Verfahrensgang

BVerwG (Urteil vom 12.11.1993; Aktenzeichen 7 C 7.93)

VG Berlin (Urteil vom 16.06.1992; Aktenzeichen 9 A 48.92)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Stichtagsregelung in § 4 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz – VermG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. April 1991 (BGBl I S. 957).

I.

1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Rückübertragung des Eigentums an seinem im Beitrittsgebiet belegenen, mit einem Zweifamilienhaus bebauten Grundstück an die Beigeladene zu 1 des Ausgangsverfahrens. Das Grundstück wurde, nachdem die Beigeladene die Deutsche Demokratische Republik 1961 verlassen hatte, unter staatliche Verwaltung gestellt und später in Volkseigentum überführt. Durch notariellen Vertrag vom 28. März 1990 wurde es an den Beschwerdeführer veräußert, der im Mai 1990 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wurde.

Dem Antrag der Beigeladenen auf Rückübertragung des Hauses wurde stattgegeben. Der Widerspruch des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid vom 4. Dezember 1991 zurückgewiesen. Auch Klage und Revision des Beschwerdeführers hatten keinen Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Zurückweisung der Revision im wesentlichen wie folgt begründet (vgl. BVerwGE 94, 279):

Der Ausschluß der Berufung durch § 37 Abs. 2 VermG sei mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Zutreffend habe das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nach dem Vermögensgesetz in der Fassung vom 18. April 1991 beurteilt. Die Änderungen durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz (2. VermRÄndG) vom 14. Juli 1992 (BGBl I S. 1257) fänden nach Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck seines Art. 14 Abs. 4 Satz 1 nur für solche Verfahren Anwendung, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes am 22. Juli 1992 noch nicht durch eine das behördliche Verfahren abschließende Verwaltungsentscheidung beendet gewesen seien. Im Fall des Beschwerdeführers sei das Verwaltungsverfahren schon durch den Widerspruchsbescheid vom Dezember 1991 abgeschlossen gewesen.

§ 4 Abs. 2 Satz 2 VermG sei mit Art. 14 GG vereinbar. Die Vorschrift stelle sich als eine gesetzliche Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar, sei daher am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG zu überprüfen und genüge den sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen.

§ 4 Abs. 2 Satz 2 VermG stehe auch mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang. Die Entscheidung zwischen Erwerbern, die vor dem Stichtag, und solchen, die danach potentiell restitutionsbelastetes Grundeigentum erworben hätten, sei sachlich gerechtfertigt. Im Hinblick auf den Gleichheitssatz sei auch nicht zu beanstanden, daß die Erwerber von Unternehmen nicht von der Stichtagsregelung erfaßt würden. Das gleiche gelte für die Regelung, die im Fall des Erwerbs von dinglichen Nutzungsrechten an Grundstücken stets eine einzelfallbezogene Prüfung der Redlichkeit vorsehe.

2. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Verwaltungsbescheide und die beiden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen.

Er macht geltend, die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG verletze Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und 3 GG und verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip und Art. 41 des Einigungsvertrags (EV).

Die Anwendung der Vorschrift führe zu einer unzulässigen Enteignung und stelle auch eine verfassungsrechtlich unzulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Mit Art. 3 Abs. 1 GG sei sie unvereinbar, weil sie tatsächlich redliche Erwerber gegenüber solchen, die vor dem Stichtag erworben hätten, gegenüber Unternehmenserwerbern und Nutzungsrechtsinhabern sowie gegenüber Personen benachteilige, auf die § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG in der Fassung des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes anwendbar sei. Die Stichtagsregelung verstoße schließlich gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot und gegen Art. 41 EV, letzteres deshalb, weil der Stichtag den Eckwerten in der Gemeinsamen Erklärung der beiden deutschen Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 (BGBl II S. 1237 f.) widerspreche.

Jedenfalls sei es geboten, § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG in der Fassung vom 18. April 1991 im Sinne der Neuregelung der Vorschrift durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz verfassungskonform auszulegen. Auch die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, daß hier nach Art. 14 Abs. 4 Satz 1 des 2. VermRÄndG noch die alte Fassung des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG anzuwenden gewesen sei, begegne verfassungsrechtlichen Bedenken; sie verstoße insbesondere gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Der Ausschluß der Berufung durch § 37 Abs. 2 Satz 1 VermG verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG und die staatliche Justizgewährungspflicht.

