Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 12.10.2012; Aktenzeichen 20 U 141/12) |
OLG Köln (Urteil vom 16.03.2012; Aktenzeichen 20 U 243/11) |
OLG Köln (Urteil vom 03.02.2012; Aktenzeichen 20 U 171/11) |
Tenor
1. Die Urteile des Oberlandesgerichts Köln vom 3. Februar 2012 – 20 U 168/11, 20 U 170/11 und 20 U 171/11 –, vom 16. März 2012 – 20 U 242/11 und 20 U 243/11 – und vom 12. Oktober 2012 – 20 U 141/12 – verletzen die Beschwerdeführer jeweils in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sachen werden an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird in dem Verfahren 1 BvR 544/12 auf 16.000 EUR (in Worten: sechzehntausend Euro) und in den übrigen Verfahren auf jeweils 20.000 EUR (in Worten: zwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen zivilgerichtliche Verfahren über die Rückzahlung von Versicherungsprämien wegen angeblicher Unwirksamkeit von Versicherungsverträgen. Sie beanstanden das Unterlassen einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union durch das jeweilige Berufungsgericht.
1. Die Beschwerdeführer schlossen im Wege des sogenannten „Policenmodells” Versicherungsverträge ab. Dieses in § 5a des Gesetzes über den Versicherungsvertrag im Geltungszeitraum vom 29. Juli 1994 bis 31. Dezember 2007 (im Folgenden: VVG a.F.) geregelte Verfahren war dadurch gekennzeichnet, dass der potenzielle Versicherungsnehmer (im Folgenden: Versicherungsnehmer) zunächst das von ihm unterzeichnete Antragsformular auf Abschluss des Versicherungsvertrages an den Versicherer übermittelte und dieser dem Versicherungsnehmer die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes in seiner vor dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung (im Folgenden: VAG a.F.) erst zusammen mit der Versicherungspolice zukommen ließ. Widersprach der Versicherungsnehmer nicht binnen 14 Tagen (bei Lebensversicherungen zuletzt binnen 30 Tagen) nach Überlassung der Unterlagen schriftlich, so galt der Vertrag auf Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen (§ 5a Abs. 1 VVG a.F.). In dem Antrag des Versicherungsnehmers war das Vertragsangebot, in der nachfolgenden Übersendung der Vertragsunterlagen die Annahme durch den Versicherer zu sehen. Außerdem setzte der wirksame Vertragsschluss das Unterbleiben des Widerspruchs innerhalb der 14-tägigen (bzw. 30-tägigen) Widerspruchsfrist voraus; bis zu diesem Zeitpunkt war der Versicherungsvertrag nach herrschender Meinung schwebend unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2010 – IV ZR 252/08 –, VersR 2011, S. 337 ≪338≫ Rn. 22; Urteil vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11 –, WM 2014, S. 1030 ≪1031 f.≫ Rn. 15; jeweils m.w.N.). Die Widerspruchsfrist begann nach dieser Regelung erst dann zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer mit Aushändigung der Versicherungspolice über sein Widerspruchsrecht belehrt worden war; abweichend hiervon erlosch das Widerspruchsrecht – auch bei fehlender Belehrung – nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie.
2. Die Beschwerdeführer, die ihre Lebensversicherungsverträge nach dem „Policenmodell” abgeschlossen und später den Widerspruch erklärt hatten, nahmen im jeweiligen Ausgangsverfahren den Versicherer auf Rückzahlung der Prämien, soweit diese über den zuvor erstatteten Rückkaufswert hinausgingen, in Anspruch. Sie machten unter anderem geltend, der Versicherungsvertrag sei auch durch den jeweils deutlich nach Ablauf der Widerspruchsfrist gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Widerspruch unwirksam geworden. Das durch § 5a VVG a.F. eröffnete „Policenmodell” sei unvereinbar mit den Vorgaben der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung; ABl. EG Nr. L 360, S. 1-27 vom 9. Dezember 1992) beziehungsweise mit den Vorgaben der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. EG Nr. L 345, S. 1-51 vom 19. Dezember 2002). Entgegen den dortigen Vorgaben seien die Verbraucherinformationen nicht „vor” Vertragsschluss erteilt worden, so dass ihnen, den Beschwerdeführern, ein unbefristetes Widerspruchsrecht zustehe. Die Befristung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. verstoße ebenfalls gegen die Vorgaben der Richtlinien.
Das Landgericht wies die Klagen ab. Die hiergegen gerichteten Berufungen der Beschwerdeführer wies das Oberlandesgericht mit den von den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Urteilen zurück. Den Beschwerdeführern stehe ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Prämienrückzahlung nicht zu, weil der jeweilige Versicherungsvertrag auf der Grundlage des „Policenmodells” wirksam zustande gekommen sei und somit die Rechtsgrundlage für die geleisteten Prämien dargestellt habe. Die Beschwerdeführer hätten dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages nicht binnen der Frist gemäß der auf den Ausgangsfall anzuwendenden Vorschrift des § 5a Abs. 1 VVG a.F. widersprochen. Das durch § 5a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. ermöglichte „Policenmodell” werde den Richtlinienvorgaben inhaltlich gerecht und stehe somit im Einklang mit dem Unionsrecht. Indem der Versicherungsvertrag bis zum Ablauf der ab Überlassung der Unterlagen laufenden Widerspruchsfrist schwebend unwirksam bleibe, sei gewährleistet, dass eine vertragliche Bindung des Versicherungsnehmers erst nach der gebotenen Verbraucherinformation eintrete. Ob die Frage der Richtlinienkonformität des „Policenmodells” im Hinblick auf die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. anders zu beurteilen sei, könne dahingestellt bleiben, weil diese Regelung vorliegend nicht entscheidend sei. Die Revision ließ das Oberlandesgericht nicht zu.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die Zurückweisung ihrer Berufungen. Sie rügen eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, die Beschwerdeführerin des Verfassungsbeschwerdeverfahrens 1 BvR 2476/12 darüber hinaus eine Verletzung ihres allgemeinen Justizgewährungsanspruchs (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
Indem das Oberlandesgericht jeweils davon abgesehen habe, sich zur unionsrechtlichen Rechtslage hinreichend kundig zu machen und es seine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV mit einer offenkundig nicht tragfähigen Begründung verneint habe, habe es das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt. Als letztinstanzlich entscheidendes Gericht sei das Oberlandesgericht verpflichtet gewesen, die Frage, ob das durch § 5a VVG a.F. eröffnete „Policenmodell” den unionsrechtlichen Vorgaben entspreche, gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Die Auslegung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen, nach denen dem Versicherungsnehmer die Informationen „vor Abschluss des Versicherungsvertrages” mitzuteilen seien, sei keinesfalls zweifelsfrei. Nach dem Ziel der Richtlinien müssten dem Versicherungsnehmer die Informationen bereits vorliegen, bevor er eine Auswahlentscheidung treffe und er seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung abgebe. Dem damit verfolgten Zweck, dem Versicherungsnehmer die Auswahl eines seinen Bedürfnissen am besten entsprechenden Angebots zu ermöglichen, werde § 5a VVG a.F. nicht gerecht, weil hiernach Versicherer ihre vorvertraglichen Informationspflichten erst nach der Auswahlentscheidung des Versicherungsnehmers erfüllen müssten. Daran ändere auch die Einräumung eines Widerspruchsrechts nichts, weil dem Versicherungsnehmer die Widerspruchslast aufgebürdet werde, was einer effektiven Durchsetzung der vorvertraglichen Informationspflichten widerspreche.
Das Oberlandesgericht sei in den angegriffenen Entscheidungen seiner Vorlagepflicht willkürlich nicht nachgekommen. Es habe sich weder mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch mit dem im Jahr 2005 durch die Europäische Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2005/5046) befasst. Indem es stattdessen lediglich auf die unzureichende Begründung eigener Entscheidungen und mehrerer Entscheidungen anderer Berufungsgerichte Bezug genommen habe, habe das Oberlandesgericht einen insgesamt leichtfertigen Umgang mit dem Unionsrecht dokumentiert.
III.
Die Verfassungsbeschwerden sind dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen sowie dem in dem jeweiligen Ausgangsverfahren beklagten Versicherer zugestellt worden. Die Akten der Ausgangsverfahren liegen der Kammer vor.
1. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Äußerung abgesehen.
2. Die von den Ausgangsentscheidungen begünstigten Versicherer haben zu den dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerden Stellung genommen und die angegriffenen Entscheidungen verteidigt.
a) Sie vertreten die Auffassung, die Verfassungsbeschwerden seien bereits unzulässig. Ihnen fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die von den Verfassungsbeschwerden aufgeworfene Frage nach der Richtlinienkonformität des § 5a VVG a.F. nicht entscheidungserheblich sei. Die Beschwerdeführer könnten selbst aus einer unterstellten Unionsrechtswidrigkeit von § 5a VVG a.F. im vorliegenden Fall keine über den Rückkaufswert hinausgehenden Ansprüche herleiten.
b) Die Verfassungsbeschwerden seien außerdem unbegründet, weil die Vorlage der Frage nach der Vereinbarkeit des § 5a VVG a.F. mit dem Unionsrecht nicht willkürlich unterblieben sei. Das Oberlandesgericht habe insbesondere den Beurteilungsrahmen, der ihm im Fall einer unvollständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bei Beurteilung der Notwendigkeit einer Vorlage einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts zukomme, nicht in unvertretbarer Weise überschritten. Eine Vorlagepflicht des Oberlandesgerichts habe auch bei unterstellter Entscheidungserheblichkeit der von den Verfassungsbeschwerden aufgeworfenen Frage nach der Unionsrechtskonformität des § 5a VVG a.F. nicht bestanden, weil ersichtlich ein Fall der durch den Gerichtshof der Europäischen Union geprägten „acte clair”-Doktrin gegeben sei; an der Antwort auf die Frage bestehe kein vernünftiger Zweifel. Das Unterbleiben einer Vorlage könne überdies deshalb nicht willkürlich sein, weil die Europäische Kommission das von ihr eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2008 eingestellt und von einer Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union abgesehen habe.
IV.
Die Kammer nimmt die zulässigen Verfassungsbeschwerden gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihnen statt, weil sie unter Berücksichtigung der bereits hinreichend geklärten Maßstäbe zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG offensichtlich begründet sind.
1. Die Urteile des Oberlandesgerichts verletzen die Beschwerdeführer wegen der offensichtlich unhaltbaren Handhabung der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV jeweils in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
a) Das Oberlandesgericht hat die Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV in nicht mehr vertretbarer Weise übergangen und durch das Unterlassen der Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union die Gewährleistung des gesetzlichen Richters verletzt.
aa) Das Oberlandesgericht hat in den Ausgangsverfahren als Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV entschieden, weil seine Urteile hier nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden konnten. In Fällen der zulassungsgebundenen Revision, in denen die Nichtzulassung der Revision durch das Instanzgericht nicht mit dem Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar ist, tritt die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bei dem Gericht ein, das die Revision nicht zulässt. Das war vorliegend das Oberlandesgericht, weil der Wert der mit einer Revision – im Falle ihrer Zulassung – geltend zu machenden Beschwer in den Ausgangsverfahren jeweils 20.000 EUR nicht überstieg und somit die Nichtzulassungsbeschwerde, die „Rechtsmittel” im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV ist, gemäß § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2083/11 –, juris Rn. 32 m.w.N.).
bb) Die Begründung des Oberlandesgerichts für seine den Entscheidungen der Sache nach zugrunde liegende Annahme, die Rechtsfrage nach der Richtlinienkonformität des „Policenmodells” sei offenkundig im Sinne eines „acte clair” zu beantworten und daher nicht klärungsbedürftig, entbehrt einer nachvollziehbaren und verfassungsrechtlich tragfähigen Begründung (eingehend zum verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab und zur fachgerichtlichen Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV im Zusammenhang mit der Frage der Richtlinienkonformität des „Policenmodells”: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2083/11 –, juris Rn. 31 ff.). Denn eine vertretbare andere Ansicht zu dieser Frage des Unionsrechts, deren Klärungsbedürftigkeit das Außerkrafttreten der Regelung des § 5a VVG a.F. zum 1. Januar 2008 nicht entgegenstand (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2534/10 –, VersR 2014, S. 609 ≪612≫ Rn. 32), erschien auf Grundlage der hier maßgebenden Richtlinien keinesfalls als ausgeschlossen oder auch nur fernliegend.
Der durch das Oberlandesgericht zur Begründung seines Standpunktes angeführte Hinweis auf eigene Entscheidungen in anderen Verfahren (OLG Köln, Beschluss vom 5. Februar 2010 – 20 U 150/09 –, VersR 2011, S. 245; Beschluss vom 9. Juli 2010 – 20 U 51/10 –, juris; Beschluss vom 29. Oktober 2010 – 20 U 100/10 –, VersR 2011, S. 248 [der auf diesen Hinweisbeschluss Bezug nehmende und die Berufung zurückweisende Beschluss des OLG Köln vom 2. Dezember 2010 – 20 U 100/10 – ist durch Beschluss der Kammer vom 9. Mai 2014 – 1 BvR 2020/11 – aufgehoben worden]) und auf Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. Dezember 2000 – 4 U 32/00 –, VersR 2001, S. 837; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 10. Dezember 2003 – 7 U 15/03 –, VersR 2005, S. 631) ist vorliegend nicht geeignet, die richtige Anwendung des Unionsrechts als derart offenkundig erscheinen zu lassen, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Die Begründungen der in Bezug genommenen Entscheidungen greifen zu kurz. Zum einen haben sich die zitierten Oberlandesgerichte, sofern es ihnen nach der zeitlichen Abfolge möglich war, mit den beachtlichen Gegenargumenten der Europäischen Kommission in dem von ihr im Jahr 2005 gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2005/5046) nicht auseinandergesetzt. Zum anderen vermag die Erwägung dieser Gerichte, dass die Richtlinien 92/96/EWG und 2002/83/EG ausschließlich Vorgaben für das Versicherungsaufsichtsrecht enthielten und eine Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechts gerade nicht anstrebten, nicht zu überzeugen. Denn sie lässt unberücksichtigt, dass der Inhalt der in § 10a VAG a.F. aufsichtsrechtlich normierten Informationspflicht des Versicherers durch die versicherungsvertragsrechtliche Regelung des § 5a VVG a.F. geprägt war, weshalb die Bundesrepublik Deutschland, sollte der durch § 5a VVG a.F. ermöglichte Versicherungsvertragsabschluss im Wege des „Policenmodells” nicht den Richtlinienvorgaben entsprochen haben, im Ergebnis der Richtlinie aufsichtsrechtlich keine praktische Wirksamkeit verschafft hätte.
Insoweit und wegen der weiteren Begründung wird im Einzelnen auf den Beschluss der Kammer vom 3. März 2014 – 1 BvR 2534/10 – (VersR 2014, S. 609 ≪611 ff.≫ Rn. 18 ff.) Bezug genommen, der in einem entsprechend gelagerten Verfahren ergangen ist (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2083/11 –, juris Rn. 33 ff.).
b) Unter diesen Umständen kam eine Entscheidung über die Berufungen durch Urteil ohne Zulassung der Revision schlechterdings nicht in Betracht. Das Oberlandesgericht hätte vielmehr durch Urteil unter Zulassung der Revision (gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) entscheiden müssen, wenn es nicht selbst zur Klärung der für entscheidungserheblich befundenen Frage der Richtlinienkonformität des „Policenmodells” eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einholen und das Verfahren aussetzen wollte (vgl. nunmehr OLG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2013 – 20 U 50/13 –, juris Rn. 35).
c) Die angegriffenen Urteile des Oberlandesgerichts über die Zurückweisung der Berufung beruhen jeweils auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil das Gericht seine Entscheidungen in der Sache allein auf seine oben dargestellte Rechtsauffassung gestützt hat. Beim derzeitigen Verfahrensstand kann auch nicht angenommen werden, dass bei Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen und Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht kein anderes, für die Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis in Betracht kommt (vgl. dazu BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Die in den vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren durch die Versicherer thematisierten fachrechtlichen Fragen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Beschwerdeführer im Falle einer unterstellten Unionsrechtswidrigkeit des „Policenmodells” einen über den Rückkaufswert hinausgehenden Anspruch auf Prämienrückerstattung haben, ob sie mit der Ausübung eines Widerspruchsrechts gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen oder ob ein etwaiges Widerspruchsrecht aus anderen Gründen erloschen ist (vgl. dazu für den Fall eines über sein Widerspruchsrecht nicht belehrten Versicherungsnehmers: BGH, WM 2014, S. 1030 ≪1034 f.≫ Rn. 35 ff.), bleiben hiernach einer fachgerichtlichen Überprüfung vorbehalten und sind nicht geeignet, den Verfassungsbeschwerden das Rechtsschutzbedürfnis zu entziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2083/11 –, juris Rn. 47 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Mai 2014 – 1 BvR 2020/11 –, juris Rn. 21).
2. Die angegriffenen Urteile über die Zurückweisung der Berufungen sind hiernach aufzuheben und die Sachen an die Berufungsgerichte zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 und 2 BVerfGG).
Ob zugleich eine Verletzung weiterer, im Verfahren 1 BvR 2476/12 als verletzt gerügter verfassungsmäßiger Rechte der Beschwerdeführerin im Sinne von § 90 Abs. 1 BVerfGG gegeben ist, bedarf danach keiner Entscheidung mehr.
V.
1. Die Anordnung der Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG in der gemäß § 60 Abs. 1 RVG vor dem 1. August 2013 geltenden Fassung und den durch das Bundesverfassungsgericht für die Festsetzung des Gegenstandswerts im Verfahren der Verfassungsbeschwerde entwickelten und fortgeltenden Maßstäbe (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juni 2013 – 1 BvR 2952/08 –, NJW 2013, S. 2738 Rn. 6).
Unterschriften
Gaier, Schluckebier, Paulus
Fundstellen