat, die Unterlassung dieser Prüfung, von der unmittelbar die Frage abhängt, ob dem Beteiligten in gesetzlich vorgeschriebenem Maße das rechtliche Gehör gewährt worden ist, ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Das LSG. hat weder vor noch in der mündlichen Verhandlung die Frage nach den deutschen Sprachkenntnissen des Klägers erörtert und geprüft. Das ergibt sich daraus, daß weder in der Verhandlungsniederschrift noch in Urteil des LSG. darauf bezügliche Bemerkungen enthalten sind. Insbesondere kommt dies auch in der dienstlichen Äußerung des damaligen Vorsitzenden des LSG zum Ausdruck. Danach ist die Frage der deutschen Sprachkenntnisse des Klägers nicht erörtert worden, von einer derartigen Prüfung hat das LSG. vielmehr abgesehen. Es reicht insoweit nicht aus, daß der Vorsitzende in einer früheren Verhandlung in einem anderen Rechtsstreit vor dem SG. den Eindruck gewonnen hatte, der Kläger könne sich ausreichend verständlich machen und der Verhandlung folgen. Denn die bei Beteiligung eines fremdsprachigen Ausländers erforderliche Prüfung seiner Sprachkundigkeit muß in dem jeweiligen Rechtsstreit und durch das Gericht in seiner gesamten Besetzung erfolgen. Es sind im vorliegenden Fall auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine Prüfung in dieser Hinsicht ausnahmsweise als entbehrlich hätten erscheinen lassen. Wie vielmehr die Auskunft des Versicherungsamts der Stadt Flensburg vom 25. Februar 1956 zeigt, bestand hierzu im Falle des Klägers sogar eine besondere Veranlassung.
Im Gegensatz zur Auffassung des LSG. war die Zulässigkeit der Berufung, die bei einer zulässigen Revision von Amts wegen geprüft werden muß (vgl. BSG. 2 S. 225), zu bejahen. Zwar ist die Berufung nicht, wie die Revision meint, vom SG. nach § 150 Nr. 1 SGG ausdrücklich zugelassen worden. Der bloße Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung, daß die Entscheidung mit der Berufung angefochten werden könne, ist hierfür nicht ausreichend (vgl. BSG. 2 S. 121; 4 S. 261 [263]). Eines ausdrücklichen Ausspruches nach § 150 Nr. 1 SGG bedurfte es jedoch nicht, da sich die Zulässigkeit der Berufung bereits aus § 143 in Verbindung mit § 145 Nr. 1 SGG ergibt. Der Senat konnte es dahingestellt sein lassen, ob § 145 Nr. 1 SGG in der Fassung vor oder nach dem Inkrafttreten des zweiten Gesetzes zur Änderung des SGG vom 25. Juni 1958 (BGBl. I S. 409) anzuwenden ist. Im letzteren Fall ist durch die Neufassung der Vorschrift eindeutig festgelegt, daß es, wie dies hier geschehen ist, genügt, wenn die Ausnahmefälle des § 1547 RVO erst in der Berufungsinstanz geltend gemacht werden. Der Wortlaut des § 145 Nr. 1 SGG in der neuen Fassung läßt keinen Zweifel, daß es auf das Vorbringen in der Berufungsinstanz ankommt. Aber auch nach der alten Fassung dieser Vorschrift war die Berufung als zulässig anzusehen, wenn ein Antrag wegen Versäumnis der Ausschlußfrist abgelehnt "wurde" - wie es hier der Fall gewesen ist - und die Ausnahmefälle des § 1547 RVO geltend gemacht "werden", d.h. auch dann, wenn sie erstmalig in der Berufungsinstanz vorgetragen worden sind. Nach Auffassung des erkennenden Senats ergibt sich diese Auslegung aus der Wahl der in dieser Vorschrift angewendeten verschiedenen Zeitformen sowie aus dem von Gesetzgeber erkennbar verfolgten Zweck, über die schwierigeren und für den Berechtigten bedeutungsvollen Ausnahmefälle des § 1547 RVO nicht in einer einzigen Instanz endgültig zu entscheiden.
