Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 9 O 20/95) |
Tenor
1. Die Rechte der Beschwerdeführerin aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) werden dadurch verletzt, dass es das Landgericht Hannover unterlassen hat, in dem Verfahren 9 O 20/95 in angemessener Zeit eine Entscheidung über die in dem Rechtsstreit von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Ansprüche zu treffen.
2. Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die ihrer Ansicht nach überlange Dauer eines zivilgerichtlichen Verfahrens, in dem sie Abfindungsansprüche nach Kündigung eines Sozietätsvertrags geltend macht.
I.
Die Beschwerdeführerin hatte im Jahr 1991 mit dem Beklagten des Ausgangsverfahrens einen Sozietätsvertrag geschlossen, durch den sie wirtschaftlich hälftig an der Steuerberaterpraxis des Beklagten beteiligt wurde. Hierfür bezahlte sie 420.000 DM. Ende 1993 kündigte sie den Vertrag, nachdem der Beklagte auf eigene Rechnung Mandate bearbeitet und sich dazu anderer Steuerberater bedient hatte. Als Folge der unumstritten wirksamen Kündigung machte sie Abfindungsansprüche aus dem Sozietätsvertrag geltend. Daneben erstattete die Beschwerdeführerin Strafanzeige gegen den Beklagten. Zunächst beantragte sie den Erlass eines Mahnbescheids über rund 310.000 DM, abzüglich eines gezahlten Teilbetrags von 150.000 DM. Nachdem sie im September 1994 die Verweisung der Sache an das zuständige Landgericht beantragt, ihren Anspruch begründet und im Januar 1995 die Gerichtsgebühr eingezahlt hatte, gab das Mahngericht die Sache an das Landgericht ab.
Früher erster Termin fand im Juni 1995 statt. Im Hinblick auf die übereinstimmende Bitte der Parteien, bis zur „Klärung in dem Verfahren” über eine von der Beschwerdeführerin parallel erhobene Auskunftsklage „nicht zu entscheiden”, wartete das Landgericht danach zunächst die Entscheidung über die Auskunftsklage ab. Nach Rechtskraft dieser Entscheidung fand der zweite Termin zur mündlichen Verhandlung im September 1997 statt. Kurz zuvor hatte die Beschwerdeführerin die Klage auf rund 780.000 DM abzüglich des gezahlten Teilbetrags von 150.000 DM erweitert.
Im November 1997 ordnete das Landgericht durch Beweisbeschluss die Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Wert der Steuerberaterpraxis an. Nachdem die Staatsanwaltschaft die im Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten beschlagnahmten Buchführungsunterlagen, welche auch für die Erstellung des Gutachtens benötigt wurden, im August 1998 freigegeben hatte, beauftragte das Landgericht den Sachverständigen mit der Begutachtung.
Entsprechend dem Vorschlag des Sachverständigen wartete das Gericht zunächst den Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft ab, weil es – wie der Sachverständige – für die Ermittlung des Praxiswerts auch das von der Staatsanwaltschaft zu ermittelnde Umsatzvolumen für bedeutsam hielt, das der Beklagte außerhalb der gemeinsamen Praxis abgewickelt hatte. Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens forderte das Landgericht im Juni 2000 die Akten der Staatsanwaltschaft an und übersandte sie dem Sachverständigen. Dieser legte, nachdem er wiederholt weitere Unterlagen von den Parteien angefordert hatte, im November 2000 sein Gutachten vor. Aus dem Gutachten ergab sich ein der Beschwerdeführerin zustehender Ausgleichsbetrag von rund 765.000 DM.
Ein auf Mai 2001 anberaumter Termin zur mündlichen Verhandlung musste zunächst wegen Verhinderung des Sachverständigen auf Juni 2001 und sodann auf August 2001 verlegt werden, weil das Gericht versäumt hatte, dem Sachverständigen die Stellungnahmen der Parteien zum Gutachten rechtzeitig zuzuleiten.
Im Juni 2001 erhob der Beklagte Widerklage, die er auf die Behauptung stützte, die Beschwerdeführerin habe nach Beendigung des Sozietätsvertrags Mandate der Sozietät weiter betreut. Im Wege der Stufenklage forderte er erstens Auskunft über die weiter betreuten Mandate und die dadurch erwirtschafteten Umsätze sowie zweitens die eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit dieser Angaben. Nachdem die Beschwerdeführerin bestritten hatte, Mandate nach Kündigung des Sozietätsvertrags weiter betreut zu haben, beantragte der Beklagte, sie zur eidesstattlichen Versicherung dieser Angaben und auf zweiter Stufe zur Zahlung von Schadensersatz in noch zu beziffernder Höhe zu verurteilen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung im August 2001 erklärten die Parteien den Widerklageantrag auf Auskunftserteilung übereinstimmend für erledigt. Wegen Wechsels des Berichterstatters und Erkrankung eines Mitglieds der Zivilkammer wurde neuer Termin erst im Oktober 2001 auf April 2002 bestimmt. In diesem Termin eröffnete das Gericht den Parteien, dass es beabsichtige, den Sachverständigen im Hinblick auf seine Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom August 2001 zur schriftlichen Ergänzung des Gutachtens aufzufordern und erließ wenige Tage später einen entsprechenden Beweisbeschluss. Das Ergänzungsgutachten legte der Sachverständige im Juli 2002 vor.
Nachdem der Beklagte einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren widersprochen, die Aufrechnung mit mehreren Gegenforderungen erklärt und eine erneute Anhörung des Sachverständigen beantragt hatte, beraumte das Landgericht im Oktober 2002 einen weiteren Termin zur mündlichen Verhandlung auf März 2003 an. Von einer Ladung des Sachverständigen sah es ab. Kurz vor dem Termin fasste der Beklagte die Widerklageanträge neu und beantragte erneut, die Beschwerdeführerin erstens zur Auskunft über weiter betreute Sozietätsmandate, zweitens zur eidesstattlichen Versicherung dieser Angaben und drittens zu Schadensersatz in noch zu beziffernder Höhe zu verurteilen. Im Verhandlungstermin im März 2003 wies das Landgericht darauf hin, dass der Widerklageantrag auf Auskunftserteilung bereits für erledigt erklärt worden sei. Nach erneuter mündlicher Verhandlung im Juli 2003 verkündete das Landgericht im September 2003 ein erstes Teilurteil, in welchem es der Klage stattgab und den Beklagten hinsichtlich der Hauptforderung antragsgemäß zur Zahlung verurteilte, aber einen Teil der Zinsforderung aberkannte. Gegen diese Entscheidung legten beide Parteien Berufung ein.
Im März 2004 hob das Oberlandesgericht das Teilurteil auf und verwies den Rechtsstreit insoweit an das Landgericht zurück. Das Teilurteil sei unzulässig, weil über den Anspruch der Beschwerdeführerin nicht habe entschieden werden können, ohne zugleich über die Widerklage zu entscheiden. Denn der Sache nach mache der Beklagte mit der Widerklage keinen Schadensersatzanspruch geltend, sondern teils einen eigenen Ausgleichsanspruch, teils eine Einwendung gegen den Abfindungsanspruch der Beschwerdeführerin aus dem Sozietätsvertrag wegen übernommener Mandate. Dies wirke sich unmittelbar auf den Anspruch der Beschwerdeführerin aus, weshalb bei isolierter Entscheidung über Klage und Widerklage sich widersprechende Entscheidungen drohten. Überdies habe das Landgericht verfahrensfehlerhaft den Sachverständigen trotz Antrags des Beklagten nicht erneut angehört und nicht sämtliche zur Aufrechnung gestellten Forderungen berücksichtigt.
Durch Beschluss vom Juli 2004, ergänzt durch Beschluss vom September 2004, ordnete das Landgericht die weitere Ergänzung des Gutachtens durch den Sachverständigen an. Dieser legte das Gutachten im Juni 2005 vor. Im November 2005 beschloss das Landgericht die Einholung eines weiteren Ergänzungsgutachtens, das der Sachverständige ein Jahr später, im November 2006, vorlegte. Vor Fertigstellung beider Gutachten hatte der Sachverständige wiederholt Belege und weitere Auskünfte von den Parteien angefordert.
Im Februar 2007 teilte das Landgericht der Beschwerdeführerin mit, der Behandlung der Widerklage stehe derzeit entgegen, dass nach der Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts zunächst die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen „abgearbeitet” werden müssten. Nach mündlicher Verhandlung im Juni 2007 mit Anhörung des Sachverständigen verurteilte das Landgericht die Beschwerdeführerin durch Teilurteil hinsichtlich der ersten beiden Stufen der Widerklage zur Auskunftserteilung und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. An einer Entscheidung über die Klage sah es sich durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts gehindert.
Auf die Berufung der Beschwerdeführerin hob das Oberlandesgericht das Teilurteil am 20. Februar 2008 auf. Hinsichtlich der Auskunftserteilung hatten die Parteien die Widerklage in der Berufungsinstanz übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem das Oberlandesgericht in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hatte, dass die Auskunft bereits mehrfach, erstmals im Jahr 2001, erteilt worden sei. Hinsichtlich der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verwies das Oberlandesgericht den Rechtsstreit zurück an das Landgericht, um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 259 Abs. 2 BGB zu klären.
Die Beschwerdeführerin drängte das Landgericht wiederholt, auch bereits während des laufenden Berufungsverfahrens, zur Verfahrensförderung. Ende April 2008 bestimmte das Landgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 20. Juni 2008, den es später auf den 4. Juli 2008 verlegte. Eine Beweisaufnahme beabsichtigte es nicht; der Termin sollte vielmehr dazu dienen, „den weiteren Verfahrensgang unter Berücksichtigung des Urteils des OLG Celle vom 20. Februar 2008 zu erörtern”. In der Verhandlung regte das Gericht erfolglos die freiwillige Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durch die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Auskunft sowie den Verzicht des Beklagten auf eine erneute ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen an. Kurz nach diesem Termin erließ das Landgericht einen Beweisbeschluss zur Einholung eines weiteren Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen und kündigte an, im Anschluss hieran Zeugen zur Frage der Weiterbetreuung von Sozietätsmandanten durch die Beschwerdeführerin zu vernehmen. Der Sachverständige legte Ende Januar 2009 das Ergänzungsgutachten vor. Mit Beweisbeschluss vom 7. April 2009 ordnete das Gericht hinsichtlich weiterer vom Beklagten aufgeworfener Fragen die Einholung eines Ergänzungsgutachtens an und setzte dem Sachverständigen für die Erstellung des Gutachtens eine Frist bis zum 30. Juni 2009. Überdies kündigte es erneut an, im Anschluss an die Einholung des Gutachtens bezüglich der Widerklage die Zeugen zu vernehmen. Ein Anspruch des Beklagten gegen die Beschwerdeführerin auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung sei gemäß § 259 Abs. 2 BGB bereits dann gegeben, wenn der Verdacht bestehe, dass die Angaben in der erteilten Auskunft der Beschwerdeführerin in einem einzigen Punkt nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht worden seien. Deshalb werde die Beweisaufnahme zunächst auf einen Teil der Zeugen beschränkt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerdeführerin rügt im Hinblick auf die ihrer Ansicht nach überlange Verfahrensdauer eine Verletzung ihres Rechts auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Das Verfahren dauere in erster Instanz schon 14 Jahre. Dies sei für sie deshalb besonders gravierend, weil sie mit den Finanzierungskosten für den Betrag von 420.000 DM, mit dem sie sich in die Praxis des Beklagten eingekauft hatte, noch immer belastet sei und deshalb, solange der Abfindungsanspruch nicht ausbezahlt sei, nicht in der Lage sei, eine Steuerberaterpraxis zu kaufen oder erneut eine Sozietätsbeteiligung zu erwerben. Hinzu kämen die erheblichen Prozesskosten.
Die Beschwerdeführerin führt unter anderem aus, das Landgericht habe die Prozessführung zu Beginn des Verfahrens nicht vom Abschluss der staatsanwaltlichen Ermittlungen abhängig machen dürfen. Vielmehr hätte der Sachverständige sein Gutachten zunächst ohne Berücksichtigung der von den Ermittlungen abhängigen Positionen erstellen müssen. Noch hinzunehmen sei vielleicht, dass das Landgericht ein erstes Teilurteil erlassen habe, das wegen Verfahrensfehlern aufgehoben wurde. Nicht mehr verständlich sei jedoch das zweite Teilurteil, das nicht mehr nachvollziehbar und ohne Grundlage ergangen sei.
Besonders ins Gewicht falle, dass sich das Landgericht nicht um eine unverzügliche und konzentrierte Vernehmung der von den Parteien benannten Zeugen zu der Frage angeblich von ihr, der Beschwerdeführerin weiter betreuter Sozietätsmandate bemüht habe. Die Beweisaufnahme hätte insoweit parallel zu den Berufungsverfahren oder den verschiedenen Ergänzungsgutachten durchgeführt werden können. Der neue Beweisbeschluss vom 7. April 2009 lasse daran zweifeln, dass das Landgericht das erste Berufungsurteil nachvollzogen habe. Dort habe das Oberlandesgericht festgestellt, dass der Vortrag des Beklagten zu angeblich „mitgenommenen” Mandaten Bedeutung für die Höhe ihres, der Beschwerdeführerin, Abfindungsanspruchs habe. Das Landgericht halte diesen Vortrag offenbar aber nach wie vor nur im Hinblick auf die Widerklage für relevant.
III.
Das Niedersächsische Justizministerium sowie der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.
Das Niedersächsische Justizministerium tritt der Verfassungsbeschwerde entgegen: Das Landgericht habe die Rechtssache nicht verzögert bearbeitet. Zur Begründung führt das Ministerium unter anderem aus, mögliche Verzögerungen vor Fertigstellung des ersten Gutachtens seien unerheblich, weil dieses ohnehin vom Abschluss der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abhängig gewesen sei. Dass der Sachverständige im Einverständnis mit dem Landgericht mit der Fertigstellung des Gutachtens bis zur Beendigung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zugewartet habe, sei von der Beschwerdeführerin nicht bemängelt worden und erweise sich als sachgerecht. Denn hätte er das Gutachten ohne Berücksichtigung des Ermittlungsergebnisses vorgelegt, wäre das Gutachten unvollständig gewesen und von den Parteien nicht akzeptiert worden.
Auch das Zuwarten mit der Vernehmung der Zeugen sei sachlich begründet: Anlass der Zeugenvernehmung sei das Begehren des Beklagten auf eidesstattliche Versicherung nach § 259 Abs. 2 BGB als zweite Stufe der Widerklage. Der auf erster Stufe geltend gemachte Auskunftsanspruch sei aber erst im zweiten Berufungsverfahren für erledigt erklärt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt sei für die Vernehmung der Zeugen kein Raum gewesen. In der Folgezeit sei eine Zeugenvernehmung unterblieben, weil das Landgericht es für sachgerecht erachtet habe, erst die Klageforderung aufzuklären und dann die Gegenforderung zu prüfen. Denn im ersten Berufungsurteil habe das Oberlandesgericht das erste Teilurteil aufgehoben, weil wegen des Zusammenhangs von Klage und Widerklage nicht isoliert über die Klage habe entschieden werden dürfen. Unter Berücksichtigung ihrer „Terminslage” habe die Kammer diese Reihenfolge der Beweiserhebung gewählt, weil für die Einholung der Gutachten keine Termine „verbraucht” würden und eine abschließende Anhörung des Sachverständigen und die Zeugenvernehmung so in zeitlichem Zusammenhang abgearbeitet werden könnten.
Das weitere Ergänzungsgutachten habe nicht parallel zum zweiten Berufungsverfahren eingeholt werden können, weil der Schriftsatz des Beklagten, in dem die weiteren Fragen an den Sachverständigen aufgeworfen worden seien, erst beim Landgericht eingegangen sei, nachdem die Akten bereits dem Oberlandesgericht übersandt gewesen seien. Aufgrund des Umfangs des Verfahrens (über 1.800 Seiten Akteninhalt) sei ein paralleles Abarbeiten in beiden Instanzen nicht praktikabel gewesen. Wegen der „Komplexität der Sache und dem erwünschten Arbeiten mit Originalurkunden” wäre es weder für das Gericht noch für den Sachverständigen opportun gewesen, mit einer Doppelakte zu arbeiten.
IV.
1. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung des aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Rechts der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG): Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind geklärt (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪369≫; 88, 118 ≪124≫), und die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.
a) In der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes im materiellen Sinn für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten ableiten lässt (vgl. BVerfGE 82, 126 ≪155≫; 93, 99 ≪107≫) und sich daraus die Verpflichtung der Fachgerichte ergibt, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪369≫; 60, 253 ≪269≫; 93, 1 ≪13≫). Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪369≫). Es gibt keine allgemeingültigen Zeitvorgaben; verbindliche Richtlinien können auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entnommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 1997 – 1 BvR 711/96 –, NJW 1997, S. 2811; EGMR Dritte Sektion, Urteil vom 11. Januar 2007 – 20027/02 Herbst/Deutschland –, NVwZ 2008, S. 289 ≪291, Rn. 75≫). Die Verfahrensgestaltung obliegt in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht. Sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, muss das Gericht hierfür zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festlegen (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪369≫). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien (vgl. BVerfGE 46, 17 ≪29≫), die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 1997 – 1 BvR 711/96 –, NJW 1997, S. 2811 ≪2812≫), die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, NJW 2001, S. 214 ≪215≫). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 – 1 BvR 901/03 –, NVwZ 2004, S. 334 ≪335≫). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, NJW 2001, S. 214 ≪215≫).
b) Daran gemessen begründet die bisherige Dauer des Verfahrens einen Verfassungsverstoß. Es ist nach Abwägung sämtlicher Umstände verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar, dass das erstinstanzliche Verfahren nach über 14 Jahren noch nicht abgeschlossen ist.
aa) Bei der Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieser Verfahrensdauer ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Rechtssache insbesondere in tatsächlicher Hinsicht komplex ist und die Einholung eines umfangreichen Gutachtens und mehrerer Ergänzungsgutachten erforderte. Zu erheblichen Verzögerungen führte überdies, dass der Sachverständige auf die von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Unterlagen angewiesen war und darüber hinaus wiederholt ergänzende Informationen einholen und die Vorlage weiterer Unterlagen durch die Parteien veranlassen musste. Zu einer weiteren, dem Landgericht nicht anzulastenden Erschwerung und Verzögerung des Verfahrens führte die vom Beklagten erst im Jahr 2001 erhobene Widerklage und die erst im Jahr 2002 geltend gemachten Aufrechnungen.
Überdies kann sich die Beschwerdeführerin auf die Verzögerung zwischen dem frühen ersten Termin im Ausgangsverfahren bis zur Rechtskraft des Urteils über ihre parallel anhängig gemachte Auskunftsklage nicht berufen, weil die Parteien selbst darum gebeten hatten, vor „Klärung” der Auskunftsklage „nicht zu entscheiden”. Schließlich ist auch das Abwarten des Ermittlungsberichts der Staatsanwaltschaft vor Fertigstellung des ersten Gutachtens nicht zu beanstanden. Denn die Beschwerdeführerin hat nicht dargetan, dass durch die Erstellung eines vorläufigen Gutachtens ohne Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft eine Verfahrensbeschleunigung eingetreten wäre. Auch sie geht in ihrer Stellungnahme davon aus, dass nach Abschluss der Ermittlungen ein Ergänzungsgutachten erforderlich geworden wäre. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass durch die gesonderte Erstellung zunächst eines vorläufigen Gutachtens und sodann eines Ergänzungsgutachtens eine Zeitersparnis eingetreten wäre.
bb) Dies berücksichtigend sind hier dennoch angesichts der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer die Grenzen des für einen Prozessbeteiligten unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes noch Hinnehmbaren überschritten. Die Bemühungen des Landgerichts um eine Beschleunigung des Verfahrens reichen angesichts der Gesamtdauer des Verfahrens auch in Ansehung aller Schwierigkeiten nicht hin, zumal die Pflicht zur nachhaltigen Beschleunigung des Verfahrens durch die Fachgerichte hier noch dadurch verstärkt wird, dass der Verfahrensausgang für die Beschwerdeführerin von besonderer Bedeutung ist, weil der geltend gemachte Anspruch ihrer Schilderung nach den Hauptbestandteil ihres Vermögens ausmacht und sie durch Schulden im Zusammenhang mit dem Einkauf in die Steuerberaterkanzlei des Beklagten belastet ist. Im Einzelnen:
Dem Landgericht allerdings ist nicht vorzuwerfen, dass es das Verfahren durch schlichte Nichtbearbeitung verzögert hätte. Die Feststellung des Verfassungsverstoßes beruht vielmehr darauf, dass sich das Landgericht angesichts der zunehmenden und schließlich außergewöhnlich langen Verfahrensdauer nicht darauf hätte beschränken dürfen, das Verfahren wie einen gewöhnlichen, wenn auch komplizierten Rechtsstreit zu behandeln. Vielmehr hätte es – jedenfalls nach wenigen Jahren – sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung nutzen müssen.
Es ist nicht ersichtlich, dass das Landgericht insoweit hinreichende Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens ergriffen hätte. Dabei ist es allerdings nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, den Gerichten bestimmte Beschleunigungsmaßnahmen vorzuschreiben. Die Entscheidung über die Verfahrensgestaltung obliegt den Fachgerichten. Welche Maßnahmen geeignet sind, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur anhand des konkreten Falls und unter Berücksichtigung der Gründe für die lange Verfahrensdauer entscheiden.
Eine Beschleunigung des erstinstanzlichen Ausgangsverfahrens war hier jedenfalls möglich:
Zu einer offensichtlich dem Landgericht zurechenbaren, aber lediglich geringfügigen Verfahrensverzögerung ist es zum einen im Zusammenhang mit der Ladung des Sachverständigen zur Anhörung am 12. Februar 2001 gekommen. Da das Gericht die Stellungnahmen der Parteien zum Gutachten dem Sachverständigen nicht rechtzeitig zugeleitet hatte, musste der Termin vom 23. Juni 2001 auf 14. August 2001 verlegt werden. Zum anderen hat es im Anschluss an diese mündliche Verhandlung im Hinblick auf den bevorstehenden Wechsel des Berichterstatters in der alten Kammerbesetzung keine weiteren verfahrensleitenden Anordnungen getroffen, so dass erst am 16. Oktober 2001 neuer Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 19. April 2002 bestimmt wurde. Zudem beauftragte das Gericht den Sachverständigen erst im Anschluss an diesen Termin, die Ergebnisse der Anhörung vom 14. August 2001 als ergänzendes Gutachten vorzulegen. Bis zur Vorlage dieses Gutachtens Anfang Juli 2002 ist kein Verfahrensfortschritt festzustellen. Dieser Verfahrensabschnitt hätte trotz des Wechsels in der Berichterstattung erheblich beschleunigt werden können, wenn eine Terminierung noch in der alten Kammerbesetzung auf einen näheren Termin erfolgt und das Gutachten bereits in diesem Zeitpunkt in Auftrag gegeben worden wäre oder wenn nach Übernahme des Verfahrens durch den neuen Berichterstatter zugleich mit der Terminierung das Ergänzungsgutachten zur Vorbereitung des Termins in Auftrag gegeben worden wäre.
Besonders ins Gewicht fällt, dass das Landgericht jedenfalls bis April 2009 nicht in die Beweiserhebung über die Frage einer Minderung des Anspruchs der Beschwerdeführerin wegen der möglichen Weiterbetreuung von Sozietätsmandaten eingetreten ist. Hierzu haben die Parteien eine Vielzahl von Zeugen benannt. Der Beweisbeschluss vom 7. April 2009 lässt erkennen, dass das Landgericht die Beweisaufnahme auch jetzt zunächst im Hinblick auf den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durchführen will. Dies überzeugt nicht. Das Landgericht verkennt insoweit offensichtlich, dass der Vortrag des Beklagten bezüglich der Weiterbetreuung von Sozietätsmandaten durch die Beschwerdeführerin nach den bindenden Feststellungen des Oberlandesgerichts im ersten Berufungsurteil vom 26. März 2004 unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe des mit der Klage geltend gemachten Abfindungsanspruchs der Beschwerdeführerin hat. Der widerklagend geltend gemachte Auskunftsanspruch soll dem Auskunftsberechtigten ermöglichen, weitere ihm nicht bekannte Informationen zu sammeln. Soweit aber schon unter Beweisantritt substantiierter Vortrag zu einem den Auskunftsanspruch betreffenden Punkt erfolgt ist, besteht keinerlei Veranlassung mit der Beweisaufnahme hierzu allein deshalb zuzuwarten, weil das Vorbringen im Hinblick auf die erwartete Auskunft möglicherweise ergänzt werden könnte. Vor dem Hintergrund der besonders langen Verfahrensdauer war und ist das Landgericht gehalten, die Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung äußerst konzentriert durchzuführen, das heißt, sie unverzüglich und parallel zur Erstellung der diversen Ergänzungsgutachten einzuleiten.
Einen überzeugenden sachlichen Grund dafür, zunächst die Erstellung des vierten Ergänzungsgutachtens abzuwarten, ist auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Niedersächsischen Justizministeriums nicht ersichtlich. Zwar wäre für die parallele Beweisaufnahme das Anlegen einer Zweitakte erforderlich geworden. Angesichts der Verfahrensdauer waren der damit verbundene organisatorische Aufwand und die Schwierigkeiten einer doppelten Aktenführung aber in Kauf zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 – 1 BvR 775/05 –, NJW 2008, S. 503; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. Juli 2009 – 1 BvR 2662/06 –, juris). Auch der Einwand, Sachverständiger und Landgericht hätten nur mit den Originalurkunden arbeiten wollen, vermag nicht zu überzeugen. Das Landgericht hätte allenfalls die schriftlichen, vorgerichtlichen Erklärungen der Zeugen im Original benötigt, soweit deren Echtheit in Zweifel stand. Diese Unterlagen benötigte der Sachverständige aber ersichtlich nicht im Original. Da das Landgericht angesichts der mittlerweile zu verzeichnenden Verfahrensdauer zu einer bestmöglichen Förderung des Verfahrens gehalten war und es eben gerade nicht ausreichte, das Verfahren wie ein gewöhnliches, wenngleich komplexes Verfahren zu behandeln, ist auch der Hinweis des Justizministeriums auf die Terminslage der Kammer nicht tragfähig. Das Verfahren war in diesem fortgeschrittenen Stadium vorrangig zu bearbeiten. Auch ein Bemühen um gerichtsinterne Entlastungsmaßnahmen wäre in Betracht zu ziehen gewesen.
Schließlich waren die Ergänzungsgutachten auch nicht vorgreiflich für die Zeugenvernehmung und deshalb zwingend vorab einzuholen. Im Gegenteil: Möglicherweise muss je nach Ergebnis der Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung noch ein weiteres Ergänzungsgutachten eingeholt werden. Denn die Zeugenvernehmung dient der Klärung der Frage, ob die Beschwerdeführerin Mandate weitergeführt hat. Für den Fall einer Weiterführung von Sozietätsmandaten durch die Beschwerdeführerin wäre nach der bindenden Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts der Abfindungsanspruch der Beschwerdeführerin zu reduzieren. Zur Bestimmung der Höhe der Reduzierung könnte erneut die Einholung einer Stellungnahme des Sachverständigen geboten sein. Dies ist freilich eine Frage, deren Klärung dem Fachgericht obliegt.
Ebenso wenig ist nachvollziehbar, weshalb das Landgericht das vierte Ergänzungsgutachten nicht parallel zum zweiten Berufungsverfahren in Auftrag gegeben hat. Auch dies wäre unschwer möglich gewesen, wenn das Landgericht ein Doppel der Akte angelegt hätte. Die Frage, ob das zweite Berufungsverfahren der Korrektur offensichtlich der Justiz anzulastender Verfahrensfehler diente und bereits deshalb als dem Landgericht zurechenbare verfassungsrechtlich zu beanstandende Verfahrensverzögerung zu werten ist (vgl. BVerfGK 1, 269 ≪283≫; 2, 239 ≪251≫; 6, 242 ≪251≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 2003 – 2 BvR 153/03 –, NJW 2003, S. 2897 ≪2898≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Dezember 2005 – 2 BvR 1964/05 –, NJW 2006, S. 672 ≪673≫; ebenso EGMR Vierte Sektion, Urteil vom 31. Mai 2001 – 37591/97 Metzger/Deutschland –, NJW 2002, S. 2856 ≪2857≫), kann deshalb offen bleiben.
Auch soweit die Verfahrensverzögerung durch den Sachverständigen verursacht wurde, war eine Beschleunigung jedenfalls hinsichtlich des zweiten und dritten Ergänzungsgutachtens nicht von vornherein ausgeschlossen. Bei der Beauftragung hätte das Gericht zum einen auf die Eilbedürftigkeit hinweisen können und auch während der Bearbeitung durch zeitnahe Überwachung und das Setzen von Bearbeitungsfristen – wie es das Landgericht bei dem zuletzt eingeholten Ergänzungsgutachten dann getan hat – auf eine raschere Fertigstellung der Gutachten hinwirken können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 – 1 BvR 775/07 –, NJW 2008, S. 503).
c) Unter Abwägung sämtlicher Umstände ist die bisherige Verfahrensdauer von 14 Jahren verfassungsrechtlich zu beanstanden. Sie erweist sich als nicht mehr vertretbare Vorenthaltung von Rechtsschutz. Deshalb ist die Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG festzustellen. Das Landgericht ist nunmehr gehalten, unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem möglichst raschen Abschluss des Verfahrens führen.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit ist auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den vom Bundesverfassungsgericht hierzu entwickelten Grundsätzen gestützt (vgl. BVerfGE 79, 357 ≪361 ff.≫; 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen