Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Beschluss vom 18.12.2008; Aktenzeichen 3 Ss 82/08) |
AG Mannheim (Urteil vom 18.12.2007; Aktenzeichen 2 Ls 311 Js 31087/04-AK 34/07) |
OLG Karlsruhe (Urteil vom 19.04.2007; Aktenzeichen 3 Ss 30/07) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die sich im Falle eines Wandels des Sprachgebrauchs aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen an die Auslegung von Strafgesetzen. Konkret stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit des Handels mit psilocinhaltigen Pilzen während des Jahres 2004.
1. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft. Nach § 1 BtMG sind Betäubungsmittel im Sinne des Gesetzes die in den Anlagen I bis III aufgeführten „Stoffe und Zubereitungen”. Die Bundesregierung wird durch § 1 Abs. 2 BtMG ermächtigt, nach Anhörung von Sachverständigen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III unter bestimmten Voraussetzungen zu ändern oder zu ergänzen.
Laut § 2 Abs. 1 Nr. 1 BtMG in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl I S. 358) war im Sinne des Gesetzes ein „Stoff”
eine Pflanze, ein Pflanzenteil oder ein Pflanzenbestandteil in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand sowie eine chemische Verbindung und deren Ester, Ether, Isomere, Molekülverbindungen und Salze – roh oder gereinigt – sowie deren natürlich vorkommende Gemische und Lösungen.
Die Anlage I zum BtMG nannte in der im Jahr 2004 gültigen Fassung des Art. 1 der Verordnung vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1180) die Wirkstoffe Psilocin und Psilocybin. Ferner nannte sie im letzten Spiegelstrich
Pflanzen und Pflanzenteile, Tiere und tierische Körperteile in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand mit in dieser oder einer anderen Anlage aufgeführten Stoffen, sowie Früchte, Pilzmycelien, Samen, Sporen und Zellkulturen, die zur Gewinnung von Organismen mit in dieser oder einer anderen Anlage aufgeführten Stoffen geeignet sind, wenn ein Missbrauch zu Rauschzwecken vorgesehen ist.
Die 19. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften (19. BtMÄndV) vom 10. März 2005 (BGBl. I S. 757; dort Art. 1 Nr. 1) änderte diesen Abschnitt, indem sie bestimmte:
Am Ende der Anlage I wird die Position des letzten Gedankenstrichs wie folgt gefasst:
„– Organismen und Teile von Organismen in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand mit in dieser oder einer anderen Anlage aufgeführten Stoffen sowie die zur Reproduktion oder Gewinnung dieser Organismen geeigneten biologischen Materialien, wenn ein Missbrauch zu Rauschzwecken vorgesehen ist.”
Zur Begründung führte die Bundesregierung (BRDrucks 958/04 S. 4) aus:
Nach der bisherigen Formulierung war unklar, ob Pilze als Betäubungsmittel anzusehen sind. In der neuen botanischen Literatur werden Pilze nicht mehr zum Pflanzenreich gezählt, sondern als eigene Gruppe angesehen. Pilze, wie z. B. Psilocybe-Arten und deren Mycelien, werden häufig missbräuchlich verwendet. Durch die Neufassung wird klargestellt, dass Pilze, sofern sie Stoffe enthalten, die in einer der Anlagen genannt sind, Betäubungsmittel sind.
Durch Art. 5 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl I S. 1990) wurde schließlich der Wortlaut der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 1 BtMG dahingehend erweitert, dass als Stoffe im Sinne des Gesetzes neben Pflanzen nunmehr ausdrücklich auch Pilze genannt werden.
Ob bereits vor Inkrafttreten der 19. BtMÄndV psilocin- und psilocybinhaltige Pilze von der Anlage I des Betäubungsmittelgesetzes erfasst wurden, wurde in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Die herrschende Auffassung bejahte dies (vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2006 – 1 StR 384/06 –, NJW 2007, S. 524, Rn. 4 mit umfassenden Nachweisen; BayObLG, Urteil vom 25. September 2002 – 4 St RR 80/2002 –, NStZ 2003, S. 270 ≪271≫; Rahlf, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2007, § 1 BtMG Rn. 41). Doch fand sich in jüngerer Zeit auch eine gegenteilige Auffassung, die im Wesentlichen darauf abstellte, nach einem zeitgemäßen Sprachgebrauch stellten Pilze keine Pflanzen dar, weshalb sie von dem vor Inkrafttreten der 19. BtMÄndV geltenden Gesetzestext nicht (mehr) erfasst seien (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 15. März 2006 – 1 Ss 341/05 –, juris, Rn. 10 ff.; AG Hamburg, Urteil vom 18. März 2004 – 147 Ds 6001 Js 680/02 –, StraFo 2004, S. 360).
2. Die Beschwerdeführer haben im Zeitraum März 2004 bis 24. November 2004 mit psilocinhaltigen Frischpilzen gehandelt. Mit Urteil vom 11. September 2006 sprach das Amtsgericht Mannheim die Beschwerdeführer – soweit hier von Interesse – zunächst aus rechtlichen Gründen unter Bezugnahme auf das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 15. März 2006 (1 Ss 341/05, juris) frei. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob das Oberlandesgericht Karlsruhe mit Urteil vom 19. April 2007 das freisprechende Urteil auf, wobei sich das Oberlandesgericht der Auffassung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 25. Oktober 2006 – 1 StR 384/06 –, NJW 2007, S. 524) anschloss. Daraufhin verurteilte das Amtsgericht Mannheim die Beschwerdeführer mit Urteil vom 18. Dezember 2007 wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 BtMG in einer Vielzahl von Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen, deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die hiergegen eingelegten Revisionen der Beschwerdeführer blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung; die maßgeblichen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt (vgl. unten 1. a)). Da die Verfassungsbeschwerde unbegründet ist, ist ihre Annahme auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt.
1. a) Art. 103 Abs. 2 GG enthält die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 41, 314 ≪319≫; 47, 109 ≪120≫; 55, 144 ≪152≫). Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist (vgl. z. B. BVerfGE 41, 314 ≪319≫; 45, 346 ≪351≫; 47, 109 ≪120≫; 48, 48 ≪56≫; 64, 389 ≪393 f.≫). Art. 103 Abs. 2 GG hat insofern freiheitsgewährleistende Funktion. Andererseits soll sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen (vgl. BVerfGE 47, 109 ≪120≫; 75, 329 ≪341≫).
Der Normadressat muss mithin prinzipiell anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist; in Grenzfällen geht er dann, für ihn erkennbar, das Risiko einer Bestrafung ein. Beides ist nur möglich, wenn in erster Linie der für den Adressaten verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Straftatbestandes maßgebend ist. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Interpretation zu dem Ergebnis der Strafbarkeit eines Verhaltens, so kann dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen (vgl. BVerfGE 47, 109 ≪121, 124≫; 64, 389 ≪393≫). Es ist jedoch wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, dass in Grenzfällen zweifelhaft sein kann, ob ein konkretes Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht (vgl. z. B. BVerfGE 47, 109 ≪120 f.≫; 48, 48 ≪56≫; 55, 144 ≪152≫).
Weder Art. 103 Abs. 2 GG noch der für Strafgesetze mit Androhung von Freiheitsstrafe ergänzend geltende Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verwehren es dem Gesetzgeber, im Rahmen einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) dem Verordnungsgeber gewisse Spezifizierungen des Straftatbestandes zu überlassen; dies ist vor allem gerechtfertigt, wenn wechselnde und mannigfaltige Einzelregelungen erforderlich werden können. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Strafe müssen in solchen Fällen allerdings für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes, nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Verordnung, voraussehbar sein (vgl. BVerfGE 14, 174 ≪185 ff.≫; 14, 245 ≪251≫; 22, 21 ≪25≫; 23, 265 ≪269≫; 75, 329 ≪342≫).
Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit nach Art. 103 Abs. 2 GG ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist „Analogie” nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht. Da Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext sein kann, erweist dieser sich als maßgebendes Kriterium: Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (vgl. nur BVerfGE 92, 1 ≪12≫).
b) Vorliegend stellt sich die Frage, wie es sich im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG auswirkt, wenn sich die Bedeutung eines Wortes verändert. Es gibt zahlreiche Begriffe, deren Bedeutung sich im Laufe der Zeit wandelt. Das Wort als Laut- oder Schriftbild erweist sich als Hülse („Worthülse”), deren Inhalt ganz oder teilweise ausgetauscht werden kann. Insbesondere die Veränderung der gesellschaftlichen und sozialen Umstände kann auf das Verständnis von Wörtern und die Interpretation von Texten Einfluss nehmen. Das wird besonders deutlich, wenn größere zeitliche Unterschiede zwischen der Erstellung des Textes und dessen Rezeption liegen (vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 4. Aufl. 2008, Rn. 171, 173).
Kommt es zwischen Erlass und Anwendung einer Norm zu einem Bedeutungswandel, so folgt aus der Doppelfunktion des Art. 103 Abs. 2 GG, dass die Rechtsprechung einen Sachverhalt nur dann unter eine Strafnorm subsumieren darf, wenn dies sowohl nach dem ursprünglichen Sprachverständnis des Gesetzgebers (Gesichtspunkt der parlamentarischen Verantwortung für die Strafdrohung, Parlamentsvorbehalt) als auch nach dem aktuellen Sprachverständnis der Normadressaten (Gesichtspunkt der Erkennbarkeit der Strafdrohung) möglich ist. Aus dem allgemeinen Grundsatz, dass es in Grenzfällen genügt, wenn das Risiko einer Bestrafung erkennbar ist, folgt allerdings auch, dass nicht jede Veränderung im tatsächlichen Sprachgebrauch sogleich die Erkennbarkeit der Strafdrohung in Frage stellen kann. Vielmehr darf ein nach herkömmlichem Sprachgebrauch von einer Strafnorm erfasster Sachverhalt erst dann nicht mehr unter die Vorschrift subsumiert werden, wenn sich der „neue” Sprachgebrauch so weit gefestigt und durchgesetzt hat, dass das Bewusstsein für das herkömmliche Verständnis nicht mehr als allgemein vorhanden vorausgesetzt werden kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Normadressaten, die den Sprachgebrauch des Gesetzes tatsächlich nicht mehr verstehen und daher bei einem Gesetzesverstoß ohne Unrechtsbewusstsein handeln, im geltenden Strafrecht durch die Vorschrift über den Verbotsirrtum (§ 17 StGB; vgl. Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 17 Rn. 8a zur Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums bei Sprachunkenntnis) ausreichend geschützt werden.
c) Gemessen hieran sind die angefochtenen Entscheidungen nicht zu beanstanden. Die Rechtsauffassung des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts, wonach der Ausdruck „Pflanze” im letzten Spiegelstrich der Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz in der Fassung des Art. 1 der Verordnung vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1180) auch Pilze umfasste, ist mit dem im Wortlaut zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers (dazu aa)) ebenso vereinbar wie mit dem möglichen Wortsinn aus Sicht der Normadressaten zum Tatzeitpunkt (dazu bb)).
aa) Wie die Gesellschaft für deutsche Sprache in ihrer Stellungnahme ausgeführt hat, umfasst der Begriff der Pflanze nach herkömmlichem Sprachverständnis auch die Pilze. So definiert das Duden Deutsche Universalwörterbuch (5. Aufl. 2003) den Pilz als „blatt- und blütenlose, fleischige Pflanze”. Das entspricht nach der von der Gesellschaft für biologische Systematik abgegebenen Stellungnahme auch der traditionellen Sicht in der Biologie: Obwohl bereits 1957 die Pilze als weiteres Reich neben den Pflanzen den Tieren vorgeschlagen worden seien, sei diese Auffassung erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts bei den klassischen Botanikern zum „Mainstream” geworden. Noch in der 1978 erschienenen 31. Auflage des deutschen Standardlehrbuchs für Botanik (Strasburger, Lehrbuch für Botanik für Hochschulen) seien die Pilze ohne weiteres als dritte Abteilung unter der Überschrift „Übersicht des Pflanzenreichs” geführt worden.
Dass der Normgeber der 10. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften (10. BtMÄndV) vom 20. Januar 1998 (BGBl I S. 74) in diesem Sinne davon ausging, mit dem neu eingefügten Ausdruck der „Pflanze” auch Pilze, im konkreten Regelungszusammenhang also insbesondere psilocin- und psilocybinhaltige Pilze zu erfassen, ergibt sich deutlich aus der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. BRDrucks 881/97 S. 40 sowie näher BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2006 – 1 StR 384/06 –, NJW 2007, S. 524 ≪525≫) und wird auch von den Beschwerdeführern nicht in Frage gestellt. Ebenso deutlich zum Ausdruck gekommen ist die Auffassung des Gesetzgebers, dass durch die mit der 15. BtMÄndV vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1180) erfolgten Ausdehnung des Verbotstatbestands (und damit der Strafbarkeit) auf Pilzmycelien ein schon bestehendes Verbot bezüglich der Pilzfruchtkörper lediglich ergänzt werde (vgl. BRDrucks 252/01 S. 45).
Schließlich ist auch weder vorgebracht noch sonst ersichtlich, dass dieses Regelungsziel des Verordnungsgebers von der zugrunde liegenden, ihrerseits verfassungsmäßigen (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 4. Mai 1997 – 2 BvR 509/96 –, NJW 1998, S. 669) parlamentarischen Ermächtigung des § 1 Abs. 2 BtMG in Verbindung mit der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 1 BtMG in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl I S. 358) nicht gedeckt gewesen wäre. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch der Ausdruck der „Pflanze” in der genannten Legaldefinition in einem herkömmlichen, Pilze umfassenden Sinne gemeint war. Entsprechend ist der Deutsche Bundestag davon ausgegangen, mit der ausdrücklichen Aufnahme der „Pilze” in die Legaldefinition durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl I S. 1990) die Rechtslage in der Sache nicht zu ändern (vgl. BTDrucks 16/12256 S. 59).
bb) Nach dem Sprachgebrauch des Jahres 2004 war für die Normadressaten auch noch hinreichend erkennbar, dass im Hinblick auf den Umgang mit betäubungsmittelhaltigen Pilzen jedenfalls ein Strafbarkeitsrisiko bestand.
In der biologisch-systematischen Fachsprache wurde zu diesem Zeitpunkt zwischen Pilzen und Pflanzen begrifflich allerdings bereits klar unterschieden, wie die Stellungnahmen sowohl der Gesellschaft für Deutsche Sprache als auch der Gesellschaft für biologische Systematik übereinstimmend feststellen. Das bereits erwähnte deutsche Standardlehrbuch für Botanik, so die Stellungnahme der Gesellschaft für biologische Systematik, habe in der Auflage von 1991 eine Einteilung in heterotrophe und autotrophe Gruppen aufgenommen, wodurch die Pilze (heterotroph) von den Pflanzen (autotroph) deutlich abgegrenzt worden seien (vgl. dazu auch Brockhaus Enzyklopädie Bd. 21, 21. Aufl. 2006, S. 335, 480). Im Jahr 2002 sei dann auch die Überschrift „Übersicht des Pflanzenreichs” durch die Überschrift „Bakterien, Pilze und Pflanzen” ersetzt worden. Verleibende Unschärfen betreffen demnach allenfalls noch die Frage, ob die Pilzkunde (Mykologie) systematisch zur Botanik gerechnet werden sollte, nicht aber die eigentlichen Begriffsunterschiede zwischen „Pflanzen” und „Pilzen”.
Demgegenüber bewahrte und bewahrt der allgemeine Sprachgebrauch die traditionelle Sicht, die Pilze als Pflanzen betrachtet und dem Pflanzenreich zuordnet, wie die Gesellschaft für Deutsche Sprache in ihrer Stellungnahme fachkundig und überzeugend ausgeführt hat. Nur in einem der herangezogenen Nachschlagewerke, so die Stellungnahme, werde der aktuelle naturwissenschaftlich-biologische Standpunkt einbezogen, dies aber nur als erklärender und kommentierender Zusatz. Erst wenn man das Ergebnis der ebenfalls durchgeführten Internetrecherche mit einbeziehe, sei festzustellen, dass der Sprachgebrauch der Tagespresse in den letzten Jahren vermehrt Pilze nicht mehr dem Pflanzenreich zuordne. Dies sei sicher auf das neuere naturwissenschaftliche Verständnis zurückzuführen, welches auf den allgemeinen Sprachgebrauch überzugreifen beginne. Der neuere naturwissenschaftliche Sprachgebrauch finde sich im allgemeinen Sprachgebrauch aber noch nicht oder nur partiell wieder. Solche Unterschiede in der Bedeutung von Wörtern in der Fachsprache einerseits und der Allgemeinsprache andererseits sind, wie die Gesellschaft für deutsche Sprache betont, nicht ungewöhnlich. Dementsprechend findet sich in der veröffentlichten Rechtsprechung der letzten Jahre – soweit ersichtlich – kein der hier vorliegenden Konstellation vergleichbarer Fall, in dem ein sprachgebrauchsbedingter Verbotsirrtum ernsthaft im Raum gestanden hätte; auch die Beschwerdeführer behaupten nicht, selbst einer Fehlvorstellung erlegen zu sein.
Schließlich vermag auch die vom Amtsgericht Hamburg mit Urteil vom 18. März 2004 (147 Ds 6001 Js 680/02, StraFo 2004, S. 360) vertretene Auffassung nicht zu überzeugen, wonach im Falle des Betäubungsmittelrechts ausnahmsweise allein auf den biologisch-systematischen Sprachgebrauch und nicht auf die alltagssprachliche Verwendung der Begriffe „Pilz” und „Pflanze” abzustellen sei. Wie der Bundesgerichtshof demgegenüber zutreffend betont, wenden sich die Anlagen zum Betäubungsmittelgesetz auch an den Bürger und berücksichtigen – trotz der Komplexität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über Betäubungsmittel – dessen Sprachverständnis (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2006 – 1 StR 384/06 –, NJW 2007, S. 524 ≪525 f.≫). Danach hatten die Normadressaten des Betäubungsmittelgesetzes keinen Anlass, ein auf der Grundlage des alltäglichen Sprachgebrauchs klar erkennbares Strafbarkeitsrisiko wegen des restriktiveren Sprachgebrauchs in der Fachsprache für nicht gegeben zu erachten (vgl. auch Kudlich/Christensen/Solokowski, in: Müller ≪Hrsg.≫, Politik, ≪Neue≫ Medien und die Sprache des Rechts, S. 119 ≪130 ff.≫).
Nach alledem stand aus Sicht des Normadressaten schließlich auch nicht in Frage, dass sich die durch die 10. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften (10. BtMÄndV) vom 20. Januar 1998 (BGBl I S. 74) erfolgte Ausdehnung der betäubungsmittelrechtlichen Verbote und damit der Strafbarkeit auf betäubungsmittelhaltige Pilze innerhalb der Grenzen der durch § 2 Abs. 1 BtMG erteilten Ermächtigung hielt. Wenn Verordnungsgeber und Gesetzgeber zwischenzeitlich sowohl den Text der Anlage I (19. BtMÄndV vom 10. März 2005, BGBl I S. 757) als auch den Wortlaut des § 2 Abs. 1 BtMG (Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 ≪BGBl I S. 1990≫) aus Klarstellungsgründen neu gefasst haben, mag das im Sinne eines auch von der Gesellschaft für deutsche Sprache angeregten zeitgemäßen Sprachgebrauchs dem allmählichen Sprachwandel in der Klassifizierung von Pilzen und Pflanzen Rechnung tragen, rechtfertigt aber nicht die Annahme der Beschwerdeführer, der Gesetzgeber selbst sei hier bereits von einer abgeschlossenen Entwicklung oder von einer „Strafbarkeitslücke” ausgegangen.
2. Auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht verletzt. Es begegnet von Verfassungs wegen keinen Bedenken, dass die Strafgerichte in dem gegen die Beschwerdeführer geführten Verfahren das strafbewehrte Verbot des Handels mit psilocinhaltigen Pilzen als europarechtskonform erachtet und von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof abgesehen haben.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen
NPA 2011 |
StraFo 2009, 526 |