Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 04.03.2004; Aktenzeichen 2 S 10038/03) |
Tenor
Der Prozesskostenhilfe-Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 4. März 2004 – 2 S 10038/03 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Nichtbewilligung von Prozesskostenhilfe in einem zivilrechtlichen Berufungsverfahren trotz Obsiegens der Beschwerdeführerin in der ersten Instanz entgegen der Regelung von § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
1. Das Amtsgericht wies die gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Zahlungsklage ab. Das Landgericht änderte auf die Berufung der Klägerin diese Entscheidung ab und verurteilte die Beschwerdeführerin durch ein – inzwischen rechtskräftiges – Urteil zur Zahlung von 3.750 Euro.
Zusammen mit der Entscheidung in der Hauptsache wies das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss den Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zurück und führte dazu im Anschluss an das stattgebende Urteil aus:
Aus den gleichen Gründen mußte der Antrag auf Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren zurückgewiesen werden. Die Rechtsverteidigung der Beklagten hatte von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot. Das Landgericht habe das Abweichen von der eindeutigen Vorschrift des § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit keinem Wort begründet, weswegen die Entscheidung nicht nachvollziehbar sei.
3. Die Äußerungsberechtigten haben von der Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die entscheidungserheblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind vom Bundesverfassungsgericht schon entschieden (vgl. BVerfGE 71, 122). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
1. Der angegriffene Prozesskostenhilfe-Beschluss ist mit Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot nicht vereinbar.
a) Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Willkür liegt vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪278 f.≫; 89, 1 ≪13 f.≫).
b) Nach diesem Maßstab steht die Nichtbewilligung von Prozesskostenhilfe im angegriffenen Beschluss des Landgerichts mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht im Einklang.
§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO bestimmt, dass bei einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen ist, ob die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Wegen des eindeutigen Wortlauts dieser Vorschrift ist die Versagung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten für eine erstinstanzlich erfolgreiche Partei jedenfalls dann willkürlich, wenn die angegriffene Entscheidung keinen Grund nennt, aus dem sich das Übergehen der Vorschrift ausnahmsweise rechtfertigen ließe (vgl. BVerfGE 71, 122 ≪133≫ und BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 9. Januar 1990 – 2 BvR 1631/88 –, Juris).
Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung, der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe zu versagen, die offensichtlich einschlägige Regelung des § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO ignoriert. Es hat in seinem Beschluss auf die Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung abgestellt, was der Gesetzgeber ausdrücklich ausgeschlossen hat. Weder nennt das Landgericht einen Grund für das Abweichen von der genannten Regelung noch ist ein solcher erkennbar.
2. Da die Nichtbewilligung von Prozesskostenhilfe durch das Landgericht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß beruht, ist der angegriffene Beschluss gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
III.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 1248466 |
NJW 2005, 409 |
FamRZ 2005, 509 |