Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtsgebühren im zivilgerichtlichen Mahnverfahren
Verfahrensgang
AG Hamburg (Entscheidung vom 23.03.1999; Aktenzeichen 77 B m 006070/97) |
AG Hamburg (Entscheidung vom 23.03.1999; Aktenzeichen 77 B c 007493/97) |
AG Hamburg (Entscheidung vom 21.03.1999; Aktenzeichen 77 B m 007247/96) |
AG Hamburg (Entscheidung vom 21.03.1999; Aktenzeichen 77 B m 025910/96) |
AG Hamburg (Entscheidung vom 21.03.1999; Aktenzeichen 77 B d 025294/96) |
AG Hamburg (Entscheidung vom 21.03.1999; Aktenzeichen 77 B b 000163/97) |
AG Hamburg (Entscheidung vom 28.02.1999; Aktenzeichen 77 B L 002629/97) |
Tenor
Die Vorlagen sind unzulässig.
Tatbestand
I.
Die Richtervorlagen betreffen die Verfassungsmäßigkeit der Erhebung von Gerichtsgebühren im zivilgerichtlichen Mahnverfahren.
1. Die Antragsteller der Ausgangsverfahren beantragten auf dem vorgeschriebenen Vordruck für das Mahnverfahren beim Amtsgericht Hamburg gegen die jeweiligen Antragsgegner den Erlass eines Mahnbescheids und zahlten die für das Mahnverfahren vorgesehene 0,5-fache Gerichtsgebühr gemäß Nr. 1100 des Kostenverzeichnisses (im Folgenden: KV) zum Gerichtskostengesetz (im Folgenden: GKG) ein. Auf dem Vordruck kreuzten sie jeweils das Feld „Im Falle des Widerspruchs beantrage ich die Durchführung des streitigen Verfahrens.” an. Nach Eingang der Widersprüche teilte das Amtsgericht dies den Antragstellern mit und unterrichtete sie davon, dass die Sachen an das für das streitige Verfahren zuständige Gericht abgegeben würden, wenn die Antragsteller die weiteren Kosten vorauszahlten. Dabei handelte es sich um die nach Nr. 1201 KV für das zivilgerichtliche Prozessverfahren erster Instanz vorgesehenen 3,0-fachen Gebühren abzüglich der Vorauszahlungen für das Mahnverfahren, somit jeweils um eine 2,5-fache Gebühr.
Die Antragsteller leisteten keine Zahlung. Sie betrieben die Verfahren vielmehr aus unterschiedlichen Gründen nicht weiter. Zu einer Abgabe der Verfahren an das Prozessgericht nach § 696 Abs. 1 ZPO ist es deshalb nicht gekommen.
2. Nachdem die Kostenbeamten des Amtsgerichts gegen die Antragsteller gemäß Nr. 1201 in Verbindung mit Nr. 1202 KV jeweils eine weitere halbe Gerichtsgebühr festgesetzt hatten, legten die Antragsteller dagegen Erinnerungen ein, die dem Richter zur Entscheidung vorgelegt wurden. Das Amtsgericht hat die Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage eingeholt,
ob § 61 in Verbindung mit § 11 GKG und Nr. 1201 KV in der aufgrund des Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 – KostRÄndG 1994) vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1325) geltenden Fassung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit auch dann die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen entsteht, wenn in einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides zwar für den Fall des Widerspruchs der Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens gestellt ist und Widerspruch auch erhoben wird, das Gericht, das den Mahnbescheid erlassen hat, den Rechtsstreit jedoch nicht an das für das streitige Verfahren zuständige Gericht abgibt, weil der Antragsteller das Verfahren nicht weiter betreibt.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Erinnerungen seien unbegründet, wenn § 61 in Verbindung mit § 11 GKG und Nr. 1201 KV den Ansatz einer Gebühr für das streitige Verfahren auch für Verfahrenskonstellationen auslöse, wie sie hier gegeben seien. Zu dieser Frage würden zwei gegensätzliche Positionen vertreten. Das Gericht schließe sich der Auffassung des Landgerichts und des Oberlandesgerichts Hamburg an, nach der die Frage zu bejahen sei (unter Hinweis auf MDR 1998, S. 1121). Wortlaut und Systematik des § 61 GKG ließen keine andere Wahl. Indem die Vorschrift das Entstehen einer weiteren Gerichtsgebühr allein vom Stellen des so genannten Streitantrags abhängig mache, verstoße sie jedoch gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG, den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das daraus folgende Willkürverbot. Es komme somit auf die Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung gestellten Regelung an. Eine verfassungskonforme Auslegung sei nicht möglich. Das Gericht habe diese Möglichkeit in dem Verfahren 77 B g 024485/96 noch bejaht (unter Hinweis auf den in jenem Verfahren ergangenen Beschluss vom 11. Juni 1998), zumal eine andere Auslegung des § 61 GKG nach dem Stand des Meinungsstreits in Rechtsprechung und Literatur keineswegs von vornherein als unvertretbar ausscheide. Es sehe jedoch aufgrund seiner jetzigen Überzeugung keinen Ansatz mehr für eine solche Handhabung der Streitfrage (vgl. AG Hamburg, NJW-RR 1999, S. 1298 = ZIP 1999, S. 1147).
Entscheidungsgründe
II.
Die zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Vorlagen sind unzulässig.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht die in Art. 100 Abs. 1 GG und § 80 BVerfGG geregelte Vorlagepflicht nur dann, wenn das Gericht eine entscheidungserhebliche Gesetzesvorschrift für verfassungswidrig erachtet. Sinn des Art. 100 Abs. 1 GG ist es, die Überprüfung desGesetzgebers beim Bundesverfassungsgericht zu konzentrieren (vgl. BVerfGE 17, 208 ≪210≫). Dagegen dient die Regelung nicht dazu, Meinungsverschiedenheiten zwischenGerichten desselben Rechtszugs zu klären (vgl. BVerfGE 78, 20 ≪24 f.≫; 80, 54 ≪59≫). Wie eine Norm des einfachen Rechts auszulegen ist, ist grundsätzlich Sache des dafür allgemein zuständigen Gerichts (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Ist es der Auffassung, eine Vorschrift, über deren Auslegung Streit besteht, sei nur bei einer bestimmten Auslegung mit der Verfassung vereinbar, muss es seiner Entscheidung diese Auslegung zugrunde legen und darf nicht das Bundesverfassungsgericht anrufen (vgl. BVerfGE 22, 373 ≪377≫; 78, 20 ≪24≫; 80, 54 ≪58≫). Dies gilt auch dann, wenn das im Instanzenzug übergeordnete Gericht eine Auslegung vornimmt, die das nachgeordnete Gericht für verfassungswidrig hält. Denn die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der im Instanzenzug übergeordneten Gerichte muss dem dafür vorgesehenen Verfahren der Verfassungsbeschwerde vorbehalten bleiben (vgl. BVerfGE 22, 373 ≪379≫; 70, 134 ≪137≫; 80, 54 ≪58 f.≫).
2. Diesen Anforderungen werden die Vorlagebeschlüsse nicht gerecht.
Wie sich auch aus der Darstellung in diesen Beschlüssen ergibt, vertreten Rechtsprechung und Literatur zur Auslegung des § 61 GKG in Fällen der hier in Rede stehenden Art unterschiedliche Auffassungen. Nach der den Vorlagen zugrunde liegenden Ansicht entsteht die Gebühr für das streitige Verfahren, wenn dessen Durchführung nach § 696 Abs. 1 Satz 2 ZPO gleichzeitig mit dem Antrag auf Erlass des Mahnbescheids beantragt worden ist, bereits mit Einlegung des Widerspruchs gegen den mit diesem Bescheid geltend gemachten Anspruch (so außer dem vorlegenden Gericht sowie dem Land- und dem Oberlandesgericht Hamburg etwa LG Bamberg, JurBüro 1998, S. 147; OLG Düsseldorf, JurBüro 1997, S. 145; Salten, MDR 1997, S. 612; Meyer, JurBüro 1998, S. 117; wohl auch Hartmann, Kostengesetze, 29. Aufl. 2000, KV 1201 Rn. 5). Demgegenüber setzt die Entstehung der genannten Gebühr nach der Gegenmeinung voraus, dass das Verfahren nach Abgabe des Rechtsstreits vom Mahngericht an das Streitgericht bei diesem anhängig geworden ist, was gemäß § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO erst der Fall ist, wenn die Akten beim Prozessgericht eingegangen sind (so beispielsweise LG Würzburg, JurBüro 1998, S. 147; OLG München, MDR 1998, S. 62; OLG Stuttgart, JurBüro 1999, S. 422; Zimmermann, JurBüro 1997, S. 230; Bracker, MDR 1998, S. 139). Das vorlegende Gericht hatte sich der zuletzt wiedergegebenen Auffassung, bei deren Zugrundelegung die in den Vorlagen dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken gegenstandslos werden, noch in dem – in den Vorlagebeschlüssen erwähnten – Beschluss vom 11. Juni 1998 – 77 B g 024485/96 – angeschlossen, indem es § 61 GKG unter Berücksichtigung von Wortlaut, Sinn und Zweck der Norm und im Hinblick auf die Systematik der einschlägigen Kosten- und Verfahrensbestimmungen entsprechend verfassungskonform ausgelegt hat. Sofern es der Meinung ist, dass die Norm allein bei dieser Auslegung verfassungsgemäß ist, muss es diese Auslegung beibehalten (vgl. BVerfGE 78, 20 ≪24≫). Wenn das vorlegende Gericht seinen Standpunkt nunmehr in den Vorlagebeschlüssen aufgibt, obwohl es zugleich zugesteht, dass dieser „keineswegs von vornherein als unvertretbar ausscheidet”, kann das nur damit erklärt werden, dass das Amtsgericht keine Möglichkeit sieht, sich damit gegen die entgegengesetzte Auffassung der ihm im Instanzenzug übergeordneten Gerichte (vgl. MDR 1998, S. 1121) durchzusetzen. Das aber kann, wie ausgeführt, eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht rechtfertigen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen