Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.03.1990) |
SG Köln (Urteil vom 05.10.1988) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. März 1990 und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 5. Oktober 1988 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. August 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 1986 aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für alle Instanzen zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte vom Kläger Säumniszuschläge wegen einer vor Konkurseröffnung entstandenen, vom Kläger jedoch bis zur Erteilung der angefochtenen Bescheide nicht befriedigten Umlageforderung beanspruchen kann.
Der Kläger ist seit der Eröffnung des Konkursverfahrens am 31. Juli 1984 Konkursverwalter über das Vermögen der zur Leistung von Umlagen zur Produktiven Winterbauförderung verpflichteten Firma Baugesellschaft K … in B …. Für die letzten sechs Monate vor Konkurseröffnung ist die Winterbauumlage nicht gezahlt worden. Mit dem in diesem Verfahren angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 22. August 1986 setzte sie für die Zeit vom 16. September 1985 bis zum 15. September 1986 Säumniszuschläge in Höhe von 301,20 DM fest. In dem Bescheid heißt es, die Säumniszuschläge seien im Rahmen ihres pflichtgemäßem Ermessens für jeden Monat auf 1 vH des Rückstandes festgesetzt worden. Dem Widerspruch des Klägers half die Beklagte nicht ab (Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 1986). Nach Auffassung der Beklagten in dem Widerspruchsbescheid soll der Säumniszuschlag den Schuldner zum einen zur pünktlichen Zahlung anhalten, zum anderen aber, und dieser Aspekt stehe hier im Vordergrund, den durch die verspätete Zahlung entstandenen Nachteil für die Solidargemeinschaft ausgleichen. Es sei von der Möglichkeit auszugehen, daß die Hauptforderung zumindest teilweise beglichen werde. Im übrigen werde das Ermessen insoweit ausgeübt, als eine Begleichung der Forderung erst zu dem Zeitpunkt gefordert werde, in dem ausreichend Masse zur Verfügung stehe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. Oktober 1988) und die Berufung zugelassen. Gegen die Zurückweisung der Berufung in dem nunmehr angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 14. März 1990 wendet der Kläger sich mit der vorliegenden Revision, welche durch den erkennenden Senat am 22. August 1990 zugelassen worden ist.
In dem Urteil des LSG heißt es ua, bei der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens seien die persönlichen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen sowie die Umstände zu berücksichtigen, die zur Säumnis geführt haben. Einer der Zwecke des Säumniszuschlages, nämlich zur pünktlichen Beitragszahlung anzuhalten, entfalle bei Säumniszuschlägen, die nach einer Konkurseröffnung festgesetzt werden. Grundsätzlich überwiege aber das öffentliche Interesse an der Verhängung von Säumniszuschlägen gegenüber dem Interesse der Gemeinschuldnerin, weil durch sie ein standardisierter Schadensausgleich erfolge. Die Beklagte habe daher das ihr eingeräumte Ermessen nicht überschritten, zumal da sie ihre Überlegungen konkret auf die klagende Gemeinschuldnerin bezogen habe. Ein besonders schutzwürdiges Interesse des Klägers sei nicht dargelegt worden. Umstände, die für eine Ermessensreduzierung auf Null sprechen könnten, seien nicht ersichtlich.
Die Revision ist der Auffassung, daß die Beklagte ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe. Säumniszuschläge dürften nach ihrer Auffassung nur erhoben werden, wenn sie gleichermaßen ihre Funktion als Druckmittel und als Mindestschadensausgleich erfüllen könnten. Die Druckmittelfunktion gehe jedoch ins Leere, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage sei, Zahlungen zu leisten. Die Bescheide enthielten keine ordnungsgemäße Ermessensausübung im konkreten Fall.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. März 1990 und den Bescheid der Beklagten vom 22. August 1986 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 1986 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zur sachgemäßen Ermessensausübung durch die Beklagte für zutreffend und meint, es sei nicht plausibel dargelegt worden, warum der Wegfall eines der Gründe, deretwegen der Gesetzgeber der Beklagten ein Ermessen zur Erhebung von Säumniszuschlägen eingeräumt habe,
automatisch zu einer Ermessensreduzierung auf Null iS einer Nichtgeltendmachung der Zuschläge führen solle.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Die Revision des Klägers ist begründet. In den angefochtenen Bescheiden und in den Urteilen der Vorinstanzen sind die Erfordernisse, welche an eine Ermessensentscheidung iS des § 24 Abs 2 des Sozialgesetzbuches – Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) zu stellen sind, nicht ausreichend beachtet.
SG und LSG haben zutreffend angenommen, daß die Beklagte auch nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen einer Umlageschuldnerin Säumniszuschläge erheben darf. Der Senat hat dies zuletzt in seinem Urteil vom 26. Februar 1991 – 10 RAr 4/90 – ausführlich dargelegt und verweist auf dieses zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil. Ferner ist davon auszugehen, daß Säumniszuschläge einerseits dazu dienen, den Trägern der Sozialversicherung einen gesetzlich standardisierten Mindestschadensausgleich zu gewähren. Die Säumniszuschläge haben ferner den Zweck, auf den Schuldner Druck auszuüben. In dem Urteil des Senats vom 26. Februar 1991 aaO ist weiterhin ausgeführt: „Die Funktion des § 24 SGB IV, insbesondere die Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers, muß sich im Falle der Eröffnung des Konkursverfahrens zwangsläufig ändern. Zwar kann die Druckfunktion auch im Konkursverfahren gegenüber dem Konkursverwalter neben der Schadensausgleichsfunktion zum Tragen kommen. So hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in den Urteilen vom 24. Februar 1988 – 2/9b RU 48/87 – und BSGE 63, 67, 70 entschieden, daß dann, wenn nach Eröffnung des Konkursverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 102 Konkursordnung ≪KO≫) Mittel zur Deckung der vorweg aus der Konkursmasse zu berücksichtigenden Massekosten und Masseschulden bei Konkurseröffnung vorhanden sind oder wenn der Konkursmasse nachträglich derartige Mittel zufließen, der Konkursverwalter dann nach § 57 KO für eine Vorwegbefriedigung sorgen muß. Selbst wenn die Masse zur vollständigen Befriedigung der Massegläubiger nicht ausreicht, ist nach der Rechtsprechung von ihm eine Befriedigung nach der in § 60 Abs 1 KO vorgeschriebenen Reihenfolge und Quote durchzuführen. Deshalb kann auch der Konkursverwalter mit der Erhebung von Säumniszuschlägen angehalten werden, das Verfahren zügig abzuwickeln und die Massegläubiger umgehend, gegebenenfalls entsprechend der in § 60 Abs 1 KO festgelegten Rangfolge und Quote zu befriedigen oder wenigstens, wenn eine Mindestqoute sicher ist, Abschlagszahlungen in Höhe der Mindestquote zu leisten (Urteil des 2. Senats des BSG vom 28. August 1990 – 2 RU 12/90 –). …
Nach § 24 Abs 2 SGB IV ist ihm (dem Versicherungsträger) dabei ein Ermessensspielraum allein darüber gewährt, ob er überhaupt Säumniszuschläge erheben will, während § 24 Abs 1 SGB IV einen Ermessensspielraum auch darüber eröffnet, ob die Höchstgrenze von 2 vH ausgeschöpft werden soll (BSGE 63, 67, 72 f mwN). Die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens setzt nicht nur voraus, daß die Behörde von ihrem Ermessen überhaupt Gebrauch macht, erforderlich ist darüber hinaus auch, daß das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt wird (BSG, Urteil vom 14. Juni 1982 aaO; vom 20. Juli 1988 – 12 RK 53/86 – ZIP 1988, 1342 ff; BSGE 64, 24, 27). Demgemäß muß die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht nur ergeben, daß die Beklagte überhaupt eine Ermessensentscheidung treffen wollte. Sie muß vielmehr diejenigen Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Beklagte bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (vgl § 35 Abs 1 Satz 3 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch -≪SGB X≫; BSGE 55, 157, 170). Die gerichtliche Nachprüfung beschränkt sich auf das Vorliegen von Ermessensfehlern. Das Gericht hat lediglich zu untersuchen, ob die Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten und ob sie von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG). …
Die Ermessenserwägungen haben sich, da auch die Druckausübung den Säumniszuschlägen immanent ist, auch darauf zu erstrecken, ob eine solche Zwangsmaßnahme überhaupt Erfolg haben kann. Denn bei Säumniszuschlägen, die gegenüber dem Konkursverwalter für die Zeit nach Konkurseröffnung erhoben werden, darf nicht außer Betracht bleiben, daß dieser die durch das Konkursverfahren verursachte weitere Verzögerung der Zahlung nur im Rahmen der ihm von der KO eingeräumten Möglichkeiten beeinflussen kann. So sind selbst Masseschulden und Massekosten erst dann zu befriedigen, wenn feststeht, daß die Konkursmasse zu deren vollständiger Befriedigung ausreicht. Andernfalls hat die Befriedigung nach der Rangordnung und der Quote des § 60 Abs 1 KO zu erfolgen (Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Auflage, RdNr 1a zu § 57; BSG, Urteil vom 28. August 1990 – 2 RU 12/90 – = HV Info 1990, 2176).
Wendet der Konkursverwalter gegenüber der Beklagten – wie geschehen – Masselosigkeit ein, wird in aller Regel der Zweck der Druckausübung jedenfalls für die Dauer der Masseunzulänglichkeit ins Leere gehen. Erhebt die Beklagte – wie hier – gleichwohl Säumniszuschläge, handelt sie grundsätzlich ermessensfehlerhaft. Eine andere Beurteilung ließe sich nur dann rechtfertigen, wenn die Masselosigkeit auf eine zögerliche Handlungsweise des Konkursverwalters zurückzuführen wäre und aufgrund dessen die Masseschulden verspätet befriedigt werden könnten.”
An dieser seiner Rechtsauffassung, gegen welche Gründe bisher nicht vorgebracht worden sind, hält der erkennende Senat fest. Nachdem in den angefochtenen Bescheiden Ermessenserwägungen in Blickrichtung auf die Druckausübungsfunktion der Säumniszuschläge bei bestehender Masselosigkeit fehlen, waren die Urteile der Vorinstanzen und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen