Verfahrensgang

BSG (Urteil vom 05.06.1997; Aktenzeichen 12 RK 37/96)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

Im Ausgangsverfahren begehrt die Beschwerdeführerin die Zulassung zur Aufstockung ihrer Pflichtbeiträge für die Zeit von August 1954 bis September 1962 im Wege der Gleichbehandlung mit den Frauen, die zur Beitragsnachzahlung wegen Heiratserstattung zugelassen sind (§ 282 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI).

  • Die Beschwerdeführerin übte von August 1954 bis September 1962 eine versicherungspflichtige Tätigkeit aus. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden ihr weder aus Anlaß der 1962 erfolgten Eheschließung noch aus anderen Gründen erstattet. Von Januar 1984 an entrichtete die Beschwerdeführerin freiwillige Beiträge. Ab September 1990 bezog sie Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die Ende Dezember 1994 in eine Rente wegen Alters umgewandelt wurde.

    Im Mai 1994 beantragte sie bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Zulassung zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit von August 1954 bis September 1962 nach der Regelung über die Nachzahlung bei Heiratserstattung (§ 282 SGB VI). Der Antrag blieb ohne Erfolg. Zuletzt wies das Bundessozialgericht die Revision mit der Begründung zurück, der Beschwerdeführerin stehe ein Recht zur Nachzahlung von Beiträgen nicht zu.

    Die entsprechende Regelung führe zwar zu einer ungleichen Behandlung derjenigen Frauen, die von der Heiratserstattung Gebrauch gemacht hätten, mit denjenigen, die wie die Beschwerdeführerin dieses Recht früher nicht genutzt hätten. Eine vergleichende Gesamtwürdigung der jeweiligen Vor- und Nachteile führe jedoch zu dem Ergebnis, daß Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt sei. § 282 SGB VI habe nur eine Korrektur der Heiratsersattungen herbeiführen sollen. Dieser Zweck rechtfertige es, den Kreis der Berechtigten auf Frauen zu beschränken, die davon Gebrauch gemacht hätten. Die von der Beschwerdeführerin begehrte Aufstockung hätte zudem zu Folgeproblemen einschließlich anderer Ungleichbehandlungen geführt.

  • Mit der gegen das Urteil des Bundessozialgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin vor allem eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG. Gleichheitswidrig sei die Ungleichbehandlung von Frauen, die von der Möglichkeit einer Erstattung von Beiträgen aus Anlaß der Heirat Gebrauch gemacht hätten, im Vergleich zu den Frauen, die auf eine Heiratserstattung verzichtet hätten. Den Frauen, die eine Heiratserstattung erhalten hätten, erlaube § 282 SGB VI die Nachzahlung von Beiträgen “für” die erstatteten Zeiten bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. Demgegenüber bestehe für die Frauen, die sich solidarisch mit der Versichertengemeinschaft gezeigt und von einer Geltendmachung des Erstattungsanspruchs bei Eheschließung keinen Gebrauch gemacht hätten, eine Aufstockungsmöglichkeit nicht. Es sei geboten, sie den nachzahlungsberechtigten Frauen gleichzustellen.
 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

  • Ihre Zulässigkeit unterstellt, kommt der Verfassungsbeschwerde keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die durch sie aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 49, 192 ≪208 f.≫; 94, 241 ≪260 f.≫).
  • Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da sie nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt wird (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫). Insbesondere liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor.

    a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz will vielmehr nur ausschließen, daß eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Die rechtliche Unterscheidung muß also in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden. Innerhalb dieser Grenzen ist der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei (vgl. BVerfGE 94, 241 ≪260≫).

    b) Gemäß § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB VI können die Frauen freiwillige Beiträge für Zeiten nachzahlen, die durch Heiratserstattung entfallen sind. Sie haben die Möglichkeit, die entstandene rentenrechtliche Lücke rückwirkend zu schließen und so ihre rentenrechtliche Sicherung wiederherzustellen. Die Beiträge werden “für” erstattete Zeiten nachbezahlt, also zu den damals geltenden Beitragssätzen und bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (§ 282 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Dieses vorteilhafte Nachzahlungsrecht haben die Frauen nicht, die von der Heiratserstattung keinen Gebrauch gemacht haben.

    c) Gleichwohl ist diese Gruppe in ihrem Gleichheitsrecht nicht verletzt. Wie das Bundessozialgericht zutreffend ausführt, bestehen zwischen beiden Gruppen erhebliche Unterschiede, die eine verschiedene Behandlung rechtfertigen.

    d) Im Falle der Frauen, die eine Heiratserstattung in Anspruch genommen haben, füllt die Nachzahlung eine rentenrechtliche Lücke. Dagegen käme für den Personenkreis, zu dem die Beschwerdeführerin gehört, nur eine Beitragsaufstockung in Betracht. Diese Möglichkeit ist im Rentenrecht an keiner Stelle vorgesehen (vgl. BVerfGE 49, 192 ≪209 f.≫; BSG, im angegriffenen Urteil vom 5. Juni 1997, 12 RK 37/96). Auch ein Nachzahlungsrecht “für” zurückliegende Zeiten in der Gestalt des § 282 SGB VI ist eine Ausnahme im System der Beitragsnachentrichtung (vgl. § 209 Abs. 2 SGB VI). Diese Ausnahmeregelung ist zudem in einer zeitlich begrenzt wirkenden Übergangsregelung enthalten (§ 282 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Der Gleichheitssatz gebietet es nicht, allen Frauen die Möglichkeiten zu eröffnen, die der Gesetzgeber in § 282 SGB VI zur Bereinigung der als sozialpolitisch verfehlt erkannten Heiratserstattung ausnahmsweise und zeitlich begrenzt eingeräumt hat.

  • Vor allem aber zeigt die vom Bundessozialgericht entwickelte Gesamtbetrachtung, daß die Frauen, denen § 282 SGB VI die Möglichkeit einer Nachzahlung eröffnet, nicht in verfassungswidriger Weise gegenüber der Gruppe von Frauen bevorzugt werden, die von einer Heiratserstattung abgesehen haben. Denn die Heiratserstattung war für die Gruppe nicht nur vorteilhaft. Sie ließ die rentenrechtlichen Zeiten vor Mitte 1948 ohne Erstattungsleistung entfallen. Ebenso verfiel der Arbeitgeberanteil an den Beiträgen. Die Frauen, die auf eine Heiratserstattung verzichtet hatten, konnten sich dagegen nach Aufgabe der versicherungspflichtigen Beschäftigung freiwillig weiterversichern. Mit Erfüllung der Wartezeit von 60 Kalendermonaten bestand bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Anspruch auf Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente. So hat die Beschwerdeführerin die Möglichkeit der Entrichtung von freiwilligen Beiträgen genutzt. Auch hat sie seit Januar 1984 Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen; diesen Anspruch hätte sie im Falle der Heiratserstattung auch durch Nachzahlung nicht erworben.

    Im übrigen wird von einer Begründung gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

    Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Kühling, Jaeger, Steiner

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276126

NZS 1998, 287

SGb 1998, 313

SozSi 1998, 317

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge