Verfahrensgang
AG Hamburg (Beschluss vom 17.07.2009; Aktenzeichen 36A C 60/09) |
AG Hamburg (Urteil vom 02.06.2009; Aktenzeichen 36A C 60/09) |
Tenor
1. Das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 2. Juni 2009 – 36A C 60/09 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Hamburg zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 17. Juli 2009 – 36A C 60/09 – gegenstandslos.
2. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Urheberrechtsstreit.
1. Die Beschwerdeführerin betreibt einen Onlinedienst, der eigenes Kartenmaterial öffentlich zugänglich macht und zur Lizenzierung anbietet. Bei Aufruf der Stadtpläne im Internet erfolgt ein Hinweis auf das Copyright der Beschwerdeführerin sowie unter anderem darauf, dass unrechtmäßige Nutzungen zivilrechtlich verfolgt werden. Die Beschwerdeführerin lässt ihre Rechte durch eine Drittfirma überwachen. Diese entdeckte auf einem Server für private Homepages mittels einer Google-Recherche durch Eingabe der Suchwortkombination … einen nicht lizenzierten Kartenausschnitt der Beschwerdeführerin.
Im folgenden Abmahnverfahren gab der Beklagte des Ausgangsverfahrens eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, verweigerte jedoch die Zahlung von Schadensersatz. Der Beklagte betreibt für seine Familie ein kennwortgeschütztes Intranet, welches durch Verlinkung eine Terminkalenderfunktion auf dem nicht kennwortgeschützten Homepage-Server einbindet. Auf diesen Server hatte die Tochter des Beklagten den Kartenausschnitt der Beschwerdeführerin hochgeladen. Das Material der Beschwerdeführerin konnte somit von nicht für das Intranet Berechtigten entweder mittels einer Suchmaschine oder direkt durch Eingabe der dorthin führenden URL aufgefunden werden.
2. Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Klage zum Amtsgericht Hamburg mit dem Antrag, den Beklagten auf der Grundlage von § 97 Abs. 2 Urheberrechtsgesetz (UrhG) zur Zahlung von 570 EUR zu verurteilen. Das Amtsgericht entschied im Verfahren nach § 495a ZPO mit dem angegriffenen Urteil auf Klageabweisung und ließ die Berufung nicht zu.
Zur Begründung stützt sich das Amtsgericht darauf, das Hochladen der den Kartenausschnitt beinhaltenden pdf-Datei auf den Homepage-Server stelle im Streitfall kein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne des § 19a UrhG dar. Hierfür sei erforderlich, so das Amtsgericht unter Hinweis auf Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, dass das urheberrechtlich geschützte Werk für die Internetnutzer und damit für die Öffentlichkeit mit Hilfe der üblichen Zugangswege auffindbar sei. Dies sei nicht der Fall, wenn das Werk nur rein zufällig von solchen Nutzern aufgespürt werden könne, die nicht dem Kreis der durch persönliche Beziehungen verbundenen Personen im Sinne des § 15 Abs. 3 UrhG angehören. Das Auffinden mittels Eingabe der genannten Suchworte in eine Suchmaschine oder mittels Eingabe der direkt zum Kartenausschnitt führenden URL sei kein üblicher Zugangsweg. Der übliche Zugangsweg zu diesem Kartenausschnitt sei durch Kennwortschutz für die Öffentlichkeit gesperrt gewesen.
Auch hafte der Beklagte nicht für das Verhalten seiner Tochter, die den Kartenausschnitt durch das Hochladen gemäß § 16 UrhG vervielfältigt haben könnte. Denn der Beklagte sei mangels Kenntnis weder Teilnehmer der Tat der Tochter, noch komme nach den Grundsätzen der Störerhaftung ein Schadensersatzanspruch in Betracht. Dem Beklagten obliege nicht die präventive Kontrolle aller einzuspeichernden Inhalte.
3. In ihrer Gehörsrüge warf die Beschwerdeführerin dem Amtsgericht das Übersehen oder Nichterfassen maßgeblicher Aspekte des Sachverhalts vor; insofern stellte sie auch Tatbestandsberichtigungsantrag. Darüber hinaus habe das Amtsgericht zu Unrecht einen Hinweis darauf unterlassen, dass es beabsichtigte, im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Zugänglichmachens von der Rechtsprechung des eigenen Landgerichts abzuweichen und einer ausschließlich von einer Kammer des Landgerichts Berlin vertretenen Mindermeinung zu folgen. Auch auf die beabsichtigte Nichtanwendung des § 16 UrhG hätte das Amtsgericht hinweisen müssen. Dann hätte die Beschwerdeführerin zu der von diversen Gerichten vertretenen herrschenden Meinung zu diesen Rechtsfragen ergänzend vortragen können. Entsprechende Rechtsprechungszitate habe die Beschwerdeführerin bereits vor Erlass des Urteils genannt. Der auch vom Amtsgericht zitierte Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg sei zudem sowohl vom Amtsgericht als auch vom Landgericht Berlin falsch verstanden worden.
Schließlich liege eine Gehörsverletzung in der – vom Amtsgericht nicht begründeten – Nichtzulassung der Berufung. Insofern stellte die Beschwerdeführerin den Hilfsantrag, die Berufung nachträglich zuzulassen.
Das Amtsgericht wies mit ebenfalls angegriffenem Beschluss – neben dem Tatbestandsberichtigungsantrag – die Gehörsrüge zurück. Ein fehlerhaftes Urteil stelle keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör dar. Das Gericht müsse auch nicht das voraussichtliche Ergebnis in allen Einzelheiten vorab darstellen. Dies würde zu einem „Aufblähen” der Akten führen, weil sich dann die voraussichtlich unterliegende Partei noch einmal umfangreich schriftsätzlich wehren würde.
Zugleich wies das Amtsgericht den Antrag auf Berufungszulassung zurück, weil eine nachträgliche Zulassung nicht in Betracht komme.
4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie von Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Das Amtsgericht weiche mit seiner Rechtsauffassung zum Begriff der öffentlichen Zugänglichmachung im Sinne von § 19a UrhG von der Rechtsprechung der übergeordneten Hamburger Gerichte sowie von der herrschenden Meinung ab, hinsichtlich der Störerhaftung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Mit seiner Auffassung relativiere das Amtsgericht den Eigentumsschutz des Urhebers. Der allgemeine Justizgewähranspruch und das Verbot objektiver Willkür seien verletzt, weil das Amtsgericht, ohne dies zu begründen, die Berufung nicht zugelassen habe, obwohl es dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 ZPO) hätte tun müssen. Schließlich habe sich das Amtsgericht mit dem Kerngehalt des Parteivortrags nicht auseinandergesetzt und dies auch im Verfahren der Tatbestandsberichtigung und der Gehörsrüge nicht korrigiert. Außerdem habe es keine Hinweise auf die eigene abweichende Rechtsauffassung gegeben.
5. Zu der Verfassungsbeschwerde hat der Präses der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg Stellung genommen. Auch der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatte Gelegenheit zur Äußerung.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. nur BVerfGE 74, 228 ≪234≫; 96, 189 ≪203≫; BVerfGK 11, 235 ≪237 ff.≫; 12, 298 ≪300 ff.≫). Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.
1. Das angegriffene Urteil verstößt gegen die Rechtsschutzgarantie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes, das für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten ist (vgl. BVerfGE 54, 277 ≪291≫; 80, 103 ≪107≫; 85, 337 ≪345≫; stRspr), beeinflusst die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind. Hat der Gesetzgeber sich für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, so darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 69, 381 ≪385≫; 74, 228 ≪234≫; 77, 275 ≪284≫). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar sind die den Zugang zum Rechtsmittel erschwerende Auslegung und Anwendung der einschlägigen zivilprozessualen Vorschriften dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen sind, sich damit als objektiv willkürlich erweisen und dadurch den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar einschränken (vgl. zu § 522 Abs. 2 ZPO: BVerfGK 11, 235 ≪237 ff.≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2008 – 1 BvR 2587/06 –, NJW 2009, S. 572 ≪573≫).
