Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist der Ausschluss von Frauen nach Vollendung des 65. Lebensjahres von der Möglichkeit zur Nachentrichtung von Beiträgen bei Heiratserstattung nach § 282 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
I.
1. Die 1919 geborene Beschwerdeführerin übte mindestens von Anfang 1954 bis Mai 1958 eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus und entrichtete hierfür Pflichtbeiträge. Anlässlich ihrer Eheschließung im Juni 1958 ließ sie sich die bis dahin zur Arbeiterrentenversicherung gezahlten Beiträge erstatten. Ihr Versicherungskonto weist seitdem keine rentenrechtlich relevanten Zeiten auf.
Im Dezember 1995 beantragte die Beschwerdeführerin bei der Landesversicherungsanstalt die Nachentrichtung von Beiträgen wegen Heiratserstattung nach § 282 SGB VI. Dies lehnte die Anstalt unter Hinweis darauf ab, dass die Beschwerdeführerin bereits die Altersgrenze von 65. Lebensjahren überschritten habe. Klage- und Berufungsverfahren blieben ohne Erfolg. Zuletzt wies das Bundessozialgericht die Nichtzulassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin als zumindest unbegründet zurück. Der Ausschluss der Beschwerdeführerin von der Nachzahlung nach Vollendung des 65. Lebensjahres sei mit dem Grundgesetz vereinbar.
2. Mit der gegen die Beschlüsse des Bundessozialgerichts und das Urteil des Landessozialgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin vor allem eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Sie sei von der gesetzlichen Nachzahlungsmöglichkeit nur wegen ihres Alters ausgeschlossen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Insbesondere liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor. Dementsprechend ist der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen.
1. a) Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehalten, Frauen die Möglichkeit einer Korrektur versorgungsbezogener Entscheidungen im Zusammenhang mit der Eheschließung zu eröffnen, wenn diese Entscheidungen auf Vorschriften beruhen, die er zu einem späteren Zeitpunkt auf Grund einer gewandelten Einschätzung des Bedürfnisses für eine eigenständige Sicherung der Frau gegen die Risiken von Alter und Erwerbsunfähigkeit aufgehoben oder geändert hat. Erlässt er aber Vorschriften zur Reaktivierung der in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anwartschaften, so sind diese Vorschriften an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen, wenn sie einem festumrissenen Personenkreis diese Möglichkeit vorenthalten (vgl. BVerfGE 98, 1 ≪11 f.≫).
b) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz will vielmehr nur ausschließen, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Die rechtliche Unterscheidung muss also in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden. Innerhalb dieser Grenzen ist der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei (vgl. BVerfGE 107, 205 ≪213 f.≫).
2. Solche gewichtigen Gründe rechtfertigen zumindest für solche Frauen den Ausschluss von der Nachentrichtung von Beiträgen gemäß § 282 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, die bei In-Kraft-Treten dieser Regelung bereits das 65. Lebensjahr vollendet hatten und zu diesem Zeitpunkt auf Grund der Heiratserstattung keinerlei rentenrechtlich relevante Zeiten (mehr) aufwiesen.
a) Der Ausschluss von Frauen von der Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen, bei denen mit der Vollendung des 65. Lebensjahres der Versicherungsfall des Alters bereits eingetreten war, trägt den Strukturen der Rentenversicherung Rechnung. Das System der gesetzlichen Rentenversicherung ist jedenfalls auch durch das Versicherungsprinzip geprägt und gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 67, 231 ≪237≫; 97, 271 ≪285≫). Diesem Prinzip entspricht es, die Rentenbiografien von Personen bei Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente grundsätzlich als abgeschlossen zu betrachten (vgl. BVerfGE 87, 1 ≪43 f.≫). Es ist deshalb nicht sachwidrig, wenn der Gesetzgeber bei einer Neuregelung, die ihren Adressaten – wie in § 282 SGB VI – eine Gestaltungsmöglichkeit hinsichtlich ihres gesetzlichen Versicherungsverhältnisses einräumt, danach differenziert, ob zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieser Regelung der Versicherungsfall bei dem Versicherten schon eingetreten ist.
b) Eine derartige Differenzierung dient auch dem Schutz der Versichertengemeinschaft vor einer übermäßigen finanziellen Belastung. Denn von den Frauen, die das für den Versicherungsfall maßgebliche Alter bereits erreicht hatten, hätten sich nach einer zumindest vertretbaren Einschätzung des Gesetzgebers nur diejenigen für eine Nachzahlung entschieden, die sich hiervon einen Gewinn versprochen hätten. Er durfte deshalb eine Regelung schaffen, die eine Nachentrichtung auf Grund solcher “Nützlichkeitserwägungen” ausschloss (vgl. BTDrucks 11/4124, S. 204). Seitdem die gesetzliche Rentenversicherung durch das Rentenreformgesetz 1972 (RRG 1972) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S. 1965) für weite Personenkreise, die zuvor die Vorversicherungszeit für eine freiwillige Versicherung nicht erfüllt hatten, geöffnet wurde (vgl. § 10 AVG und § 1233 RVO jeweils in der Fassung des RRG 1972), konnten sich grundsätzlich auch Frauen für eine freiwillige Versicherung entscheiden, die, wie die Beschwerdeführerin, die Heiratserstattung in Anspruch genommen und danach keine Verbindung mehr zur Rentenversicherung hatten, weil sie weder erwerbstätig waren noch andere Pflichtbeitragszeiten, zum Beispiel wegen Kindererziehung oder Pflege, aufweisen konnten. Verzichteten diese Frauen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auf eine freiwillige Versicherung, dokumentierten sie damit ihren Entschluss, sich endgültig von der gesetzlichen Rentenversicherung zu lösen. Es erscheint daher nicht sachwidrig, wenn der Gesetzgeber sie an dieser Entscheidung festhält und ihnen nach Erreichen des Rentenalters kein Nachentrichtungsrecht einräumt.
c) Gewisse Härten, die dadurch entstanden sind, dass Frauen, die bei Einführung des § 282 SGB VI kurz vor Vollendung des 65. Lebensjahres standen, noch eine Nachzahlungsmöglichkeit erhielten, ältere Jahrgänge dagegen nicht, sind bei einer Stichtagsregelung wie der vorliegenden hinzunehmen. Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtagsregelungen muss sich darauf beschränken, ob der Gesetzgeber den ihm zustehenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, insbesondere ob die Einführung des Stichtags überhaupt und die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich vertretbar ist (vgl. etwa BVerfGE 13, 31 ≪38≫; 44, 1 ≪20 f.≫; 71, 364 ≪397≫; 75, 78 ≪106≫; 87, 1 ≪43≫). Dies war hier – wie ausgeführt – der Fall.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1248458 |
NZS 2005, 307 |
JWO-VerbrR 2004, 356 |