Verfahrensgang
LG Potsdam (Beschluss vom 24.07.2008) |
Tenor
1. Der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 24. Juli 2008 in der Fassung der Berichtigungsbeschlüsse vom 7. Oktober 2008 und 10. November 2008 – 3 T 29/07 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen.
2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft unter anderem die Frage der ordnungsgemäßen Besetzung der Richterbank des Beschwerdegerichts im Verfahren der Streitwertbeschwerde (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 und 2 GKG).
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und vertrat vor dem Amtsgericht in einem selbständigen Beweisverfahren den dortigen Antragsgegner. Das Ausgangsverfahren betrifft die Streitwertfestsetzung für dieses Verfahren. Der Beschwerdeführer vertrat die Auffassung, dass der Wert wie im Hauptsacheverfahren mit 6.920 EUR zu bemessen sei. Das Amtsgericht setzte den Streitwert mit Beschluss des Einzelrichters hingegen auf 2.000 EUR fest. Hiergegen legte der Beschwerdeführer in eigenem Namen Beschwerde ein und beantragte die Zulassung der weiteren Beschwerde.
Die 3. Zivilkammer des Landgerichts wies die Beschwerde durch Beschluss der Einzelrichterin vom 24. Juli 2007 als unbegründet zurück. Auf den Zulassungsantrag wurde nicht eingegangen. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom 7. September 2007 eine ergänzende Entscheidung über seinen Antrag auf Zulassung der weiteren Beschwerde und rügte im Übrigen die Verletzung seines Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch den Beschluss vom 24. Juli 2007. Die 3. Zivilkammer des Landgerichts ließ daraufhin mit Beschluss der Einzelrichterin vom 10. Dezember 2007 die weitere Beschwerde gegen den Beschluss vom 24. Juli 2007 zu.
Auf die weitere Beschwerde des Beschwerdeführers hob das Oberlandesgericht den Beschluss vom 10. Dezember 2007 auf und verwies die Sache mit Beschluss vom 29. April 2008 zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück. Die Entscheidung sei unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen. Die Einzelrichterin habe objektiv willkürlich die Rechtssache nicht auf das Kollegium übertragen, obwohl sie mit der Zulassungsentscheidung zugleich die grundsätzliche Bedeutung der Sache bejaht habe. Für das weitere Verfahren wies das Oberlandesgericht darauf hin, dass der infolge der Aufhebung und Zurückverweisung zunächst erneut gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG zur Entscheidung berufene zuständige Einzelrichter darüber zu befinden habe, ob ein Nachholen einer Entscheidung über die Zulassung der weiteren Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung angesichts des Beschlusses vom 24. Juli 2007 überhaupt möglich sei oder ob das Vorbringen im Schriftsatz vom 7. September 2007 nur unter dem Gesichtspunkt einer Gehörsrüge oder Gegenvorstellung zu behandeln sei.
2. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 24. Juli 2008, in dessen Rubrum der Antragsgegner des selbständigen Beweisverfahrens als „Beschwerdeführer und Beklagter” angegeben war, wies die 3. Zivilkammer des Landgerichts in der Besetzung mit drei Richtern „die, als Anhörungsrüge gewertete Beschwerde des Beklagten vom 7. September 2007 bzw. 12. Juli 2007” auf Kosten „des Beklagten” zurück. Die im Beschluss des Landgerichts vom 24. Juli 2007 unterbliebene Zulassung der Rechtsbeschwerde könne nicht durch einen Berichtigungsbeschluss nachgeholt werden, da keinerlei Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Zulassung aus Versehen unterblieben sei. Denn der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens weise keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Das als Anhörungsrüge zu wertende Beschwerdevorbringen „des Beklagten” gebe keinen Anlass, die Streitwertfestsetzung abzuändern. Die Kostenentscheidung zur Gehörsrüge folge aus § 97 Abs. 1 ZPO analog.
3. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Auslegung als Willkürverbot durch den Beschluss des Landgerichts vom 24. Juli 2008. Die Entscheidung verletze zunächst das Verbot der Entziehung des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Nicht die Kammer in ihrer vollen Besetzung mit drei Richtern, sondern der Einzelrichter habe, wie vom Oberlandesgericht ausgeführt, über die Zulässigkeit einer nachgeholten Entscheidung über die Zulassung der weiteren Beschwerde und, da diese verneint wurde, auch über die Anhörungsrüge entscheiden müssen. Die Entscheidung verletze Art. 103 Abs. 1 GG, da sich das Landgericht mit seiner zentralen Argumentation nicht auseinandergesetzt habe. Sie verletze das Willkürverbot, da ihm entgegen der einschlägigen gesetzlichen Regelung in § 69a Abs. 6 GKG nach § 97 Abs. 1 ZPO in analoger Anwendung die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens auferlegt worden seien.
4. Auf Antrag des Beschwerdeführers berichtigte die 3. Zivilkammer des Landgerichts mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 den Tenor des Beschlusses vom 24. Juli 2008 dahingehend, dass „die als Anhörungsrüge gewertete Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten vom 7. September 2007 beziehungsweise 12. Juli 2007” auf seine Kosten zurückgewiesen werde. Mit Beschluss vom 10. November 2008 berichtigte die 3. Zivilkammer des Landgerichts auf Antrag des Beschwerdeführers den Beschluss vom 7. Oktober 2008 unter anderem dahingehend, dass „im Rubrum des Beschlusses der Prozessbevollmächtigte des Beklagten, (…), als Beschwerdeführer aufgeführt ist und nicht der Beklagte selbst”. Der Beschwerdeführer greift mit der Verfassungsbeschwerde zuletzt den Beschluss vom 24. Juli 2008 in der Fassung der Berichtigungsbeschlüsse vom 7. Oktober 2008 und 10. November 2008 an.
5. Die Regierung des Landes Brandenburg und der Gegner des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Verfahrensakten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG liegen vor.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Insbesondere sind die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Hinblick auf die Anwendung von gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen und der Besetzung von Spruchkörpern in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. BVerfGE 29, 45 ≪48 f.≫; 82, 286 ≪298 f.≫; 87, 282 ≪284 f.≫; 95, 322 ≪327 ff.≫; jeweils m.w.N.).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten des Beschwerdeführers, hier des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Denn die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und, jedenfalls soweit eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gerügt wird, gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die Grundrechtsverletzung hat auch besonderes Gewicht.
a) Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der Beschwerdeführer Adressat des angegriffenen Beschlusses vom 24. Juli 2008 in der maßgebenden Fassung der Berichtigungsbeschlüsse vom 7. Oktober 2008 und 10. November 2008 und als solcher beschwerdebefugt.
b) Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Ob daneben auch die gerügte Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und von Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.
aa) Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG und § 69a Abs. 2 Satz 4 und Abs. 4 GKG war nicht die Kammer in ihrer vollen Besetzung mit drei Berufsrichtern, sondern der Einzelrichter für die Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der weiteren Beschwerde und die gegen den Beschluss vom 24. Juli 2007 erhobene Anhörungsrüge zuständig.
Etwas anderes ergibt sich nicht deshalb, weil zuvor die Entscheidung des Einzelrichters vom 10. Dezember 2007, mit welcher er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen hatte, wegen Verletzung der Pflicht zur Vorlage an die Kammer und Verstoßes gegen das Gebot des gesetzlichen Richters mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 29. April 2008 aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden war. Auch in diesem Fall hat der Einzelrichter zu prüfen, ob er der Sache weiterhin grundsätzliche Bedeutung beimisst, mithin die Voraussetzungen für die Zulassung der weiteren Beschwerde und der Vorlage an die Kammer erfüllt sind (vgl. Jänich, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd. 3/1, 3. Aufl. 2005, § 568 Rn. 12 m.w.N.). Hierauf hat das Oberlandesgericht ausdrücklich hingewiesen.
Eine originäre Zuständigkeit der Kammer in ihrer Besetzung mit drei Berufsrichtern kommt auch nicht unter anderen Gesichtspunkten in Betracht. Insbesondere sehen § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 6 GKG für das Beschwerdeverfahren in Anlehnung an § 568 Satz 1 und 2 ZPO (vgl. BTDrucks 15/1971, S. 157) keine Einschränkung der Zuständigkeit des originären Einzelrichters vor, soweit Richter auf Probe eingesetzt werden. Die das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten betreffende Vorschrift des § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO findet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf das Beschwerdeverfahren (§ 568 ZPO) auch keine entsprechende Anwendung (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003 – VIII ZB 56/02 –, NJW 2003, S. 1875 ≪1876≫; Heßler, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 568 Rn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl. 2008, § 568 Rn. 3).
Es ist nicht zu erkennen, dass der originär zuständige Einzelrichter das Verfahren der Kammer übertragen hat oder auch nur die Voraussetzungen für eine Übertragung erfüllt waren.
Auf welche Weise der Einzelrichter das Verfahren der Kammer zu übertragen hat, ist für das Beschwerdeverfahren in § 66 Abs. 6 GKG ebenso wie in § 568 ZPO nicht ausdrücklich geregelt. Für den vorliegenden Fall bedarf es auch keiner abschließenden Klärung dieser Frage. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kammer entsprechend den Regelungen für das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten und das Berufungsverfahren (§ 348 Abs. 3 und § 526 Abs. 2 ZPO) auf Vorlage durch den originären Einzelrichter nach Anhörung der Parteien durch Beschluss die Übernahme auszusprechen oder abzulehnen hat (vgl. Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl. 2008, § 568 Rn. 6), die Übertragung auch durch Beschluss des Einzelrichters erfolgen kann oder eine stillschweigende Übernahme durch schlüssiges Handeln möglich ist (offen gelassen für den umgekehrten Fall der Zuweisung einer Senatssache an den Einzelrichter in: BGH, Urteil vom 19. Oktober 1992 – II ZR 171/91 –, NJW 1993, S. 600 ≪601≫).
Denn jedenfalls fehlen Hinweise für eine wie auch immer gestaltete ausdrückliche Übernahme ebenso wie Anhaltspunkte für ein entsprechendes schlüssiges Handeln. Weder eine Vorlage der Sache durch den Einzelrichter an die Kammer noch eine Übernahmeentscheidung der Kammer sind aktenkundig. Die angegriffene Entscheidung geht auf die Frage der Entscheidungszuständigkeit des Kollegiums nicht ein, obwohl dies sowohl wegen der grundsätzlichen Zuständigkeit des Einzelrichters als auch wegen des ausdrücklichen Hinweises des Oberlandesgerichts veranlasst gewesen wäre (vgl. BVerfGE 40, 356 ≪361≫). Die in den Verfahrensakten enthaltenen Verfügungen geben keine Anhaltspunkte dafür, dass der Einzelrichter die Sache der Kammer vorlegen wollte. Ebenso wenig erschließt sich ein Wille der Kammer, das Verfahren zu übernehmen. Insbesondere lässt die angegriffene Entscheidung nicht erkennen, dass die Kammer von einer besonderen Schwierigkeit der Sache oder einer grundsätzlichen Bedeutung, die eine Übertragung der Sache auf das Kollegium rechtfertigen würden, ausgegangen ist. In dem angegriffenen Beschluss legt das Landgericht vielmehr dar, dass der Gegenstand des Verfahrens keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen würde.
bb) Die vorschriftswidrige Besetzung des Beschwerdegerichts verletzt das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
(1) Für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG reicht nicht jede irrtümliche Überschreitung der den Fachgerichten gezogenen Grenzen aus (vgl. BVerfGE 3, 359 ≪364 f.≫; 13, 132 ≪144≫; 29, 166 ≪172 f.≫; 67, 90 ≪95≫; 76, 93 ≪96 f.≫; 87, 282 ≪284 f.≫). Nicht jede fehlerhafte Anwendung oder Nichtbeachtung einer einfachgesetzlichen Verfahrensvorschrift ist zugleich eine Verfassungsverletzung; andernfalls würde die Anwendung einfachen Rechts auf die Ebene des Verfassungsrechts gehoben werden (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫; 87, 282 ≪284 f.≫). Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit ist erst überschritten, wenn die – fehlerhafte – Auslegung und Anwendung einfachen Rechts willkürlich (vgl. BVerfGE 3, 359 ≪364 f.≫; 87, 282 ≪284 f.≫; stRspr) oder offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 29, 45 ≪49≫; 58, 1 ≪45≫; 82, 286 ≪299≫). Eine verfassungswidrige Entziehung des gesetzlichen Richters durch eine richterliche Zuständigkeitsentscheidung liegt darüber hinaus vor, wenn das Gericht Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫; 87, 282 ≪284 f.≫). Nach dieser Maßgabe kann etwa im Fall der Verletzung der Pflicht zur Vorlage an ein anderes Gericht (vgl. BVerfGE 13, 132 ≪143≫; 42, 237 ≪241≫; 67, 90 ≪95≫; 76, 93 ≪96≫; 79, 292 ≪301≫; 87, 282 ≪285≫) ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dann angenommen werden, wenn sich aus dem Urteil oder aus dem Verfahrensverlauf Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich dem Gericht die Notwendigkeit einer Vorlage, etwa wegen eines Hinweises durch eine Partei, aufdrängen musste (vgl. BVerfGE 87, 282 ≪286≫).
Gesetzlicher Richter im Sinn von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sind dabei nicht nur das Gericht als organisatorische Einheit und das erkennende Gericht als Spruchkörper, sondern auch die im Einzelfall zur Mitwirkung berufenen Richter (vgl. BVerfGE 95, 322 ≪329≫). Das Verhältnis von Kollegium und Einzelrichter unterliegt daher den Grundsätzen des gesetzlichen Richters (vgl. BVerfGE 95, 322 ≪329≫; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 101 Rn. 13). Das Kollegium, welches anstelle eines zuständigen Einzelrichters entscheidet, kann nicht als ein „besseres Gericht” angesehen werden. Dem folgt die fachgerichtliche Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen zur Frage einer vorschriftswidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts wie auch die Kommentarliteratur (vgl. zu § 16 GVG: Kissel/Mayer, GVG, 5. Aufl. 2008, § 16 Rn. 48; vgl. zu § 348 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO: OLG Celle, Beschluss vom 27. September 2002 – 6 W 118/02 –, MDR 2003, S. 523; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. Mai 1985 – 14 W 267/85 –, MDR 1986, S. 151; OLG München, Beschluss vom 21. Februar 1983 – 5 W 767/83 –, MDR 1983, S. 498; Greger, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 348 Rn. 24; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl. 2008, § 348 Rn. 10; vgl. zu § 568 Satz 1 ZPO: BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003 – VIII ZB 56/02 –, NJW 2003, S. 1875 ≪1877≫; Heßler, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 568 Rn. 8; vgl. zu § 6 Abs. 1 und 3 FGO: BFH, Beschluss vom 6. November 2006 – II B 45/05 –, juris; Bartone, in: Kühn/Wedelstädt, FGO, 19. Aufl. 2008, § 6 Rn. 9; vgl. zu § 55 ArbGG: Koch, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2009, § 55 Rn. 2).
(2) Bei Anwendung dieser Grundsätze verletzt der angegriffene Beschluss Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Die Zivilkammer hat in einer originären Einzelrichtersache vorschriftswidrig in ihrer vollen Besetzung mit drei Berufsrichtern und ohne Übertragung des Verfahrens auf das Kollegium entschieden. Sie ist auch in offensichtlich unhaltbarer und objektiv willkürlicher Weise von ihrer Entscheidungszuständigkeit ausgegangen. Die Kammer hat § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 6 Satz 1 und 2 GKG und § 69a Abs. 2 Satz 4, Abs. 4 GKG nicht in ihren Voraussetzungen falsch ausgelegt und deshalb falsch angewendet, sondern hat die gesetzlichen Grenzen ihrer Entscheidungszuständigkeit insgesamt nicht beachtet. Entweder hat sie die Frage der Zuständigkeit übergangen oder sie hat insoweit ein Ermessen für sich in Anspruch genommen, das nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht besteht. Insbesondere musste sich ihr die Zuständigkeitsproblematik ohne weiteres aufdrängen, nachdem die vorangegangene Entscheidung des Einzelrichters vom 10. Dezember 2007 wegen Verletzung des Gebotes des gesetzlichen Richters aufgehoben worden war und das Oberlandesgericht ausdrücklich auf die fortbestehende Zuständigkeit des (originären) Einzelrichters nach § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG hingewiesen hatte. Schließlich verneint die Kammer selbst die Voraussetzungen für eine Übertragung nach § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG, wenn sie in dem angegriffenen Beschluss vom 24. Juli 2008 darlegt, dass der Verfahrensgegenstand keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweise. Die Vorgehensweise der Kammer war gesetzeswidrig und offensichtlich unvertretbar, sodass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist.
(3) Die Überprüfung der Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf den gesetzlichen Richter im Wege der Verfassungsbeschwerde wird nicht durch § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG in Verbindung mit § 66 Abs. 6 Satz 4 GKG ausgeschlossen (vgl. auch: BGHZ 154, 200 ≪205≫; Heßler, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 568 Rn. 8).
(4) Der angegriffene Beschluss vom 24. Juli 2008 beruht auf der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Ein zur Aufhebung führender Verfahrensverstoß ist bei der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schon dann gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Verstoß den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (vgl. BVerfGE 4, 412 ≪417≫). Vorliegend kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht in vorschriftsmäßiger Besetzung eine dem Beschwerdeführer günstigere Entscheidung getroffen hätte.
cc) Ob daneben auch eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Auslegung als Willkürverbot und von Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.
c) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zwar ist für eine existenzielle Betroffenheit des Beschwerdeführers nichts zu erkennen. Es handelt sich jedoch um eine Grundrechtsverletzung von besonderem Gewicht. Die Zivilkammer des Landgerichts hat sich in unhaltbarer Weise über die – ihm bereits vom Oberlandesgericht vor Augen geführte – Zuständigkeit des Einzelrichters hinweggesetzt (vgl. Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 93a Rn. 114 ≪März 2006≫).
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Wie im Zivilprozess kann der Beschwerdeführer, der sich als Rechtsanwalt vor dem Bundesverfassungsgericht selbst vertritt, in entsprechender Anwendung des § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO Auslagen in Höhe der gesetzlichen Gebühren eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes geltend machen (vgl. BVerfGE 50, 254 ≪255≫; 53, 207 ≪212 f.≫; 71, 23 ≪24≫; 81, 387 ≪389≫).
Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Entscheidung einer Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 EUR. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen hier Besonderheiten auf, die eine Abweichung veranlassen würden.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen
NJW-RR 2010, 268 |
HRA 2009, 12 |