Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei einer Fahrgemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
Zum Versicherungsschutz bei einer Fahrgemeinschaft nach RVO § 550 Abs 2 Nr 2.
Orientierungssatz
1. Wenngleich der Gesetzgeber bei Schaffung des RVO § 550 Abs 2 Nr 2 in erster Linie an regelmäßige Fahrgemeinschaften gedacht hat, ist aber auch bei nur gelegentlicher Mitnahme von Berufstätigen oder versicherten Personen der Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen.
2. Von den Motiven, die zur Bildung einer Fahrgemeinschaft führen, ist der Versicherungsschutz nach RVO § 550 Abs 2 Nr 2 nicht abhängig. Es kommt auch nicht darauf an, ob das gemeinsame benutzte Fahrzeug auf dem Weg von dem Ort der Tätigkeit nach Hause von derselben Person geführt wird, wie auf dem Weg zum Ort der Tätigkeit; der Fahrer braucht nicht einmal zu den unfallversicherten Personen zu gehören.
Normenkette
RVO § 550 Abs 2 Nr 2 Fassung: 1974-04-01
Verfahrensgang
SG Detmold (Entscheidung vom 09.02.1979; Aktenzeichen S 8 U 120/78) |
Tatbestand
Die beigeladene U S ist bei der klagenden Krankenkasse für den Fall der Krankheit versichert. Am 26. November 1977 (Sonnabend) arbeitete sie bis 15.00 Uhr in einem Unternehmen am Stadtrand von Paderborn. Da bei ihr während der Arbeit Kreislaufstörungen aufgetreten waren und sie deshalb nicht imstande war, mit dem ihrem Vater gehörenden Kraftwagen 30 km nach Hause zu fahren, bat sie ihren im selben Unternehmen arbeitenden Freund, sie mit dem Fahrzeug ihres Vaters nach Hause zu bringen. Ihr Freund erklärte sich dazu bereit, wollte jedoch zunächst zu seiner Mutter, bei der er wohnte, in die Innenstadt von Paderborn fahren, um sich dort umzuziehen und frisch zu machen. Die Beigeladene und ihr Freund fuhren gegen 15.20 Uhr vom Parkplatz des Unternehmens ab und erreichten die Wohnung des Freundes, die entgegengesetzt zum Heimweg der Beigeladenen liegt, etwa um 15.40 Uhr. Nachdem sich der Freund der Beigeladenen gewaschen, umgezogen und etwas gegessen und die Beigeladene von der Mutter ihres Freundes Arzneimittel gegen Kreislaufstörungen erhalten hatte, traten die Beigeladene und ihr Freund gegen 16.30 Uhr die Fahrt zum Wohnort der Beigeladenen an. Noch bevor sie die Wegstrecke erreichten, die die Beigeladene üblicherweise für die Fahrt von dem Beschäftigungsunternehmen nach Hause benutzte, kam es zu einem Unfall, bei dem die Beigeladene erheblich verletzt wurde. Die Klägerin gewährte der Beigeladenen aus Anlaß des Unfalls mehrfach Krankenhauspflege sowie Krankengeld.
Die Beklagte lehnte den Ersatzanspruch der Klägerin ab, weil sich der Unfall auf einem eigenwirtschaftlichen Abweg der Beigeladenen ereignet habe. Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die Beklagte verurteilt, den Ersatzanspruch der Klägerin infolge des Arbeitsunfalls der Beigeladenen vom 26. November 1977 in gesetzlicher Höhe zu befriedigen (Urteil vom 9. Februar 1979). Zur Begründung des auf § 1504 Reichsversicherungsordnung (RVO) gestützten Ersatzanspruchs hat das SG ausgeführt: Entgegen der Meinung der Klägerin habe eine Fahrgemeinschaft iS des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO nicht vorgelegen. Denn die Beigeladene habe nicht zunächst ihren Freund nach Hause gebracht und sei dann auf dem weiteren Weg zu ihrer Wohnung verunglückt. Es habe aber Versicherungsschutz nach § 550 Abs 1 RVO bestanden, weil der stets notwendige ursächliche Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit trotz des vorgenommenen Abweges nicht unterbrochen gewesen sei. Denn die gesamte Heimfahrt von der Arbeitsstelle sei seitens der Beigeladenen von dem Zweck geprägt worden, ihre Wohnung zu erreichen. Um die Fahrt nach Hause ohne unvernünftiges Risiko zurücklegen zu können, habe die Beigeladene im Hinblick auf die Kreislaufstörungen und die damit verbundenen Schwächeanfälle nicht selbst mit dem Auto fahren dürfen. Es habe auch im Interesse des Unternehmens gelegen, daß sich die Beigeladene fahren ließ, damit sie am nächsten Arbeitstag ihre betriebliche Tätigkeit fortsetzen könne. Dabei sei die Benutzung ihres Fahrzeuges geboten gewesen, weil sie dieses für die Fahrt zur nächsten Arbeitsschicht wieder benötigte. Es sei deshalb vernünftig gewesen, sich von ihrem Freund fahren zu lassen, auch wenn dadurch in ihren Weg ein Abweg eingeschoben worden sei, den ihr Freund verlangt habe. Mit Rücksicht auf die Strecke zwischen dem Wohnort der Beigeladenen und der Arbeitsstelle von 30 km sei die zusätzliche Fahrt zur Wohnung ihres Freundes und zurück von etwa 5 km auch nicht erheblich gewesen. Gleichfalls reiche die zeitliche Verzögerung von 1 Stunde und 20 Minuten nicht aus, um eine endgültige Lösung vom Betrieb zur Folge zu haben. Zu berücksichtigen sei zudem, daß die Beigeladene durch die Mutter ihres Freundes Arzneimittel gegen Kreislaufstörungen erhalten habe und sich dort einige Zeit habe ausruhen können. Sie sei dadurch für die Heimfahrt besser gerüstet gewesen. Alle diese Umstände hätten dazu geführt, daß für den Abweg keine privaten Gründe maßgebend gewesen seien und der wesentliche Ursachenzusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit auch während des Abweges erhalten geblieben sei.
Das SG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel mit Zustimmung der Klägerin eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Der Unfall der Beigeladenen habe sich auf einem Abweg ereignet, auf dem der Versicherungsschutz unterbrochen gewesen sei. Der Versicherungsschutz hänge nicht davon ab, ob es aus der Sicht der Beigeladenen vernünftig gewesen sei, den Abweg einzuschlagen. Während der Unterbrechung des Weges bestehe nur dann Versicherungsschutz, wenn die Unterbrechung nicht privaten Zwecken diene, sondern im ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe. Der Weg zur Wohnung des Freundes der Beigeladenen sei nicht durch die Interessen des Beschäftigungsunternehmens bestimmt worden. Für das Unternehmen sei es gleichgültig, ob die Beigeladene mit einem Taxi oder mit Freunden nach Hause fahre. Die Wohnung des Freundes sei allein aus privaten Gründen aufgesucht worden. Die Beigeladene sei auf einem durch ihren Gesundheitszustand und ihre Bekanntschaft mit ihrem Freund veranlaßten Privatweg verunglückt. Die Voraussetzungen des § 550 Abs 1 RVO seien daher nicht gegeben. Es habe aber auch keine Fahrgemeinschaft iS des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO vorgelegen, denn die Fahrt zur Wohnung des Freundes der Beigeladenen habe allein im Interesse des Freundes gelegen und sei nicht dazu bestimmt gewesen, den Freund von der Arbeitsstelle endgültig nach Hause zu bringen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Detmold vom 9. Februar 1979
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, daß für die Beigeladene nach § 550 Abs 1 RVO Versicherungsschutz bestanden habe. Sie habe den Umweg nicht aus privaten Gründen gemacht. Die Kopfschmerzen, die die Beigeladene dazu bewogen hätten, ihren Freund zu bitten, sie mit ihrem Auto nach Hause zu fahren, seien keine privaten Gründe. Als private Gründe kämen nur solche Gründe in Betracht, denen eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit des Versicherten zugrunde liege. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Die Beigeladene habe lediglich das Bestreben gehabt, nach Hause zu kommen, ohne ihr Auto selbst steuern zu müssen.
Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das SG den Ersatzanspruch der Klägerin bejaht.
Nach § 1504 Abs 1 RVO in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung des Art 1 § 1 Nr 58 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) hat der Träger der Unfallversicherung, wenn die Krankheit eines Verletzten Folge eines von dem Träger der Unfallversicherung zu entschädigenden Arbeitsunfalls ist, dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, bei dem der Verletzte für den Fall der Krankheit versichert ist, die Kosten mit Ausnahme des Sterbegeldes zu erstatten, die nach Ablauf des 18. Tages nach dem Arbeitsunfall entstehen. Ausgenommen sind die Kosten der Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO). Die Kosten der Krankenhauspflege sind vom ersten Tag an zu erstatten.
Die bei der Klägerin für den Fall der Krankheit versicherte Beigeladene hat am 26. November 1977 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten.
Nach § 550 Abs 1 RVO in der ab 1. Januar 1974 geltenden Fassung des § 15 Nr 1 des Siebzehnten Rentenanpassungsgesetzes (17. RAG) vom 1. April 1974 (BGBl I 821) gilt als Arbeitsunfall ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Dies erfordert einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Zurücklegung des Weges und der versicherten Tätigkeit. Zwar ist der Versicherungsschutz für einen Weg von dem Ort der Tätigkeit nicht auf die kürzeste Verbindung zwischen diesem Ort und der Wohnung des Versicherten beschränkt, denn der Versicherte ist in der Wahl des Weges grundsätzlich frei. Die Wahl eines weiteren Weges als des unmittelbaren Weges nach Hause stellt den Versicherungsschutz jedoch in Frage, wenn für diese Wahl andere Gründe maßgebend waren als die Absicht, nach Hause zu gelangen und die dadurch bedingte Verlängerung der Wegstrecke unter Berücksichtigung aller maßgebenden Umstände als erheblich anzusehen ist (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S 486 k mit Nachweisen). Es bestehen Bedenken, den von der Beigeladenen in den Weg von dem Ort der Tätigkeit eingeschobenen Weg zur Wohnung ihres Freundes im Stadtgebiet von Paderborn als rechtlich unerheblich anzusehen. Für die Beurteilung dieses Weges als unbedeutend oder unerheblich kommt es nicht allein auf die Länge der Wegstrecke an, die nach den Feststellungen des SG etwa 5 km betragen hat. Vielmehr sind auch andere nach der Verkehrsanschauung maßgebliche Umstände in Betracht zu ziehen, zB die Dauer der Unterbrechung des direkten Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit, die Art des gewählten Verkehrsmittels und die Notwendigkeit, wegen dieses Verkehrsmittels einen bestimmten Weg einzuschlagen, die Beschaffenheit und die Zweckmäßigkeit des Weges, die Möglichkeit, die Wohnung schnell und sicher zu erreichen (vgl SozR Nr 33 zu § 543 RVO aF). Auf einem erheblichen Umweg besteht Versicherungsschutz nicht schon dann, wenn der Versicherte mit der Zurücklegung des Umweges keine andere Absicht verfolgt, als nach Hause zu gelangen (SozR Nrn 21 und 42 zu § 543 RVO aF). Auch das Bestreben, während der Arbeit aufgetretene gesundheitliche Störungen behandeln zu lassen, begründen für die Zurücklegung des Umweges keinen Versicherungsschutz (SozR Nr 50 zu § 543 RVO aF).
