Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Beschluss vom 08.08.2008; Aktenzeichen 22 CS 08.1326) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung.
1. a) Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin eines Wohngrundstücks, in dessen Nachbarschaft die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens einen Steinbruch und ein Schotterwerk errichten und betreiben will. Hierfür erteilte das Landratsamt der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens mit Bescheid vom 19. Dezember 2005, geändert durch Bescheid vom 16. Januar 2007, eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung, die von der Beschwerdeführerin mit einer Klage angefochten wurde.
Ein Antrag der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens auf Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde, nachdem das Verwaltungsgericht dem Antrag mit Beschluss vom 24. Juli 2007 noch gefolgt war, vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 12. März 2008 abgelehnt (22 CS 07.2027). Der Verwaltungsgerichtshof war der Auffassung, ein Erfolg der Beschwerdeführerin im Hauptsacheverfahren könne nicht ausgeschlossen werden. Denn das Landratsamt hätte wohl eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen müssen. Bei dem Vorhaben, das eine Fläche von weniger als 10 ha betreffe, sei die Verwendung von Sprengstoff geplant. Dies habe zur Folge, dass nach § 3c Satz 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) in Verbindung mit Anlage 1 Ziffer 2.1.3 zum UVPG eine standortspezifische Vorprüfung über die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig sei. Dies habe das Landratsamt zwar zutreffend erkannt. Das von ihm im Vorprüfungsverfahren gefundene Ergebnis, wonach eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erforderlich sei, sei jedoch nicht mehr vertretbar. Der geplante Steinbruch liege in einem Landschaftsschutzgebiet. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die nachteiligen Wirkungen des Vorhabens nur geringfügig seien, zumal es nur aufgrund einer Befreiung von der betreffenden Naturschutzverordnung zugelassen werden könne. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs spreche manches dafür, dass die Beschwerdeführerin als Mitglied der Öffentlichkeit das Recht habe, die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu verlangen. Aufgrund eines Ermittlungsdefizits hinsichtlich der betroffenen Tierarten könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Landratsamt nach Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung anders entschieden hätte.
b) Daraufhin verzichtete die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens insoweit auf die ihr erteilte Genehmigung, als sie die Verwendung von Sprengstoff umfasste. Das Landratsamt bestätigte dies mit Bescheid vom 1. April 2008. Auf einen daraufhin erneut gestellten Antrag ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2008 die sofortige Vollziehung der geänderten Genehmigung des Steinbruchs an.
Die hiergegen von der Beschwerdeführerin eingelegte Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 8. August 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung führte er aus, das Verwaltungsgericht habe zu Recht darauf abgestellt, ob der von der Beschwerdeführerin in der Hauptsache eingelegte Rechtsbehelf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben werde. Dabei komme dem einen Genehmigungsbescheid anfechtenden Dritten im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes keine bevorzugte verfahrensrechtliche Position zu, wenn es um die Frage der sofortigen Verwirklichung des Genehmigungstatbestandes gehe. Es sei darauf abzustellen, ob der Nachbarrechtsbehelf in der Hauptsache Erfolg habe und nicht darauf, ob die angefochtene Genehmigung objektiv rechtmäßig sei. Durch den Verzicht auf die Durchführung von Sprengungen sei im Vergleich zum Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 12. März 2008 eine geänderte Sachlage eingetreten. Nun sei nach dem UVPG keine Umweltverträglichkeitsprüfung mehr notwendig. Nach dem Verzicht auf Sprengungen sei zudem keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung mehr erforderlich, sondern nur noch eine abgrabungsrechtliche Genehmigung nach Art. 6 Abs. 1 Bayerisches Abgrabungsgesetz (BayAbgrG, GVBl 1999, S. 532). Allerdings ergebe sich auch aus Art. 8 BayAbgrG vorliegend keine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Diese werde für einen kleineren Steinbruch, der nur in einem Landschaftsschutzgebiet liege, nicht verlangt. Etwas anderes ergebe sich schließlich auch nicht aus der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-Richtlinie, ABl. vom 5. Juli 1985 Nr. L 175, S. 40) in der hier anwendbaren Fassung der Änderungsrichtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 (ABl vom 14. März 1997 Nr. L 73, S. 5). Der Gesetzgeber habe den ihm eingeräumten Ermessenspielraum für die Festlegung der UVP-Pflichtigkeit eines Vorhabens nicht überschritten. Anhaltspunkte dafür, dass die Betreibung des Steinbruchs ohne Sprengungen für die Beschwerdeführerin zu unzumutbaren Lärmimmissionen führen würde, seien nicht ersichtlich.
