Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwaltungsgerichtliche Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache
Beteiligte
Rechtsanwälte Rudolf von Bracken und Partner |
Verfahrensgang
VG Hamburg (Zwischenurteil vom 01.07.1997; Aktenzeichen 13 VG 6544/96) |
Tenor
1. Der Beschluß des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 1. Juli 1997 - 13 VG 6544/96 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht Hamburg zurückverwiesen.
2. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine verwaltungsgerichtliche Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache.
1. Dem Beschwerdeführer war nach seiner Zulassung zum Eignungsfeststellungsverfahren nach § 2 Abs. 2 des Hamburgischen Gesetzes über die öffentliche Bestellung und allgemeine Vereidigung von Dolmetschern und Übersetzern – DolmG – vom 23. September 1986 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1986, S. 291) im Januar 1993 mehr als drei Jahre lang kein Prüfungstermin zur Ablegung des Eignungsverfahrens mitgeteilt worden. Nach Erhebung einer auf Durchführung der Prüfung gerichteten Klage im November 1996 lud die zuständige Behörde ihn zum Prüfungstermin am 24. Februar 1997. Das Verwaltungsgericht Hamburg stellte das Gerichtsverfahren aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen der Beteiligten ein und verpflichtete den Beschwerdeführer zur Kostentragung. Dieser habe keinen Anspruch auf Durchführung des Prüfungsverfahrens zu einem bestimmten Termin gehabt, so daß er bei Fortsetzung des Rechtsstreits voraussichtlich unterlegen wäre. Die zuständige Behörde habe hinreichend dargelegt, sich um einen früheren Prüfungstermin bemüht zu haben; dies sei an Kapazitätsengpässen und der komplizierten Terminsabstimmung zwischen den beteiligten Prüfern gescheitert. Mehr als diese Bemühungen könne der Beschwerdeführer nicht verlangen.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Die Dauer des Prüfungsverfahrens sei unangemessen lang und verletze ihn in seiner Berufsausübungsfreiheit. Der der Behörde einzuräumende Spielraum für die Durchführung des Prüfungsverfahrens könne nicht so weit ausgedehnt werden, daß diese über vier Jahre kein einziges Prüfungsverfahren ansetze.
3. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert.
II.
Die Kammer nimmt gemäß § 93 b BVerfGG die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde ist stattzugeben. Die Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
1. Sieht ein Gesetz die staatliche Anerkennung einer beruflichen Qualifikation vor, so ist hierin eine die Berufsfreiheit berührende Regelung zu sehen (BVerfGE 86, 28 ≪37≫). Dies gilt auch dann, wenn durch die zusätzliche berufliche Qualifikation nicht Art und Umfang der beruflichen Betätigung reglementiert, sondern (lediglich) der Wettbewerb zwischen den Berufsangehörigen und damit deren berufliche Entfaltungsmöglichkeiten beeinflußt werden (BVerfG, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfGE 82, 209 ≪223≫).
Eine Berufsausübungsregelung, wie sie das Hamburgische Gesetz über die öffentliche Bestellung und allgemeine Vereidigung von Dolmetschern und Übersetzern enthält, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn ihr schutzwürdige Belange des Gemeinwohls zugrunde liegen, wenn sie nach Art und Ausmaß geeignet und erforderlich ist, den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck zu erreichen und wenn eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe ergibt, daß die Grenzen der Zumutbarkeit eingehalten sind (BVerfGE 7, 377 ≪405≫; 30, 292 ≪319≫; 47, 285 ≪321≫; 65, 116 ≪125 f.≫; 77, 308 ≪332≫; 85, 248 ≪259≫).
Darüber hinaus folgen aus Art. 12 Abs. 1 GG Anforderungen an das Prüfungsverfahren selbst. Dieses muß so ausgestaltet sein, daß der Bedeutung des Verfahrens für den Grundrechtsschutz Rechnung getragen wird (BVerfGE 52, 380 ≪389≫; 84, 34 ≪45≫). Hierzu gehört, daß das Prüfungsverfahren binnen angemessener Zeit durchgeführt wird. Welcher Zeitraum insoweit angemessen ist, läßt sich nicht generell festlegen. Dessen Dauer wird vom Fachgebiet, von dem erforderlichen personellen, materiellen und organisatorischen Aufwand sowie von der Zahl der Examenskandidaten abhängen. Jedenfalls ist der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG bei der Gestaltung des Prüfungsverfahrens auch dadurch Rechnung zu tragen, daß die Wartezeit den einzelnen Prüfungsanwärter nicht unzumutbar belastet. Zwar besteht auf seiten der Prüfungsbehörde ein Gestaltungsspielraum für die Entscheidung, welches Gewicht sie den einzelnen von ihr wahrzunehmenden Aufgaben verleiht und wie sie die ihr zur Verfügung stehenden Kapazitäten einsetzt. Dieser wird jedoch durch die Zumutbarkeit für den Prüfling eingegrenzt.
2. Der Beschluß des Verwaltungsgerichts Hamburg trägt der Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG für die Frage des Prüfungszeitraums nicht hinreichend Rechnung.
Auslegung und Anwendung des Gesetzesrechts sind Aufgabe der Fachgerichte und können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (BVerfGE 85, 248 ≪257 f.≫ m.w.N.).
Derartige Fehler sind in der angegriffenen Entscheidung festzustellen. Zwar hat das Verwaltungsgericht erkannt, daß Art. 12 Abs. 1 GG in die Auslegung des Gesetzesrechts ausstrahlt. Es hat aber die grundrechtlich geschützten Belange des Beschwerdeführers nicht hinlänglich berücksichtigt. Seine Entscheidung beruht auf der Rechtsauffassung, der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf Durchführung der Prüfung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes. Die Kapazitätsgrenzen der Verwaltung betrachtet es als absolute Schranke, und nur bei böswilliger Vereitelung einer objektiv früheren Prüfung sieht es Anlaß zu gerichtlichem Einschreiten.
Damit verkennt das Verwaltungsgericht Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG grundlegend. Liegen zwischen der Zulassung zur Prüfung und deren Durchführung – wie hier – mehr als vier Jahre, so wird der grundrechtlich verankerte Anspruch auf Ausübung eines Berufs mit der durch die Prüfung vermittelten zusätzlichen Qualifikation in unzumutbarer Weise verkürzt. Mit seinem Antrag auf Zulassung zur Prüfung behauptet der Kandidat, im Besitz der Fähigkeiten zu sein, die ihm aufgrund erfolgreich abgelegter Prüfung bestätigt werden. Der Kandidat muß sich dem im Interesse der mit den Prüfungsanforderungen verfolgten öffentlichen Belange unterwerfen. Diese Einschränkungen der ihm grundrechtlich verbürgten Position bedürfen nicht nur hinsichtlich der gestellten Anforderungen, sondern auch im Hinblick auf die Dauer des Verfahrens einer hinreichend gewichtigen sachlichen Rechtfertigung. Die Verwaltung muß grundsätzlich dafür Sorge tragen, daß Prüfungen ohne unnötige Verzögerungen abgenommen werden können. Sie hat es in der Hand, das Prüfungsverfahren so auszugestalten, daß sie diese Anforderung mit den ihr zur Verfügung stehenden Kapazitäten erfüllen kann. Gelegentlich auftretende Engpässe können unvermeidbar sein und sind dann auch vom Kandidaten hinzunehmen. Gründe dafür, daß dem Beschwerdeführer vorliegend eine Prüfungsdauer von vier Jahren zugemutet werden konnte, sind nicht ersichtlich.
Die angegriffene Entscheidung ist aufzuheben, und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Soweit das Gericht seine erneute Entscheidung auf die Erfolgsaussichten der Klage stützt, wird es die beanstandete Prüfungsdauer im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG zu prüfen haben.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a BVerfGG.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Steiner
Fundstellen
Haufe-Index 543422 |
NJW 1999, 3480 |
NWB 1999, 2166 |
EuGRZ 1999, 359 |
NVwZ 1999, 1102 |
NVwZ 1999, 748 |
DVBl. 1999, 978 |