Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 20.02.2002; Aktenzeichen 14 S 14400/01) |
Tenor
Das Urteil des Landgerichts München I vom 20. Februar 2002 – 14 S 14400/01 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 7.360 € (in Worten: siebentausenddreihundertsechzig Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, welche Anforderungen an die Begründung einer Kündigung wegen Eigenbedarfs gestellt werden dürfen.
1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin einer Fünfzimmerwohnung, die seit 1977 an den Beklagten des Ausgangsverfahrens vermietet ist. Im Oktober 1999 kündigte sie dem Beklagten zum 31. Oktober 2000 wegen Eigenbedarfs. Diesen begründete sie damit, dass ihre derzeitige Wohnung, die sie mit ihrem Lebensgefährten und dem gemeinsamen, zwei Jahre alten Kind bewohne, mit drei Zimmern zu klein sei. Sie erwarte weiteren Nachwuchs, auch benötigten sie und ihr Lebensgefährte jeweils eigene Arbeitszimmer. Für die Dreizimmerwohnung zahle sie zudem einen höheren Mietzins als sie durch die Vermietung der – im selben Anwesen und auf der selben Etage gelegenen – Fünfzimmerwohnung erziele. Am 30. Juli 2000 kam das zweite Kind der Beschwerdeführerin zur Welt.
Im Räumungsrechtsstreit hob das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts auf und wies die Klage der Beschwerdeführerin ab. Das Mietverhältnis sei durch die Kündigung nicht beendet worden, weil eine ausreichende Darlegung des Eigenbedarfs im Sinne des § 564b Abs. 3 BGB a.F. fehle. Ohne Darlegung des Mietpreises, der für die derzeit von der Beschwerdeführerin bewohnte Mietwohnung zu zahlen sei, sei die Behauptung, dieser Mietzins sei höher als der durch die Vermietung der Fünfzimmerwohnung erzielte, nicht hinreichend konkret. Auch genüge der Hinweis auf die Zimmerzahl nicht, um zu begründen, dass die derzeit bewohnte Wohnung zu klein sei. Erforderlich seien konkrete Größenangaben. Die Beschwerdeführerin hätte zudem den Namen ihres Lebensgefährten nennen müssen, wenn dieser mit in die Wohnung einziehen solle. Auch Anknüpfungstatsachen für den Bedarf an einem zusätzlichen Arbeitszimmer fehlten. Der Hinweis auf das zum Zeitpunkt des Kündigungsschreibens noch ungeborene zweite Kind enthalte Elemente einer Vorratskündigung, die den aktuellen Eigenbedarf noch nicht zu begründen vermöge.
2. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts und rügt eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG. Das Landgericht überspanne die formellen Anforderungen an die Begründung einer Eigenbedarfskündigung in verfassungswidriger Weise.
Nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist die Beschwerdeführerin Ende Juni 2002 mit ihrer Familie aus der Wohnung ausgezogen. Dazu hat sie angegeben, sie habe die inzwischen bewohnte Doppelhaushälfte nur vorübergehend zur Verfügung gestellt bekommen. Auf Grund der Geburt des zweiten Kindes seien die räumlichen Verhältnisse in ihrer bisherigen Wohnung untragbar geworden. Die Gründe für die Eigenbedarfskündigung bestünden fort.
3. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens, das Bayerische Staatsministerium der Justiz und der Bundesgerichtshof hatten Gelegenheit zur Äußerung.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung des Eigentumsgrundrechts der Beschwerdeführerin angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Danach verstößt das Urteil des Landgerichts gegen Art. 14 Abs. 1 GG.
a) Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist durch den erfolgten Wohnungswechsel der Beschwerdeführerin das Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht entfallen. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Landgericht nach der Zurückverweisung des Rechtsstreits auf Grund des veränderten Sachverhalts im Ergebnis in jedem Fall wiederum zum Nachteil der Beschwerdeführerin entscheiden müsste.
Dabei wird sich das Landgericht mit der herrschenden Auffassung auseinander setzen müssen, dass bei einem Kündigungsgrund mit Zukunftswirkung wie dem Eigenbedarf die maßgebenden materiellen Voraussetzungen nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist vorliegen müssen (vgl. LG Hamburg, WuM 1989, S. 572; Sonnenschein in: Staudinger, BGB, Zweites Buch, §§ 564-580a, 13. Bearb. 1997, § 564b, Rn. 90; Voelskow in: Münchener Kommentar, Bd. 3, § 564b BGB, Rn. 70), sowie mit der ebenfalls vertretenen Meinung, dass ein Wegfall des Eigenbedarfs über die Beendigung des Mietverhältnisses durch Ablauf der Kündigungsfrist hinaus auch dann noch zu berücksichtigen sei, wenn er vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz eintrete (vgl. Sonnenschein, aaO, § 564b, Rn. 91; LG Lübeck, WuM 1999, S. 336; AG Köln, WuM 1999, S. 234; OLG Karlsruhe, WuM 1993, S. 405; LG Berlin, MM 1991, S. 130; LG Braunschweig, WuM 1989, S. 573). Es wird sodann angesichts des Vortrags der Beschwerdeführerin, dass ihr die jetzt angemietete Doppelhaushälfte von vornherein nur übergangsweise zur Verfügung gestellt worden sei, zu prüfen haben, ob vor diesem Hintergrund überhaupt von einem Wegfall des ursprünglichen Eigenbedarfsgrundes auszugehen ist (dazu: LG Hamburg, aaO) oder ob die Ausnahmeregelung des § 564b Abs. 3 BGB a.F. Anwendung findet, wonach auch Eigenbedarfsgründe berücksichtigt werden, die nicht im Kündigungsschreiben angegeben sind, wenn sie nachträglich entstanden sind (vgl. Sonnenschein, aaO, § 564b, Rn. 188; Voelskow, aaO, § 564b BGB, Rn. 68a; LG Heidelberg, WuM 1992, S. 30 ≪31≫). Schließlich ist eine auf eine neue Kündigung gestützte Klageänderung denkbar (dazu: AG Freiburg, WuM 1989, S. 572 f.). Die rechtliche Bewertung der vorliegenden Fallkonstellation bleibt der Entscheidung des Landgerichts vorbehalten.
b) Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
aa) Die Zivilgerichte haben bei der Prüfung, ob eine Kündigung wegen Eigenbedarfs formell wirksam ist, den Einfluss des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und den damit eng verzahnten Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu beachten (vgl. BVerfGE 79, 80 ≪84 f.≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Juni 1992 – 1 BvR 1725/91 –, NJW 1992, S. 2411 ≪2412≫). Damit ist es nicht vereinbar, wenn die Gerichte die Anforderungen an die in § 564b Abs. 3 BGB a.F. niedergelegte Begründungspflicht in einer Weise überspannen, die dem Vermieter die Verfolgung seiner Interessen unzumutbar erschwert. Das ist dann der Fall, wenn das Gericht vom Vermieter Angaben verlangt, die über das anerkennenswerte Informationsbedürfnis des Mieters hinausgehen (vgl. BVerfGE 85, 219 ≪223 f.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juni 1998 – 1 BvR 1575/94 –, NJW 1998, S. 2662). Zweck des § 564b Abs. 3 BGB a.F. ist es nämlich, dass der Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition erlangt und so in die Lage versetzt wird, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen (vgl. BVerfGE 85, 219 ≪223≫). Dazu genügt im Falle der Eigenbedarfskündigung einerseits nicht, dass der Vermieter lediglich den Gesetzestext des § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB a.F. wiedergibt. Andererseits ist nicht erforderlich, dass bereits das Kündigungsschreiben die gerichtliche Feststellung erlaubt, dass die Kündigungsvoraussetzungen vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juni 1998, aaO).
bb) Nach diesen Maßstäben ist die angegriffene Entscheidung mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren.
Die Auffassung des Landgerichts, die Beschwerdeführerin hätte ihr Vorbringen, sie erziele mit der Vermietung ihrer Eigentumswohnung weniger als sie selbst an Mietzins zu entrichten habe, bereits im Kündigungsschreiben durch betragsmäßige Angaben untermauern müssen, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn sie lässt unberücksichtigt, dass eine derartige Angabe die Überprüfbarkeit des Kündigungsgrundes für den Beklagten nicht erhöht hätte, zum Schutze des Mieters nach den genannten Grundsätzen also nicht erforderlich war. Es ist ausreichend, dass sich für den Mieter das Vermieterinteresse an der Kündigung aus dem Schreiben erschließt und somit der in einem eventuellen Räumungsprozess zu beurteilende Sachverhalt beschränkt wird. Die Feststellung, ob die Kündigung gerechtfertigt ist, hat das Gericht nicht auf der Grundlage des Kündigungsschreibens, sondern auf Grund einer umfassenden gerichtlichen Prüfung der Begründetheit der Räumungsklage zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juni 1998, aaO).
Auch soweit das Landgericht den Hinweis auf die Zimmerzahl nicht für ausreichend hält, überspannt es die Anforderungen an die Begründungspflicht des Vermieters. Um einem etwaigen Einwand des überhöhten Wohnbedarfs von vornherein zu begegnen, ist die Bezeichnung der Anzahl der bisher zur Verfügung stehenden Zimmer und der Größe der Familie hinreichend aussagekräftig (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. November 1993 – 1 BvR 697/93 –, NJW 1994, S. 310 ≪312≫). Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als dem Beklagten die Wohnverhältnisse der Beschwerdeführerin nach deren unstreitig gebliebenem Vorbringen im Wesentlichen bekannt waren.
Die Auffassung des Landgerichts, die Beschwerdeführerin hätte zudem den Namen ihres Lebensgefährten mitteilen müssen, hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung ebenfalls nicht Stand. Sind aus dem Kündigungsschreiben die Personen, für die der Eigenbedarf geltend gemacht wird, durch eine allgemeine Bezeichnung identifizierbar und ihre Zugehörigkeit zu dem berechtigten Personenkreis feststellbar, so bedarf es nach allgemeiner Ansicht ihrer namentlichen Nennung nicht (vgl. Sonnenschein, aaO, § 564b, Rn. 173 m.w.N.). So lag der Fall hier. Der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin wohnte nach den Feststellungen des Amtsgerichts mit dem Beklagten seit Jahren auf der selben Etage, nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin stand sein Name auch an ihrer Wohnungstür. Er war daher für den Beklagten ohne weiteres zu identifizieren.
Unhaltbar ist schließlich auch die Annahme des Landgerichts, der Hinweis der Beschwerdeführerin auf ein benötigtes zweites Arbeitszimmer sei substanzlos. Denn zur Darlegung innerer Tatsachen wie der eines bestimmten Nutzungswunsches bedarf es grundsätzlich keiner Substantiierung durch Hilfstatsachen. Deuten Umstände darauf hin, die Zweifel begründen, sind diese gegebenenfalls aufzuklären und vom Gericht zu würdigen (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 1995 – 1 BvR 665/94 – NJW 1995, S. 1480 ≪1481≫).
Die Frage, ob der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte geplante Familienzuwachs die Kündigung rechtfertigt, ist eine solche der materiellen Begründetheit der Klage und nicht wie das Landgericht annimmt eine solche der formellen Begründungspflicht. Abgesehen davon kann eine Konkretisierung des behaupteten Kinderwunsches durch eine zum Zeitpunkt der Kündigung oder während eines längeren Räumungsprozesses eintretende Schwangerschaft nicht verlangt werden. Liegen begründete Zweifel an dem vorgetragenen Grund vor, so muss das Gericht diesen nachgehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 1995, aaO). Solche Umstände lagen hier im Übrigen nicht vor. Da die Beschwerdeführerin ihr zweites Kind zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung bereits zur Welt gebracht hatte, bestand kein Anlass, an der Ernsthaftigkeit des behaupteten Kinderwunsches zu zweifeln.
c) Das angegriffene Urteil beruht auf der festgestellten Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG. Es ist daher aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG).
2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ergibt sich aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO in Verbindung mit den vom Bundesverfassungsgericht dazu entwickelten Grundsätzen (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Haas, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 952206 |
NJW-RR 2003, 1164 |
JurBüro 2003, 665 |
NZM 2003, 592 |
WuM 2003, 435 |