b) Dies ist hier bei der (unterlassenen) Anwendung des § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 ZPO der Fall. Nach dieser Vorschrift lässt das Gericht des ersten Rechtszugs die Berufung zu, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Damit soll ausweislich der Gesetzesmaterialien vermieden werden, dass im Zuständigkeitsbereich eines Berufungsgerichts schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen (vgl. BTDrucks 14/4722, S. 93, 104). Von solchen Unterschieden ist bei Abweichung von der Entscheidung eines höherrangigen Gerichts in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage insbesondere dann auszugehen, wenn die Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung ist, weil sie in einer Mehrzahl von Fällen auftreten kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 26. Mai 2004 – 1 BvR 172/04 –, NJW 2004, S. 2584 ≪2585≫ m.w.N.). Die willkürliche Nichtzulassung der Berufung in solchen Fällen verletzt Grundrechte des im Ausgangsverfahren Unterliegenden (vgl. BVerfGK 12, 298 ≪301 f.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 26. Mai 2004, a.a.O. [jeweils: Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG]; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Januar 2009 – 1 BvR 2524/06 –, NVwZ 2009, S. 515 ≪516≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 2009 – 1 BvR 812/09 –, juris [jeweils: Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG im Verwaltungsrechtsstreit]; BVerfGK 2, 202 ≪204≫ [Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch willkürliche Nichtzulassung der Revision]; vgl. auch BerlVerfGH, Beschluss vom 1. April 2008 – VerfGH 203/06 –, NJW 2008, S. 3420 [Verletzung der mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG übereinstimmenden Vorschrift der Landesverfassung]).
Diese Rechtslage hat das Amtsgericht verkannt. Trotz Ausführungen der Beschwerdeführerin im Replikschriftsatz zur Rechtsprechung mehrerer Landgerichte zu § 19a UrhG hat sich das Amtsgericht einer hiervon abweichenden Auffassung einer Kammer des Landgerichts Berlin (Urteil vom 2. Oktober 2007 – 15 S 1/07 –, GRUR-RR 2008, S. 387) angeschlossen. Dabei hat es offensichtlich auch übersehen, dass das unmittelbar übergeordnete Landgericht Hamburg sich mit Urteil vom 17. April 2009 – 308 O 612/08 – (n.v.) ebenfalls ausdrücklich gegen die Meinung der Kammer des Landgerichts Berlin und für die herrschende Meinung entschieden hatte. Auch das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hatte in seinem im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Beschluss vom 23. November 2006 (– 5 W 168/06 –, ZUM 2007, S. 917 ≪918≫), den das Amtsgericht selbst zitiert, festgehalten, urheberrechtlich geschützte Kartografien seien weiterhin öffentlich zugänglich, auch wenn die Gefahr einer rechtsverletzenden Nutzung oder Kenntnisnahme durch Dritte deswegen äußerst gering sei, weil die Kartografie im Zeitpunkt der Abmahnung nicht (mehr) in eine Homepage eingebunden gewesen sei. Letzteres schließt nach dieser Rechtsprechung die Dringlichkeit aus, also den Anordnungsgrund im Sinne von § 935 ZPO, nicht jedoch den Tatbestand des § 19a UrhG (so jüngst noch einmal klarstellend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 8. Februar 2010 – 5 W 5/10 –, juris). Hinsichtlich der Hamburger Gerichte ist insoweit von einer ständigen Rechtsprechung auszugehen (vgl. noch Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteile vom 9. April 2008 – 5 U 151/07 –, BeckRS 2008, 21349, und – 5 U 124/07 –, GRUR-RR 2008, S. 383 ≪384≫; ebenso jetzt auch LG Berlin, Urteil vom 30. März 2010 – 15 O 341/09 –, n.v.).
Es stand dem Amtsgericht frei, wie geschehen zu entscheiden; es hätte dann allerdings von Amts wegen die Berufung zulassen müssen. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage betrifft eine Vielzahl von Urheberrechtsstreitigkeiten der hier fraglichen Art, wie schon die von der Beschwerdeführerin teilweise bereits im Ausgangsverfahren zitierten Urteile in Parallelfällen zeigen.
c) Es kann offen bleiben, ob die Berufung auch deswegen hätte zugelassen werden müssen, weil das Amtsgericht in der Frage der Störerhaftung des Beklagten eine nach Darstellung der Beschwerdeführerin von der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 180, 134) abweichende Position eingenommen hat.
2. Nachdem das angegriffene Urteil jedenfalls die Rechtsschutzgarantie verletzt, bedürfen die weiteren von der Beschwerdeführerin erhobenen Rügen keiner Entscheidung.
3. Das Urteil des Amtsgerichts ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Der ebenfalls angegriffene Beschluss wird damit gegenstandslos.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Paulus
Fundstellen
Haufe-Index 2368737 |
GRUR 2010, 1033 |
ZUM 2010, 694 |
MMR 2010, 581 |
CIPReport 2010, 101 |