Entscheidungsstichwort (Thema)
Schranken der Meinungsfreiheit
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 13.03.1998; Aktenzeichen 568-38/98) |
AG Berlin-Tiergarten (Urteil vom 08.12.1997; Aktenzeichen 239 Cs 474/97) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 13. März 1998 – 568 – 38/98 – und das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 8. Dezember 1997 – 239 Cs 474/97 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen eine Verurteilung wegen Beleidigung. Er rügt die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG.
I.
1. Der Beschwerdeführer war am 17. Januar 1997 in dem Einkaufszentrum „Forum Steglitz” in Berlin-Steglitz Augenzeuge eines Einsatzes von Mitarbeitern des dortigen Sicherheitsdienstes. Nach dem – von dem Amtsgericht als wahr unterstellten – Vortrag des Beschwerdeführers hatten diese Mitarbeiter einen Kurzhaarschnitt und trugen Kleidung, die der von Skinheads ähnelte. Sie versuchten, einen Besucher mit Gewalt festzuhalten. Unter dem 27. Januar 1997 wandte sich der Beschwerdeführer wegen dieses Vorfalls an die Geschäftsführung des Einkaufszentrums mit einem Schreiben, welches folgenden Wortlaut hatte:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
am vergangenen Freitag, den 17.1.1997 war ich im 1. Stock des von Ihnen betriebenen Einkaufszentrums Zeuge eines unerfreulichen Zwischenfalls, wobei zwei Angehörige des von Ihnen beschäftigten „Sicherheitsunternehmens” versuchten, einen Besucher mit Gewalt festzuhalten. Die daraus entstehende Rangelei führte sogar dazu, dass der Betreffende zu Boden fiel. Ohne den Hintergrund des Vorfalles detailliert zu kennen, gewann ich während der ca. 5 Minuten, die ich den Vorgang beobachtete – wie auch viele andere Besucher –, den deutlichen Eindruck, dass es dem Betreffenden hauptsächlich darum ging, dass ihm nicht Gewalt angetan würde. Speziell der kleinere, dunkelhaarige (mit Schnurrbart) der beiden Angestellten zeichnete sich tatsächlich durch ein aggressives, der Situation nicht entsprechendes Verhalten aus.
Als Kunde empfinde ich derartige Vorfälle als beschämende Zumutung. Auch zunehmende Ladendiebstähle – als Zeichen der gerade in Ostdeutschland sich zuspitzenden sozialen Situation – rechtfertigen nicht den Einsatz von privaten Schlägertruppen! Um solches handelt es sich jedoch offensichtlich bei dem von Ihnen beschäftigten Unternehmen, zumindest wenn man nach den eingesetzten Personen geht, welche beim Einkauf regelmäßig unfreiwillig zu besichtigen sind.
Die Problematik privater „Sicherheitsunternehmen” liegt ohnehin schon darin, dass diese auf Grund fehlender gesetzlicher Rahmenbedingungen ein anerkanntes Tummelbecken für verkrachte Existenzen jeder Couleur, speziell Personen aus dem Schläger- und Zuhältermilieu sind. Gerade in Berlin wird diese „Auswahl” noch erweitert durch ein Angebot aus Tausenden ehemaliger Stasi-Kreaturen, die in den oft von ehemaligen ‚Kollegen’ kurz noch der Wende gegründeten „Sicherheitsfirmen” ein Unterkommen gefunden haben.
Auf jeden Fall lehne ich persönlich es strikt ab, dort einzukaufen wo Subjekte ihr Unwesen treiben, die den Eindruck hastig umgekleideter Skinheads vermitteln und schon durch ihre persönliche „Ausstrahlung” nach allen Richtungen den Eindruck primitiver Schlägernaturen verbreiten. Derartige Individuen sind nicht einmal in der U-Bahn zu erleben, welche ich immerhin täglich benutze. Sollten Sie vorgehabt haben, Ihren Kunden damit ein Gefühl der Sicherheit vermitteln zu wollen, so ist dies gründlich misslungen – und sicher nicht nur bei mir!
Ich werde das Forum Steglitz nicht mehr betreten, solange diese Spezies dort ihr Unwesen treibt, und dies auch all meinen – durchaus kaufkräftigen – Freunden und Bekannten empfehlen.
Mit freundlichen Grüßen”
2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer durch die angegriffene Entscheidung wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 200 DM.
Indem der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 27. Januar 1997 die Mitarbeiter des im Forum Steglitz tätigen Sicherheitsdienstes im zweiten Absatz als „private Schlägertruppe” bezeichnet und im vierten Absatz von ihnen behauptet habe, sie würden den Eindruck hastig umgekleideter Skinheads vermitteln und nach allen Richtungen den Eindruck primitiver Schlägernaturen verbreiten, habe er sich jeweils einer Beleidigung gemäß § 185 StGB gegenüber diesen Mitarbeitern schuldig gemacht. Bei der Bezeichnung „private Schlägertruppe” handele es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, da diese Aussage dem gerichtlichen Beweisverfahren nicht zugänglich sei. Vielmehr habe der Beschwerdeführer eine eigene Bewertung vorgenommen. Der Ausdruck assoziiere, auch unter historischen Gesichtspunkten, einen Zusammenschluss von Personen, deren bestimmender Zweck in der Anwendung körperlicher Gewalt aus niederen und verwerflichen Beweggründen bestehe. Zwar lasse die vorgenommene Wertung einen Zusammenhang mit konkreten Vorgängen erkennen. Die Gleichsetzung des Sicherheitsdienstes mit einer Schlägertruppe stelle jedoch keine tatsachenbezogene und tatsachenbegrenzte Beurteilung der Geschehnisse dar, sondern erfahre eine Würdigung, die dazu außer Verhältnis stehe. Mit den Äußerungen im vierten Absatz des Schreibens, dass die Mitarbeiter den Eindruck hastig umgekleideter Skinheads vermittelten, gebe der Beschwerdeführer nicht nur seinen subjektiven Eindruck wieder, sondern objektiviere ihn. Insbesondere die Hinzufügung des Wortes „hastig” mache deutlich, dass hier keine Tatsachen wiedergegeben, sondern die vom Beschwerdeführer beobachteten Geschehnisse eine Würdigung erfahren würden. Die vom Gericht als wahr unterstellte und vom Beschwerdeführer vorgetragene Tatsachenbasis seiner Wertung, dass nämlich die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes einen Kurzhaarschnitt hätten sowie Kleidung trügen, die der von Skinheads ähnelten, führe nicht zur Tatsachenadäquanz der vom Beschwerdeführer gewählten Formulierung. Nach Ansicht des Gerichts stelle der gewählte Vergleich für einen verständigen Dritten eine Missachtung dar, da die Bezeichnung Skinhead in der Bundesrepublik Deutschland eine äußerst negativ besetzte Bezeichnung sei, die unter anderem von Alkoholexzessen und faschistoidem Denken begleitete, undifferenzierte Brutalität gegen Andersdenkende zum Ausdruck bringe. Der Vorwurf, die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes würden nach allen Richtungen den Eindruck primitiver Schlägernaturen verbreiten, füge sich in die vom Beschwerdeführer vorgenommenen Wertungen ein, da er ihnen auch hiermit elementare Unzulänglichkeiten nachsage und sie auf diese Weise als minderwertig darstelle.
Er könne für seine Angriffe auf die Ehre der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes keine Rechtfertigungsgründe beanspruchen. Die Freiheit der Meinungsäußerung werde durch das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Der Angriff auf die Ehre eines Anderen müsse das angemessene Mittel zur Wahrnehmung des verfolgten Interesses sein. Die herabsetzenden Behauptungen gegenüber den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes seien jedoch völlig unangemessen, da sie zur Wahrnehmung der Interessen des Beschwerdeführers nicht erforderlich gewesen seien.
3. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers wies das Landgericht durch den weiter angegriffenen Beschluss zurück. Zur Begründung verwies es darauf, dass die rechtliche Würdigung, die das Amtsgericht dem unstreitigen Inhalt des Tatschreibens gegeben habe, ebenso wenig rechtlichen Bedenken begegne wie die Strafzumessung.
4. Mit seiner fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG. Dies begründet er im Wesentlichen damit, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Schreiben um eine Beschwerde über Erscheinungsbild und Auftreten des zum damaligen Zeitpunkt in dem Einkaufszentrum Forum Steglitz tätigen privaten Sicherheitsdienstes gehandelt habe. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts habe er nicht den Angesprochenen irgendwelche in ihrer Persönlichkeit gründende Eigenschaften zugeschrieben, sondern Eindrücke wiedergegeben. Dieser Begriff werde nicht ohne Grund zweimal innerhalb eines Satzes benutzt.
5. Die Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin hat von der ihr eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Dies gilt namentlich für den Einfluss des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bei der Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Normen des einfachen Rechts (vgl. nur BVerfGE 85, 1 ≪11 ff.≫; 93, 266 ≪292 ff.≫). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG sind vorliegend zu bejahen. Die Annahme ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers auf Meinungsfreiheit angezeigt. Die geltend gemachte Grundrechtsverletzung ist besonders gewichtig, weil der Beschwerdeführer den Schuldspruch einer strafrechtlichen Verurteilung angreift (vgl. BVerfGE 96, 245 ≪249≫).
