Verfahrensgang
LG Chemnitz (Beschluss vom 14.07.2008; Aktenzeichen 1 Qs 266/08) |
AG Hainichen (Beschluss vom 17.06.2008; Aktenzeichen 16 Ds 640 Js 18000/06) |
AG Hainichen (Beschluss vom 20.05.2008; Aktenzeichen 640 Js 18000/06) |
Tenor
1. Der Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 14. Juli 2008 – 1 Qs 266/08 – und die Beschlüsse des Amtsgerichts Hainichen vom 17. Juni 2008 – 16 Ds 640 Js 18000/06 – und vom 20. Mai 2008 – 640 Js 18000/06 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Hainichen zurückverwiesen.
2. Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Beschlüsse, durch die dem als Pflichtverteidiger beigeordneten Beschwerdeführer die Festsetzung und Auszahlung der Pflichtverteidigervergütung verweigert wurde.
1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. In einem gegen mehrere Angeklagte gerichteten Strafverfahren wurde der Beschwerdeführer einem der Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Angeklagten wurden rechtskräftig freigesprochen; die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.
2. In der Folge beantragte der Beschwerdeführer namens seines Mandanten die Festsetzung der Wahlverteidigergebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 1.031,73 EUR. Diesem Antrag wurde zwar vom Amtsgericht in vollem Umfang entsprochen; eine Auszahlung des festgesetzten Betrags wurde aber unter Hinweis auf eine zuvor von der Staatskasse gegenüber dem Mandanten des Beschwerdeführers erklärte Aufrechnung mit den festgesetzten Betrag übersteigenden Forderungen verweigert. Der Beschwerdeführer beantragte sodann die Festsetzung und Auszahlung seiner Pflichtverteidigervergütung in Höhe von insgesamt 849,66 EUR. Dieser Antrag wurde vom Amtsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die Festsetzung und Auszahlung der Pflichtverteidigergebühren sei nicht mehr möglich, nachdem bereits die Wahlverteidigervergütung festgesetzt und der entsprechende Erstattungsanspruch durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht worden sei; eine Auszahlung der Pflichtverteidigervergütung führe zu einer „Doppelzahlung” durch die Staatskasse und sei daher nicht veranlasst. Die hiergegen vom Beschwerdeführer erhobene – als Beschwerde bezeichnete – Erinnerung wies das Amtsgericht mit der Begründung zurück, der Anspruch auf Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren müsse zurückstehen, wenn bereits die Wahlverteidigerkosten geltend gemacht und ausgeglichen worden seien; eine „Doppelbezahlung” komme nicht in Betracht. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers wurde vom Landgericht als unbegründet verworfen. Die weitere Beschwerde wurde nicht zugelassen.
3. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sei verletzt, weil die angegriffenen Entscheidungen in krasser und willkürlicher Weise das Gesetz verletzten und die Wertungen des Grundgesetzes völlig außer Acht ließen. Die Fachgerichte hätten verkannt, dass durch seine Beiordnung als Pflichtverteidiger Gebührenansprüche unmittelbar gegen die Staatskasse begründet worden seien, die neben dem Auslagenerstattungsanspruch seines Mandanten stünden und nicht durch Erfüllung des Anspruchs seines Mandanten auf Erstattung der Wahlverteidigergebühren erloschen seien.
Ferner sei Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil die Entscheidungen zu einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung führten. Als Pflichtverteidiger eines Angeklagten, dem gegenüber die Staatskasse aufrechenbare Ansprüche gehabt habe, würde er gegenüber solchen Pflichtverteidigern benachteiligt, deren Mandanten keinen Forderungen der Staatskasse ausgesetzt seien; darüber hinaus liege auch eine Ungleichbehandlung gegenüber solchen Pflichtverteidigern vor, deren Mandanten zwar Ansprüchen der Staatskasse ausgesetzt seien, jedoch aufgrund einer Verurteilung die Verfahrenskosten tragen müssten.
Die Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG sei verletzt, weil durch die Betrauung mit der Pflichtverteidigung ein – verfassungsrechtlich zwingender – Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse entstanden, durch die angegriffenen Entscheidungen jedoch aberkannt worden sei. Die Verweigerung einer entsprechenden Zahlung, die im Ergebnis zu einer hoheitlichen Inanspruchnahme anwaltlicher Leistungen ohne angemessenes Entgelt führe, stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in seine Berufsfreiheit dar. Auch Art. 14 Abs. 1 GG sei verletzt, weil ein bereits entstandener Anspruch auf Zahlung der Pflichtverteidigervergütung rechtswidrig und unter Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entzogen worden sei.
4. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz, der Deutsche Anwaltverein, die Bundesrechtsanwaltskammer und der Mandant des Beschwerdeführers hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
a) Der Deutsche Anwaltverein hat in seiner Stellungnahme mitgeteilt, dass die Verfassungsbeschwerde als begründet erachtet werde. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten den Beschwerdeführer in seiner Berufsfreiheit, weil er zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Pflichtverteidigung herangezogen worden sei, ohne dass ihm hierfür ein angemessenes Entgelt zukomme. Die mit den angegriffenen Entscheidungen einhergehende Aberkennung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Zahlung der gesetzlichen Pflichtverteidigervergütung verlange diesem ein unzumutbares Opfer ab und stelle einen Eingriff in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers dar, der weder von einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage getragen noch durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sei.
b) Dagegen hat die Bundesrechtsanwaltskammer den Standpunkt eingenommen, dass die angegriffenen Entscheidungen Art. 12 Abs. 1 GG nicht verletzten, weil der Beschwerdeführer durch die Möglichkeit der Abtretung der Auslagenerstattungsansprüche und den damit verbundenen Schutz seiner Vergütungsansprüche über § 43 RVG hinreichend geschützt sei. Sei der Mandant zu einer Abtretung seines Auslagenerstattungsanspruchs nicht bereit, stehe es dem Rechtsanwalt frei, zunächst die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung zu beantragen. Eines darüber hinausgehenden Schutzes bedürfe der als Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt nicht.
c) Das Sächsische Staatsministerium der Justiz und der Mandant des Beschwerdeführers haben keine Stellungnahme abgegeben.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs.1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
1. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen wurden bereits durch das Bundesverfassungsgericht geklärt (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass eine Heranziehung Privater zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben nur gegen Gewährung einer angemessenen Vergütung zulässig ist (vgl. BVerfGE 54, 251 ≪271≫). Auch die Fragen des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfGE 116, 202 ≪221≫), die Maßstäbe für eine Verletzung des Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG durch fachgerichtliche Entscheidungen (vgl. BVerfGE 79, 292 ≪303≫) und die Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes (vgl. BVerfGE 101, 239 ≪269≫) sind bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie wurde innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG erhoben und begründet. Der Beschwerdeführer behauptet die Verletzung eigener Rechte (§ 90 Abs. 1 BVerfGG); als Adressat der angegriffenen Entscheidungen ist er von diesen selbst und unmittelbar betroffen. Der Rechtsweg ist erschöpft. Eine weitere Beschwerde gegen die angegriffene Entscheidung des Landgerichts ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG nur im Falle ihrer Zulassung statthaft, die vorliegend nicht erfolgt ist.
3. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seiner Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG.
Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des einfachen Rechts durch die Fachgerichte können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereiches, beruhen. Das ist der Fall, wenn die vorgenommene Auslegung die Tragweite der Grundrechte nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheiten führt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 87, 287 ≪323≫; stRspr).
Daran gemessen werden die angegriffenen Entscheidungen den Anforderungen des Verfassungsrechts nicht gerecht. Die Fachgerichte haben vorliegend die Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers verkannt.
Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Erwerbszwecken dienende Tätigkeit (vgl. BVerfGE 105, 252 ≪265≫). Nimmt der Staat für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger beruflich in Anspruch, stellt dies einen Eingriff in die freie wirtschaftliche Betätigung im Sinne einer Berufsausübungsregel dar (vgl. BVerfGE 114, 196 ≪244≫). Dabei erweist es sich als übermäßige, durch keine Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung, wenn den derart Belasteten eine angemessene Entschädigung für ihre berufliche Inanspruchnahme vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 54, 251 ≪271≫). Vor diesem Hintergrund genügen die angegriffenen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht; denn sie führen im Ergebnis dazu, dass dem Beschwerdeführer eine angemessene Entschädigung für die zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Pflichtverteidigung erbrachten Leistungen vorenthalten wird.
a) Mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger gemäß § 141 der Strafprozessordnung (StPO) war der Beschwerdeführer aufgrund des § 49 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verpflichtet, die Verteidigung des Angeklagten zu übernehmen. Er wurde damit in seinem Beruf als Rechtsanwalt zur Erledigung einer öffentlichen Aufgabe herangezogen; denn der Zweck der Pflichtverteidigung besteht darin, dem Beschuldigten in schwerwiegenden Fällen einen rechtskundigen Beistand zu verschaffen und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 68, 237 ≪254≫). Dieser beruflichen Inanspruchnahme des Beschwerdeführers aus Gründen des öffentlichen Interesses tragen seine Vergütungsansprüche gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 RVG in Verbindung mit Nummern 4100 ff. RVG-VV Rechnung. Es handelt sich um eigene Ansprüche des zum Pflichtverteidiger bestellten Beschwerdeführers gegen die Staatskasse, die selbständig neben den Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers gegen seinen Mandanten aus § 52 RVG treten und diesem gegenüber nicht subsidiär sind, sondern wahlweise geltend gemacht werden können (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 18. Aufl. 2008, § 45 Rn. 48 ff.; Volpert, in: Burhoff, RVG, 2. Aufl. 2007, § 52 Rn. 15). Sie stellen im Grundsatz sicher, dass der als Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt eine angemessene Vergütung aus der Staatskasse erhält, ihm also kein mit Blick auf die Garantie der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) unzumutbares Opfer abverlangt wird (vgl. BVerfGE 68, 237 ≪255≫).
b) Durch die angegriffenen Entscheidungen wird dem Beschwerdeführer das Honorar vorenthalten, das ihm für das Tätigwerden als Pflichtverteidiger gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 RVG in Verbindung mit Nummern 4100, 4106, 4108, 7002, 7003 und 7005 RVG-VV zusteht. Der Beschwerdeführer erhält hiernach nicht die vom Gesetzgeber selbst – und insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich – als angemessen angesehene Entschädigung für seine berufliche Inanspruchnahme im öffentlichen Interesse und wird deshalb in seiner Berufsfreiheit verletzt. Auf etwaige Vergütungsansprüche gegen den Beschuldigten muss er sich hierbei nicht verweisen lassen, weil die dem Pflichtverteidiger zustehenden Gebührenansprüche gegen die Staatskasse gerichtet und gegenüber den Vergütungsansprüchen gegen den Beschuldigten nicht nachrangig sind. Die angegriffenen Entscheidungen haben demnach den Zusammenhang zwischen einer angemessenen Entschädigung durch den Staat und der Rechtfertigung des Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG außer Betracht gelassen und in dieser Hinsicht Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit verkannt.
c) Die maßgeblichen Vorschriften des Gebührenrechts zwingen die Fachgerichte nicht zu der – verfassungsrechtlich zu beanstandenden – Versagung des Pflichtverteidigerhonorars; die Vorschriften sind vielmehr einer grundrechtsgeleiteten Auslegung und Anwendung unter Berücksichtigung der Berufsfreiheit zugänglich.
aa) Es kann dahinstehen, auf welche gesetzliche Grundlage die Aufrechnung der Staatskasse gegen den Kostenerstattungsanspruch des freigesprochenen Angeklagten gestützt werden kann. Sollte die Aufrechnung wirksam sein, so könnte der Beschwerdeführer gegenüber der Staatskasse zwar die Gebühren eines gewählten Verteidigers nicht mehr geltend machen. Der gesetzliche Anspruch des Beschwerdeführers auf Festsetzung und Auszahlung der Pflichtverteidigergebühren wäre jedoch auch in diesem Fall nicht erloschen; denn hinsichtlich dieses eigenständigen Anspruchs kann der von der Staatskasse gegen den Kostenerstattungsanspruch des freigesprochenen Angeklagten erklärten Aufrechnung keine Wirkung zukommen. Anderes folgt insbesondere nicht aus § 58 Abs. 3 RVG. Nach dieser Bestimmung kommen auf die Pflichtverteidigergebühren nur solche Vorschüsse und Zahlungen zur Anrechnung, die der Rechtsanwalt auch tatsächlich erhalten hat. Die gegenüber dem Mandanten des Beschwerdeführers erklärte Aufrechnung stellt hingegen weder nach dem Gesetzeswortlaut noch nach dem Gesetzeszweck eine anzurechnende Zahlung dar, weil sie dem Beschwerdeführer nicht als Vorteil zugute kommt.
bb) Auch die geltend gemachte Doppelbelastung der Staatskasse rechtfertigt nicht die Versagung des Pflichtverteidigerhonorars. Selbst wenn die von ihr erklärte Aufrechnung wirksam gewesen sein sollte und die Staatskasse deshalb neben dem Verlust der zur Aufrechnung gestellten – hier allerdings offenbar uneinbringlichen und damit ohnehin wertlosen – Forderung mit der Zahlung der Pflichtverteidigergebühren ein zweites Mal belastet wäre, ist eine solche „Doppelzahlung” nicht zwangsläufig, sondern ohne Weiteres zu vermeiden. Wie der Deutsche Anwaltverein in seiner Stellungnahme ausführt, kann sich die Staatskasse etwa dadurch schützen, dass sie den Rechtsanwalt vor Festsetzung der Wahlverteidigergebühren zum Verzicht auf seine Pflichtverteidigergebühren auffordert (vgl. LG Duisburg, Beschluss vom 23. August 2005 – 35 Qs 76/05 –, JurBüro 2006, S. 425). Falls ein solcher Verzicht nicht erklärt wird, lassen sich Doppelbelastungen dadurch vermeiden, dass Kosten nur in der Höhe festgesetzt werden, als diese das Pflichtverteidigerhonorar übersteigen (vgl. Volpert, in: Burhoff, a.a.O., § 52 Rn. 28 f.; LG Dortmund, Beschluss vom 3. Februar 2005 – 14 ≪VI≫ Qs 2/05 – Rpfleger 2005, S. 479). Auch eine etwa zulässige Aufrechnung könnte dann nur diesen Differenzbetrag, nicht aber die für die Pflichtverteidigung bestimmten Gebühren und Auslagen erfassen. Macht die Staatskasse – wie hier – von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch, sondern schafft sie selbst durch Aufrechnung das Risiko von Doppelbelastungen, so ist das von dem betroffenen Rechtsanwalt nicht zu verantworten und vermag eine Versagung seines gesetzlich vorgesehenen Honorars nicht zu rechtfertigen.
cc) Mit Blick auf die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers ist ferner unerheblich, dass der Beschwerdeführer dem Risiko einer Aufrechnung der Staatskasse gegen den Auslagenerstattungsanspruch seines Mandanten durch das Hinwirken auf eine frühzeitige Abtretung des Auslagenerstattungsanspruchs hätte begegnen können. Die verfassungsrechtlich gebotene angemessene Entschädigung für die berufliche Inanspruchnahme lässt sich hierdurch nicht hinreichend sichern, weil es der Rechtsanwalt nicht in der Hand hat, ob ihm sein Mandant seinen Kostenerstattungsanspruch abtritt. Er bleibt insoweit von der Mitwirkung des Beschuldigten abhängig, die er nicht erzwingen kann. Insbesondere ist ihm durch die Verpflichtung zur Übernahme der Pflichtverteidigung (§ 49 Abs. 1 BRAO) die Möglichkeit verstellt, sein Tätigwerden von der Abtretung abhängig zu machen.
Dem Beschwerdeführer kann daher auch nicht vorgehalten werden, er habe sich durch die versäumte Abtretung des Erstattungsanspruchs des Beschuldigten selbst dem Schutz des § 43 RVG entzogen. Es kommt hinzu, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift, die zugunsten des Rechtsanwalts eine von § 406 BGB abweichende, die Aufrechnung hindernde Regelung trifft, dem Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts einen besonderen Schutz zukommen lassen wollte. Hingegen lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen, dass mit ihr der durch die allgemeine Rechtsordnung ohnehin gegebene Schutz eingeschränkt werden sollte. Es würde daher Sinn und Zweck des § 43 RVG widersprechen, wenn diese Vorschrift herangezogen würde, um Vergütungsansprüche von Rechtsanwälten einzuschränken.
dd) Bei unterbliebener Abtretung kann eine Aufrechnung der Staatskasse gegen den Kostenerstattungsanspruch des Beschuldigten schließlich auch nicht dadurch verhindert werden, dass der Pflichtverteidiger zunächst die Festsetzung und Auszahlung seines Pflichtverteidigerhonorars beantragt. Denn dieser Antrag des Pflichtverteidigers nimmt der Staatskasse nicht die Möglichkeit, den möglicherweise schon zuvor oder gleichzeitig vom freigesprochenen Angeklagten geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch festzusetzen und hiergegen die Aufrechnung zu erklären.
4. Da die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer jedenfalls in seiner Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG verletzen, kann dahingestellt bleiben, ob zugleich ein Verstoß gegen die außerdem noch als verletzt gerügten Grundrechte gegeben ist.
5. Die angegriffenen Entscheidungen sind hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, ohne dass es noch auf die weiter erhobenen Rügen ankommt. Die Sache selbst ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Der dortige Rechtspfleger hat über den Antrag des Beschwerdeführers auf Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung neu zu befinden.
6. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Kirchhof
Fundstellen
Haufe-Index 2168918 |
AnwBl 2009, 551 |