Schließlich habe das Verwaltungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt, indem es nicht gemäß § 95 VwGO das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers angeordnet und das Verwaltungsstreitverfahren nicht nach § 94 VwGO ausgesetzt habe. Letzteres verstoße auch gegen Art. 19 Abs. 4 GG.

3. Zu der Verfassungsbeschwerde hat das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg auf die Antragsschrift dieses Landes im Verfahren 1 BvF 1/94 Bezug genommen und mitgeteilt, daß es die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG für verfassungswidrig hält. Diese Auffassung wird vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer i.G. geteilt.

4. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat die Kammer mit Beschluß vom 22. Dezember 1995 abgelehnt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. November 1999 – 1 BvF 1/94 – ist geklärt, daß die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Sie verstößt weder gegen Art. 14 Abs. 1 GG, in dem der Schutz gegenüber rückwirkenden Gesetzen eine eigenständige Ausprägung erfahren hat, noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG und steht auch mit dem Inhalt der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 in Einklang. Wegen der Gründe im einzelnen wird auf das genannte Urteil verwiesen.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

a) Die Rüge, Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Verwaltungsgericht nicht gemäß § 95 VwGO das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers angeordnet und das Verwaltungsstreitverfahren nicht nach § 94 VwGO ausgesetzt habe, ist schon unzulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat einen Verstoß gegen die §§ 94, 95 VwGO mit der Begründung verneint, die Frage nach den Kaufabsichten des Beschwerdeführers, derentwegen dieser sein persönliches Erscheinen für notwendig gehalten habe, sei nach dem – zutreffenden – Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich und eine Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens wegen der zu erwartenden Verabschiedung des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes wäre unzulässig gewesen, weil das Bevorstehen einer Gesetzesänderung kein Aussetzungsgrund im Sinne von § 94 VwGO sei. Mit dem zuletzt genannten Argument setzt sich die Verfassungsbeschwerde überhaupt nicht, mit dem zuerst erwähnten nur in der Weise auseinander, daß ohne weitere Begründung geltend gemacht wird, die Aufklärung der Kaufabsichten des Beschwerdeführers sei nach dessen Auffassung entscheidungserheblich gewesen. Dieser Vortrag genügt, auch soweit er hinsichtlich der unterbliebenen Verfahrensaussetzung ergänzend Art. 19 Abs. 4 GG für verletzt hält, nicht den Anforderungen, die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 und § 92 BVerfGG an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde zu stellen sind.

b) Ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG läßt sich auch nicht mit Rücksicht darauf feststellen, daß nach § 37 Abs. 2 Satz 1 VermG in vermögensrechtlichen Streitigkeiten die Berufung gegen Urteile des Verwaltungsgerichts ausgeschlossen ist. Weder Art. 19 Abs. 4 GG noch Art. 103 Abs. 1 GG noch das Rechtsstaatsprinzip verlangt, für eine gerichtliche Entscheidung ein Rechtsmittel an ein Gericht höherer Instanz vorzusehen (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪377≫ m.w.N.). § 37 Abs. 2 Satz 1 VermG ist deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 1996, S. 2722 ≪2723≫).

c) Die Rüge, die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen Art. 14 Abs. 1 GG und das prinzipielle Verbot der echten Rückwirkung belastender Gesetze, bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Daß die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG die Eigentumsgarantie und das genannte Verbot nicht verletzt, hat das Bundesverfassungsgericht für die unter dem 3. August 1992 (BGBl I S. 1446) bekanntgemachte Fassung der Vorschrift in dem genannten Urteil vom 23. November 1999 schon entschieden. Für die Regelung in der Fassung, die die Verwaltungsgerichte ihren Entscheidungen zugrunde gelegt haben, gilt nichts anderes. Insbesondere der Umstand, daß diese Fassung die Ausnahmen von der Stichtagsregelung, die das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz in § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG eingefügt hat, noch nicht enthielt, führt nicht zu einer anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung.