Der 10. Senat des BSG. hat zwar in seinem Urteil vom 26. November 1957 (BSG. 6 S. 131 [132/133]) ausgeführt: Die Berufung sei nach § 148 Nr. 1 SGG a.F., der dem § 145 Nr. 1 a.F. entspricht, dann nicht ausgeschlossen, wenn das angefochtene Urteil des SG. einen wegen Fristversäumnis abgelehnten Antrag betreffe, jedoch in ersten Rechtszug einer der Ausnahmefälle des § 57 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) "ohne Erfolg" geltend gemacht worden sei (vgl. auch Urteil des 10. Senats vom 12. Dezember 1957 in SozR. SGG § 148 Bl. Da 6 Nr. 16). Der erkennende Senat war jedoch hierdurch nicht genötigt, gemäß § 42 SGG den Großen Senat anzurufen. Dies wäre nur dann erforderlich, wenn die Rechtsansicht, von der abgewichen werden soll, die wesentliche Grundlage des früheren Urteils bildete, wenn also dieses auf der Entscheidung gerade der streitigen Rechtsfrage beruhte (RGZ. 134 S. 17 [22] mit Hinweis auf weitere RG.-Entscheidungen zu § 136 GVG, dem die Vorschrift des § 42 SGG nachgebildet ist; vgl. Brackmann, Handbuch der SozVers., Stand: 1.6.1958, S. 190 w I). Das ist jedoch hier nicht der Fall. In den Urteil des 10. Senats vom 26. November 1957 (BSG. 6 S. 131) war zu entscheiden, ob die Auffassung des Berufungsgerichts, die Berufung sei nach § 148 Nr. 1 SGG nur dann zulässig, wenn einer der Ausnahmefälle des § 57 BVG (entsprechend: § 1547 RVO) vor dem SG. "mit Erfolg" geltend gemacht sei, zutrifft. Diese Frage hat der 10. Senat verneint. Da die vom Kläger im damaligen Rechtsstreit behaupteten Tatsachen entgegen der Meinung des Berufungsgerichts die Anwendung des § 57 Abs. 1 Nr. 3 BVG rechtfertigten, hätte das Berufungsgericht eine Sachentscheidung treffen müssen; dementsprechend ist die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen worden. Da der Kläger sich auf den Ausnahmefall des § 57 Abs. 1 Nr. 3 BVG bereits vor dem SG. berufen hatte, kam es auf die Frage, ob die Geltendmachung in der Berufungsinstanz für die Anwendung des § 148 Nr. 1 ausreicht, nicht an (ebenso in der Entscheidung vom 12. Dezember 1957 a.a.O.). Wäre die nur beiläufig erfolgte Bemerkung über die Notwendigkeit der Geltendmachung im ersten Rechtszug weggeblieben, hätte die Entscheidung des 10. Senats ebenso ergehen müssen. Sie beruht daher nicht auf dem Rechtsstandpunkt, der vom erkennenden Senat abgelehnt wird. Auch wäre von der Rechtsauffassung des erkennenden Senats aus die vom 10. Senat entschiedenen Sachen in gleicher Weise zu entscheiden gewesen (vgl. hierzu Brackmann a.a.O.).
Nach dem Wortlaut des § 145 Nr. 1 SGG kommt es für die Statthaftigkeit der Berufung darauf an, daß die Ausnahmefälle des § 1547 RVO geltend gemacht werden. Erforderlich ist hierfür eine schlüssige Behauptung, um dem Gericht die Prüfung der Statthaftigkeit zu ermöglichen (Brackmann a.a.O., S. 250 g; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 2 e zu § 145; Hofmann-Schroeter, Sozialgerichtsgesetz, Nachtrag zur 2. Aufl., S. 13 Anm. 2 zu § 145). Nach der dem Wortlaut des § 145 Nr. 1 SGG ebenfalls gerecht werdenden Auslegung, daß die bloße Behauptung ausreiche (so LSG. Baden-Württemberg in Kriegsopferversorgung 1955 Nr. 6 Rechtsprechung Nr. 184; Hastler, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Stand Febr. 1958, Anm. 1 a zu § 145, S. 207; Krebs in SGb 1956 S. 75), würde den Gericht die Grundlage für diese Prüfung fehlen. Die Vorschrift des § 145 Nr. 1 SGG dahin auszulegen, der Ausnahmefall müsse tatsächlich vorliegen, kommt nach dem Zweck der Vorschrift, die Berufung wegen der Schwierigkeit der mit der Auslegung des § 1547 RVO zusammenhängenden Fragen und wegen der Bedeutung dieser Fälle für den Berechtigten zuzulassen, nicht in Betracht (vgl. auch BSG. 6 S. 131 [133]).
Entgegen der Auffassung des LSG. hat der Kläger schlüssig behauptet, daß er durch außerhalb seines Willens liegende Verhältnisse gehindert worden ist, seinen Anspruch auf Unfallentschädigung nach den Vorschriften der RVO geltend zu machen (§ 1547 Nr. 2 RVO). Die Ansicht, daß Unkenntnis der Rechtsvorschriften und der daraus herzuleitenden Ansprüche den außerhalb des Willens liegenden Verhältnissen nicht gleichzuerachten sei, beruht auf der unwiderleglichen Vermutung, daß ordnungsgemäß veröffentlichte Rechtsvorschriften jedem Staatsbürger bekannt sind (vgl. EuM Band 24 S. 12). Aus dieser vom Senat für zutreffend erachteten Auffassung ist aber weiter zu folgern, daß die Unkenntnis des Gesetzes dann als ein Umstand zu werten ist, der außerhalb des Willens des Berechtigten liegt, wenn die Vermutung im Einzelfall nicht eingreift. Dies trifft im Falle des Klägers zu, der nicht deutscher Staatsbürger ist, als D.P. jedenfalls in den ersten Jahren nach Kriegsende keine Berührung mit dem deutschen Rechtsleben gehabt haben dürfte und zudem wegen mangelnden deutschen Sprachverständnisses aus eigener Fähigkeit keine Kenntnis der deutschen Gesetze haben konnte. Auch darf nicht übersehen werden, daß die Frage des Unfallversicherungsschutzes für Ausländer, die in den westdeutschen Besatzungszonen bei nichtdeutschen Stellen beschäftigt waren, noch heute erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen kann (zu vgl. Plöger, Deutsche SV-Abkommen mit ausländischen Staaten, I. Allg. Teil S. 22 ff.). Es erscheint demnach sehr zweifelhaft, ob ein innerhalb der Ausschlußfrist des § 1546 RVO gestellter Entschädigungsantrag des Klägers zu irgendeinem Erfolg geführt hätte. In diesem besonders liegenden Fall sind also Hinderungsgründe nach § 1547 Abs. 1 Nr. 2 RVO anzuerkennen. Sie sind auch vom Kläger im Verfahren vor dem LSG. geltend gemacht worden. Das LSG. hätte also eine Sachentscheidung treffen müssen, statt die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Die infolge des zutreffend gerügten Verstoßes gegen §§ 61 Abs. 1 SGG, 185 GVG statthafte Revision ist auch begründet, da das angefochtene Urteil auf dieser Gesetzesverletzung sowie auf der rechtsirrigen Anwendung des § 145 Nr. 1 SGG beruht (§ 162 Abs. 2 SGG). Hätte das LSG. die Frage der Sprachkenntnisse und des Sprachverständnisses des Klägers geprüft und einen Dolmetscher zur Verhandlung hinzugezogen, wäre es dem Kläger möglich gewesen, weitere Tatsachen vorzutragen, die möglicherweise eine für ihn günstigere Entscheidung hätten herbeiführen können. Das angefochtene Urteil hätte auch anders ausfallen können, wenn das LSG die gebotene sachlich-rechtliche Nachprüfung vorgenommen hätte. Da eine Entscheidung des BSG. in der Sache untunlich ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 S. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen