Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 25.09.1997; Aktenzeichen 307 S 101/97) |
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 25. September 1997 – 307 S 101/97 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 GG. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Hamburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Landgerichts Hamburg, durch das ihre u.a. auf Eigenbedarf gestützte Räumungsklage abgewiesen wurde.
- Die Beschwerdeführerin erwarb im November 1994 zusammen mit ihrem Lebensgefährten, Herrn Dr. F.…, ein 140 qm großes Wohnhaus in Hamburg. In dem Haus befinden sich zwei Wohnungen. Die Beschwerdeführerin selbst lebt zusammen mit ihrer 6jährigen Tochter seit März 1995 in der ca. 30 qm großen Wohnung im Giebelbereich des Hauses. Das übrige Haus und der Garten sind seit 1977 bzw. 1982 an die Beklagten des Ausgangsverfahrens, eine auf dem Gebiet des Mietrechts tätige Anwältin (Beklagte zu 1) und ihren Lebensgefährten (Beklagter zu 2), vermietet, die dort zusammen mit ihrer 6jährigen Tochter wohnen.
Ende September 1995 erklärten die Beschwerdeführerin und ihr Lebenspartner gegenüber den Beklagten die Kündigung des Mietvertrages zum 31. Dezember 1996. In dem von ihrem Prozeßbevollmächtigten verfaßten Kündigungsschreiben heißt es:
“… ich kündige hiermit nochmals namens und in Vollmacht der von mir vertretenen Frau D.… sowie Herrn Dr. F.… den Mietvertrag gemäß § 564b Abs. 4 BGB zum 31. Dezember 1996. …Unabhängig von der Vorschrift des § 564b Abs. 4 BGB wird die Kündigung auf folgendes gestützt: Bei meiner Mandantschaft besteht Eigenbedarf an dem Hause. Herr Dr. F.… siedelt nach Hamburg um und hat derzeit noch keine Wohnung. Frau D.… wohnt mit dem Kind im Dachzimmer des Hauses und hat für sich und das Kind eine Grundfläche von ca. 17 qm zur Verfügung. Auch Herr Dr. F.… beabsichtigt, das Haus zu beziehen und zu bewohnen, so daß von daher der Eigenbedarf begründet ist. …”
- Da die Beklagten sich weigerten, der Kündigung Folge zu leisten, erhoben die Beschwerdeführerin und ihr Lebenspartner im Ausgangsverfahren Räumungsklage. Dieser gab das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf im März 1997 statt. Begründet wurde die Entscheidung damit, daß sowohl die Einliegerkündigung als auch die hilfsweise geltend gemachte Eigenbedarfskündigung wirksam seien. Für letztere komme es insbesondere nicht darauf an, ob auch der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin, der Kläger zu 2), tatsächlich plane, in das Haus einzuziehen. Der Selbstnutzungswunsch sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht daraufhin zu überprüfen, ob er aufgrund der Größe des Hauses sinnvoll sei. Für einen Mißbrauch bestehe im vorliegenden Fall insoweit jedenfalls kein Anhaltspunkt. Die Beschwerdeführerin, die Klägerin zu 1), wolle zusammen mit ihrer Tochter das Haus nutzen, welches zur Zeit auch nur von zwei Personen bewohnt werde.
- Auf die Berufung der Beklagten änderte das Landgericht Hamburg das amtsgerichtliche Urteil durch das angegriffene Urteil vom 25. September 1997 ab und wies die Klage insgesamt ab. Zur Begründung führte es aus, daß die Kündigung des Mietverhältnisses unwirksam sei. Das Kündigungsschreiben erfülle nicht die Anforderungen an eine wirksame Kündigung nach § 564b Abs. 4 BGB. Die Kündigung sei aber auch insoweit unwirksam, als sie hilfsweise auf ein berechtigtes Interesse i.S. des § 564b Abs. 1 BGB, namentlich auf Eigenbedarf der Kläger gemäß § 564b Abs. 2 Ziff. 2 BGB, gestützt sei. Äußerst fraglich sei bereits, ob die Darlegung der Gründe für den Nutzungswunsch der Kläger im Kündigungsschreiben überhaupt der Anforderung gerecht werde, die Gründe so konkret und vor allem ausführlich anzugeben, daß sie auch auf ihre Vernünftigkeit hin nachgeprüft werden können, insbesondere da hier der Wunsch des Klägers zu 2) nach einem Arbeitsplatzwechsel nach Hamburg nur ganz allgemein und oberflächlich angeführt werde. Jedenfalls fehle es aber an jeglichem Beweisantritt für den von den Beklagten insoweit substantiiert angezweifelten Nutzungswunsch des seit nahezu 20 Jahren in Leer arbeitenden Klägers zu 2).
Entscheidungsgründe
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin u.a. die Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG und beantragt zugleich eine “vorgezogene Bearbeitung (ihrer) Angelegenheit”, da sie ein zweites Kind erwarte und ihr durch das angegriffene Urteil die nötigen räumlichen Mindestbedingungen zum Großziehen von zwei Kindern verwehrt würden. Zur Begründung trägt sie u.a. vor, daß in dem Urteil mit keinem Wort auf ihren und den Eigenbedarf ihres Kindes eingegangen werde. Lediglich der Eigenbedarf des Kindesvaters werde eingehend angezweifelt. Dies stelle einen Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG dar. Ihr Eigenbedarf sei schließlich unabhängig von dem ihres Lebenspartners zu beurteilen. Der Sinn des Kündigungsschutzes werde im vorliegenden Fall völlig überzogen ausgelegt. Schließlich bestünden auch weder sachliche noch finanzielle Gründe dafür, daß man den Beklagten einen Auszug aus dem Haus nicht zumuten könne.
III.
1. Die Justizsenatorin der Freien und Hansestadt Hamburg hat ihre Stellungnahme auf die Frage beschränkt, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Kündigungsschreiben nach § 564b Abs. 4 BGB gestellt werden dürfen und hat hierzu ausgeführt, daß die Vorschrift als solche verfassungsgemäß sei und auch die vom Landgericht vorgenommene Auslegung und Anwendung der Vorschrift keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne.
2. Die Beklagte zu 1) führt in ihrer Stellungnahme aus, daß sich dem Kündigungsschreiben nicht entnehmen lasse, daß die Beschwerdeführerin eine Änderung ihrer momentanen Wohnsituation auch ohne den Zuzug ihres Lebensgefährten erstrebe. Ausdrücklich beziehe sich der Eigenbedarf im dritten Satz des Kündigungsschreibens allein auf den Kläger zu 2). Insofern müsse es sich die Beschwerdeführerin anrechnen lassen, daß die Begründung der Eigenbedarfskündigung äußerst knapp gehalten sei und damit einer mißverständlichen Deutung unterliegen könne. Die Beschwerdeführerin habe auch im Verfahrensverlauf zu keiner Zeit darauf hinweisen lassen, daß sie einen vom Zuzug des Klägers zu 2) unabhängigen Eigenbedarf geltend machen wolle. Erst die dramatische Schilderung der Wohnsituation in der Verfassungsbeschwerde lasse erkennen, daß die Beschwerdeführerin einen eigenen Eigenbedarf geltend machen wolle. Dies hätte im Kündigungsschreiben zweifelsfrei zum Ausdruck kommen müssen. Jedenfalls habe das Landgericht mit seinem Verständnis des Kündigungsschreibens eine nachvollziehbare und vertretbare Interpretation vorgenommen.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 14 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
1. Das angegriffene Urteil verstößt gegen Art. 14 Abs. 1 GG.
a) Das grundgesetzlich geschützte Eigentum gewährt seinem Inhaber das Recht, die Sache zur Grundlage eigenverantwortlicher Lebensgestaltung zu machen und sie zu nutzen, wie er dies nach seinen Plänen für nützlich hält (vgl. BVerfGE 52, 1 ≪30≫). Zur Substanz des Eigentums gehört auch die Freiheit, den Eigentumsgegenstand selbst zu nutzen. Mit der Vermietung begibt der Eigentümer sich nicht endgültig dieser Befugnis. Das haben die Gerichte zu berücksichtigen, wenn sie in Anwendung des § 564b Abs. 2 Ziff. 2 BGB über eine auf Eigenbedarf gestützte Kündigung zu urteilen haben. Sie müssen die Entscheidung des Eigentümers über seinen Wohnbedarf grundsätzlich achten (vgl. BVerfGE 79, 292 ≪304 f.≫). Es unterliegt der alleinigen, sich aus dem Eigentumsrecht ergebenden Befugnis des Vermieters zu bestimmen, welchen Wohnbedarf er für sich und seine Angehörigen als angemessen ansieht (vgl. BVerfGE 68, 361 ≪373 f.≫). Es ist nicht Sache des Gerichts, den geltend gemachten Wohnbedarf daraufhin zu überprüfen, ob er aus Gründen der Wohnraumbewirtschaftung gerechtfertigt ist, etwa weil der Vermieter und seine Angehörigen bisher unzureichend untergebracht sind (vgl. BVerfGE 68, 361 ≪374≫).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen verstößt die angegriffene Entscheidung gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Sie geht davon aus, daß die streitige Kündigung schon deshalb unwirksam sei, weil der Eigenbedarf des Lebensgefährten der Beschwerdeführerin nicht substantiiert, insbesondere unter Beweisantritt dargelegt sei. Bei einer Mehrheit von Vermietern genügt es jedoch, wenn der Eigenbedarf nur bei einem von ihnen gegeben ist (vgl. z.B. Palandt, Kommentar zum BGB, § 564b Rn. 44; Ermann, Handkommentar zum BGB, § 564b Rn. 17; Münchener Kommentar zum BGB, § 564b Rn. 58; LG Hamburg, DWW 1991, S. 189; OLG Karlsruhe, NJW 1990, S. 3278; LG München, WuM 1990, S. 211). Im vorliegenden Fall hatte nicht nur der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin, sondern auch diese selbst Eigenbedarf geltend gemacht. In dem streitigen Kündigungsschreiben heißt es “… Bei meiner Mandantschaft besteht Eigenbedarf an dem Hause. … Frau D.… wohnt mit dem Kind im Dachzimmer des Hauses und hat für sich und das Kind eine Grundfläche von 17 qm zur Verfügung. …”. Bei dieser Sachlage konnte sich das Landgericht nicht darauf beschränken, die Kündigung bereits deshalb als unwirksam anzusehen, weil schon der Eigenbedarf des Lebensgefährten der Beschwerdeführerin nicht dargelegt sei. Vielmehr hätte es sich auch mit dem geltend gemachten Eigenbedarf der Beschwerdeführerin auseinandersetzen müssen. Indem es dies versäumt hat, hat es den Schutzbereich und die Bedeutung des Eigentumsgrundrechts der Beschwerdeführerin verkannt.
Entgegen der in ihrer Stellungnahme geäußerten Auffassung der Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens kann dem auch nicht entgegengehalten werden, daß sich aus dem Kündigungsschreiben kein vom Zuzug des Lebensgefährten unabhängiger Eigenbedarf der Beschwerdeführerin ergebe. Abgesehen davon, daß sich dem angegriffenen Urteil eine derartige Auslegung des Kündigungsschreibens nicht entnehmen läßt, dürften die Umstände des Falles auch gegen eine solche Interpretation sprechen. Wie auch den Beklagten schon im Zeitpunkt der Kündigung bekannt war, wohnt die Beschwerdeführerin bereits seit März 1995 ohne ihren Lebensgefährten in beengten Verhältnissen im linken Giebelbereich des Hauses. Schon dies spricht für einen vom Zuzug des Lebensgefährten unabhängigen Eigenbedarf der Beschwerdeführerin. Demgemäß hatte schon das Amtsgericht als Vorinstanz offenbar keinen Zweifel daran, daß der in dem streitigen Kündigungsschreiben geltend gemachte Eigenbedarf der Beschwerdeführerin unabhängig vom Zuzug des Lebensgefährten sein sollte (vgl. Bl. 50 f. der Akten des Ausgangsverfahrens). Aus dem im Berufungsverfahren von der Beschwerdeführerin vorgelegten Schreiben der Beklagten zu 1) vom 14. Oktober 1993 (Bl. 95 f., 93 f. der Akten des Ausgangsverfahrens) geht deutlich hervor, daß es der Beschwerdeführerin selbst darum geht, in das Haus zu ziehen und die Beklagte zu 1) dies zu verhindern sucht. Zudem hat die Beschwerdeführerin selbst in ihrem an das Landgericht gerichteten Schriftsatz vom 1. Juli 1997 ausgeführt, daß sie das Gericht darum bitte, “auch meine Situation zu werten und mein Recht auf das Haus nach einer durchaus angemessenen Wartezeit von nunmehr zweieinhalb Jahren seit meinem Einzug in die beengten 28 qm des Giebelbereichs zu schützen”.
c) Die Entscheidung beruht auch auf der Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Landgericht eine andere Entscheidung getroffen hätte, wenn es berücksichtigt hätte, daß sich die Wirksamkeit der Kündigung auch allein aus dem mit dem Kündigungsschreiben im Lichte des Art. 14 Abs. 1 GG auch hinreichend konkret geltend gemachten Eigenbedarf der Beschwerdeführerin ergeben kann.
Die Räumungsklage hätte auch nicht etwa deshalb ohnehin keinen Erfolg, weil die streitige Kündigung möglicherweise nicht allen Mietern gegenüber ausgesprochen wurde. Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist zwar streitig, ob die Kündigung auch gegenüber den Erben des 1990 verstorbenen Mitmieters hätte erklärt werden müssen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß das Landgericht, das diese Frage in der angegriffenen Entscheidung ausdrücklich hat dahinstehen lassen, nicht ebenso wie zuvor bereits das Amtsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß es einer Kündigung gegenüber den Erben nicht bedarf.
2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
3. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Haas, Steiner
Fundstellen