Leitsatz (amtlich)
Gewährt der Rentenversicherungsträger dem Versicherten Übergangsgeld nach AVG § 21a Abs 6 (= RVO § 1244a Abs 6), dann hat er Beiträge zur KVdR nach RVO § 381 Abs 2 bereits von dem Zeitpunkt ab zu leisten, von dem ab die vom Übergangsgeld "verdrängte" Rente zu gewähren gewesen wäre (Weiterführung von BSG 1974-03-22 3 RK 28/72 = BSGE 37, 194).
Normenkette
RVO § 381 Abs. 2 Fassung: 1970-04-14; AVG § 21a Abs. 6 Fassung: 1959-07-23; RVO § 1244a Abs. 6 Fassung: 1959-07-23
Verfahrensgang
SG Duisburg (Entscheidung vom 16.03.1977; Aktenzeichen S 21 Kr 96/76) |
Tenor
Die Revision der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16. März 1977 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene zu 1) hat der Beigeladenen zu 2) deren außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene zu 1) als Träger der Rentenversicherung verpflichtet ist, zu der bei der Klägerin für die Beigeladene zu 2) bestehenden Krankenversicherung der Rentner (KVdR) Beiträge nach § 381 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für einen Zeitraum zu leisten, in dem wegen der Gewährung von Übergangsgeld ein Anspruch auf Rente trotz bestehender Erwerbsunfähigkeit nicht gegeben war.
Die Beigeladene zu 2) bezieht seit dem 7. Mai 1971 von der Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 51 ff des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). In der Zeit vom 21. Januar 1971 bis 28. April 1974 gewährte ihr die Beigeladene zu 1) eine medizinische Heilmaßnahme (Tbc-Heilverfahren) nach § 21a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und zahlte ihr Übergangsgeld nach Abs 6 Buchst a und b dieser Vorschrift. Auf den Antrag vom 26. Mai 1971 bewilligte ihr die Beigeladene zu 1) mit Bescheid vom 7. Oktober 1974 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit ab 29. April 1974 unter gleichzeitiger Feststellung, daß der Versicherungsfall am 23. Januar 1971 eingetreten sei. Die Beklagte übernahm aufgrund ihrer Zusicherung vom 22. Juni 1971 die Beiträge zur KVdR für die Zeit vom Beginn der Mitgliedschaft der Beigeladenen zu 2) in der KVdR bis zum 24. Juli 1971, weigerte sich jedoch mit Schreiben vom 8. Juli 1976, die Beiträge auch für den anschließenden Zeitraum bis 28. April 1974 zu zahlen. Die Klägerin erhob daraufhin am 19. Oktober 1976 Klage zum Sozialgericht (SG). Das SG hat die Beigeladene zu 1) unter Abweisung der Klage gegen die Beklagte verurteilt, die Beiträge zur KVdR für die Beigeladene zu 2) für die Zeit vom 25. Juli 1971 bis 28. April 1974 zu zahlen (Urteil vom 16. März 1977). Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. März 1974 - 3 RK 28/72 - (BSGE 37, 194) sei der Beitragszuschuß nach § 381 Abs 4 RVO aF schon vom Tage des fiktiven Rentenbeginns an zu gewähren, sofern von diesem Zeitpunkt bis zum Tage vor dem tatsächlichen Rentenbeginn durchlaufend Übergangsgeld gezahlt worden sei. Es könne kein Unterschied gemacht werden, ob das Übergangsgeld nach § 18 Abs 1 Satz 2 AVG aF oder nach § 21a Abs 6 AVG gewährt worden sei. Dies ergebe sich aus dem Sinngehalt der Vorschriften über die KVdR.
Die Beigeladene zu 1) hat mit Zustimmung der Klägerin und der Beklagten die - vom SG im Urteil zugelassene - Sprungrevision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 381 Abs 2 RVO. Zur Begründung trägt sie vor: Es scheine zwar so, daß die Voraussetzungen für einen Rentenbezug seit dem 25. Juli 1971 (Beginn der 27. Woche nach Eintritt des Versicherungsfalles vom 23. Januar 1971) vorgelegen hätten. Der Rentenbezug sei aber für die Zeit des Übergangsgeldbezuges gemäß § 21a Abs 6 Satz 4 AVG iVm § 19 AVG aF ausgeschlossen gewesen. Der Rentenantrag der Beigeladenen zu 2) sei erst während des seit 21. Januar 1971 laufenden Übergangsgeldbezuges gestellt worden und habe diesen auch nicht ausgelöst. Daher habe für sie keine Veranlassung bestanden, Beiträge in erweiternder Auslegung des oa Urteils des BSG abzuführen. Der dort entschiedene Fall unterscheide sich erheblich von dem vorliegenden. Hier fehle es daran, daß das Übergangsgeld an die Stelle der an sich zu gewährenden Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit trete, sowie an dem Rentenantrag, der die eine oder die andere Leistung entstehen lasse. Der Übergangsgeldbezug bei Tbc-Heilmaßnahmen sei von der Stellung eines Rentenantrags völlig unabhängig.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin und die Beigeladene zu 2) haben sich zur Sache nicht geäußert.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beigeladenen zu 1) ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Das SG hat zu Recht entschieden, daß die Beigeladene zu 1) verpflichtet ist, die Beiträge zur KVdR für die Beigeladene zu 2) für die Zeit vom 25. Juli 1971 bis 28. April 1974 an die Klägerin zu zahlen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus § 381 Abs 2 RVO. Hiernach leisten die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und der Träger der Rentenversicherung der Angestellten zu den Aufwendungen für die in § 165 Abs 1 Nr 3 bezeichneten Personen Beiträge nach Maßgabe des § 385 Abs 2 RVO. Diese Beitragspflicht wird vom Beginn der Rente an begründet, was sich aus § 381 Abs 3 Satz 3 RVO ergibt. Nach dieser Vorschrift werden nämlich die Beiträge, die die Rentenbewerber vom Beginn der Rente bis zur Zustellung des die Rente gewährenden Bescheides entrichtet haben, diesen zurückgezahlt.
Die Beigeladene zu 1) hat die von der Beigeladenen zu 2) am 26. Mai 1971 beantragte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erst ab 29. April 1974 bewilligen dürfen, obwohl die Erwerbsunfähigkeit schon vor der Antragstellung am 26. Mai 1971 eingetreten war und auch die übrigen versicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente auf Zeit nach § 53 Abs 1 AVG ab 25. Juli 1971 erfüllt waren. Einem früheren Rentenbeginn stand die Vorschrift des § 21a Abs 6 Satz 4 AVG iVm § 19 AVG aF entgegen. Hiernach bestand für die Dauer der Gewährung des Übergangsgeldes kein Anspruch auf die Rente. Bei wörtlicher Auslegung des § 381 Abs 3 Sätze 2 und 3 RVO, die beide vom "Beginn der Rente" sprechen, müßte daher mit der Beigeladenen zu 1) davon ausgegangen werden, daß die Beigeladene zu 2) als Rentenbewerberin bis zum tatsächlichen Rentenbeginn, also bis zum 28. April 1974, beitragspflichtig war und demgemäß die Beklagte aufgrund ihrer Kostenzusicherung zur Beitragszahlung verpflichtet wäre. Die Anwendung eines Gesetzes darf sich jedoch nicht auf den bloßen Wortlaut beschränken, wenn sich aus dem Sinnzusammenhang, in den eine Vorschrift hineingestellt ist, ergibt, daß der Wortlaut dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck nicht oder nicht voll gerecht wird. Eine solche Unvollständigkeit im Wortlaut der gesetzlichen Regelung über die zeitliche Abgrenzung der Rechte und Pflichten zwischen dem Rentenbewerber und dem Rentenversicherungsträger in der KVdR hat der 3. Senat des BSG in der von der Klägerin und vom SG angeführten Entscheidung (BSGE 37, 194) für § 381 Abs 4 RVO aF angenommen und - orientiert am Sinn und Zweck der Gesamtregelung und an der Entstehungsgeschichte der Vorschrift - unter dem in dieser Vorschrift genannten "Bezug einer Rente" auch den Bezug einer anstelle der Rente gewährten anderen vergleichbaren Leistung der Rentenversicherung verstanden. Eine solche vergleichbare Leistung hat das BSG in dem vorgezogenen Übergangsgeld des § 18 Abs 1 Satz 2 AVG aF gesehen. Dabei ist zwar auch darauf hingewiesen worden, daß dieses Übergangsgeld voll an die Stelle der Rente trete, weil der Rentenantrag nicht nur die mitgliedschaftlichen Beziehungen zur KVdR zur Entstehung bringe, sondern auch das Übergangsgeld auslöse. Daraus kann aber keineswegs gefolgert werden, daß die Vergleichbarkeit des Übergangsgeldes mit der Rente nur bei dieser mehr technischen Verknüpfung (Identität des Antrags) gegeben sei. Wie nämlich das BSG weiter ausgeführt hat, soll die Übernahme der Beitragslast des Pflichtversicherten dem Berechtigten einen im wesentlichen kostenfreien Krankenschutz sichern, wobei der Gesetzgeber ihm im Hinblick auf seine wirtschaftliche Lage nicht zumutet, den Beitrag aus eigenen Mitteln aufzubringen. Den Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit komme im System der Rentenversicherung eine besondere Bedeutung zu, weil der Versuch, die bedrohte Erwerbsfähigkeit eines Versicherten wiederherzustellen oder zu festigen, Vorzug vor der Rentengewährung habe. Zur erfolgreichen Durchführung der Rehabilitationsaufgabe sei jedoch die aktive Mitarbeit des Versicherten unerläßlich. Diesem Erfordernis und der gesamten Zielsetzung der Rehabilitation widerspräche es daher, wenn dem Versicherten bei Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme eine mindere Rechtsposition zugemessen würde als die, die er beim Bezug einer Rente habe (BSGE 37, 194, 197, 198). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung des 3. Senats an. Demnach ist es im Rahmen des § 381 Abs 3 RVO unerheblich, ob eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bei Vorliegen aller tatbestandsmäßigen Voraussetzungen durch das auf den gleichen Antrag zu gewährende vorgezogene Übergangsgeld nach § 18 Abs 1 Satz 2 AVG aF hintangestellt wird oder ob der Anspruch auf Rente durch das ohne Antrag zu gewährende Übergangsgeld nach § 21a Abs 6 AVG "verdrängt" wird. Beide Arten von Übergangsgeld sind der Rente vergleichbare Leistungen des Rentenversicherungsträgers und treten an die Stelle der ohne sie zu gewährenden Rente. Es ist daher kein sachlich einleuchtender Grund ersichtlich, nicht auch den Bezug des Übergangsgeldes nach § 21a Abs 6 AVG dem Bezug einer Rente gleichzusetzen.
Daß der Gesetzgeber durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (RehaAnglG) die Krankenversicherungspflicht der Rehabilitanden bei Bezug von Übergangsgeld und die Beitragspflicht der Rehabilitationsträger (§§ 311 Nr 3, 381, Abs 3a RVO nF) neu geregelt hat, steht dem nicht entgegen. Vielmehr wird hierdurch die Auffassung des BSG über das besondere Bedürfnis der Rehabilitanden für einen kostenlosen Krankenversicherungsschutz während der Rehabilitationsmaßnahme bestätigt und dieser Schutz gegenüber der bisherigen Rechtslage erweitert. Ein bereits nach den Vorschriften der KVdR bestehender kostenloser Krankenversicherungsschutz wird durch die Neuregelung nicht verdrängt (vgl das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 14. September 1978 - 12 RK 28/77).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1652242 |
BSGE, 209 |