Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei Streitigkeiten am Arbeitsplatz

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Versicherungsschutzes bei einem Unfall, der sich bei einer Auseinandersetzung zwischen 2 Beschäftigten desselben Betriebes auf der Arbeitsstätte während der Arbeitszeit durch einen im Anschluß an wechselseitige Beleidigungen unternommenen Angriff ereignet hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Versicherungsschutz in der gesetzlichen UV bei Verletzung eines Betriebsangehörigen während eines Streites an der Arbeitsstelle hängt davon ab, ob ein innerer Zusammenhang zwischen dem Streit und der versicherten Tätigkeit besteht; dies ist dann der Fall, wenn betriebliche Angelegenheiten die eigentliche Ursache für den Streit und das Handeln des Schädigers gewesen sind.

 

Normenkette

RVO § 548 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revisionen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Februar 1967 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger zu 1), P S (Sch.) ist als Schweißer in einer lichttechnischen Spezialfabrik beschäftigt. Am 25. Februar 1965 geriet er mit dem ebenfalls in diesem Betrieb beschäftigten Schlosser G (G.) in Streit. Über Anlaß und Verlauf dieses Streits ist im Berufungsurteil folgendes festgestellt: Sch. hatte sich während der Arbeitszeit auf der Betriebsstätte an den Betriebsobmann gewandt und sich mit ihm über seine Lohneinstufung unterhalten. Dabei setzte ihm der Betriebsobmann auseinander, daß er als ungelernter Arbeiter nicht zu schlecht eingruppiert sei. In dieses Gespräch mischte sich der Schlosser G. ungebeten ein und äußerte dem Sinne nach, Sch. könne als Hilfsarbeiter nicht mehr Lohn verlangen; wenn er mehr verdienen wolle, hätte er etwas lernen müssen. Nach Beendigung der Unterredung Sch.'s mit dem Betriebsobmann waren alle drei wieder an ihre Arbeit gegangen. Einige Zeit danach ging Sch. zu G. und machte ihm wegen dessen Einmischung in das Lohngespräch Vorhaltungen. Dabei kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden; G. brachte zum Ausdruck, Sch. sei ein dummer Hilfsarbeiter und bleibe es. Darauf erwiderte Sch. mit dem Vorwurf, G. sei ein Faulenzer. Dies veranlaßte G., Sch. zu packen und ihm einen Stoß zu versetzen. Sch., dessen rechtes Fußgelenk infolge Wehrdienstbeschädigung versteift ist, fiel hin und brach sich den Oberschenkel des rechten Beines.

Die Feststellung für die Entschädigung der Folgen dieses Unfalls betreibt außer dem Verletzten (Sch.) die Allgemeine Ortskrankenkasse für den Kreis N, deren Mitglied Sch. ist, auf Grund des § 1511 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch durch Bescheid vom 5. November 1965 mit folgender Begründung ab: Der Sturz Sch.'s stelle keinen Arbeitsunfall dar, da es am inneren Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Auseinandersetzung und der Betriebsarbeit Sch.'s fehle. Der Streit habe private Gründe gehabt, die auf persönliche Rivalität zurückgingen. Der Vorfall hätte sich ebensogut außerhalb der Arbeitszeit und des Betriebsbereichs zutragen können.

Gegen den Bescheid haben Sch. und die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Klage erhoben. Beide sind der Ansicht, der zum Unfall führende Streit habe mit betrieblichen Angelegenheiten im Zusammenhang gestanden und sei nicht auf die private Sphäre des Verletzten beschränkt gewesen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) Koblenz am 5. April 1966 ist über den Hergang des Unfalls Beweis durch eidliche Vernehmung G.'s und des Betriebsobmannes als Zeugen erhoben worden.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Es ist der Ansicht, Sch. habe mit den dem Unfall vorausgegangenen Gesprächen und Auseinandersetzungen nur seine persönlichen Interessen gewahrt; ein innerer Zusammenhang zwischen der Körperverletzung und seiner Betriebstätigkeit sei daher nicht gegeben. Auf jeden Fall sei ein solcher Zusammenhang mindestens im Zeitpunkt des Unfalls dadurch gelöst gewesen, daß die Verletzung durch eine Beschimpfung des Zeugen G. durch Sch. veranlaßt worden sei.

