Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde gegen die abgelehnte Tatbestandsberichtigung
Leitsatz (redaktionell)
Sofern eine sachliche Entscheidung über den Tatbestandsberichtigungsantrag von den Richtern der Ausgangsentscheidung nicht getroffen worden ist, darf das Rechtsmittelgericht die dagegen gerichtete Beschwerde nach übereinstimmender Auffassung der Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm, NJW 1967, S. 1619; für die Finanzgerichtsbarkeit auch BFH, Beschluss vom 17.12.1999 - V B 116/99, BFH/NV 2000, S. 852) und des einschlägigen zivilprozessualen Schrifttums (vgl.u.a. Musielak, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl., Bd. 1, 2000, § 320 Rn. 11; für die Finanzgerichtsordnung auch Brandis, in: Tipke/Kruse, AO und FGO, § 108 FGO Rn. 8 ≪Stand: Juli 2002≫; von Groll, in: Gräber, FGO, 5. Aufl. 2002, § 108 Rn. 6) nicht als unzulässig zurückweisen.
Normenkette
ZPO § 320 Abs. 4 S. 4; GG Art. 103 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Der Teil-Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 3. März 2004 – 2 U 118/03 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, soweit er ihre Verurteilung zur Bezahlung der ihr vor dem 2. April 2001 zugegangenen Rechnungen betrifft. Der Teil-Beschluss wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 31. März 2004 – 2 U 118/03 – wird damit gegenstandslos.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
- Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die Hälfte der im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zivilgerichtliche Entscheidungen in einem von einem Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreit.
I.
1. Die Beschwerdeführerin erbringt Dienstleistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation. Sie schloss 1998 mit einer Konkurrentin (im Folgenden: Schuldnerin) einen Fakturierungs- und Inkassovertrag, der sie verpflichtete, die ihr gelieferten Telekommunikationsfälle den Endkunden in Rechnung zu stellen und den Erlös an die Schuldnerin abzuführen. Für den Abrechnungszeitraum 13. Februar bis 31. Mai 2001 standen noch Forderungen der Schuldnerin in Höhe von gut 17,5 Mio. € offen. Unter dem 2. April 2001 beantragte diese die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, was der Beschwerdeführerin am selben Tag bekannt gegeben wurde. Der Kläger des Ausgangsverfahrens wurde als (zunächst vorläufiger) Insolvenzverwalter bestellt.
In der Folgezeit rechnete die Beschwerdeführerin gegen die Erlösansprüche der Schuldnerin mit Gegenforderungen auf, die ihr wegen Nutzung ihres Telefonnetzes durch die Schuldnerin zustanden. Die Beschwerdeführerin bezifferte diese Ansprüche Ende März 2001 auf knapp 100 Mio. DM und meldete sie mit gut 71 Mio. DM zur Tabelle an. Der Kläger hielt die Aufrechnung für unzulässig und verklagte die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren auf Auszahlung der Erlöse in der genannten Höhe von gut 17,5 Mio. €.
Mit dem angegriffenen Urteil hat das Landgericht – Kammer für Handelssachen – die Beschwerdeführerin zur Zahlung verurteilt. Der Erlösanspruch sei nicht durch Aufrechnung erloschen. Diese sei gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 2 der Insolvenzordnung (InsO) unzulässig. Die Ausnutzung der Aufrechnungslage sei anfechtbar, da diese innerhalb der letzten drei Monate vor Insolvenzantragstellung entstanden sei, die Schuldnerin zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig gewesen sei und die Beschwerdeführerin die Zahlungsunfähigkeit gekannt habe.
Für die der Beschwerdeführerin nach Insolvenzantragstellung zugegangenen Rechnungen gelte dies schon deshalb, weil ihr die Antragstellung noch am selben Tag bekannt geworden sei. Bei Zugang der früheren Rechnungen habe sie jedenfalls im Sinne von § 130 Abs. 2 InsO Kenntnis von Umständen gehabt, die zwingend hätten auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen lassen. Die Zahlungsunfähigkeit zum fraglichen Zeitpunkt sei nicht bestritten. Aufgrund des ebenfalls unstreitigen Zahlungsverhaltens der Schuldnerin und des kontinuierlichen Anstiegs der Verbindlichkeiten von Oktober 2000 bis Ende März 2001 von 20 auf gut 70 Mio. DM sei das Gericht davon überzeugt, dass die Beschwerdeführerin zumindest die von § 130 Abs. 2 InsO geforderte Kenntnis gehabt habe.
Unter anderem mit der Begründung, das Landgericht habe das Bestreiten des Anstiegs der Zahlungsverpflichtungen und der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin übergangen, beantragte die Beschwerdeführerin die Berichtigung des Tatbestands dieses Urteils. Die Kammer für Handelssachen, deren Vorsitzende inzwischen in Ruhestand gegangen war, wies den Antrag durch die beiden Handelsrichter als unzulässig zurück; diese seien ohne Mitwirkung eines Berufsrichters nicht in der Lage zu beurteilen, ob, warum und in welcher Weise eine Tatbestandsberichtigung zu erfolgen habe; das stehe dem Fall gleich, dass alle Richter verhindert seien, die an dem fraglichen Urteil mitgewirkt hätten. Das Oberlandesgericht verwarf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen diese Entscheidung unter Hinweis auf § 320 Abs. 4 Satz 4 ZPO als unzulässig; das Landgericht habe im Übrigen im Ergebnis eine Tatbestandsberichtigung abgelehnt.
Mit dem angegriffenen Teil-Beschluss hat das Oberlandesgericht die Berufung der Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Landgerichts hinsichtlich der Hauptforderung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Der Zahlungsanspruch gegen die Beschwerdeführerin sei nicht durch die von ihr erklärte Aufrechnung erloschen. Diese sei gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO unwirksam.
Soweit Rechnungen über zusammen knapp 10,3 Mio. € in Rede stünden, die der Beschwerdeführerin nach dem Insolvenzeröffnungsantrag zugegangen seien, sei die Aufrechung mit den geltend gemachten Gegenforderungen wegen Anfechtbarkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO unzulässig. Soweit Rechnungen der Schuldnerin über zusammen gut 7,2 Mio. € der Beschwerdeführerin vor der Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags zugegangen seien, mithin die Aufrechnungslage vor diesem Zeitpunkt entstanden sei, stehe der Aufrechnung § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen. Der Feststellung des Landgerichts, die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum maßgeblichen Zeitpunkt sei unbestritten gewesen, komme Tatbestandswirkung im Sinne von § 314 ZPO zu. Daher könne offen bleiben, ob sich den von der Beschwerdeführerin genannten Quellen ihr Bestreiten der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin entnehmen lasse. Wenn und soweit eine Tatbestandsberichtigung gemäß § 320 ZPO – wie hier – fehle, beweise der Tatbestand auch, dass in einem bestimmten Punkt in der mündlichen Verhandlung anders vorgetragen worden sei als in früheren Schriftsätzen.
Die Beschwerdeführerin habe im März 2001 auch zumindest eine nach § 130 Abs. 2 InsO genügende Kenntnis von Umständen gehabt, die zwingend hätten auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen lassen. Nach den ebenfalls bindenden Feststellungen des Landgerichts seien die Verbindlichkeiten der Schuldnerin unbestritten von Oktober 2000 bis Ende März 2001 kontinuierlich von etwa 20 auf 70 Mio. DM gestiegen. Soweit die Beschwerdeführerin dies in der Berufungsbegründung bestreite, handele es sich um neues Vorbringen im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO, für dessen Zulassung die Voraussetzungen nicht dargelegt worden seien. Der Tatbestandsberichtigungsantrag sei abgelehnt worden, mithin Tatbestandswirkung für das mündliche Vorbringen gemäß § 314 ZPO eingetreten. Dem stehe schriftsätzliches Bestreiten der Beschwerdeführerin nicht entgegen. Das Oberlandesgericht schließe sich deshalb im Ergebnis dem Landgericht an.
Diese Ansicht verstoße nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Dass das Landgericht in seinem Urteil einen Sachverhalt “fälschlich” als unstreitig dargestellt habe, könne nicht unterstellt werden. Im Übrigen habe die verfassungsrechtlich nötige einmalige gerichtliche Kontrolle des behaupteten Gehörsverstoßes im Rahmen von § 320 ZPO stattgefunden. Nur für den Fall, dass alle an der Ausgangsentscheidung mitwirkenden Richter verhindert seien, gebe es in Rechtsprechung und Literatur Überlegungen, dass das Rechtsmittelgericht seiner Entscheidung den von ihm selbst zu berichtigenden Tatbestand zugrunde zu legen habe. So liege der Fall hier aber nicht. Daher sei in tatsächlicher Hinsicht davon auszugehen, dass die Verbindlichkeiten der Schuldnerin, wie vom Landgericht festgestellt, zwischen Oktober 2000 und März 2001 kontinuierlich angestiegen seien.
Mit dem weiter angegriffenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die Gehörsrüge und Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin als unzulässig verworfen.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde, die sich mittelbar auch gegen § 96 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 130 Abs. 1 Nr. 1, 2 und Abs. 2 InsO richtet, rügt die Beschwerdeführerin unter anderem die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, von Art. 3 Abs. 1 und von Art. 103 Abs. 1 GG.
Die Ansicht des Berufungsgerichts, das Bestreiten einer signifikanten Änderung des Zahlungsverhaltens der Schuldnerin durch die Beschwerdeführerin nicht beachten zu müssen, verstoße gegen Art. 103 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Den Gerichten sei es verwehrt, Verfahrensnachteile für die Beteiligten aus Umständen herzuleiten, die der Sphäre der Gerichte entstammten. Hier habe sich das Berufungsgericht an die Feststellungen des Landgerichts für gebunden gehalten und eine eigene Überprüfung unterlassen, obwohl der Tatbestandsberichtigungsantrag inhaltlich nicht beschieden worden sei. Der Beschwerdeführerin sei Rechtsschutz gegen die unzutreffenden Feststellungen des Landgerichts auch im Rahmen der Berufungsentscheidung versagt geblieben.
Zu dem verletze es Art. 3 Abs. 1 GG, dass das Land- und das Oberlandesgericht die Kenntnis der Beschwerdeführerin von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin unterstellt und die Beschwerdeführerin insoweit im Ergebnis wie die Gruppe der Organe der Insolvenzschuldnerin behandelt hätten, die als “nahe stehende Personen” aufgrund ihres unmittelbaren Einblicks in Unternehmensinterna in § 130 Abs. 3 und § 138 InsO eine besondere Regelung erfahren hätten.
3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht, das Bundessozialgericht, und der Kläger des Ausgangsverfahrens geäußert. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
II.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sie sich dagegen richtet, dass das Oberlandesgericht in dem angegriffenen Teil-Beschluss eine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts angenommen hat, die Gegenstand des erfolglosen Tatbestandsberichtigungsantrags der Beschwerdeführerin waren. Insoweit ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip angezeigt und liegen auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen zu Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip schon entschieden. Der angegriffene Teil-Beschluss kann danach im vorgenannten Umfang keinen Bestand haben.
a) Durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip wird der Anspruch des Einzelnen auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gewährleistet (vgl. BVerfGE 93, 99 ≪107≫; 107, 395 ≪401 ff.≫). Dieser Anspruch ist auch vom Richter zu wahren; dieser darf verfahrensrechtliche Regelungen nicht so auslegen und anwenden, dass den Parteien der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eröffneten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (vgl. BVerfGE 77, 275 ≪284≫; 88, 118 ≪125≫).
b) Mit diesen Grundsätzen steht die Zurückweisung der Berufung durch das Oberlandesgericht nicht in Einklang, soweit dieses hinsichtlich der der Beschwerdeführerin vor dem 2. April 2001 zugegangenen Rechnungen die Voraussetzungen von § 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO bejaht und sich dabei an die – im Tatbestandsberichtigungsverfahren unverändert gebliebenen – Feststellungen des Landgerichts zum Anstieg der Zahlungsverpflichtungen und zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gemäß § 314 ZPO gebunden gesehen hat.
Das Oberlandesgericht hatte schon im vorausgegangenen Tatbestandsberichtigungsverfahren – in derselben Besetzung wie im Berufungsverfahren – verkannt, dass die Handelsrichter des Landgerichts eine Sachentscheidung über den Tatbestandsberichtigungsantrag der Beschwerdeführerin ausdrücklich für nicht möglich erachtet und diesen als unzulässig zurückgewiesen hatten, da ihnen für eine sachgerechte Beurteilung des Begehrens Kenntnis und Wissen eines Berufsrichters fehlten. Die Handelsrichter hatten des Weiteren geltend gemacht, sie könnten sich auch nicht rechtlich beraten lassen, da sonst nicht zur Entscheidung Berufene an der Entscheidung mitwirken würden. Angesichts dieser Ausführungen erscheint schon die Wertung des Oberlandesgerichts im Beschwerdeverfahren fragwürdig, die beteiligten Handelsrichter hätten sich nicht in der Lage gesehen, die Unrichtigkeit des Tatbestands festzustellen; darin liege der Sache nach eine Ablehnung des Berichtigungsantrags, die der Überprüfung durch ein Beschwerdegericht nicht zugänglich sei. Ob eine Ausnahme von der Regel des § 320 Abs. 4 Satz 4 ZPO (Unanfechtbarkeit des im Berichtigungsverfahren ergangenen Beschlusses) bei bestimmten Verfahrensverstößen oder dann gelte, wenn aus prozessualen Gründen – etwa wegen Versäumung der Antragsfrist – eine sachliche Entscheidung über den Antrag abgelehnt werde, bedürfe keiner Entscheidung; ein solcher Fall liege hier nicht vor.
Diese Vorgehensweise des Berufungsgerichts ist nicht damit vereinbar, dass, sofern eine sachliche Entscheidung über den Tatbestandsberichtigungsantrag von den Richtern der Ausgangsentscheidung nicht getroffen worden ist, das Rechtsmittelgericht die dagegen gerichtete Beschwerde nach übereinstimmender Auffassung der Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm, NJW 1967, S. 1619; für die Finanzgerichtsbarkeit auch BFH/NV 2000, S. 852) und des einschlägigen zivilprozessualen Schrifttums (vgl. Musielak, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl., Bd. 1, 2000, § 320 Rn. 11; Crückeberg, MDR 2003, S. 199 ≪200≫; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilpro-zessrecht, 16. Aufl. 2004, § 61 Rn. 22; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl. 2004, § 320 Rn. 14; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 320 Rn. 14; für die Finanzgerichtsordnung auch Brandis, in: Tipke/Kruse, AO und FGO, § 108 FGO Rn. 8 ≪Stand: Juli 2002≫; von Groll, in: Gräber, FGO, 5. Aufl. 2002, § 108 Rn. 6) nicht als unzulässig zurückweisen darf. Gründe für eine andere Beurteilung des vorliegenden Falles sind nicht angeführt und auch sonst nicht ersichtlich. Entgegen der Wertung des Oberlandesgerichts haben die Handelsrichter in der Sache über den Berichtigungsantrag ausdrücklich nicht befunden. Worauf das Oberlandesgericht seine abweichende Sicht stützt, erschließt sich nicht.
Es hätte deshalb dem Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz entsprochen, im Berufungsverfahren nicht von den Tatsachenfeststellungen des Landgerichts auszugehen. Rechtsprechung und Literatur sehen für Fallgestaltungen der vorliegenden Art Lösungsmöglichkeiten vor (vgl. etwa BAG, AP Nr. 2 zu § 320 ZPO m.w.N., sowie Crückeberg, a.a.O.). Welchen Weg das Berufungsgericht im Näheren wählt, ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar ist jedoch, im Berufungsverfahren die Bindung an einen Sachverhalt anzunehmen, dessen Richtigkeit der Berufungskläger bestreitet und dessen Berichtigung er in der Vorinstanz wegen Verhinderung der dort tätig gewesenen Richter nicht mehr erreichen kann. Wenn nur auf die Erfolglosigkeit des Tatbestandsberichtigungsverfahrens und den damit nach Auffassung des Berufungsgerichts feststehenden und bindenden Sachverhalt verwiesen und dieser der eigenen Entscheidung ungeprüft zugrunde gelegt wird, verwehrt das der Beschwerdeführerin aus Gründen, die sie nicht zu vertreten hat, jede Überprüfung und Berichtigung angeblich unrichtiger Tatsachenfeststellungen. Damit kommt ihr bei der Geltendmachung ihrer Rechte – hier in Verteidigung gegen den Klageanspruch des Insolvenzverwalters – nicht das Maß an effektivem Rechtsschutz zu, das Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip den Parteien eines Zivilrechtsstreits verfassungsrechtlich verbürgt.
c) Der angegriffene Teil-Beschluss beruht nach seiner Begründung auf diesem Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht nach einer eigenen inhaltlichen Überprüfung und Bewertung des Vorbringens der Beschwerdeführerin vor dem Landgericht dieses Vorbringen als ausreichendes Bestreiten qualifiziert hätte und (nach einer etwaigen weiteren Beweisaufnahme) zu einer abweichenden Entscheidung gekommen wäre.
d) Es ist deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG der angegriffene Teil-Beschluss aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
e) Die ebenfalls angegriffene Entscheidung des Berufungsgerichts über die Gehörsrüge wird damit gegenstandslos.
2. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt auch insoweit grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu. Ihre Annahme ist hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin weiter erhobenen Rügen auch nicht zur Durchsetzung der damit als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt. Denn hinsichtlich dieser Rügen hat die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 f.≫). Von einer Begründung wird insoweit gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
III.
Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 1248465 |
NJW 2005, 657 |