Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungswidrige Verweisung auf Alternativobjekt bei Eigenbedarfskündigung: Grenzen fachgerichtlicher Auslegung und Wohnbedarfsprüfung gemäß GG Art 14. Nutzungswunsch und Dispositionsbefugnis des Vermieters. Umfang verfassungsgerichtlicher Kontrolle
Leitsatz (redaktionell)
Gerichte überschreiten die durch Art 14 Abs 1 Satz 1 GG gezogenen Grenzen, wenn sie bei der Anwendung des § 564b Abs 2 Nr 2 BGB (sogenannter Eigenbedarf) den Eigentümer auf ein gewerblich genutztes Alternativobjekt verweisen (Bestätigung und Fortführung von BVerfG, 1989-02-14, 1 BvR 308/88, BVerfGE 79, 292).
Orientierungssatz
1. Der Gesetzgeber hat in BGB § 564b Abs 2 für die praktisch bedeutsamsten Fallgruppen selbst geregelt, unter welchen Umständen der Erlangungswunsch des Eigentümers Vorrang vor dem Beharrungsinteresse des Mieters hat. Die Fachgerichte haben die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen (vgl BVerfG, 1985-01-08, 1 BvR 792/83, BVerfGE 68, 361) zu beachten und die gesetzlichen Vorgaben nachzuvollziehen, sie dürfen sie nicht unter Rückgriff auf die Sozialklausel (GG Art 14 Abs 2) korrigieren und durch ein eigenes Abwägungsergebnis ersetzen.
2. Bei der Eigenbedarfskündigung stehen sich zwei Nutzungsinteressen mit starkem personalen Bezug gegenüber; den Interessen des Vermieters kommt in diesem Konflikt stärkere Durchsetzungsfähigkeit zu, weil ihm die Räume als Eigentum zugeordnet sind. Die Gerichte haben nicht nur den Selbstnutzungswunsch des Vermieters zu respektieren, sondern auch seine Entscheidung, wie er über die Nutzung seiner sonstigen Eigentumsgegenstände - schon vor dem Auftreten des Eigenbedarfs - disponiert hat (vgl BVerfG, 1979-06-12, 1 BvR 19/76, BVerfGE 52, 1); auch den Entschluß, weitere Immobilien gewerblich und als finanzielle Grundlage für die eigenverantwortliche Lebensgestaltung (vgl BVerfG, 1977-12-07, 1 BvR 734/77, BVerfGE 46, 325 ≪334≫) zu nutzen, ist zu akzeptieren (hier: Verweisung des Vermieters auf eine gleich große, als Ferienwohnung gewerblich genutzte Wohnung verstößt gegen Eigentumsgarantie).
3. Abweichende Meinung: die Senatsmehrheit hat die Grenzen verfassungsgerichtlicher Kontrolle der Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte unter Verkennung des Regelungsgehalts von GG Art 14 überschritten; Auslegung und Anwendung des - verfassungsmäßigen - BGB § 564b kann nur gegen GG Art 14 Abs 1 S 1 verstoßen, wenn sie keinerlei Stütze im Gesetz mehr findet oder die Eigentumsgarantie in Bedeutung und Tragweite grundlegend verkennt und hierauf die Entscheidung beruht.
a) Die Auslegung von BGB § 564b Abs 2 Nr 2, der Eigentümer benötige eine Wohnung nur dann, wenn er sich seinen Wohnbedarf nicht mittels einer anderen ihm gehörenden, ohne Kündigung verfügbaren Wohnung wesentlich gleicher Beschaffenheit befriedigen könne, der Rückgriff auf zu Ferienwohnzwecken vermietete Wohnung sei insoweit zumutbar, hält sich im Rahmen zulässiger richterlicher Rechtsanwendung ohne Verstoß gegen die Gesetzesbindung und verstößt nicht gegen GG Art 14 Abs 1 S 1.
b) Aus GG Art 14 Abs 1 S 1 läßt sich auch keine verfassungsrechtliche Pflicht zu einer anderen Auslegung von BGB § 564b Abs 2 S 2 ableiten; die obige Auslegung verkennt weder den Kernbestand des Eigentumsschutzes noch belastet sie den Eigentümer zugunsten des Mieters unzumutbar, zumal die Entscheidung eine Stütze in GG Art 14 Abs 2 findet und auch der Rechtsprechung des BVerfG (1989-02-14, 1 BvR 1131/87, BVerfGE 79, 283 ≪289f≫) entspricht, wonach das Eigentümerinteresse an der wirtschaftlichen Wohnraumverwertung, das hier dem Rückgriff auf das Alternativobjekt im Wege steht, weniger schutzwürdig ist als der Eigennutzungswunsch.
4. Zur Prüfung des Eigenbedarfs vgl auch BGH, 1988-01-20, VIII ARZ 4/87, BGHZ 103, 91.
Normenkette
GG Art. 14 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2, Art. 20 Abs. 3; BGB § 564b Abs. 1, 2 Nrn. 2-3
Verfahrensgang
LG Landau (Pfalz) (Entscheidung vom 09.03.1989; Aktenzeichen 2 S 104/88) |
Fundstellen
Haufe-Index 543574 |
BVerfGE, 29 |
NJW 1990, 309 |
JZ 1990, 234 |
DVBl. 1990, 170 |