Beide Kläger haben gegen das Urteil Berufung eingelegt Sch. hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn aus Anlaß des Unfalls vom 25. Februar 1965 aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen. Die AOK hat sich diesem Antrag angeschlossen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 17. Februar 1967 beide Berufungen zurückgewiesen. Zur Begründung ist ua ausgeführt: Nach der herrschenden Rechtsprechung hänge bei Verletzungen infolge tätlicher Auseinandersetzungen zwischen Beschäftigten eines Unternehmens der Versicherungsschutz von den Beweggründen ab, welche den Angreifer zu seinem Handeln bestimmt haben. Für den Versicherungsschutz komme es also auf die Umstände an, unter denen die Verletzung bei einer solchen Auseinandersetzung zustande gekommen sei. Im vorliegenden Fall sei zwar die wesentliche Ursache für den Sturz und den Oberschenkelbruch Sch.'s die in eine Tätlichkeit ausgeartete Auseinandersetzung zwischen Sch. und G. Diese Auseinandersetzung habe indessen nicht in dem für die Annahme des Versicherungsschutzes erforderlichen ursächlichen Zusammenhang mit der Betriebsarbeit Sch.'s gestanden. Wohl könne eine Unterhaltung über die Lohneingruppierung der Betriebsarbeit desjenigen zuzurechnen sein, der sich in seiner Entlohnung benachteiligt fühle; denn die gerechte Entlohnung für die Betriebsarbeit liege auch im Interesse der reibungslosen Abwicklung der Arbeit aller Beschäftigten eines Unternehmens. Voraussetzung sei jedoch, daß eine solche Unterhaltung mit einem Betriebsangehörigen geführt werde, der zur Bewertung der Arbeitsleistungen des Betroffenen berufen sei. Ein solcher Betriebsangehöriger sei G. jedoch nicht gewesen; er habe sich vielmehr unbefugt in die durch betriebliche Umstände bedingte Unterhaltung zwischen Sch. und dem Betriebsobmann eingemischt. Der zum Unfall führende Streit zwischen ihm und Sch. sei auf Grund einer persönlichen Rivalität entstanden, die zwar die betrieblichen Funktionen und die Bewertung der Arbeitsleistungen der beiden Streitenden betroffen, jedoch nicht in ihrer betrieblichen Tätigkeit die innere Ursache gehabt habe; denn betrieblichen Interessen sei hierbei nicht gedient gewesen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Das Urteil ist dem verletzten Kläger wie auch der klagenden AOK am 16. März 1967 zugestellt worden. Beide haben gegen das Urteil Revision eingelegt, der Verletzte am 11. April 1967, begründet am 14. April 1967, die AOK am 3. April 1967 mit gleichzeitiger Begründung.

Der Kläger zu 1) macht ua geltend: Die dem Streit zwischen ihm und dem Zeugen G. vorausgegangene Unterhaltung mit dem Betriebsobmann wegen einer besseren Bezahlung der Arbeit habe zweifellos unter Versicherungsschutz gestanden. Es habe eine Unzufriedenheit ausgeräumt werden sollen, deren Beseitigung für den Verletzten und für den Betrieb dienlich gewesen wäre. Durch die Einmischung des Zeugen G. in das Lohngespräch habe sich die Spannung zwischen ihm als dem "ungelernten" und dem Zeugen G. als dem "Gelernten" entzündet und zu einem handgreiflichen Streit geführt; auch diese Auseinandersetzung müsse bei natürlicher Betrachtungsweise noch der Betriebstätigkeit Sch.'s zugerechnet werden.

Der Versicherungsschutz sei auch nicht entfallen, als nach Beendigung des Gesprächs mit dem Betriebsobmann die gegenseitigen Beleidigungen zwischen ihm und G. stattgefunden hätten. Denn seinen wahren inneren Grund haben dieser Streit immer noch in der Unterhaltung über die Lohneinstufung Sch.'s gehabt. Dies könne nur verneint werden, wenn festzustellen wäre, daß sich G. in diese Unterhaltung eingemischt habe, weil zwischen ihm und Sch. persönliche Spannungen bestanden hätten. An einer solchen Feststellung fehle es aber bisher.

Der Kläger zu 1) beantragt,

unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und des Bescheides der Beklagten vom 5. November 1965 die Beklagte zu verurteilen, dem Verletzten aus Anlaß des Unfalls vom 25. Februar 1965 Entschädigung zu gewähren.

Die Klägerin zu 2) bringt ua vor: Bei der Beurteilung der Frage, ob die zum Unfall führende Auseinandersetzung zwischen dem Verletzten und dem Zeugen G. in einem inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit des Verletzten gestanden habe, müsse berücksichtigt werden, daß der Streit von einer Beleidigung Sch.'s durch den Zeugen G. im Beisein des Betriebsobmannes ausgegangen sei. Die Gegenwart des Betriebsobmannes bei den beleidigenden Äußerungen habe Sch. veranlaßt, den Beleidiger zur Rede zu stellen. Außerdem seien Fragen der Lohneinstufung Anlaß der Auseinandersetzung gewesen. Somit hänge das Streitmotiv mit der betrieblichen Tätigkeit eng zusammen.

Die klagende AOK beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und festzustellen, daß das Ereignis vom 25. Februar 1965 als Arbeitsunfall zu werten ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt ua vor: Der Grund für die Einmischung G.'s in das Gespräch Sch.'s mit dem Betriebsobmann sei der privaten Lebenssphäre Sch.'s zuzurechnen. Bei der Auseinandersetzung zwischen Sch. und G. habe es sich lediglich um persönliche Anwürfe gehandelt, nicht etwa um einen Protest G.'s gegen eine ungleiche Behandlung von gelernten und ungelernten Arbeitskräften.

II

Die Revisionen sind zulässig. Sie hatten jedoch keinen Erfolg.

Die Klägerin zu 2), die Allgemeine Ortskrankenkasse für den Kreis Neuwied, ist, wie von keiner Seite in Zweifel gezogen wird, auf Grund des § 1511 RVO berechtigt, neben dem Kläger zu 1), dem Verletzten Sch., die Feststellung der Unfallentschädigung gegen die Beklagte zu betreiben und im Rechtsweg zu verfolgen (vgl. BSG 22, 240).

Das Unfallereignis, durch das sich Sch. einen Oberschenkelbruch zuzog, war die Folge einer vorsätzlichen körperlichen Mißhandlung, die ihm ein Arbeitskollege im Betrieb zugefügt hatte. Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich hierbei um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 548 RVO handelt, ist der erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht davon ausgegangen, daß bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Beschäftigten desselben Unternehmens auf der Betriebsstätte der für den Versicherungsschutz nach der angeführten Vorschrift erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der versicherten Tätigkeit nicht ohne weiteres deshalb ausgeschlossen ist, weil eine persönliche Willensentschließung zu dem Streit geführt hat. Der innere Zusammenhang in dem angeführten Sinne ist bei tätlichen Streitigkeiten auf der Betriebsstätte nach der ständigen Rechtsprechung (BSG in SozR Nr. 44 zu § 542 RVO aF; BSG 6, 164, 167; 13, 290; 291; 18, 106, 108 und die dort angeführten Nachweisungen) zu bejahen, wenn der Streit unmittelbar aus der Betriebsarbeit erwachsen ist. Für die Frage, ob und unter welchen Umständen diese Voraussetzung im Einzelfall gegeben ist, sind in der Regel die Beweggründe entscheidend, die den Angreifer zu seinem Vorgehen bestimmt haben. Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist bei einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Versicherten, die sich auf der gemeinsamen Betriebsstätte zugetragen hat, darauf nur zu gewähren, wenn betriebliche Vorgänge die wesentliche Ursache zu dem Streit und den Beweggrund für das Handeln des Schädigers abgegeben haben (BSG 18, 108; RVA, EuM 42, 259).

Im vorliegenden Fall war es zu der tätlichen Auseinandersetzung zwischen Sch. und seinem Arbeitskollegen G. aus Anlaß einer Besprechung gekommen, welche der Kläger mit dem Betriebsobmann über seine Lohneingruppierung geführt und in die sich G. ungebeten eingemischt hatte. Der Revision ist zwar zuzugeben, daß es sich bei dieser Besprechung um eine betriebliche Angelegenheit handelte. Auch der erkennende Senat ist der Meinung, daß derartige Gespräche, da sie der Lohnfindung dienen, wesentlich im betrieblichen Interesse liegen. Im Verlauf dieses Gesprächs ist indessen der tätliche Angriff G.'s gegen Sch. nicht erfolgt. Zu diesem Angriff kam es nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils vielmehr erst, nachdem die Unterhaltung über die Lohnfrage Sch's beendet war und dieser kurze Zeit darauf G. an dessen Arbeitsplatz wegen seiner Einmischung in das Lohngespräch zur Rede stellte. Die Vorgänge, die sich hierbei abspielten, sind, wie das LSG zutreffend angenommen hat, der unversicherten privaten Lebenssphäre Sch's zuzurechnen. G., der im Betrieb als Schlosser beschäftigt ist und sich in die Unterhaltung Sch's mit dem Betriebsobmann mit der Bemerkung eingemischt hatte, Sch. könne als Hilfsarbeiter keinen höheren Lohn beanspruchen, bekräftigte diese Bemerkung, indem er dem Sinne nach äußerte, Sch. bleibe eben ein dummer Hilfsarbeiter. Der Streit, der damit eine beleidigende Form annahm, steigerte sich nunmehr zur Handgreiflichkeit G's gegen Sch, als dieser dem Sinne nach mit dem Anwurf erwiderte, G sei ein Faulenzer und vernachlässige seine betrieblichen Pflichten. Der Senat verkennt nicht, daß ein Streit zwischen Beschäftigten desselben Unternehmens nicht schon deshalb allein dem unversicherten privaten Lebensbereich der Streitenden zuzurechnen ist, weil er sich in der Form strafbarer Handlungen (Beleidigungen) abspielt.

Wurzelt die Auseinandersetzung in der versicherten Beschäftigung der Streitenden, vermag ein Vergreifen im Ausdruck den Versicherungsschutz jedenfalls nicht ohne weiteres in Frage zu stellen. Derbe Worte können unter Umständen sogar geeignet sein, einer notwendigen betrieblichen Anordnung den erforderlichen Nachdruck zu verschaffen. Im vorliegenden Fall ist ein solcher Sachverhalt indessen nicht gegeben. Zwar läßt sich, wie die Revision mit Recht geltend macht, die dem tätlichen Streit vorangegangene, der versicherten Beschäftigung Sch.'s zuzurechnende Lohnbesprechung mit dem Betriebsobmann nicht als Bedingung für den Eintritt des Unfalls wegdenken. Nach der für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsnorm ist jedoch nicht jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele, zugleich auch eine Ursache im Rechtssinn. Hierfür ist vielmehr erforderlich, daß sie wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Eine solche Bedeutung ist der angeführten Lohnbesprechung für die spätere tätliche Auseinandersetzung nach Auffassung des erkennenden Senats nicht beizumessen. Der Begriff der wesentlichen Ursache ist ein Wertbegriff und beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (BSG 12, 242, 245). Bei natürlicher Betrachtung des im vorliegenden Streitfall zu beurteilenden Geschehensablaufs hat das LSG zu Recht die wesentliche Ursache für den tätlichen Angriff in den privaten Beziehungen zwischen den beiden Streitenden erblickt. Seine Annahme, es sei zu der Tätlichkeit nicht wesentlich infolge betrieblicher Vorgänge, sondern auf Grund persönlicher, zu den wechselseitigen Beleidigungen führenden Spannungen gekommen, entspricht einer lebensnahen Betrachtungsweise. Das Unfallgeschehen hat sich lediglich vor dem Hintergrund der vorangegangenen Lohnbesprechung abgespielt. Der Unfall Sch.'s ist sonach vom LSG zu Recht nicht als Arbeitsunfall gewertet worden.

Die beiden Revisionen der Kläger mußten daher als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324448

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