Zwar ist mit diesen Ausnahmen der sozialverträgliche Interessenausgleich zwischen Alteigentümern und Erwerbern von Grundstücken und Gebäuden, den der Gesetzgeber mit der Regelung über den redlichen Erwerb von Vermögenswerten einschließlich der Stichtagsregelung angestrebt hat, aus der Sicht der Erwerber noch ausgewogener ausgestaltet worden. Doch war dies verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten, weil das in den Fällen des 1992 an § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG angefügten Halbsatzes 2 geschützte Vertrauen der Erwerber auf den Fortbestand des Eigentumserwerbs an Grundstücken und Gebäuden im Hinblick darauf, daß der Erwerb auf der Grundlage eines nach dem 18. Oktober 1989 geschlossenen Rechtsgeschäfts erfolgt war, nicht solches Gewicht hatte, daß seine Nichtberücksichtigung die Verfassungswidrigkeit zur Folge hätte. Der vom Beschwerdeführer für notwendig erachteten verfassungskonformen Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG in seiner bis zum Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes gültig gewesenen Fassung bedarf es deshalb nicht.

d) Auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt.

aa) Dazu kann, was die Vereinbarkeit des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG mit Art. 3 Abs. 1 GG angeht, auf die Ausführungen in dem Senatsurteil vom 23. November 1999 verwiesen werden. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG ist im Hinblick auf diese Ausführungen auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes nicht geboten. Der Beschwerdeführer hat im übrigen seine Rügen, § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG behandele ihn im Vergleich mit Personen, die ihr Eigentum vor dem Stichtag erworben hätten, gegenüber Unternehmenserwerbern und Nutzungsrechtsinhabern sowie im Verhältnis zu Personen, auf die § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG in der Fassung des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes anwendbar sei, ungleich, nicht hinreichend substantiiert. Sein Vorbringen beschränkt sich insoweit auf die pauschale Behauptung einer Ungleichbehandlung und unterläßt es dabei, sich mit den Argumenten des Bundesverwaltungsgerichts auseinanderzusetzen, mit denen dieses auf die entsprechenden Rügen im Revisionsverfahren eingegangen ist (vgl. BVerwGE 94, 279 ≪285 f., 287≫). Das wird den Anforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 und des § 92 BVerfGG nicht gerecht.

bb) Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist weiter nicht darin zu sehen, daß das Bundesverwaltungsgericht Art. 14 Abs. 4 Satz 1 des 2. VermRÄndG, wonach unter anderem Art. 1 dieses Gesetzes und mit ihm die Neufassung des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG auch auf Verfahren anzuwenden ist, die vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes begonnen, aber noch nicht durch eine abschließende Entscheidung abgeschlossen worden sind, dahin interpretiert hat, daß es für die Annahme des Verfahrensabschlusses auf die abschließende Verwaltungsentscheidung, hier also auf den am 4. Dezember 1991 erlassenen Widerspruchsbescheid, und nicht auf die ein anhängiges Gerichtsverfahren abschließende gerichtliche Entscheidung ankomme (vgl. BVerwGE 94, 279 ≪280 ff.≫). Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Auffassung eingehend mit der Entstehungsgeschichte der Überleitungsregelung sowie mit deren Sinn und Zweck begründet, die gesetzlichen Regelungen über die offenen Vermögensfragen möglichst rasch umzusetzen und damit alsbald die gewünschte Rechtssicherheit und Rechtseindeutigkeit zu schaffen (im einzelnen vgl. BVerwGE 94, 279 ≪281 f.≫). Die insoweit angestellten Erwägungen zur Reichweite der einfachrechtlichen Vorschrift des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 des 2. VermRÄndG sind nachvollziehbar, Anhaltspunkte für Willkür im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG deshalb nicht erkennbar (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪13 f.≫).

Auch die Rechtsanwendungsgleichheit wird durch das Auslegungsergebnis des Bundesverwaltungsgerichts nicht verletzt. Wie dieses zutreffend ausgeführt hat, sind die unterschiedlichen Folgen einer einerseits zügigen, andererseits weniger zügigen Sachbehandlung durch Verwaltungsbehörden oder Gerichte bei einer Rechtsänderung, die an den jeweiligen Verfahrensstand anknüpft, unvermeidbar (vgl. BVerwGE 94, 279 ≪282 f.≫). Aus der Art der Sachbehandlung allein lassen sich Erkenntnisse für die Beurteilung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG deshalb nicht gewinnen. Entscheidend ist vielmehr, daß die Anknüpfung an den Verfahrensstand sachlich gerechtfertigt ist. Das ist hier der Fall, weil der Gesetzeszweck, möglichst rasch zu Rechtssicherheit und Rechtseindeutigkeit zu gelangen und deshalb Verfahrensverzögerungen infolge neuer Sachverhaltsermittlungen zu vermeiden (vgl. BVerwGE 94, 279 ≪282≫), seiner Art und seinem Gewicht nach hinreichend geeignet ist, die gerügte Ungleichbehandlung zu legitimieren.

e) Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

 

Unterschriften

Papier, Grimm, Hömig

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276144

FamRZ 2000, 282

VIZ 2000, 147

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