2. Die Beschwerdeführerin hat gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. August 2008 Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie rügt die Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG. Zur Begründung bringt sie vor, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Auslegung von § 80 Abs. 1 VwGO die Bedeutung der Rechtsschutzgarantie grundsätzlich verkannt. Es gebe auch im mehrpoligen Rechtsverhältnis keine Gleichrangigkeit zwischen sofortigem Vollziehungsinteresse und vorläufigem Suspensivinteresse. § 80 Abs. 1 VwGO bringe dem Betroffenen zunächst den Vorteil der automatischen Suspensierung. Zu berücksichtigen sei, dass sich die Anfechtungsklage nicht gegen den begünstigten Dritten, sondern gegen den Staat richte. In diesem Verhältnis könne Art. 19 Abs. 4 GG nicht zurücktreten. Die Verwaltungsgerichte könnten sich nicht auf die Rolle eines bloßen Schiedsrichters zurückziehen. Zwar gewährleiste Art. 19 Abs. 4 GG nicht schlechthin die aufschiebende Wirkung. Gleichwohl müsse die sofortige Vollziehung die Ausnahme sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigten nur überwiegende öffentliche Belange den Sofortvollzug. Zudem sei ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung erforderlich. Ein solches sei hier nicht ersichtlich. Hinzu komme, dass die Genehmigung offensichtlich rechtswidrig sei. Es fehle zum Beispiel eine Befreiung von der Landschaftsschutzgebietsverordnung. Es sei mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht vereinbar, wenn ein solcher offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakt sofort vollzogen werden dürfe. Darüber hinaus seien auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs falsch eingeschätzt worden. Nach Europäischem Gemeinschaftsrecht müsse eine unter Verstoß gegen die UVP-Pflicht erteilte Genehmigung selbst nach Eintritt der Bestandskraft zurückgenommen werden. Ein nachträglicher Verzicht auf die Verwendung von Sprengstoff könne daher an der UVP-Pflichtigkeit des Vorhabens nichts mehr ändern. Der Verzicht sei vielmehr rechtsmissbräuchlich und daher unbeachtlich. Zudem komme es nach der UVP-Richtlinie nur darauf an, ob das Vorhaben erhebliche Umweltauswirkungen habe. Dies sei der Fall. Es sei dem Sperlingskauz letztlich egal, ob er “weggesprengt oder weggebaggert” werde. Schließlich verletze die Genehmigung auch Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫).
Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG. Die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben sind geklärt (vgl. BVerfGE 51, 268 ≪284 f.≫; BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 1984 – 1 BvR 231/84 –, GewArch 1985, S. 16 f.). Darüber hinaus ist sie auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Denn die Verfassungsbeschwerde ist, soweit die Verletzung von Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG geltend gemacht wird, unzulässig. Im Übrigen ist sie ohne Aussicht auf Erfolg in der Sache.
1. Mit Blick auf die Rügen von Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG steht der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz fordert, dass der Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder sie gar zu verhindern. Ist – wie hier – eine Eilentscheidung Gegenstand der Verfassungsbeschwerde, bedeutet das, dass auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten sein kann, wenn sich dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Chance bietet, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn mit der Verfassungsbeschwerde ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen. Die Notwendigkeit, vorab das Klageverfahren zu betreiben, fehlt allerdings, wenn dies für den Beschwerdeführer nicht zumutbar ist (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪340≫; 79, 275 ≪278 f.≫; 104, 65 ≪70 f.≫).
Die Rügen der Verletzung von Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG beziehen sich auf die in der Hauptsache angegriffene Genehmigung. Eine möglicherweise insoweit bestehende Beschwer kann noch im Rahmen der von der Beschwerdeführerin erhobenen Anfechtungsklage beseitigt werden. Die Beschwerdeführerin hat nicht dargetan, dass ihr ein Abwarten des rechtskräftigen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar ist. Sie hat nichts dazu vorgetragen, dass und inwieweit ihr Wohngrundstück durch den genehmigten Steinbruch – etwa durch Lärm oder Staub – tatsächlich beeinträchtigt wird. Abgesehen davon begehrt sie mit ihrer Verfassungsbeschwerde ausdrücklich nur die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs wegen Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG. Die übrigen Grundrechtsverletzungen werden von ihr nur “am Rande angemerkt”.
2. Eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ist nicht feststellbar.
a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur einen Rechtsweg überhaupt, sondern darüber hinaus, dass der Rechtsschutz effektiv ist. Der Bürger hat einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Damit hat Art. 19 Abs. 4 GG gerade im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes eine erhebliche Bedeutung. Sie liegt auch darin, die “Selbstherrlichkeit” der vollziehenden Gewalt gegenüber dem Bürger zu beseitigen. Daher soll nicht nur jeder Akt der Exekutive, der in Rechte des Bürgers eingreift, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig der richterlichen Prüfung unterstellt werden, sondern es sollen durch Art. 19 Abs. 4 GG auch irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit wie möglich ausgeschlossen werden. Hierin liegt die verfassungsrechtliche Bedeutung des Suspensiveffekts verwaltungsprozessualer Rechtsbehelfe (vgl. BVerfGE 35, 263 ≪274≫; 51, 268 ≪284≫).
Andererseits gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen im Verwaltungsprozess nicht schlechthin. Überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Einzelnen einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Dies muss jedoch die Ausnahme bleiben. Eine Verwaltungspraxis, die dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehrte, indem zum Beispiel Verwaltungsakte generell für sofort vollziehbar erklärt würden, wäre mit der Verfassung nicht vereinbar (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪402≫; 51, 268 ≪284≫).
Da die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 4 GG nicht schlechthin und ausnahmslos verfassungsrechtlich garantiert ist, erscheint es auch nicht von Verfassungs wegen geboten, jeden Verwaltungsakt, unabhängig von den besonderen Umständen, dem auf dem Suspensiveffekt aufbauenden Rechtsschutzsystem des § 80 VwGO zu unterstellen. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Bürger im dargelegten Sinne ein verfassungsrechtlich ausreichender effektiver Rechtsschutz gewährt wird, mag dies auch auf andere Weise als durch (automatisch eintretende oder gerichtlich wiederhergestellte) aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs geschehen (vgl. BVerfGE 51, 268 ≪284 f.≫; 65, 1 ≪70 f.≫).
b) Bei Anwendung dieser Vorgaben ist eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG nicht erkennbar.
aa) Dies gilt insbesondere, soweit die Beschwerdeführerin meint, aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebe sich unmittelbar, dass eine Anfechtungsklage (auch) in einem mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnis im Regelfall automatisch aufschiebende Wirkung haben müsse. Diese Rechtsauffassung lässt sich den vorhergehend dargestellten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen nicht entnehmen.
Schon für das zweipolige Verwaltungsrechtsverhältnis ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht, dass Art. 19 Abs. 4 GG den automatischen Eintritt der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs als gesetzlichen Regelfall verlangt (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 274 ≪Bearbeitungsstand: Februar 2003≫; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn. 15 ff. ≪Bearbeitungsstand: Februar 1996≫). Zwar ist das in § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO normierte Regel-Ausnahme-Verhältnis eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. September 1995 – 2 BvR 1179/95 –, NVwZ 1996, S. 58 ≪59≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Mai 2007 – 2 BvR 304/07 –, JURIS). Eine Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Norm des § 80 Abs. 1 VwGO, die diese Vorgaben umkehrte, würde daher gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass auch der Gesetzgeber nur mit einer Regelung wie der in § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Rechtsschutzgarantie genügen würde. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich auch stets betont, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs nicht “schlechthin garantiert” ist und dass verfassungsrechtlich nicht entscheidend ist, wie vorläufiger Rechtsschutz gewährleistet wird, sondern dass ein wirksamer Eilrechtsschutz vorhanden ist (vgl. BVerfGE 51, 268 ≪284 f.≫; 65, 1 ≪70 f.≫). Maßgeblich ist somit nicht die Sicherungstechnik, sondern der Sicherungserfolg (vgl. Schmidt-Aßmann, a.a.O., Rn. 274). Dabei sei rechtsvergleichend darauf hingewiesen, dass ein automatischer Eintritt der aufschiebenden Wirkung auch weder im EG-Prozessrecht (vgl. Art. 242 EG) noch im Recht der meisten anderen Mitgliedstaaten bekannt ist (vgl. Schmidt-Aßmann, a.a.O, Rn. 277; Wegener, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 19 Rn. 2).
Handelt es sich – wie hier – um ein mehrpoliges Rechtsverhältnis, bei dem ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung Gegenstand einer Anfechtungsklage ist (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO), kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass Art. 19 Abs. 4 GG den regelmäßigen Eintritt des Suspensiveffekts verlangt. Denn das Postulat vom Suspensiveffekt als Regelfall stößt bei der Anfechtung von Genehmigungsbescheiden durch Drittbetroffene schon wegen der dabei zu berücksichtigenden Rechtsposition des Genehmigungsempfängers an Grenzen. Dessen Rechtsposition ist grundsätzlich nicht weniger schützenswert als diejenige des Drittbetroffenen. Ein Rechtssatz des Inhalts, dass sich der einen Genehmigungsbescheid anfechtende Dritte gegenüber dem Genehmigungsempfänger von vornherein in einer bevorzugten verfahrensrechtlichen Position befinden müsse, wenn es um die Frage der sofortigen Verwirklichung des Genehmigungstatbestandes geht, ist weder aus dem geltenden Verwaltungsprozessrecht noch aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 1984 – 1 BvR 231/84 –, GewArch 1985, S. 16 f.). Die einseitige Bevorzugung des Dritten durch die einstweilige Festschreibung des status quo liefe vielmehr auf eine ungerechtfertigte, mit den Freiheitsgrundrechten des Begünstigten und dem Gleichheitssatz unvereinbare Privilegierung des Dritten hinaus (vgl. Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn. 18 ≪Bearbeitungsstand: Februar 1996≫).
bb) Art. 19 Abs. 4 GG ist auch nicht dadurch verletzt, dass der Verwaltungsgerichtshof in der hier gegenständlichen Entscheidung das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung nicht geprüft hat.
Zwar hat das Bundesverfasssungsgericht für das zweipolige Verwaltungsrechtsverhältnis bereits mehrfach entschieden, dass für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 1. Alt. VwGO ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich ist, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Dabei lässt es sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall bestimmen, wann der Rechtsschutzanspruch des Einzelnen ausnahmsweise hinter die öffentlichen Belange zurücktreten muss und wann es der Exekutive durch Art. 19 Abs. 4 GG verwehrt ist, der gerichtlichen Prüfung ihrer Maßnahmen vorzugreifen. Aus dem Zweck der Rechtsschutzgarantie und dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich aber wenigstens soviel: Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪401≫; 69, 220 ≪227 f.≫).
Wird dagegen – wie hier – von einem Dritten die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Genehmigung angegriffen, bedarf es schon nach dem einfachen Recht (vgl. §§ 80a, 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 2. Alt. VwGO) und erst recht nicht wegen Art. 19 Abs. 4 GG der Prüfung eines besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung (vgl. Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80a Rn. 66 ≪Bearbeitungsstand: Februar 1996≫). Denn in dieser Situation stehen sich konkrete Rechtspositionen Privater gegenüber, die grundsätzlich gleichrangig sind. Die Frage, wer hier bis zur Hauptsacheentscheidung das Risiko der Herbeiführung vollendeter Tatsachen tragen muss, bestimmt sich nach dem materiellen Recht, also der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, S. 1003 ff.). Art. 19 Abs. 4 GG lässt sich nicht entnehmen, dass hier eine der beiden Rechtspositionen bevorzugt wäre oder dass für ihre sofortige Ausnutzung zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse vorliegen müsse.
cc) Schließlich gebietet es Art. 19 Abs. 4 GG nicht, dass bei der Prüfung der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs im Eilrechtsschutzverfahren allein schon die objektive Rechtswidrigkeit entscheidend sein muss und dass das Hinzukommen einer Verletzung subjektiver Rechte des betreffenden Antragstellers nicht auch maßgeblich sein darf. Dass dieser Rechtsauffassung nicht zu folgen ist, ergibt sich schon daraus, dass Art. 19 Abs. 4 GG dem Einzelnen (nur) Rechtsschutz für die Verletzung seiner Rechte durch die öffentliche Gewalt sichert. Er garantiert dem Bürger damit keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle der Verwaltung, sondern trifft eine Systementscheidung für den Individualrechtsschutz. So ergibt sich insbesondere auch aus der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG kein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch, dessen Einhaltung der Einzelne auf der Grundlage von Art. 19 Abs. 4 GG von den Gerichten kontrollieren lassen könnte (vgl. BVerfGE 58, 1 ≪40≫; Schmidt-Aßmann, a.a.O, Rn. 8, 122).
Dementsprechend kann es mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht beanstandet werden, wenn der Verwaltungsgerichtshof die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für die Beschwerdeführerin mit der Begründung abgelehnt hat, die Beschwerdeführerin werde durch die angegriffene Genehmigung nicht in ihren Rechten verletzt. Dabei ist der Verwaltungsgerichtshof sogar auf der Grundlage einer summarischen Prüfung davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführerin grundsätzlich ein Recht zustehen kann, die Durchführung einer gemeinschaftsrechtlich gebotenen Umweltverträglichkeitsprüfung verlangen und bei deren Fehlen auch die Aufhebung der betreffenden Genehmigung durchsetzen zu können (vgl. BayVGH, Beschluss vom 12. März 2008 – 22 CS 07.2027 –, JURIS, insbesondere mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 7. Januar 2004 – Rs. C-201/02 “Wells” –, Slg. 2004, S. I-723). Ob jedoch im konkreten Fall entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs in der hier gegenständlichen Entscheidung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden musste und ob der Beschwerdeführerin deshalb vorliegend ein subjektives Recht hierauf zusteht, ist keine Frage, die am Maßstab von Art. 19 Abs. 4 GG zu beantworten ist. Art. 19 Abs. 4 GG setzt das Bestehen von Rechten, für die Rechtsschutz zu gewähren ist, voraus und begründet sie nicht (vgl. BVerfGE 83, 182 ≪194 f.≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 2067438 |
NJW 2009, 1334 |
BauR 2009, 1285 |
NVwZ 2009, 240 |
JA 2009, 664 |
BayVBl. 2009, 398 |
Jura 2009 |
NRÜ 2009, 181 |