1. Die inkriminierten Äußerungen fallen in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Sie bewerten zum einen den Vorfall am 17. Januar 1997 und nehmen im Übrigen zu dem Auftreten des Sicherheitsunternehmens in dem Einkaufszentrum Stellung. Sie sind durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt und deshalb als Werturteile anzusehen. Die polemische oder verletzende Formulierung einer Aussage entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 ≪138 f.≫; 93, 266 ≪289≫; stRspr).
2. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt allerdings nicht vorbehaltlos. Es findet in Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem eine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die ehrschützende Bestimmung des § 185 StGB gehört, die Grundlage der Verurteilung des Beschwerdeführers geworden ist. Die Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften ist grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Klärung beschränkt, ob das Strafgericht das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) sowie das Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und damit die wertsetzende Bedeutung der Freiheitsrechte verkannt hat (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208 f.≫; 93, 266 ≪292≫; stRspr).
Geht es um die strafrechtliche Ahndung einer Meinungsäußerung, so ist insbesondere zu sichern, dass die Verurteilung nur wegen einer Äußerung erfolgt, die dem Äußernden zuzurechnen ist. Mit Art. 5 GG wäre es nicht vereinbar, wenn Meinungsäußerungen mit dem Risiko verbunden wären, wegen einer nachfolgenden Deutung einer Äußerung durch die Strafgerichte verurteilt zu werden, die dem objektiven Sinn dieser Äußerung nicht entsprach. Die Verhängung einer Strafe für eine Meinungsäußerung ist eine das Persönlichkeitsrecht des Verurteilten treffende Sanktion, die nicht nur auf Grund allgemeiner Prinzipien des Strafens, insbesondere der Vorhersehbarkeit der Strafe, sondern auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nur in Betracht kommt, wenn die Äußerung dem Äußernden in der vom Fachgericht vorgenommenen Deutung zugerechnet werden darf. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Verurteilung führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zu Grunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren Gründen auszuschließen (vgl. BVerfGE 43, 130 ≪136 f.≫; 82, 43 ≪52≫; stRspr).
3. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht in vollem Umfang gerecht.
a) Allerdings ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht einer Äußerung des Inhalts, Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes bildeten eine „private Schlägertruppe”, es handele sich um „hastig umgekleidete Skinheads” und „primitive Schlägernaturen”, die in einem Einkaufzentrum „ihr Unwesen treiben”, ehrverletzenden Charakter beigemessen hat. Die genannten Ausdrücke enthalten eindeutig ein Unwerturteil, das geeignet ist, die hiervon Betroffenen im Ansehen empfindlich herabzusetzen.
Das Amtsgericht hat sich jedoch nicht hinreichend vergewissert, dass der Beschwerdeführer wirklich eine Äußerung dieses Inhalts abgegeben, das Unwerturteil also unmittelbar auf die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes bezogen hat. Denn das Gericht hat keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich, wie er geltend macht, nur einen subjektiven Eindruck von dem beobachteten Geschehen und dem äußeren Erscheinungsbild des Sicherheitsdienstes wiedergegeben, den Mitarbeitern die genannten Eigenschaften aber nicht zugeschrieben hat. Worauf das Amtsgericht die Einschätzung stützt, der Beschwerdeführer habe seinen subjektiven Eindruck objektiviert, ist nicht erkennbar.
Die Äußerungen stehen in einem spezifischen Kontext. Der Beschwerdeführer schildert einen Vorfall mit Gewaltanwendung und nimmt ihn zum Anlass, die Geschäftsführung des Einkaufszentrums dazu zu bewegen, ihr Sicherheitskonzept zu verändern. Das Amtsgericht hat als wahr unterstellt, dass die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes – dessen Entfernung der Beschwerdeführer forderte – einen Kurzhaarschnitt hatten und Kleidung trugen, die der von Skinheads ähnelte. Angesichts dessen liegt es nicht ohne Weiteres auf der Hand, dass der Beschwerdeführer zur Unterstützung seines Begehrens mehr als eine subjektive Wahrnehmung von dem Geschehen wiedergeben wollte. Das Gericht hätte daher, um den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gerecht zu werden, näher darlegen müssen, weshalb die vom Beschwerdeführer vorgetragene alternative Deutungsmöglichkeit auszuschließen sei.
b) Da das Landgericht in vollem Umfang der rechtlichen Würdigung des Amtsgericht beigetreten ist, leidet sein Urteil an denselben Mängeln.
4. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der festgestellten Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers auf Meinungsfreiheit. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte, wenn sie das Schreiben des Beschwerdeführers einer Gesamtwürdigung unterzogen hätten, zu einem für ihn günstigeren Ergebnis gekommen wären.
5. Die Auslagenentscheidung folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 743135 |
NJW 2002, 3315 |
NPA 2002, 0 |