Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung wegen leichtfertiger Erstattung einer Strafanzeige
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 17.07.2001; Aktenzeichen 6 S 17/01) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine Verurteilung zur Räumung der von ihm gemieteten Wohnräume. Das Landgericht gelangte in der angegriffenen Entscheidung zu der Auffassung, dass die vom Beschwerdeführer gegen seinen Vermieter erstattete Strafanzeige leichtfertig und deshalb der Vermieter zur fristlosen Kündigung berechtigt gewesen sei.
Entscheidungsgründe
2. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
a) Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verstößt nicht gegen das Willkürverbot. Es ist in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt, dass eine grundlose Strafanzeige gegen den anderen Vertragspartner eine schwer wiegende Treuepflichtverletzung darstellen kann, die zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses nach § 554 a BGB berechtigt. Ob die Erstattung einer Strafanzeige einen schwer wiegenden Verstoß gegen die mietvertraglichen Pflichten darstellt, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt, wird von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere auch vom Verhalten des Angezeigten, abhängig gemacht (Emmerich in: Staudinger, Kommentar zum BGB, 13. Aufl., 1995, zu § 554 a, Rn. 35; Sternel, Mietrecht aktuell, 3. Aufl., 1996, Rn. 1225; Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 7. Aufl., 1999, zu § 554 a, Rn. 43 ff.; LG Wiesbaden, WuM 1995, S. 707; AG Köln, WuM 1995, S. 587; LG Osnabrück, WuM 1993, S. 617; LG Berlin, Grundeigentum 1990, S. 1079; AG Sinzig, DWW 1990, S. 120; AG Freiburg, WuM 1989, S. 618). Der vom Landgericht gewählte rechtliche Ansatzpunkt kann danach nicht als sachfremd angesehen werden. Auch die vorgenommene Würdigung des Sachverhalts begegnet mit Blick auf Art. 3 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
b) Der Beschwerdeführer ist durch die angegriffene Entscheidung auch nicht in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt.
Zwar ist es mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar, wenn die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Rahmen eines Strafverfahrens – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – zu zivilrechtlichen Nachteilen führt. So hat das Bundesverfassungsgericht in einer Handhabung des Schadensersatzrechts, die den gutgläubigen Strafanzeigeerstatter mit dem Risiko des Schadensersatzes für den Fall belastet, dass seine Anzeige nicht den Erweis des behaupteten Vorwurfs zur Folge hat, einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gesehen (vgl. BVerfGE 74, 257 ≪261≫). Aus den gleichen Gründen ist auch die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar, wenn der Arbeitnehmer mit seinen Aussagen bei der Staatsanwaltschaft und der Übergabe von Unterlagen nur von der Rechtsordnung aufgestellte Pflichten erfüllt hat (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 2. Juli 2001 – 1 BvR 2049/00 –). Im Rahmen mietvertraglicher Verhältnisse kann insoweit nichts anderes gelten.
Es ist vorliegend jedoch nicht zu beanstanden, dass die Strafanzeige des Beschwerdeführers vom Landgericht nach Würdigung der insoweit auch für das Bundesverfassungsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen als leichfertig und unangemessen und deshalb die fristlose Kündigung als gerechtfertigt angesehen worden ist. Besteht in einem Mietverhältnis Streit über die Berechtigung in der Vergangenheit gezahlter und zukünftig zu leistender Mietzinszahlungen, steht den Vertragsparteien zur Problemlösung der Zivilrechtsweg offen. Dementsprechend hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 8. Mai 2001 Klage auf Rückzahlung vermeintlich rechtsgrundlos geleisteter Mietzinsen erhoben. Dem Vertragspartner auf Grund der für unzutreffend gehaltenen Angaben in einer Wirtschaftlichkeitsberechnung zur Bestimmung der Kostenmiete bei mietpreisgebundenem Wohnraum sogleich eine Betrugsabsicht zu unterstellen, erscheint insbesondere dann leichtfertig, wenn sich dieser – wie vorliegend – eingehend um die Aufklärung des Sachverhalts bemüht und die Grundlage seiner Berechnung nachvollziehbar dargelegt hat. Die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses in Ansehung solcher Gesamtumstände ist daher auch dann mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, wenn der angezeigte Sachverhalt in objektiver Hinsicht – hier die fehlerhafte Angabe der Wohnungsanzahl – zutreffend sein sollte, für ein vorsätzliches Verhalten des Vertragspartners aber keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Dass das Ermittlungsverfahren gegen den Vermieter nach den Behauptungen des Beschwerdeführers noch nicht eingestellt ist, führt zu keiner anderen Bewertung. Die Berechtigung der Anzeige kann allein aus diesem Umstand nicht hergeleitet werden.
3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Von einer weiter gehenden Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 645102 |
NZM 2002, 61 |
ZMR 2002, 255 |
WuM 2002, 22 |