Ob unter Berücksichtigung der dargelegten Gesichtspunkte der Versicherungsschutz der Beigeladenen zur Zeit des Unfalls nach § 550 Abs 1 RVO zu bejahen wäre, kann jedoch dahingestellt bleiben, da nach Auffassung des Senats sich der Versicherungsschutz jedenfalls aus § 550 Abs 2 Nr 2 RVO ergibt. Nach dieser Vorschrift ist die Versicherung nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzt. Wenngleich der Gesetzgeber bei Schaffung dieser Vorschrift in erster Linie an regelmäßige Fahrgemeinschaften gedacht hat, sollte aber auch bei nur gelegentlicher Mitnahme von berufstätigen oder versicherten Personen der Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen sein (BT-Drucksache VII/1642 S 4; Brackmann, aaO S 486p; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 550 Anm 19a Buchst b, ee). Der Annahme einer von der Beigeladenen und ihrem Freund gebildeten Fahrgemeinschaft steht danach nicht entgegen, daß diese nur wegen der Unpäßlichkeit der Beigeladenen und dem Wunsch ihres Freundes, zunächst selbst nach Hause gebracht zu werden, bevor er die Beigeladene nach Hause fährt, zustande gekommen ist. Von den Motiven, die zur Bildung einer Fahrgemeinschaft führen, ist der Versicherungsschutz nach § 550 Abs 2 Nr 2 RVO nicht abhängig. Es kommt auch nicht darauf an, ob das gemeinsam benutzte Fahrzeug auf dem Weg von dem Ort der Tätigkeit nach Hause von derselben Person geführt wird, wie auf dem Weg zum Ort der Tätigkeit; der Fahrer braucht nicht einmal zu den unfallversicherten Personen zu gehören (Brackmann aaO S 48öp; Lauterbach, aaO § 550 Anm 19a Buchst b, cc). Das SG hat die Voraussetzungen des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO vor allem deshalb nicht als erfüllt angesehen, weil der Freund der Beigeladenen nach Erreichen seiner Wohnung in Paderborn nicht dort geblieben ist, sondern noch die Beigeladene in deren Fahrzeug nach Hause fahren wollte. Auch dieser Umstand steht dem Versicherungsschutz der Beigeladenen bestand gemäß § 550 Abs 2 Nr 2 RVO auch während des Abweichens von ihrem Weg von dem Ort der Tätigkeit, weil sie mit einer anderen versicherten Person gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg von dem Ort der Tätigkeit benutzte. Wäre sie allein mit dem Wagen von der Wohnung ihres Freundes weitergefahren, beständen auch nach der Auffassung des SG keine Bedenken gegen den Versicherungsschutz der Beigeladenen auch auf dem Weg bis zu der Wegstrecke, die sie ohne die Fahrgemeinschaft zurückgelegt hätte. Dieser Versicherungsschutz während des Abweichens von dem Weg von dem Ort der Tätigkeit iS des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO entfällt jedoch nicht deshalb, weil nicht die Beigeladene, sondern eine andere Person den Wagen fuhr. Das kann auch die eben nach Hause gebrachte berufstätige oder versicherte Person tun, was, wenn es sich um einen versicherten Arbeitskollegen handelt, unter dem Gesichtspunkt der Begleitung eines erkrankten Arbeitskollegen nicht einmal den Versicherungsschutz des Fahrzeugführers auf dem weiteren Weg in Frage stellt (vgl BSG, Urteil vom 30. Januar 1963 - 2 RU 7/60 -, Blätter für Steuerrecht 1963, 202). Während des Aufenthalts der Beigeladenen in der Wohnung ihres Freundes in Paderborn - nach den Feststellungen des SG von 15.40 Uhr bis 16.30 Uhr - war der Versicherungsschutz zwar unterbrochen, er lebte jedoch mit der Fortsetzung des Weges wieder auf, weil die Unterbrechung weniger als 2 Stunden dauerte (SozR 2200 § 550 Nr 12). Da der von der Beigeladenen in den Weg von dem Ort der Tätigkeit eingeschobene Weg zur Wohnung ihres Freundes nur etwa 5 km betragen hat, während ihr Weg nach Hause 30 km lang war, bedarf es keiner Erörterung, ob der Versicherungsschutz nach § 550 Abs 2 Nr 2 RVO auf dem Abweg etwa deshalb nicht erhalten blieb, weil der Abweg im Verhältnis zum eigenen Weg der Versicherten von dem Ort der Tätigkeit unverhältnismäßig groß gewesen ist (vgl Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 095, S 10; Brackmann aaO S 486q).
Da die Beigeladene somit am 26. November 1977 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat und die Aufwendungen der Klägerin für die Heilbehandlung der Beigeladenen durch diesen Arbeitsunfall verursacht worden sind, ist die Beklagte zu Recht verurteilt worden, den Ersatzanspruch der Klägerin in gesetzlicher Höhe zu befriedigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen