Beteiligte
Rechtsanwalt Iñigo Schmitt-Reinholtz |
Verfahrensgang
Tenor
Der Beschluss des Kammergerichts vom 17. Februar 2000 – (4) 1 Ss 418/99 (5/00) –, das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. September 1999 – (568) 81 Js 2304/97 Ns (1/99) – und das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 2. November 1998 – 243 Ds 38/98 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Tiergarten in Berlin zurückverwiesen.
Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 20.000 DM (in Worten: zwanzigtausend Deutsche Mark) festgesetzt.
Tatbestand
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole, § 90 a StGB. Er rügt eine Verletzung seines Grundrechts auf Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
I.
1. Im September 1997 fand in Berlin-Kreuzberg eine angemeldete Versammlung unter dem Motto „Freiheit für Ulli” statt, an welcher der Beschwerdeführer als Versammlungsleiter teilnahm. Thema der Veranstaltung war die vorangegangene Inhaftierung des Ulrich L., der später wegen Abspielens des Liedes „Deutschland muss sterben” der Hamburger Punkrock-Gruppe „Slime” verurteilt wurde. Die Kundgebung, an der etwa 50 Personen teilnahmen, die von mehreren Polizisten begleitet wurden, dauerte ungefähr 1 ½ Stunden und enthielt Rede- und Musikbeiträge. Im Verlauf der Veranstaltung wurde der Beschwerdeführer durch einen Beamten der Polizei mehrfach darauf hingewiesen, dass das genannte Lied nicht abgespielt werden dürfe. Gegen Ende der Kundgebung legte der Beschwerdeführer dennoch eine Musikkassette mit dem Lied „Deutschland muss sterben” der Gruppe Slime in eine Musikanlage ein. Das von einem Lautsprecherwagen in großer Lautstärke abgespielte und für die Versammlungsteilnehmer, die den Liedtext teilweise mitsangen, gut wahrnehmbare Lied hat nach Feststellung der Staatsanwaltschaft und der Gerichte folgenden Text, den auch der Beschwerdeführer bei seiner Verfassungsbeschwerde zugrunde legt:
Wo Faschisten und Multis das Land regiern,
wo Leben und Umwelt keinen interessieren,
wo alle Menschen ihr Recht verliern,
da kann eigentlich nur noch eins passieren:
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können.
Schwarz ist der Himmel und rot ist die Erde,
stolz [richtig: gold] sind die Hände jener Bonzenschweine,
doch der Bundesadler stürzt bald ab,
denn Deutschland, wir tragen Dich zu Grab.
Wo Faschisten und Multis das Land regiern,
wo Leben und Umwelt keinen interessieren,
wo alle Menschen ihr Recht verliern,
da kann eigentlich nur noch eins passieren:
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können.
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können.
Wo Raketen und Panzer den Frieden sichern,
AKW's und Computer das Leben verbessern,
bewaffnete Roboter überall,
doch Deutschland, wir bringen Dich zu Fall.
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können.
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können,
Deutschland muß sterben, damit wir leben können.
Deutschland verrecke, damit wir leben können,
Deutschland!
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist das Lied nicht als jugendgefährdend indiziert; Tonaufzeichnungen davon sind im Handel frei erhältlich.
2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen einer Straftat nach § 90 a StGB zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 25 DM. Er habe durch Abspielen des Liedes bei einer Versammlung die Bundesrepublik Deutschland beschimpft und böswillig verächtlich gemacht. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut des Liedtextes und den konkreten Umständen des Abspielens. Die Strafbarkeit des Beschwerdeführers nach § 90 a Abs. 1 StGB sei auch dann begründet, wenn das Abspielen des Liedes im Verlauf der Demonstration dem so genannten Wirkbereich eines Kunstwerkes zugerechnet werde, so dass der Schutzbereich der Kunstfreiheit, dem der Beschwerdeführer auch als bloßer Vermittler eines Kunstwerkes unterliege, berührt sei. Als rechtsstaatlich verfasste Demokratie sei die Bundesrepublik Deutschland in ihrem von der inneren Zustimmung ihrer Bürger abhängigen Bestand auf ein Mindestmaß an Achtung dieser Bürger ihr gegenüber angewiesen, auch um die Grundrechtsausübung und damit die Kunstfreiheit selbst wirksam gewährleisten zu können. Darin liege ein verfassungsrechtlich, aber auch durch § 90 a StGB geschütztes Rechtsgut, das im vorliegenden Fall betroffen sei und gegenüber dem die Berufung auf die Kunstfreiheit unter den konkreten Umständen versage. Die Berufung des Beschwerdeführers gegen dieses Urteil wurde vom Landgericht verworfen. Nach den tatsächlichen Feststellungen habe sich der Beschwerdeführer einer Straftat nach § 90 a Abs. 1 StGB schuldig gemacht. Er könne sich auch nicht auf die „Kunst- und Meinungsfreiheit” berufen. Der Schutzbereich dieser Grundrechte sei durch § 90 a Abs. 1 StGB eingeschränkt. Die vom Beschwerdeführer zum Kammergericht eingelegte Revision blieb ohne Erfolg. Die Prüfung des Urteils auf die allein erhobene allgemeine Sachrüge decke zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler auf.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch die Entscheidungen von Kammergericht, Landgericht und Amtsgericht. Durch das Abspielen des Liedes auf einer Versammlung mit lediglich 50 Teilnehmern sei die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht ernstlich gefährdet worden. Zu einer Einschränkung seines grundsätzlich schrankenlos gewährleisteten Grundrechts der Kunstfreiheit gebe sein Verhalten jedenfalls keinen Anlass.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
2. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 30, 173 ≪187 ff.≫; 67, 213 ≪222 ff.≫; 75, 369 ≪376 ff.≫; 81, 278 ≪289 ff.≫; 81, 298 ≪304 ff.≫).
3. Der Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG stattzugeben. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seiner durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Kunstfreiheit. Die Gerichte haben den Schutzbereich dieses Grundrechts unzutreffend bestimmt und die der Kunstfreiheit gesetzten Schranken im Einzelnen nicht richtig beurteilt.
a) Das Landgericht und ihm folgend das Kammergericht verstellen sich den Blick auf die Anforderungen, die sich bei der Würdigung des Liedes aus der Kunstfreiheit ergeben, von vornherein durch eine verengte Sicht von der Bedeutung und Tragweite dieses vorbehaltlos gewährten Grundrechts. Das Landgericht führt aus, der Beschwerdeführer könne sich nicht auf die „Kunst- bzw. Meinungsfreiheit” berufen, da der Schutzbereich dieser Grundrechte durch § 90 a Abs. 1 StGB eingeschränkt sei. Damit verkennt es, dass für die Kunstfreiheit weder die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG noch die des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG gelten (vgl. BVerfGE 30, 173 ≪191 ff.≫). Die Freiheit der Kunst findet ihre Grenzen allein in den Grundrechten Dritter in anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern (vgl. BVerfGE 81, 278 ≪292≫). Daher schließt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG eine Bestrafung nach § 90 a Abs. 1 StGB wegen Verunglimpfens oder böswilligen Verächtlichmachens der Bundesrepublik Deutschland nicht generell aus (vgl. BVerfGE 81, 278 f.; 81, 298 ff.). Im Lichte des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG darf der Schutz des Staates und seiner Symbole nach § 90 a StGB aber nicht zu einer Immunisierung des Staates gegen Kritik und selbst gegen Ablehnung führen. Vielmehr bedarf es stets einer einzelfallbezogenen Abwägung der widerstreitenden Verfassungsrechtsgüter (vgl. BVerfGE 81, 278 ≪294≫).
b) Das Amtsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass das Lied als Kunstwerk im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG anzusehen und die Handlung, derentwegen der Beschwerdeführer bestraft wurde, dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zuzuordnen ist (vgl. zum Folgenden auch BVerfGE 81, 298 ≪305 f.≫).
aa) Das Lied „Deutschland muss sterben” ist Kunst im Sinne dieses Grundrechts. Dies ergibt sich sowohl bei ausschließlich formaler Betrachtungsweise, weil die Gattungsanforderungen des Werktyps „Komposition” und „Dichtung” erfüllt sind, als auch bei einer eher inhaltsbezogenen Definition des Kunstbegriffs. Der Verfasser benutzt die Formensprache eines Liedes, um seine Erfahrungen und Eindrücke zu bestimmten Vorgängen mitzuteilen, die man unter der Überschrift „Bedrohliche Lebensumstände in Deutschland” zusammenfassen könnte. Da eine wertende Einengung des Kunstbegriffs mit der umfassenden Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren ist, kommt es bei der verfassungsrechtlichen Einordnung und Beurteilung auf die „Höhe” der Dichtkunst nicht an.
bb) Durch die Kunstfreiheit geschützt ist auch die Verbreitung des Liedes, also der Wirkbereich des Kunstwerks. Dieser Wirkbereich ist auch hier betroffen (vgl. BVerfGE 81, 298 ≪305 f.≫). Zwar hat der Beschwerdeführer das Lied vor allem deswegen abgespielt, um gegen die Inhaftierung eines anderen wegen des Abspielens des Liedes zu protestieren. Diese Absicht und ihre Einbettung in eine öffentliche Versammlung ändern jedoch nichts daran, dass das Lied selbst in seiner Wirkung auf das Publikum zur Geltung gebracht und damit als solches verbreitet wurde. Gerade dieser Akt der Verbreitung ist auch Anlass der Strafverfolgung, gegen die die Verfassungsbeschwerde sich richtet.
c) Bei seiner Würdigung des Textes berücksichtigt das Amtsgericht aber nicht die der Kunst eigentümlichen Strukturmerkmale (vgl. BVerfGE 30, 173 ≪188≫) und verfehlt damit eine werkgerechte Interpretation (vgl. BVerfGE 75, 369 ≪376≫). Von daher kommt es zu einer Grenzziehung zwischen Kunstfreiheit und widerstreitenden Verfassungswerten, die den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht gerecht wird.
aa) In seinem Urteil hebt das Gericht undifferenziert auf den „zu Gehör gebrachten Wortlaut des inkriminierten Liedes” ab, „welcher unmissverständlich zum Ausdruck” bringe, „dass sich eine Besserung der Lage für die Staatsbürger nur durch eine Vernichtung des Staatssystems der Bundesrepublik Deutschland erreichen lassen soll”. Diese Interpretation wird dem satirischen, verfremdenden und metaphorischen Gehalt des Werks jedoch nicht gerecht. Bei dem Lied „Deutschland muss sterben” handelt es sich erkennbar um eine plakative, drastische Kritik mit satirischem Einschlag an gesellschaftlichen und politischen Zuständen in Deutschland. Charakteristisches Merkmal dieser Kunstform ist, dass der Aussagekern mit symbolhaft überfrachteten Bildern verbrämt und in karikaturhaft überzeichneten Ausdrücken umschrieben wird; typisch sind auch Anspielungen auf zeitgeschichtliche Vorgänge und literarische Reminiszenzen. Das Amtsgericht hätte daher bei der Beantwortung der Frage, ob das Lied die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 90 a StGB verunglimpft, den in der künstlerischen Einkleidung verborgenen Aussagekern ermitteln müssen (vgl. BVerfGE 75, 369 ≪377 f.≫).
bb) Die kritische Absicht des Liedes ist unverkennbar. Deutlich, wenn auch undifferenziert und plakativ, werden etwa Missstände in den Bereichen Politik, Umweltverschmutzung, Kriegsgefahr (Raketen und Panzer sichern den Frieden) sowie der rapide Wandel durch technische Neuerungen (Atomkraftwerke und Computer zur Lebensverbesserung, bewaffnete Roboter) angeprangert. Verantwortlich gemacht für die heillosen Zustände wird der Staat „Deutschland”. Dieser Aussagekern wird durch Vers, Reim und Melodie verfremdet und emotionalisiert. Mit der Refrainzeile: „Deutschland muss sterben, damit wir leben können” wird ein gängiges dichterisches Stilmittel verwendet, mit dem ein Lebensgefühl von Fremdheit und Hoffnungslosigkeit in aggressiver Zuspitzung vermittelt werden soll. Dabei bedient sich das Lied typischer Formen und Inhalte des Punkrock. Bei der strafrechtliche Würdigung des Liedes dürfen diese Elemente der künstlerischen Einkleidung dem Aussagekern nicht zugerechnet werden.
cc) Der künstlerische Anspruch des Liedes und die daraus resultierenden Anforderungen an eine diesem Anspruch gerecht werdende Interpretation werden durch ein – ungleich bedeutenderes – literarisches Vorbild verdeutlicht, das sowohl formal als auch im Ansatz und in der Metaphorik weitgehende Ähnlichkeit aufweist. In einem 1844 erschienenen Gedicht formuliert Heinrich Heine eine kaum weniger radikale und bittere Kritik an den Zeitumständen, und auch er sieht sein Vaterland dem Untergang geweiht:
Die schlesischen Weber
Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,Wir weben hinein den dreifachen Fluch
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßtUnd uns wie Hunde erschießen läßt
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt
Wir weben, wir weben!
Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!
dd) Um den Aussagekern des Liedes „Deutschland muss sterben” in einer der Kunstfreiheit angemessenen Weise zu erkennen, darf auch ein zeitgeschichtlicher Bezug nicht ausgeblendet werden, auf den der Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren hingewiesen hatte. In Hamburg, wo das Lied entstand, gibt es ein 1936 eingeweihtes Denkmal für das Hanseatische Infanterieregiment Nr. 76, welches die Inschrift trägt „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen”. Diese Zeilen gehen auf ein Gedicht von Heinrich Lersch mit dem Titel „Soldatenabschied” zurück, welches kurz nach Ausbruch des 1. Weltkrieges entstand. Anfang der 80-er Jahre hatte eine breite öffentliche, zum Teil emotionale Auseinandersetzung mit dem „76-er Denkmal” und einem in unmittelbarer Nähe aufgestellten „Gegendenkmal” von Alfred Hrdlicka eingesetzt. Die Hamburger Punkrock-Gruppe Slime hatte damals diese Thematik in ihrem Lied aufgegriffen und die provozierende Antithese „Deutschland muss sterben, damit wir leben können” dem in Zeiten des Nationalsozialismus zu Denkmalehren gekommenen Spruch „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen” entgegengesetzt.
ee) Da das Amtsgericht bereits mit seiner Würdigung des Aussagekerns des Liedes zu kurz greift, kann dahingestellt bleiben, ob es die Grenze der Kunstfreiheit bei dem als „Kampfmittel” verwendeten Lied zutreffend bestimmt. Ergänzend sei dazu aber auf Folgendes hingewiesen: Eine Gefährdung des Bestandes der rechtsstaatlich verfassten Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland kann zwar, da es sich um ein verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut handelt, grundsätzlich eine Einschränkung der Kunstfreiheit rechtfertigen. Ob aber, wie das Amtsgericht meint, die ihr gebührende Achtung der Bürger bereits durch das einmalige Abspielen eines dreiminütigen Liedes vor 50 Versammlungsteilnehmern, die offensichtlich durchweg das Lied bereits kannten und mitsangen, ausgehöhlt und untergraben werden kann, erscheint zumindest zweifelhaft.
4. Der Beschluss des Kammergerichts und die Urteile des Landgerichts und des Amtsgerichts sind aufzuheben; die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Gegenstandswertes auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 565235 |
NJW 2001, 596 |
JuS 2001, 700 |
ZUM 2001, 320 |
DVBl. 2001, 278 |
JAR 2001, 114 |
www.judicialis.de 2000 |